Joachim, Joseph

Joachim, Joseph

Violinkonzert Nr. 2 in D-Moll “in ungarischer Weise” Op. 11

Art.-Nr.: 1869 Kategorie:

32,00 

Preface

Joseph Joachim

Violin Concerto No. 2 in D Minor “in the Hungarian Manner,” op. 11

(geb. Kittsee, 28. Juni 1831 – gest. Berlin, 15. August 1907)

Widmung
Johannes Brahms

Komponiert
Hannover, Sommer 1857

Premiere
Hannover, 24. März 1860; publiziert: Breitkopf und Härtel, 1861
Vorwort
Joseph Joachims d-Moll-Konzert op. 11 „in ungarischer Weise“ wurde lange Zeit als eines der feinsten Werke des Komponisten angesehen, das etliche seiner anderen Kompositionen im ungarischen Stil mit Leichtigkeit in den Schatten stellt: die frühe Fantasie über ungarische Themen (ca. 1850) und eine Rhapsodie Hongrois für Violine und Klavier (1853 gemeinsam mit Franz Liszt komponiert). Es ist ein substanzielles Werk, das zu Lebzeiten Joachims große Popularität genoss, obgleich er selbst es in seinen späteren Jahren aufgrund von dessen außergewöhnlicher Länge und Schwierigkeit nicht mehr aufführte. Tatsächlich wurde gesagt, Joachim sei nicht der beste Interpret des Werks, im Gegensatz zu Wilhelmj, Laub oder später Flesch, der es mit großartiger Empfindung und zigeunerhafter Hingabe spielte. Joachims frühe ungarischen Stücke waren typische Virtuosenprodukte; das „ungarische“ Konzert hingegen ist ein symphonisches Werk von gewaltiger Gestaltung und durchdachter Ausführung – eine seltene und wichtige Verbindung zwischen den klassischen Werken von Mozart, Beethoven und Mendelssohn und den Konzerten des 19. Jahrhunderts von Bruch, Lalo, Goldmark, Brahms, Tschaikowsky, Dvořák und Saint-Saëns.

Die Jahre vor und während der Komposition des Konzerts galten als Krise der symphonischen Kompositionen in allen Genres, die Symphonie selbst durchlebte eine dunkle Zeit. Wie Carl Dahlhaus vermerkte, wurden die rigorosen Anforderungen, Musik in „großer Form“ zu schreiben, nach Beethoven zu einem Hindernis; für eine Generation lang führte dies zur Abwesenheit von „jeglichem ausgezeichneten Werk, das eher die absolute als die programmatische Musik repräsentiert“. In der Mitte des Jahrhunderts galt die Symphonie an sich dem Untergang geweiht: in der „fortschrittlichen“ Ästhetik der Neuen Deutschen Schule wurden Kompositionen in traditionellen Formen als trocken, akademisch und altmodisch verspottet. In seiner Abhandlung Oper und Drama läutete Wagner bekanntlich – und verfrüht – die Totenglocke der Symphonie.

Unter diesen Umständen bot das Konzert traditionelleren Komponisten ein Genre der „absoluten Musik“, das beträchtlich mehr Individualität und Freiraum des Ausdrucks – mehr Spielraum für formale Innovation – zuliess als die Symphonie, wobei es erst nah an dem Einsatz außermusikalischer Programme Halt machte. Ein erstklassiges Beispiel dafür ist Max Bruchs Violinkonzert Nr. 1 in g-Moll op. 26 (1866). Der erste Satz von Bruchs Konzert ist unüblich in jeder Hinsicht: eine freie Introduktion (Bruch nutzt den Wagner‘schen Begriff Vorspiel) zu einem hauptsächlich langsamen Satz, der die wahre Daseinsberechtigung (raison d’être) des Werks darstellt. Bruch war von Gewissensbissen gequält, ob solch ein formal unorthodoxes Werk in das Genre passen würde, wurde aber von Joachim versichert: „Auf Ihre ‘Zweifel’ freue ich mich Ihnen schließlich zu sagen, daß ich den Titel Concert jedenfalls gerechtfertigt finde — für den Namen ‘Phantasie’ sind namentlich die beiden letzten Sätze zu sehr und regelmäßig ausgebaut. Die einzelnen Bestandtheile sind in ihrem Verhältnisse zu einander sehr schön und doch contrastirend genug; das ist die Hauptsache. Spohr nennt übrigens auch seine Gesangs-Scene ‘Concert’!“

Es war genau diese Freiheit – das Geschick, aus dem Schatten von Beethoven und dessen „großer Form“ auszubrechen bei gleichzeitigem Verharren auf der Autorität der anerkannten Formmodelle -, die einen Komponisten mit konservativer Haltung angesprochen hat und die einem symphonischen Violinkonzert als ein Genre absoluter Musik erlaubte, seine kreativen Vorzüge und gleichzeitig seinen vorläufigen Halt in der Öffentlichkeit in einer Zeit beizubehalten, in der die Symphonie selber ihre Dunkelzeit hatte. Wie Joachim in seinem Brief bemerkte, bot Spohr (1816) ein frühes Beispiel einer unkonventionellen Form – ein Konzert, gegossen in einer opernhaften „scena.“ Mendelssohns Konzert (1845), das nachfolgende Komponisten wie Sibelius beeinflusste, ist gesättigt mit formalen Innovationen (das Fehlen eines Eröffnungs-tutti im ersten Satz ebenso wie die zentral gelegene Kadenz, die in eine unübliche Reprise leitet, etc.).

Ebenso wichtig ist, dass das Konzert dem Komponisten die Freiheit bot, bestimmte lyrische oder eigenartige Stimmungen zu erkunden – Stimmungen, die der Ära geistesverwandt waren, aber außerhalb der ästhetischen Normen der Symphonie lagen, oder die problematisch waren, wenn sie den formellen Prozessen unterworfen wurden, die eine Symphonie erforderte. Einige genretypischen Symphonien, die mit „lokaler Farbe“ angereichert waren wie Goldmarks Ländliche Hochzeit (1876), genossen eine Zeit lang Popularität, aber standen abseits der strengen Erwartungen an das Genre und verloren schlussendlich die Gunst. Im Gegensatz dazu blieben ähnliche Konzerte wie Lalos Symphonie Espagnole, Bruchs Schottische Fantasie oder Wieniawskis Zweites Konzert d-Moll mit seinem Finale à la Zingara im Repertoire der Violinisten verankert. Joachims Konzert „in ungarischer Weise“ ist ein charakteristisches Beispiel für diese „typischen“ Konzerte. Obgleich ein Frühwerk, wurde es von Carl Flesch zu einem Höhepunkt des Genres erklärt: „Die herausragendste Kreation, die ein Violinist jemals für sein eigenes Instrument geschrieben hat.“ Im selben Jahr komponiert wie Wieniawskis Konzert, ebenfalls in d-Moll, endet es ebenso mit einem Finale à la Zingara – einem wilden Zigeuner-Perpetuum-Mobile, welches ein ausgedehntes virtuoses Rondo einleitet. Mit seinem op. 11 geht Joachim über Wieniawski hinaus, indem er die traditionelle dreisätzige Konzertform erweitert und frei umgestaltet in ein weites symphonisches Portrait seiner Heimat Ungarn, gleichermassen aus einem persönlichen Blickwinkel geschrieben wie auch idealisierend – volle fünfundvierzig Minuten der größten Virtuosität in den Dienst der beschwörendsten Poesie gestellt.

Der Style Hongrois – der ungarische Stil – hat eine lange Geschichte in der klassischen Musik, die auf Haydn zurückgeht, wenn nicht sogar noch weiter in die Vergangenheit reicht. Seine typischen Stimmungen und Gesten wurden von so verschiedenen Komponisten des 19. Jahrhunderts wie Liszt und Brahms adaptiert, die in der Freiheit, der nostalgischen Melancholie und leidenschaftlichen Hingabe schwelgten, die dem Stil innewohnten. Joachim, natürlich ein gebürtiger Ungar, wurde wie auch Liszt in frühem Alter dem Heimatboden entrissen. Er sprach etwas Ungarisch und betrachtete die ganze magyarische Kultur mit einem wehmütigen, romantischen Starren. Das Ungarn von Joachims Geburt war noch immer ein vom Fortschritt unberührtes Land. Unter der Herrschaft der Habsburger seit der Niederlage der Türken war es arm, nahezu ohne Infrastruktur, Industrie, Bankwesen oder Handel – ein Puzzle aus abgelegenen Dörfern und feudalen Grundbesitzen. Von frühester Zeit an wurden die Ebenen Ungarns von aufeinander folgenden Wellen der Invasion und Immigration überrannt, und die ansässige Bevölkerung trug den Stempel vieler Kulturen von den antiken Kelten und Römern bis zu den modernen Magyaren, Slowaken, Germanen, Romanen, Türken und Juden. Kaum ein Drittel der Einwohner sprach ungarisch – die geläufige Sprache der Oberschicht war Latein. In diesem Durcheinander der Ethnien machte Joachim keinen Unterschied zwischen „ungarischer“ Musik und der Musik der einheimischen Zigeunern. Wie andere klassisch trainierten Musiker assoziierte er undifferenziert „ungarischen“ Stil mit einem exotischen, ungehemmten und stolz halbzivilisierten Volk. Dies ist offenkundig in einem Brief vom November 1854 von Joachim, zu jener Zeit Konzertmeister in Hannover, an seinen Landsmann Liszt: “Ich war in der Heimath,“ schrieb er. „Der Himmel ist mir dort musikalischer vorgekommen, als der Hannover’sche. […] Die Donau bei Pesth ist schön, und die Zigeuner spielen noch enthusiastisch, von Herz zu Herz geht der Klang, das weißt Du, Es ist mehr Rhythmus und Seele in ihren Bogen, als in allen norddeutschen Kapellisten zusammengenommen; die Hannover’schen nicht ausgenommen.” Ein halbes Jahrhundert später konnte William Henry Hadow noch immer ungarische Kaffee-Musiker beschreiben als „Rhapsoden von musikalischer Art, gezeichnet von Inspiration über den reichen Vorrat nationaler Ballade, der Methode zu einer freien Tradition vertrauend, oder einem Impuls des Moments. […] Der ganze Charakter ihrer Musik ist direkt, natürlich, spontan, einem Gefühl stimmgebend, das spricht, weil es nicht still bleiben kann.“ Es ist diese Direktheit, diese Spontaneität, dieser Rhythmus und diese Seele, die Joachim suchte, in einem Konzert festzuhalten. Joachim widmete das Werk Brahms und gab die Uraufführung 1860 in Hannover. Er veröffentlichte es im folgenden Jahr und führte es während seiner historischen Wiederkehr nach Wien 1861 auf. Beim ersten Hören war der berühmte Wiener Kritiker Eduard Hanslick abgeneigt, eine fertige Meinung zu dem Stück zu verkünden, obgleich er bewundernd über die Komposition schrieb. Als er es drei Jahre später in der Interpretation von Laub hörte, äusserte er sich eindeutig: “Diese Tondichtung voll Geist und Gemüth, voll Energie und Zartheit sichert Joachim einen hervorragenden Platz unter den modernen Componisten.”

Übersetzung: Oliver Fraenzke

[Deutsche Originale der Zitate von Joachim und Hanslick sind entnommen der Seite: https://josephjoachim.com/2016/05/20/joachims-hungarian-concerto-op-11-a-note/ (Stand: 29.07.2016)]

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf & Härtel, Wiesbaden, zu beziehen.

 

Score Data

Edition

Repertoire Explorer

Genre

Violine & Orchester

Format

210 x 297 mm

Druck

Reprint

Seiten

140

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