Reznicek, Emil Nikolaus von

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Reznicek, Emil Nikolaus von

Symphony No. 4 in F minor

Art.-Nr.: 1842 Kategorie:

26,00 

Preface

Emil Nikolaus von Reznicek

IV. Symphonie f-moll
(1919)

(geb. Wien, 4. Mai 1860 – gest. Berlin, 2. August 1945)

I Moderato pesante (p. 3) – Tranquillo, dasselbe Zeitmaß etwas weniger straff (p. 14) – Tempo I (p. 16)
II Trauermarsch auf den Tod eines Komödianten. Tempo di marcia funebre (p. 28)
III Allegro molto (p. 48) – Poco meno allegro (p. 54) – Coda (p. 58)
IV Variationen-Finale. Moderato un poco maestoso (p. 61) – Allegro vivace (p. 66) – Tempo I (p. 70) –
Allegro molto con fuoco (p. 73) – Meno allegro (p. 76) – Andante con grazia (p. 77) –
Allegro ma non troppo (p. 79) – Maestoso, nicht schleppen (p. 85)

Vorwort
Man kann es nur als eine bittere Ironie der Geschichte verstehen, dass Emil Nikolaus von Reznicek – wie beispielsweise Otto Nicolai, Henry Litolff, Amilcare Ponchielli, Max Bruch, Emmanuel Chabrier, Alfredo Catalani, Pablo de Sarasate, Paul Taffanel, August Klughardt, Engelbert Humperdinck, Christian Sinding, Jaromír Weinberger, Carl Orff oder Alexander Arutiunjan, aber eben auch Meister seiner Epoche wie Paul Dukas oder Edward MacDowell – gerne als ‚One Work Composer’ bezeichnet wird. Man kennt seine spritzige ‚Donna Diana’-Ouvertüre, die auch Karajan aufgenommen hat, und sonst kennen die meisten nichts von ihm. Reznicek war – neben Richard Strauss und Gustav Mahler – einer der herausragenden Komponisten jener Generation, die vor allem im deutschsprachigen Raum das Kapellmeister-Komponistentum zu höchster Blüte brachte, indem die spätromantische Kunst der Behandlung des großen Orchesters ihren Höhepunkt erreichte. Weitere Namen, die hier zu nennen wären, sind u. a. Siegmund von Hausegger, Paul Büttner, Felix Woyrsch, Hans Pfitzner, Hermann Suter, Alexander Zemlinsky, Hermann Hans Wetzler, Max Reger, Franz Schreker, Max von Schillings, Felix Weingartner, Paul Graener, Max Fiedler oder Georg Schumann. Reznicek zählt unter diesen zu den Originellsten und Einfallsreichsten, und sowohl als Könner als auch hinsichtlich des effektvollen tondichterischen Dramas ist er Strauss und Mahler ebenbürtig. Es ist weit mehr als seine zweifellos sensationelle Orchestrationskunst, die seine Musik auch heute noch aktuell und faszinierend erscheinen lässt. Reznicek war ein genialer Verwandlungskünstler, ein Meister des Unberechenbaren, Unvorhersehbaren, oftmals auch derart vielschichtig Hintersinnigen, dass vielleicht gerade hier, in der psychologischen Komplexität seiner Erscheinung, ein Problem verborgen ist, das die ungehinderte Verbreitung seiner Musik verunmöglichte. Die großen Tondichtungen wie ‚Schlemihl’ oder ‚Der Sieger’ sind von einer unerschöpflichen Mannigfaltigkeit der Aussage, die es schwer macht, eine treffende charakteristische Beschreibung zu geben. Sie stehen auf einer Höhe mit den Meisterwerken von Strauss, doch wie viel eindeutiger liegt bei diesem der Fall, in jedem seiner Werke! Man kann selbst so luxuriös ausladende, vielfach untergliederte Tondichtungen wie ‚Also sprach Zarathustra’, ‚Don Quixote’, ‚Ein Heldenleben’ oder die ‚Symphonia domestica’ einfach nicht missverstehen. Und man kann sicher folgern, dass es insofern symphonischen Dichtungen ein wenig wie Opern ergeht: Vermittelt sich die Geschichte eindeutig, ohne die Notwendigkeit von Erklärungen. Doch war Reznicek nicht nur ein komplexer Opernkomponist und Programmmusiker, sondern nicht weniger ein beschlagener Symphoniker, der es immerhin auf fünf vollgültige, klar voneinander unterschiedene Gattungsbeiträge brachte, und auch dem Streichquartett-Genre fünf Meisterwerke bescherte. Nur: ihn, den Schalk, Ironiker und Humoristen, wollte man einfach nicht ernstnehmen innerhalb der hehrsten Gattungen der Instrumentalmusik, deren Erhabenheit man am späten Beethoven maß und an seinen Nachfolgern Brahms und Bruckner. Reznicek hatte immer wieder den einen oder anderen ganz großen, wenngleich kurzfristigen Erfolg, doch nur der Ouvertüre zu seiner vierten Oper ‚Donna Diana’, die 1894 seinen Durchbruch brachte, blieb der Erfolg treu – und je erfolgreicher sie war, desto mehr prägte sie das einseitige Bild eines gewitzten, eleganten Komponisten, dessen zahlreiche anderen Facetten nur echte Kenner zur Kenntnis nahmen.

Aus einer böhmischen Familie stammend, war Emil Nikolaus von Reznicek der Sohn des Generals Joseph Reznicek. Seine Mutter Clarisse Ghika, Nachfahrin eines rumänischen Fürstengeschlechts, starb, als er drei Jahre alt war. Dreizehnjährig komponierte er erste Lieder und Klavierstücke. 1874 begegnete er Brahms, und im selben Jahr übersiedelte die Familie nach Graz, wo er 1877 die ‚Hexenszene’ aus Shakespeares Macbeth vertonte. Nach dem Abitur begann er in Graz ein Jurastudium, und es entstanden 1880 ein erstes Streichquartett und das Klavierwerk ‚Die Gedanken eines Selbstmörders’. 1881-84 studierte er bei Carl Reinecke (1824-1910) und Salomon Jadassohn (1831-1902) am Leipziger Konservatorium, wo er auch seine erste Symphonische Suite in e-moll komponierte. 1884-86 folgten erste Engagements als Kapellmeister in Zürich, Bochum, Berlin und Mainz aufeinander. Am 15. Juni 1886 kam in Prag seine erste Oper ‚Die Jungfrau von Orléans’ zur Uraufführung. Weitere Opern waren 1887 ‚Satanella’ und 1888 ‚Emerich Fortunat’, bevor 1894 die ‚Donna Diana’ herauskam. Wichtige Werke der folgenden Jahre waren: Requiem und Lustspiel-Ouvertüre (1895), zweite Symphonische Suite in D-Dur (1895-96), Messe F-Dur (1898), Oper ‚Till Eulenspiegel’ und Ouvertüre ‚Wie Till Eulenspiegel lebte’ (1900). 1902 vollendete er seine ‚Tragische’ Erste Symphonie in d-moll, zugleich seine umfangreichste, der 1904 als Gegenstück die knappe Zweite Symphonie in B-Dur, seine ‚Ironische’, folgte. Beliebt wurde seine Streicher-Serenade von 1905. 1906 schrieb er sein Erstes Streichquartett in cis-moll, 1909 die Operette ‚Die verlorene Braut’, und 1911 mit der gewaltigen symphonischen Dichtung ‚Schlemihl – ein Lebensbild’ nach Chamisso eines seiner fesselndsten Werke, die 1913 mit ‚Der Sieger – ein symphonisch-satyrisches Zeitbild’ ihr hochdramatisch vom fulminanten Aufbruch über den Tanz um das goldene Kalb zum unausweichlichen Tod führendes Gattungsgegenstück erfuhr. Daneben entstanden auch die Operette ‚Die Angst vor der Ehe’ und die orchestralen ‚Bet- und Bußgesänge’. Hauptwerke der nächsten Jahre waren: die leider verschollene symphonische Dichtung ‚Der Frieden – eine Vision’ (1914), die Schauspielmusik zu Strindbergs ‚Traumspiel’ und ‚In memoriam’ für Chor und Orchester (1915), die Oper ‚Ritter Blaubart’ (1917), Dritte Symphonie D-Dur ‚im alten Stil’ und Violinkonzert in e-moll (1918), Vierte Symphonie in f-moll (1919), Thema und Variationen nach ‚Tragische Geschichte’ von Chamisso für Orchester (1921), die Oper ‚Holofernes’ und das Zweite Streichquartett in d-moll (1922), die ‚Tanz-Symphonie’ (seine umfangreiche Fünfte von 1924), die Konzertouvertüre ‚Raskolnikoff’ (1925), die Oper ‚Satuala’ (1927), die Oper ‚Benzin’, der ‚Steinerne Psalm’ für Chor und Orchester und die Symphonischen Variationen über Kol Nidrey (1929), die einaktige Oper ‚Spiel oder Ernst?’ und das Dritte Streichquartett in e-moll (1930), die Oper ‚Der Gondoliere des Dogen’ und die Neufassung der ‚Donna Diana’ (1931), die Oper ‚Das Opfer’ und das Vierte Streichquartett in B-Dur (1932) und das Ballett ‚Das goldene Kalb’ (1935). Zu Rezniceks achtzigstem Geburtstag gratulierte ihm sein großer lebenslanger Konkurrent mit folgenden Worten: „Ich wünsche Ihnen, dass Sie noch lange in gleicher Frische und Arbeitskraft die Früchte Ihres vielseitigen Schaffens und wertvollen Lebenswerks genießen möchten, eines Werkes, in dem sich reiche Phantasie und großes Können so schön die Waage halten! Ich bleibe in eifersüchtigem Nacheiferungsdrang Ihr Richard Strauss.“

Auch wenn Reznicek einer der fantasievollsten Humoristen der Musikgeschichte war (nicht nur in dieser Hinsicht Strauss ebenbürtig und ein feiner Nachfolger der Wiener Klassiker!), was immer wieder vor allem in seinen Finalsätzen zu besonders skurrilem Ausdruck kommt (man denke nur z. B. an das Finale des Violinkonzerts oder den abschließenden Bauernmarsch aus der Streicher-Serenade), so hat doch gerade dieser musikantisch überschäumende Zug auch ins bildhaft Überzeichnende oder Sarkastische leider dazu geführt, dass die akademischen Meinungsbildner ihn – der ja auch Operetten komponierte – in die Schublade der „leichten Musik“ steckten, vielleicht mit dem Zusatzvermerk „hintersinnig, doppelbödig, altmodisch, ungreifbar“. So mag es naheliegen, ihn als kauziges musikalisches Pendant zu Carl Spitzweg (1808-85) oder Wilhelm Busch (1832-1908) zu verstehen, doch eingedenk der phantastischen und abgründigen Spektrums ist es wohl doch der von ihm so verehrte Adelbert von Chamisso (1781-1838), der in Werken wie dem ‚Peter Schlemihl’ über die Epochen hinweg ehestens als Seelenverwandter anzusehen ist. Reznicek hat ja sowohl eine gewaltige ‚Schlemihl’-Tondichtung geschaffen als auch Orchestervariationen über Chamissos herrliches Kurzgedicht ‚Tragische Geschichte’, und in beiden Werken tritt gegen ein Ende wie ein Kommentator des ‚Es war einmal’ ein Sänger hinzu. Für mich spiegelt Chamissos ‚Tragische Geschichte’ vielleicht am charakteristischsten diesen Geist:
‚s war Einer, dem‘s zu Herzen ging,
Daß ihm der Zopf so hinten hing,
Er wollt‘ es anders haben.
So denkt er denn: wie fang ich‘s an?
Ich dreh‘ mich um, so ist‘s gethan –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Da hat er flink sich umgedreht,
Und wie es stund, es annoch steht –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Da dreht er schnell sich anders ‚rum,
‚s wird aber noch nicht besser drum –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Er dreht sich links, er dreht sich rechts,
Es thut nichts Gut‘s, es thut nichts Schlecht‘s –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Und seht, er dreht sich immer noch,
Und denkt: es hilft am Ende doch –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Er dreht sich wie ein Kreisel fort,
Es hilft zu nichts, in einem Wort –
Der Zopf, der hängt ihm hinten.
Unter den fünf Symphonien Rezniceks ist die Vierte seine vielleicht balancierteste Schöpfung, ein in den Proportionen wunderbar stimmiges, auch stilistisch „die Mitte’ haltendes Werk. Wie er fünfzehn Jahre früher seine leichte Zweite Symphonie auf die gewaltig ‚Tragische’ Erste hatte folgen lassen, so folgte die Vierte 1919 unmittelbar auf die Dritte von 1918 – wobei diesmal zuerst eine etwas zopfig orientierte Symphonie ‚im klassischen Stil’ entstanden war, zu welcher die Vierte Symphonie in f-moll das herbere und tieferschürfende Gegenstück bildet. Diese beiden Symphonien sind so etwas wie raffiniert ausgetüftelte, klanglich exquisite, zum eigenen Vergnügen geschriebene Kommentare zur symphonischen Tradition. Ein Könner greift in die Zauberkiste und betört uns mit illusorischen Requisiten in einem die Kenner erquickenden, immerzu kurzweiligen und absolut folgerichtig entwickelten, dabei aber von prickelnden Überraschungen überquellenden Elaborat aus Geschichte und Gegenwart. Und immer ist das tänzerische Element zur Hand, in allen Varianten lyrischen Überschusses. Der Kopfsatz der Vierten Symphonie ist von erlesen durchführender Qualität, löst sowohl technisch als auch psychologisch in kompakter Weise das ein, was man von Beethovens und Brahms’ Nachfolgern erwartete. Dem knappen, Beethoven alle Ehre machenden Scherzo folgt ein finaler Variationssatz, in seinen Tempokontrasten voll unbekümmert scheinender Mannigfaltigkeit, und durchaus eine Art ewig jugendlich frische Musik, wie sie auch Strauss gerne weiterhin geschrieben hätte. Was diese Symphonie allerdings zu einem wirklichen Unikat macht, ist der zweite Satz, ein unüberhörbar aus den Ruinen von Beethovens Eroica-Trauermarsch auferstandener ‚Trauermarsch auf den Tod eines Komödianten’ – ein herrliches Stück ‚Musik über Musik’, das eben gerade nicht den Anspruch erhebt, bedeutend zu sein, sondern eine humorvolle Verbeugung vor der Tradition darstellt. Zur Uraufführung gelangte Rezniceks Vierte Symphonie in f-moll am 25. Oktober 1920 durch das Berliner Philharmonische Orchester unter seinem Chefdirigenten Arthur Nikisch (1855-1922) in Berlin. Sie ist seither nur selten gespielt worden, was nicht an ihrer musikalischen Qualität liegt. Die Partitur war 1919 bei Simrock in Berlin im Druck erschienen, und vorliegende Ausgabe ist ein unveränderter Nachdruck des Erstdrucks.

Christoph Schlüren, Mai 2016

Aufführungsmaterial ist erhältlich vom Verlag Boosey & Hawkes, Berlin.

Score Data

Edition

Repertoire Explorer

Genre

Orchester

Format

210 x 297 mm

Druck

Reprint

Seiten

96

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