Hausegger, Siegmund von

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Hausegger, Siegmund von

Aufklänge for orchestra

Art.-Nr.: 4230 Kategorie:

32,00 

Siegmund von Hausegger – Aufklänge

(geb. Graz, 6. Mai 1872 – gest. München, 10. Oktober 1948)

 

Vorwort
Aufklãnge (1917) ist eine Reihe von Variationen des traditionellen Kinderliedes Schlaf, Kindchen, schlaf. Der Text lautet:

Schlaf’ Kindchen schlaf’
Der Vater hüt’t die Schaf
Die Mutter schüttelt’s Bãumelein
Da fãllt herab die Trãumelein
Schlaf’ Kindchen schlaf’

Hausegger betrachtete das Werk als Ergänzung zu seiner Natursymphonie aus dem Jahre 1911 (mph 4173). Die Symphonie brachte den Menschen in eine kosmische Beziehung zur Natur. Aufklãnge ist der Mensch in seiner eigenen subjektiven Erfahrung. Die Musik, die seinem vierjährigen Sohn Friedrich gewidmet ist, spiegelt „die traumhaften , hoffnungsstarken und erinnerungstiefen Gefühle des Vaters an der Wiege des Kindes“ wider. Die Struktur des 30-minütigen Werkes ist ein Thema mit acht Variationen, gefolgt von einem aufwändigen Scherzo und einer Fantasie, die der Komponist als „das brausende Lied des visionär erschauten Lebens „ beschreibt.

Die Musik beginnt mit ruhigen Streicherharmonien, die sowohl als Einführung dienen, wie sie auch Grundtonalität F-Dur etablieren. Zuerst hören wir das eigentliche Thema, gespielt vom dem Englischhorn (7 Takte vor Ziffer 1). Variante 1 ist so kurz, dass sie tatsächlich wie der Übergang zu Variante 2 wirkt (9 vor Ziffer 3), die mit ihrem schnelleren 6/8-Takt wie eine Barcarolle klingt. Hohe Holzbläser und Celeste, mit einer schönen Cello-Gegenmelodie, liefern die wichtigsten Klangfarben. Variante 3 (8 vor Ziffer 4) ist zarter, mit einem besonders attraktiven Duo von Klarinette und Geigen. Sie baut sich zu einem Crescendo auf, dann spielen die Hörner den Übergang zu Variante 4 (8 vor Ziffer 6). Über dem Schlaflied in h-Moll intonieren die hohen Streicher Saiten ein beredtes Gegenmotiv im parallelen D-Dur.

Variante 5 (10 vor Ziffer 13) beginnt mit sich überlappenden Dialogen, „wozu zwei Fagotte tolpatschig hintereinander her stolpern“, wie Hausegger schreibt. Das Orchester greift „das Thema in übermütiger Bedrohlichkeit auf“ und erhebt sich zu einem mächtigen Tutti, das plötzlich von einem abwärts sausenden Harfeglissando abgebrochen wird. Variation 6 (11 vor Ziffer 6) „ein spukhaftes ziemlich ausgedehntes Scherzo“, beginnt mit einem Thema der Celeste, begleitet von Harfen-Synkopen und raschelnden Streichern. Ein zentrales Segment nutzt die ersten zwei und letzten vier Schläge des Schlafliedes krebsgängig (2 nach Ziffer 18), was zu erregten chromatischen Figuren führt. Weiter geht es in stürmischem Schritt bis zu einem Septakkord auf As, unterlegt von einem Pedal auf D im Bass. Dann die Reprise der geheimnisvollen Öffnungstakte der Variation. Variation 7 (8 vor Ziffer 24) ist ein gedankenschweres Adagio in Des-Dur, die leidende Grundstimmung ist nicht zu überhören. Variation 8 (8 nach Ziffer 28) in A-Dur kombiniert den ersten Takt des Themas mit einer Gegenmelodie der Flöte, die im Rückblick Teil des Schlafliedes ist. Die Leichtigkeit dieser Variation steht im Gegensatz zu ihrem Vorgänger. Die Vision des Kinderliedes verblasst, und über einen irreführenden Rhythmus kehrt die Musik nach F-Dur zurück.

Rubato Vogelstimmen, abgeleitet aus dem Schlaflied, führen den letzten Teil des Werkes ein (3 vor Ziffer 33). Nach und nach gesellt sich das Orchester hinzu, dann beginnen die Bratschen eine fugato-Passage („sehr feurig“), die auf einem der Vogelrufe (Ziffer 36) basiert. Die Musik erreicht einen Höhepunkt in C-Dur, gefolgt von einem „ schmachtend-sensuchtsvollen Liebeslied der Sologeige“ (Ziffer 39). Eine zweite selbstbewusste Fugenpassage erklingt, die sich vom Thema der ersten ableitet. Vogelstimmen erklingen. Nachdem „mit einem Schlage das Kinderlachen“ verschwindet, eröffnet bei Ziffer 43 eine weitere ausladende Geigenmelodie eine zweite Episode. Dazu gehört auch ein verdichtetes Fugato-Segment, das in eine grossartige Tutti-Passage (Ziffer 53) mündet. „Heiterer Kindersinn bezwingt die Welt!“ Inmitten all der Bewegung gibt es doch kaum einen Zufall, es ist eine der diatonischsten Passagen, die Hausegger je schuf. Nach dem Verebben der Klangwellen führt die Coda, die die ersten Takte des Schlafliedes in erweiterten Phrasen verwendet, zu einem elegischen Geigenmotiv (8 nach Ziffer 58). Es gibt Echos der Vogelstimmen vor den abschliessenden Takten in F-Dur. Wie von weit her erinnern sich Hörner und Harfe an den letzten Satz des Schlafliedes (an die Worte „Schlaf, Kindchen, schlaf“).

Wir könnten Aufklãnge als Gegenstück zu Strauss‘ Symphonie Domestica betrachten, aber in einer sublimierteren Form – keine Alarmglocke, kein jammerndes Kleinkind. Auch hören wir den Einfluss von Mahler. Obwohl es vielleicht einfach Hauseggers Wunsch nach helleren Texturen gewesen sein mag, erinnert das Fehlen der tieferen Bläser an Mahlers Vierte Symphonie (Hausegger war bei der Premiere des Werks). Die bedeutende Rolle der Vogelstimmen im zweiten Teil ist ebenso eine Hommage an Mahler. Danach schrieb Hausegger keine bedeutenden Werke mehr. Zum Teil war dies auf seinen wachsenden Erfolg als Dirigent zurückzuführen, der immer mehr Zeit in Anspruch nahm. Aber ich neige zu der Annahme dass es auch eine Ursache war, dass die Zeiten aus den Fugen geraten sind. Wir sehen ein ähnliches Austrocknen bei so unterschiedlichen Zeitgenossen wie Schillings und Sibelius. Für jemanden mit Hauseggers Idealismus und dessen Verehrung der Musikkunst müssen die Wege von Krenek oder Weill wie ein Sakrileg geklungen haben. Schőnberg hingegen mit seiner zwölftönigen Herangehensweise erschiene ihm wie die Leugnung jeglicher Inspiration. So suchte er Zuflucht in den Klassikern und widmete den Rest seines Lebens ihrer Interpretation und der Ausbildung einer neuen Generation. Man tut sein Bestes und hofft auf Ehrenrettung.

Die Zitate im obigen Text stammen aus von Hauseggers Bemerkungen zu Aufklãnge, veröffentlicht in seinen Betrachtungen zur Kunst, Die Musik, Leipzig 1920. Das Werk wurde auf cpo 777-810 aufgezeichnet. Wer sich für weitere Informationen über diesen bemerkenswerten Komponisten interessiert, kann meine Website vonhausegger.com besuchen.

Don O‘Connor, 2019

Aufführungsmaterial ist von Ries und Erler, Berlin, zu erhalten.

Partitur Nr.

4230

Edition

Repertoire Explorer

Genre

Orchester

Format

Druck

Reprint

Seiten

128

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