Noren, Heinrich Gottlieb

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Noren, Heinrich Gottlieb

Violin Concerto in A minor Op. 38 (Piano Reduction/Solo)

Art.-Nr.: 1911b Kategorien: ,

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Noren, Heinrich Gottlieb

Violin Concerto in A minor Op. 38 (Piano Reduction/Solo)

Zum Stück:

I Allegro con spirito e poco agitato (p. 1) – A tempo un pochettino meno mosso (p. 22) – A tempo più lento (p. 32) –
Più vivo (p. 38) – Tempo giusto con impeto (p. 41) – Più vivo (p. 44) – Stretto (p. 46) –
A tempo meno mosso (p. 50) – A tempo primo (p. 56) – Kadenz (p. 67) – A tempo (p. 76) – Più vivo (p. 87) –
Tempo giusto (p. 92) – Stretto (p. 98) – Accelerando (p. 102)
II Intermezzo melanconico. Andante (p. 105) – A tempo più mosso (p. 115) – A tempo primo (p. 121) –
A tempo poco più tranquillo (p. 128)
Finale rustico. Allegro con brio (p. 135) – Più mosso (p. 176) – Tempo primo (p. 195) – Più mosso (p. 229)

Vorwort
Heinrich Gottlieb Noren, getauft als Heinrich Suso Johannes Gottlieb, war der Sohn des am Grazer Joanneum lehrenden Professors Johann Gottlieb und nahm erst später den neuen Nachnamen Noren an. Er trat früh als exzellenter Geiger hervor, absolvierte seine Grundausbildung in Graz und studierte dann ab 1878 in Brüssel bei Henri Vieuxtemps (1820-81) und ab 1883 in Paris bei Lambert-Joseph Massart (1811-92). Es folgten Jahre als Konzertmeister in Belgien, Spanien, Russland und Deutschland und in Berlin holte er sein Kompositionsstudium bei Ludwig Bussler (1838-1900) und Friedrich Gernsheim (1839-1916) nach, das er durch Kontrapunktstudien bei Otto Klauwell (1851-1917) in Köln ergänzte. 1896 ließ er sich in Krefeld nieder, wo er das Konservatorium gründete, das bis 1942 bestehen sollte. Dann ging er als Leiter des dortigen Konservatoriums nach Düsseldorf. 1901-07 unterrichtete er am Stern’schen Konservatorium in Berlin, 1907-11 als Kompositionsprofessor am Dresdner Konservatorium. 1915 übersiedelte er ins oberbayerische Rottach-Egern, wo er bis zu seinem Tode unweit des Tegernsees in Kreuth-Oberhof wohnte.

Über das Leben Heinrich Gottlieb Norens wissen wir sehr wenig, über seine frühen Werke nichts. 1896 erschien ein Albumblatt op. 8 für Violine und Klavier bei Challier & Co in Berlin im Druck. Es folgten die Aria religiosa op. 9 für Orchester, die Elegische Gesangs-Scene op. 10 für Cello mit Begleitung des Orchesters oder Pianofortes und die Berceuse op. 12 für Cello und Klavier, verschiedene Gesangswerke, gegen 1903 die Suite in e-moll für Violine und Klavier (bei Eisoldt & Rohkrämer in Berlin) und weitere kleine Werke, darunter einige mit Harmonium. 1906 veröffentlichte Lauterbach & Kuhn sein Klaviertrio op. 28, bevor Noren 1907 mit seinem ‚Kaleidoskop’ op. 30 der überraschende Durchbruch zu plötzlicher Berühmtheit als Komponist gelang. An weiteren Werken seien erwähnt: ‚Sonntagsmorgen’ op. 31, eine Hugo Salus-Vertonung für Singstimme und Orchester (1909); ‚Singende Weisen’ op. 32 (6 Stücke für Violine und Klavier, 1912 bei Bisping verlegt); Sonate a-moll für Violine und Klavier op. 33 (Bote & Bock, 1909); ‚Vita. Sinfonie für modernes Orchester’ op. 36 (erschienen 1913 in Berlin-Schöneberg bei Eos); Violinkonzert in a-moll op. 38 (1912); Divertimento op. 42 für 2 Solo-Violinen und Orchester oder Klavier (Eos, 1913); Notturno e Capriccio für Violine und Klavier op. 43 (1913); Sonate für Cello und Klavier op. 47 (Eos, 1914); Symphonische Serenade für Orchester op. 48 (ca. 1915); und viele Klavierlieder. Außerdem komponierte er die Oper ‚Der Schleier der Béatrice’.

Als Geiger einer der besten seiner Generation, fand Heinrich Gottlieb Noren als Komponist zunächst eher beiläufige Beachtung, doch die Uraufführung seines orchestralen Variationszyklus’ ‚Kaleidoskop’ bei der Tonkünstlerversammlung in Dresden am 1. Juli 1907 durch die Sächsische Hofkapelle (die spätere Dresdner Staatskapelle) unter ihrem Chefdirigenten Ernst von Schuch (1846-1914) katapultierte den Namen des 46jährigen schlagartig an die vorderste Front der neueren Tonsetzer. Es waren nicht nur die unbestreitbaren musikalischen Qualitäten des Werkes, dessen Instrumentation glanzvoll und erfindungsreich und von großem Reiz im Ernsthaften und Erhabenen wie im Kapriziösen und Filigranen ist, sondern es war insbesondere die ungewöhnliche und höchst freisinnige elfte und letzte Variation vor der Doppelfuge, als ‚Fantasie’ untertitelt, die allgemeines Aufsehen ob ihres Muts, den direkten Vergleich zu wagen, wie auch hinsichtlich der schwungvollen Kühnheit der Anlage auf sich zog: ‚An einen berühmten Zeitgenossen’, womit natürlich Richard Strauss gemeint ist, aus dessen ‚Heldenleben’ Noren unverblümt zweifach zitiert.

Kaum machte die Kunde vom grandiosen Erfolg die Runde, da hatte die Sache auch sofort ein gerichtliches Nachspiel, das sich zum köstlichen, vielfach hämisch kommentierten Präzedenzfall entwickeln sollte: Richard Strauss’ Leipziger Verleger Leuckart reichte beim Oberlandesgericht Dresden Klage wegen Verletzung des Urheberrechts ein. Das war geradezu ein Wasserfall auf die Mühlen des Richtungsstreits zwischen den fortschrittlichen (vornehmlich um den kecken, mühelos um keine Wendung oder Tirade verlegenen Neuerer Strauss) und den konservativen bis reaktionären (wie etwa Reinecke in Leipzig oder die Berliner Akademiker) Kreisen. Schon zwei Jahre zuvor, nach der Uraufführung der Salome, hatte der den jüngsten Entwicklungen entfremdete eherne Kontrapunktmeister Felix Draeseke (1835-1913) mit seiner Streitschrift Die Konfusion in der Musik die erbitterte Auseinandersetzung zwischen Widersachern und Befürwortern der Fortschrittsmusik so richtig aufflammen lassen. Neben todernsten Befehdungen gab es auch beißend humoristische Beiträge, vor allem, nachdem 1908 das Königliche Landgericht Noren, den gewitzt mit offenen Karten spielenden Dieb zweier Hauptthemen aus dem Heldenleben, vom Vorwurf der Urheberrechtsverletzung freisprach mit der Begründung, dass es sich hier gar nicht um Melodien handele (GRUR 1909, Seite 332, Oberlandesgericht Dresden). Dem folgte im Faschingsheft 1909 der Zeitschrift Die Musik eine Glosse von Strauss-Biograph Max Steinitzer (1864-1936; dem großzügigen Mäzen des fiktiven, nach Madagaskar ausgewanderten Strauss-Rivalen Otto Jägermeier), welcher dem Helden-Thema folgenden Text unterlegte: „Strauß ist ein großes Genie, aber ganz ohne Melodie. O, so hört Franz Lehár an! Das ist doch noch ein ganz andrer Mann!“ Im gleichen Heft fand sich von der Gegenpartei das ‚Reformkasperlspiel’ von der „144. Kakophonikerversammlung in Bierheim“, welches die Arbeit des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV), dem Strauss vorstand, gnadenlos karikierte, und seinem Autor, dem Münchner Pädagogen und Komponisten Edgar Istel (1880-1948), jahrelange Rechtsstreitigkeiten eintrug. Hier tritt zum Ende der Versammlung der Teufel auf und lässt „eine neue Kakophonie Richards: Höllenleben“ von seiner Leibregimentskapelle spielen. Aber der Teufel gebietet Einhalt: „Das ist wirklich selbst mir zu bunt! Das kann ich meinen armen Seelen nicht zumuten, die sind nur zu einfacher Höllenpein verdammt. Komponiert ihr denn alle so?“ Darauf Richard: „Halten zu Gnaden, Herr Teufel, i moan, die übrigen komponieren noch scheußlicher.“ Da werden sie aus der Hölle rausgeworfen: „Die Erde öffnet sich und speit alle Kakophoniker aus…“

Welche juristischen und satirischen Kollateralfolgen im Erden- und Höllenleben auch immer sein ‚Kaleidoskop’ haben mochte, es war erstens ein virtuos-mannigfaltiges Orchesterwerk auf der Höhe der Zeit, und der Skandal fachte den Erfolg in effektivster Weise mit an. Das ‚Kaleidoskop’, noch im Jahr des Gerichtsbeschlusses 1908 beim Leipziger Musikverlag Lauterbach & Kuhn im Druck erschienen, wurde landauf landab nachgespielt und europaweit von den großen Orchestern ins Programm genommen. Am 30. Oktober gab das Chicago Symphony Orchestra unter Frederick Stock die US-Première, am 12. Dezember 1908 folgte das Boston Symphony Orchestra, zwei Tage später spielten die Berliner Philharmoniker das Werk zum ersten Mal unter ihrem Chefdirigenten Arthur Nikisch (1855-1922), und die erste englische Aufführung fand in einem Prom-Konzert am 19. August 1909 in der Londoner Queen’s Hall statt. Weitere Erfolge kamen hinzu: Arthur Nikisch leitete das Gewandhausorchester in der Uraufführung seiner Symphonie ‚Vita’ in h-moll op. 36 am 11. Januar 1912 in Leipzig, und 1912 kam das Violinkonzert op. 38 heraus und ging rasch um die Welt. Erst der Erste Weltkrieg setzte dem Höhenflug von Norens Musik ein abruptes Ende, und nach dem Kriege war der Name Noren, auch mangels aufsehenerregender neuer Werke, wie so viele anderen schnell weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht. Dabei war Noren noch in der Saison 1916/17 mit zwei Werken im Programm der Berliner Philharmoniker vertreten gewesen: am 12. Oktober mit dem ‚Kaleidoskop’ unter Hermann Henze (1886-), und am 12. Februar 1917 unter Leitung Felix Weingartners (1863-1942) mit der Uraufführung seiner Serenade op. 48.

Zunächst Brahmsianer, war Noren auf der Höhe des Erfolgs an die Seite des von ihm verehrten Richard Strauss gerückt, und in der natürlichen Virtuosität seiner Schreibweise wie auch der kapriziösen Musikanterie steht er Seite an Seite mit Strauss und Reznicek – es ist höchste Zeit, dass man ihn hundert Jahre nach dem allmählichen Sinken seines Sterns wiederentdeckt.

Das 1911 komponierte, äußerst dankbare Violinkonzert op. 38 wurde beim Tonkünstlerfest in Danzig am 28. Mai 1912 in Danzig durch Alexander Petschnikoff (1873-1949) aus der Taufe gehoben, und bald darauf durch Hugo Kortschak (1884-1957) – jeweils begleitet unter der Stabführung Norens – am 9. Oktober 1912 erstmals in Berlin mit den Berliner Philharmonikern und am 24. November 1912 erstmals in Wien mit dem Wiener Tonkünstlerorchester vorgestellt. Diese Tournee, während der Kortschak und Noren jeweils mit führenden ortsansässigen Orchestern das neue Konzert vorstellten, führte die beiden in viele weiteren europäischen Städte, darunter auch München. Kortschak spielte in der Folge auch die erste amerikanische Aufführung am 5. Dezember 1913 in Chicago mit dem Chicago Symphony Orchestra unter Chefdirigent Frederick Stock (1872-1942).

Man könnte es völlig zutreffend vor allem als einen traurigen Zustand bezeichnen, dass Norens Violinkonzert danach in totale Vergessenheit geriet und bis heute nicht wiederentdeckt oder gar wiederaufgeführt wurde. Man kann es aber auch als einen Glücksfall sehen, dass es uns vergönnt ist, solche Musik aus einem ein Jahrhundert währenden Dornröschenschlaf erwecken zu dürfen. Denn hier handelt es sich um eines der wertvollsten vergessenen Konzerte für das Instrument aus jener im deutschsprachigen Raum von Richard Strauss, Hans Pfitzner oder Max Reger – um nur einige zu nennen, die auch je ein Violinkonzert geschrieben haben – geprägten Epoche, die in unterschiedlichster Form der Übersteigerung an die Tradition der großen Violinkonzerte von Beethoven, Mendelssohn, Brahms, Dvořák, Joachim oder auch Bruch anknüpfte. Ein Element der Übersteigerung liegt bei Noren (wie ja auch in geringerem Maße bei Reger) in der Länge, die in der einzigen heute noch verfügbaren Partitur des Werkes handschriftlich mit 70 Minuten angegeben ist. Das sollte natürlich auch Aufschluss geben bei der Findung der angemessenen Tempi, was viele heutige Musiker vor unlösbare Fragen stellen dürfte (man denke nur daran, dass Wagner für sein ‚Siegfried-Idyll’ 30 Minuten brauchte!). Man muss sehr sorgfältig sein im Aufspüren sich daraus ergebenden Charakters, und es ist natürlich klar, dass dies einer immensen Verfeinerung und Intensität der Gestaltung bedarf. Es einfach nur sehr langsam zu spielen, ohne die Tiefe des Ausdrucks zu erspüren, würde in die Irre führen. Es schneller zu spielen, wird jedoch zweifellos an der ursprünglichen Musizierhaltung vorbei gehen. Hier liegen echte Herausforderungen! Es ist jedenfalls, bei allem musikantischen Ton, alles andere als ein konventionelles Virtuosenkonzert, und die Eigentümlichkeiten hinsichtlich der melodischen und harmonischen Erfindung liegen auf der Hand. Gänzlich unkonventionell ist beispielsweise die Kadenz im Kopfsatz, die rezitativisch von Streichern, Hörnern , Holzbläsern und Harfe begleitet wird. Norens Instrumentation ist sehr raffiniert, erfindungsreich und überraschend, und zugleich ist es ein Konzert, das den Solisten fast durchgehend in den Mittelpunkt stellt wie wenige der ganz großformatigen Konzerte. Wunderbar kammermusikalisch ist der Satz im zentralen Intermezzo, das eine tiefe Ruhe ausstrahlt, jedoch auch mit scharfem formalen Kontrast gearbeitet ist. Im Finale kommt jene Seite Norens zur Entfaltung, die von einigen Zeitgenossen als ‚slawisches Idiom’ charakterisiert wurde, und wir dürfen annehmen, dass er, der als vorzüglicher Virtuose natürlich die Konzerte Tschaikowskys oder Dvořáks bestens kannte, auch von anderen Quellen vielfältige Anregungen erfuhr. Spontan kommt mir durchaus auch Moritz Moszkowski in den Sinn. Für den Geiger ist es ein in höchstem Maße dankbares Konzert, doch auch das Orchester ist hier in allen Partien individuell wie auch als Ganzes bestens bedient. Nun steht zu hoffen, dass eine angemessene Wiedergabe das zum Klingen zu bringen vermag, was potentiell in diesem Werk steckt.

1912 im Eos-Verlag in Berlin-Schöneberg erschienen, hat sich die einzige Partitur im Archiv des Simrock-Verlags als Rechtsnachfolger des Eos-Verlags erhalten. Mit der Übernahme der Bestände des Simrock-Verlags durch Boosey & Hawkes/Bote & Bock steht rein logistisch einer weltweiten Verbreitung von Norens Violinkonzert nichts im Wege. Wir danken dem Verlag für die bereitwillige Überlassung dieser einzigen Kopie als Vorlage für vorliegenden Nachdruck.

Christoph Schlüren, Oktober 2016

Aufführungsmaterial ist erhältlich vom Verlag Boosey & Hawkes/Bote & Bock, Berlin (www.boosey.de).

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