Schubert, Franz

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Schubert, Franz

Scherzo in B minor D 759/3 (Completed Performing Version by Nicola Samale & Benjamin-Gunnar Cohrs) & Orchestral Movement in B minor D 797/1 (Conjectural Finale to the unfinished Symphony D 759)

Art.-Nr.: 884 Kategorie:

23,00 

Preface

Franz Schubert
(geb. Wien, 31. Januar 1797 — gest. Wien, 19. November 1828)

Scherzo h-moll D 759/3.
— Vervollständigte Aufführungsfassung
von Nicola Samale & Benjamin-Gunnar Cohrs —

Orchestersatz h-moll D 797/1.
— Mutmaßliches Finale zur ›unvollendeten‹ Sinfonie D 759 —

Schuberts Unvollendete:
Eine Bestandsaufnahme

Die als dreisätziges Fragment (!) überlieferte Sinfonie h-moll D 759 gibt ihrer Nachwelt Rätsel auf. Eine Fülle hartnäckiger Legenden und Gerüchte dazu werden von der Musikwissenschaft, Kritik und Aesthetik heftig diskutiert. Aus der Not des Fragments machte die Nachwelt eine Tugend: Man behauptet gern, Schubert hätte seine Sinfonie am Ende des Andantes in E-Dur bereits als ›vollendet‹ betrachtet; eine Vervollständigung sei angesichts des bereits erzielten ›Vollendungsgrads‹ des Erhaltenen undenkbar. Dem folgte die Schutzbehauptung, das skizzierte Scherzo sei »nicht auf der Höhe der ersten beiden Sätze« und daher irrelevant. Angeblich sei allein schon die Tatsache, daß Schubert die Halb-Partitur mitsamt eines kalligraphierten Titelblatts aus der Hand gab und dem Steiermärkischen Musikverein widmete, ein ›Beweis‹ dafür, daß er das Werk »in zweisätziger Form als fertig« betrachtete. Es wurde sogar behauptet, die im November 1822 in Angriff genommene Klavierfantasie Der Wanderer (u. a. von Franz Liszt und Charles Koechlin instrumentiert) sei als Finale oder wenigstens ideelle Fortsetzung gedacht gewesen. Arnold Schering argumentierte 1938, die Sinfonie sei deshalb bereits abgeschlossen, weil sie einem angenommenen Programm, der von Schubert überlieferten Prosaskizze Mein Traum, in Einzelheiten folge. Wieder andere meinten, Schubert habe die Sinfonie wie viele andere schlicht aufgegeben. Doch all dies sind Spekulationen, angesichts der mageren Faktenlage müßig und wenig geeignet, Licht in die Angelegenheit zu bringen. Die Musikwissenschaft ist an der Legendenbildung maßgeblich beteiligt; sie betreibt dies dubiose Geschäft bis heute. Es ist bedauerlich, daß selbst das Vorwort der kritischen Urtext-Ausgabe der Sinfonie von Werner Aderhold – die auch in Details editorischer Praxis ihrerseits zur Kritik herausfordert – nurmehr ein weiteres Beispiel unglückseliger Vermengung von Fakten und Fiktion, Erkenntnissen und Vermutungen, Realität und Wunschdenken ist. Fassen wir also noch einmal die stichhaltigen Erkenntnisse zusammen.

Schubert komponierte zu unbekanntem Zeitpunkt wenigstens drei Sätze einer Sinfonie in h-moll, zunächst im vollständigen Klavierparticell. Die ersten drei dieser zehn Seiten Skizze sind verlorengegangen; dies entspricht den ersten 248 Takten der endgültigen Partitur des ersten Satzes. Die Skizze des dritten Satzes, eines Scherzo in h-moll, endet mit dem Entwurf des Trios; nachfolgende Notenzeilen sind leer. Das nach der Skizze ausgearbeitete Partitur-Manuskript bricht nach wenigen instrumentierten Takten des Scherzo ab. Es umfaßt 70 durchnumerierte Seiten Reinschrift; die erste davon bildet ein Titelblatt mit der lateinischen Kalligraphie »Sinfonia / in / H moll / von / Franz Schubertmpia« (= manu propria, eigenhändig); links unterhalb befindet sich als Datierung »Wien den 30. Octob. 1822«. Die Klavierskizzen der Sinfonie gingen nach Franz Schuberts Tod am 19. November 1828 an den Bruder Ferdinand und nach dessen Tod 1859 in den Besitz des Wiener Autographensammlers Nicolaus Dumba. Die Partitur der Sinfonie kam auf unbekanntem Weg in den Besitz der Schubert nahestehenden Brüder Anselm und Josef Hüttenbrenner. (Anselm war zunächst Sekretär, ab 1824 auch Direktor des Steiermärkischen Musikvereins in Graz. Josef fungierte um 1822/23 als eine Art Sekretär Schuberts und kümmerte sich wohl vor allem um dessen Finanzen.) Zunächst verblieb die Partitur bei Josef, der davon 1853 einen vierhändigen Klavierauszug herstellte. Das Manuskript der Sinfonie enthält ebenfalls Eintragungen von seiner Hand, z. B. eine Reihe von Instrumenten-Bezeichnungen vor der Akkolade auf Seite 21; auch die Paginierung der Seiten von 2 bis 70 ist wohl von ihm. Irgendwann übernahm Anselm Hüttenbrenner in Graz das Manuskript von Josef. Das 1997 ebenda erschienene Schubert-Lexikon stellte dazu fest: »Wann die Sinfonie über ihn an seinen Bruder in Graz gelangte, ist nicht bekannt, da die Erinnerungen und brieflichen Informationen (Deutsch, [Erinnerungen, S.] 3, 88, 222, 497 u. 512), die er viele Jahre später verschiedenen Adressaten übermittelt hat, in sich widersprüchlich sind, nicht zuletzt in Bezug auf die Widmungsbestimmung der Sinfonie.« Demnach hatte Schubert angeblich die Sinfonie im Jahre 1823 dem Musikverein in Graz als Dank für seine Ernennung zum Ehrenmitglied gewidmet und geschenkt. Als Beweis dafür wurde von Anselm Hüttenbrenner ein Dankschreiben angeführt, datiert mit 20. September 1823.

Die Entdeckung der Halb-Sinfonie ist dem Wiener Dirigenten Johann Herbeck zu verdanken, der unermüdlich nach Schubert-Autographen suchte und dank dessen viele Manuskripte noch heute erhalten sind, die sonst vielleicht im Laufe der Zeit verlorengegangen wären. Herbeck hörte bereits 1860, daß Anselm Hüttenbrenner bisher Unbekanntes von Schubert aufbewahrte. Er suchte ihn am 1. Mai 1865 in Graz unter dem Vorwand auf, dessen eigene Kompositionen in Wien dirigieren zu wollen. Hüttenbrenner bot ihm bereitwillig das Original der h-moll-Sinfonie an, obwohl er sich auch mit einer Kopie zufriedengegeben hätte, wie Herbeck in seinen Memoiren berichtete. (Das Schubert-Lexikon kam infolgedessen zu dem Schluß, der von einigen Forschern später erhobene Vorwurf, das Manuskript bewußt zurückgehalten zu haben, träfe Hüttenbrenner wohl zu Unrecht.) Herbeck leitete am 17. Dezember 1865 in Wien die Uraufführung der beiden vollständigen Sätze. (Es wirkten dabei 106 Musiker mit – ein Orchester also mit sehr großer Streicherbesetzung und verdoppelten Bläsern). Bereits Herbeck empfand das Fehlen weiterer Sätze als Manko; zum ›Notfinale‹ wählte er bei dieser Gelegenheit den furiosen Schlußsatz der dritten Sinfonie. Die Halb-Partitur erschien 1867 bei Spina in Wien; dabei erhielt sie erstmals die Bezeichnung ›Unvollendete‹. Herbeck behielt offenbar zunächst das Manuskript. Anselm Hüttenbrenner verstarb 1868, und nach Herbecks eigenem Tod im Jahr 1877 wurde auch die Halb-Partitur von Nicolaus Dumba erworben, 18 Jahre nach dem Kauf der Klavierskizzen, wobei er das Titelblatt links unten signierte. Die Manuskripte zum Scherzo wurden erstmals durch Friedländer bekannt, der sie 1883 bei Dumba einsehen durfte und im Jahr 1887 in Berlin darüber publizierte. 1885 erschien die Unvollendete in der alten Schubert-Ausgabe zu Leipzig; der Abdruck der Skizzen folgte im Revisionsbericht I (13) zur Serie I der Gesamtausgabe. Als Dumba im Jahr 1900 starb, vermachte er Partitur-Fragment und Skizzen der Gesellschaft der Musikfreunde, in deren Archiv das vereinte Material seit dem 7. März 1901 liegt. Der Scherzo-Entwurf wurde 1923/24 auch durch die Faksimile-Ausgabe des Münchner Drei-Masken-Verlags zugänglich. Erst 1967 entdeckte Christa Landon eine weitere, bisher unbekannte Partiturseite im Archiv des Wiener Männergesangsvereins mit den Takten 10 bis 20 des Scherzo. Dieses Blatt ist unvollständig instrumentiert und war, da eine Seitenzahl fehlt, offenbar nie im Besitz Hüttenbrenners. Angaben der Entdeckerin zufolge wurde dies Blatt aus der Partitur herausgeschnitten. Sie vermutet, daß es zunächst im Besitz der Schubert-Familie verblieben und später an den Männergesangsverein gegangen war (eine Andenkengabe?). 1978 brachten Walther Dürr und Christa Landon bei Katzbichler eine aktualisierte Faksimile-Ausgabe von Partiturfragment und Skizzen (ohne Leerseiten) heraus; die neue Urtext-Ausgabe des gesamten Materials erschien nebst Revisionsbericht schließlich 1996 im Rahmen der Neuen Schubert-Ausgabe sowie als Taschenpartitur bei Bärenreiter (darin leider ohne kritischen Bericht). …

 

 

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Score Data

Edition

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Genre

Orchester

Seiten

101

Format

160 x 240 mm

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