Sinigaglia, Leone

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Sinigaglia, Leone

Violinkonzert Op. 20 (Klavierauszug/Solo)

Art.-Nr.: 1667b Kategorien: ,

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Sinigaglia, Leone

Violinkonzert Op. 20 (Klavierauszug/Solo)

Im musikalischen Leben Turins in den 1920er – und 30er Jahren gab der Komponist eine „traditionsbewusste und immer-präsente“ Figur ab – so erinnert sich der Kritiker Massimo Mila. Bedeckt von einem breitkrempigen Hut, mit grauem Bart und schweren Bauernschuhen hatte er sich das Auftreten von Brahms und dessen Kreis bewahrt: „ … Männer, die ihre elegischen Seelen in dickbäuchigen Körpern betuchter Bürger verbargen, vorzeitig gealtert von exzessiver Ehrbarkeit“1 In einem Punkte zumindest ist der Kritiker unfair, denn Sinigaglia hielt sich – wie Fotografien belegen – bis zu seinem Ende schlank. Und wie Mila selbst war er ein Bergsteiger. Sinigaglias Bericht über seine bergsteigerischen Heldentaten, in englisch veröffentlicht als Climbing Reminiscences of the Dolomites, übersetzt von M. A. Vialls, London, Unwin, 1896, ist ein Klassiker des Genres. Doch der Bezug zu Brahms hat einige Berechtigung, reiste der Komponist doch 1895 nach Wien in der Hoffnung, vom Meister höchstselbst Unterricht zu bekommen.

In seiner Heimatstadt hatte Sinigaglia bei Giovanni Bolzoni (1841–1919) studiert, dem Direktor des Turiner Liceo Musicale und Befürworter von Kammermusik und Symphonie, was zu jener Zeit in Italien nicht die Regel war. Bolzonis Vorliebe für die nichttheatralischen Gattungen hatten offenbar eine Saite in seinem Schüler zum Klingen gebracht, der später gemeinsam mit den älteren Giovanni Sgambati (1841–1914) und Giuseppe Martucci (1856–1909) einer der Wiederbegründer der italienischen Instrumentaltradition werden sollte, die, vorwiegend österreichisch – deutsch geprägt, die Dominanz der Oper im Italien des 19. Jahrhunderts ablösen sollte.

In Wien angekommen musste Sinigaglia feststellen, dass Brahms keinen Unterricht gab. So wandte er sich an Brahms` Freund (und späteren Verleger) Eusebius Mandyczewski (1857–1929).2 Während der vier Jahre, die er in Wien verbrachte, lernte er nicht nur Brahms kennen, sondern auch Goldmark, Mahler und Dvořák, mit dem er von 1900 bis 1901 in Prag und Vysoká an Orchestrationen arbeitete. Es war offensichtlich Dvořáks Verdienst, Sinigaglia zu ermutigen, Elemente der Volksmusik in seiner Musik zu verarbeiten, wie zum Beispiel in seinen beiden Orchesterwerken Danze piemontesi, Op. 1 (1903) und der Suite Piemonte, Op. 36 (1910). Ab 1902 war Sinigaglia – ähnlich wie gleichzeitig Bartók und Vaughan Williams – aktiv als Sammler von Volksliedern. Er dokumentierte über 500 Gesänge, von denen er nur einige ausgewählte veröffentlichte, vor allem seine sechs Bändchen Vecchie canzoni popolari del Piemonte, Op. 40 (1914–27), die Material aus der Volksmusik im Gewand trügerisch einfacher Klavierbegleitungen in elegante Kunstlieder transformierten.

Viele von Sinigaglias Orchesterwerken fanden ihren Weg in das internationale Repertoire. Für gute zwei Jahrzehnte ab 1909 waren seine Danze piemontesi und die Ouvertüre zu Goldonis Komödie Le baruffe chiozzotte, op. 32 (1905) ausgesprochene Favoriten von Henry Wood bei den Londoner Proms, die der Dirigent dort regelmässig zweimal pro Saison aufführte. In New York dirigierte Toscanini die Ouvertüre zu Le baruffe chiozzotte bis in das Jahr 1947. Bei seinem Violinkonzert handelt es sich um die erste Komposition, die Sinigaglia nach seiner Rückkehr nach Turin im Jahr 1901 schuf. Die Erstaufführung fand im Berliner Beethoven-Saal am 9. November 1901 mit den Berliner Philharmonikern unter Josef Řebíček (1844–1904)statt. Der Solist war der Widmungsträger Arrigo Serrato (1877–1948). Das Stück wurde zwei Jahre später von Breitkopf und Härtel in Leipzig veröffentlicht. Nach Rognoni fand auch diese Komposition eine weite Verbreitung, erreichte jedoch nicht jene Popularität, die einige von Sinigaglias leichteren Werken genossen. Nach 1945 geriet das Werk in Vergessenheit, gemeinsam mit dem Rest seines Oeuvres, um selbst in seiner Heimat Italien nur noch gelegentlich wiederbelebt zu werden (wie in der berühmten Raubpressung einer grandiosen Aufführung von Alfonso Mosesti mit dem Orchestra Sinfonica di Roma della RAI, dirigiert von Ferruccio Scaglia im Jahr 1959).

Wollte man eine Kritik an dem Konzert äussern, so beträfe sie einen gewissen Hang zum Akademismus. Schon 1901 war Sinigaglias musikalische Sprache konservativ. Nach Rognoni war er von Wagner völlig unbeeinflusst, und auch Brahms und Dvořák tatsächlich kaum Spuren in seiner Musik hinterlassen. In einem beachtlichen Ausmaß blicken seine Werke stilistisch in die Vergangenheit, hin zu Schubert. Aber gewiss ist Schubert nicht das schlechteste Vorbild! Sinigaglias melodische Eingebungen waren ausnahmslos frisch, die Harmonien erlesen und seine Orchestrationen immer klar.

Der Geschmack einer Rückkehr in die Musiksprache des frühen 19. Jahrhunderts ist bereits in der Eröffnung des Werks zu spüren, die mit ihren Tutti-Oktaven und eckigen Phrasierung bereits 1901 fast archaisch geklungen haben mochte. Die eröffnende Orchestersektion breitet das vollständige Thema dieses Satzes in Sonatenform aus, die entschieden zur Dominante moduliert. Sinigaglia muss erst nach A – Dur zurückweichen (bei Takt 25), um einen dominantischen Aufbau zu manifestieren, der den Auftritt des Solisten vorbereitet [A]. Der Solist wiederholt das Thema (mit einigen zusätzlichen Sechzehnteln), das dieses Mal in der Tonika verharrt. Statt mit einem Übergang zu beginnen, bewegt sich die Musik bei [B] geschwind ins parallele fis-Moll und präsentiert ein neues Thema der Holzbläser, dekoriert von der Solovioline. Das Material der Bläser stammt aus den Takten 5 bis 6 der Eröffnung; bemerkenswert ist, wie die zweite Phrase dieses Tutti (Takte 5 – 8) auch das Thema bei [B] harmonisch vorbereitet, indem es zur Dominante des parallelen Moll moduliert.

Nach Schuberts Vorbild legt Sinigaglia seine Exposition in drei Tonarten an. Nach Abschluss seines fis-Mollthemas kehrt das Werk zur Tonika für einen Übergang zurück (das Animato bei [C]), der ein brillantes Staccato des Solisten mit Rückbezügen zum Hauptthema der Holzbläser kombiniert. Obwohl harmonisch recht wagemutig, verbleibt der Übergang doch in der Tonika; die zu erwartende Modulation zur Dominante erscheint nicht vor dem Tutti bei [D], das eine lyrische Transformation der Anfangsidee des Satzes liefert. Ein Nebenthema wird von den Celli bei a tempo eingeführt, beantwortet vom Solisten.

Für die abschliessende Exposition hält Sinigaglia noch eine Überraschung bereit. Bei Takt 12 vor [E] bewegt sich Musik erst nach Moll, anschliessend zur verminderten Submediante (was sehr an Schubert erinnert). Eine beträchtlich verzögerte Rückkehr nach E-Dur beinhaltet ein ernstes kontrapunktisches Tutti (bei [E]), beantwortet von einer Salve von Dreifachgriffen des Solisten, bevor eine aufbauende Bewegung über einem dominantischen Pedal zum finalen Tutti bei [F] führt: eine melodische Synthese der Haupt-und Nebenthemen, die beim Tutti bei [D] ihren Anfang nimmt.

 

 

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