Noren, Heinrich Gottlieb

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Noren, Heinrich Gottlieb

Symphonic Serenade for Orchestra, op. 48

Art.-Nr.: 1892 Kategorie:

46,00 

Preface

Heinrich Gottlieb Noren

(getauft Graz, 5. Januar 1861 – gest. Kreuth-Oberhof bei Rottach-Egern, 6. Juni 1928)

Symphonische Serenade für Orchester op. 48
(1915)

I Allegretto pastorale (p. 3) – a tempo meno mosso (p. 12) –
Tempo I (p. 17) – Giocoso (p. 18) – a tempo
II (poco meno mosso) (p. 44) – Giocoso, a tempo I (p. 51) –Giocoso, a tempo più mosso (p. 62)
II Scherzo. Allegro vivace con spirito (p. 65) – Trio (p. 86)
III Nächtlicher Reigen. In langsam wiegendem Ländlertempo (p. 110) –
Etwas bewegter (p. 127) – Tempo I (p. 129)
IV Finale. Allegro giocoso (p. 135) – Molto scherzando (p. 165) – Tempo I (p. 185) –
a tempo poco meno mosso (p. 199) – Belebter (p. 205) – Tempo I (p. 207)

 

Vorwort
Heinrich Gottlieb Noren, getauft als Heinrich Suso Johannes Gottlieb, war der Sohn des am Grazer Joanneum lehrenden Professors Johann Gottlieb und nahm erst später den neuen Nachnamen Noren an. Er trat früh als exzellenter Geiger hervor, absolvierte seine Grundausbildung in Graz und studierte dann ab 1878 in Brüssel bei Henri Vieuxtemps (1820-81) und ab 1883 in Paris bei Lambert-Joseph Massart (1811-92). Es folgten Jahre als Konzertmeister in Belgien, Spanien, Russland und Deutschland und in Berlin holte er sein Kompositionsstudium bei Ludwig Bussler (1838-1900) und Friedrich Gernsheim (1839-1916) nach, das er durch Kontrapunktstudien bei Otto Klauwell (1851-1917) in Köln ergänzte. 1896 ließ er sich in Krefeld nieder, wo er das Konservatorium gründete, das bis 1942 bestehen sollte. Dann ging er als Leiter des dortigen Konservatoriums nach Düsseldorf. 1901-07 unterrichtete er am Stern’schen Konservatorium in Berlin, 1907-11 als Kompositionsprofessor am Dresdner Konservatorium. 1915 übersiedelte er ins oberbayerische Rottach-Egern, wo er bis zu seinem Tode unweit des Tegernsees in Kreuth-Oberhof wohnte.

Über das Leben Heinrich Gottlieb Norens wissen wir sehr wenig, über seine frühen Werke nichts. 1896 erschien ein Albumblatt op. 8 für Violine und Klavier bei Challier & Co in Berlin im Druck. Es folgten die Aria religiosa op. 9 für Orchester, die Elegische Gesangs-Scene op. 10 für Cello mit Begleitung des Orchesters oder Pianofortes und die Berceuse op. 12 für Cello und Klavier, verschiedene Gesangswerke, gegen 1903 die Suite in e-moll für Violine und Klavier (bei Eisoldt & Rohkrämer in Berlin) und weitere kleine Werke, darunter einige mit Harmonium. 1906 veröffentlichte Lauterbach & Kuhn sein Klaviertrio op. 28, bevor Noren 1907 mit seinem ‚Kaleidoskop’ op. 30 der überraschende Durchbruch zu plötzlicher Berühmtheit als Komponist gelang. An weiteren Werken seien erwähnt: ‚Sonntagsmorgen’ op. 31, eine Hugo Salus-Vertonung für Singstimme und Orchester (1909); ‚Singende Weisen’ op. 32 (6 Stücke für Violine und Klavier, 1912 bei Bisping verlegt); Sonate a-moll für Violine und Klavier op. 33 (Bote & Bock, 1909); ‚Vita. Sinfonie für modernes Orchester’ op. 36 (erschienen 1913 in Berlin-Schöneberg bei Eos); Violinkonzert in a-moll op. 38 (1912); Divertimento op. 42 für 2 Solo-Violinen und Orchester oder Klavier (Eos, 1913); Notturno e Capriccio für Violine und Klavier op. 43 (1913); Sonate für Cello und Klavier op. 47 (Eos, 1914); Symphonische Serenade für Orchester op. 48 (ca. 1915); und viele Klavierlieder. Außerdem komponierte er die Oper ‚Der Schleier der Béatrice’.

Als Geiger einer der besten seiner Generation, fand Heinrich Gottlieb Noren als Komponist zunächst eher beiläufige Beachtung, doch die Uraufführung seines orchestralen Variationszyklus’ ‚Kaleidoskop’ bei der Tonkünstlerversammlung in Dresden am 1. Juli 1907 durch die Sächsische Hofkapelle (die spätere Dresdner Staatskapelle) unter ihrem Chefdirigenten Ernst von Schuch (1846-1914) katapultierte den Namen des 46jährigen schlagartig an die vorderste Front der neueren Tonsetzer. Es waren nicht nur die unbestreitbaren musikalischen Qualitäten des Werkes, dessen Instrumentation glanzvoll und erfindungsreich und von großem Reiz im Ernsthaften und Erhabenen wie im Kapriziösen und Filigranen ist, sondern es war insbesondere die ungewöhnliche und höchst freisinnige elfte und letzte Variation vor der Doppelfuge, als ‚Fantasie’ untertitelt, die allgemeines Aufsehen ob ihres Muts, den direkten Vergleich zu wagen, wie auch hinsichtlich der schwungvollen Kühnheit der Anlage auf sich zog: ‚An einen berühmten Zeitgenossen’, womit natürlich Richard Strauss gemeint ist, aus dessen ‚Heldenleben’ Noren unverblümt zweifach zitiert.

Kaum machte die Kunde vom grandiosen Erfolg die Runde, da hatte die Sache auch sofort ein gerichtliches Nachspiel, das sich zum köstlichen, vielfach hämisch kommentierten Präzedenzfall entwickeln sollte: Richard Strauss’ Leipziger Verleger Leuckart reichte beim Oberlandesgericht Dresden Klage wegen Verletzung des Urheberrechts ein. Das war geradezu ein Wasserfall auf die Mühlen des Richtungsstreits zwischen den fortschrittlichen (vornehmlich um den kecken, mühelos um keine Wendung oder Tirade verlegenen Neuerer Strauss) und den konservativen bis reaktionären (wie etwa Reinecke in Leipzig oder die Berliner Akademiker) Kreisen. Schon zwei Jahre zuvor, nach der Uraufführung der Salome, hatte der den jüngsten Entwicklungen entfremdete eherne Kontrapunktmeister Felix Draeseke (1835-1913) mit seiner Streitschrift Die Konfusion in der Musik die erbitterte Auseinandersetzung zwischen Widersachern und Befürwortern der Fortschrittsmusik so richtig aufflammen lassen. Neben todernsten Befehdungen gab es auch beißend humoristische Beiträge, vor allem, nachdem 1908 das Königliche Landgericht Noren, den gewitzt mit offenen Karten spielenden Dieb zweier Hauptthemen aus dem Heldenleben, vom Vorwurf der Urheberrechtsverletzung freisprach mit der Begründung, dass es sich hier gar nicht um Melodien handele (GRUR 1909, Seite 332, Oberlandesgericht Dresden). Dem folgte im Faschingsheft 1909 der Zeitschrift Die Musik eine Glosse von Strauss-Biograph Max Steinitzer (1864-1936; dem großzügigen Mäzen des fiktiven, nach Madagaskar ausgewanderten Strauss-Rivalen Otto Jägermeier), welcher dem Helden-Thema folgenden Text unterlegte: „Strauß ist ein großes Genie, aber ganz ohne Melodie. O, so hört Franz Lehár an! Das ist doch noch ein ganz andrer Mann!“ Im gleichen Heft fand sich von der Gegenpartei das ‚Reformkasperlspiel’ von der „144. Kakophonikerversammlung in Bierheim“, welches die Arbeit des Allgemeinen Deutschen Musikvereins (ADMV), dem Strauss vorstand, gnadenlos karikierte, und seinem Autor, dem Münchner Pädagogen und Komponisten Edgar Istel (1880-1948), jahrelange Rechtsstreitigkeiten eintrug. Hier tritt zum Ende der Versammlung der Teufel auf und lässt „eine neue Kakophonie Richards: Höllenleben“ von seiner Leibregimentskapelle spielen. Aber der Teufel gebietet Einhalt: „Das ist wirklich selbst mir zu bunt! Das kann ich meinen armen Seelen nicht zumuten, die sind nur zu einfacher Höllenpein verdammt. Komponiert ihr denn alle so?“ Darauf Richard: „Halten zu Gnaden, Herr Teufel, i moan, die übrigen komponieren noch scheußlicher.“ Da werden sie aus der Hölle rausgeworfen: „Die Erde öffnet sich und speit alle Kakophoniker aus…“

Welche juristischen und satirischen Kollateralfolgen im Erden- und Höllenleben auch immer sein ‚Kaleidoskop’ haben mochte, es war erstens ein virtuos-mannigfaltiges Orchesterwerk auf der Höhe der Zeit, und der Skandal fachte den Erfolg in effektivster Weise mit an. Das ‚Kaleidoskop’, noch im Jahr des Gerichtsbeschlusses 1908 beim Leipziger Musikverlag Lauterbach & Kuhn im Druck erschienen, wurde landauf landab nachgespielt und europaweit von den großen Orchestern ins Programm genommen. Am 12. Dezember 1908 gab das Boston Symphony Orchestra die US-Première, zwei Tage später spielten die Berliner Philharmoniker das Werk zum ersten Mal unter ihrem Chefdirigenten Arthur Nikisch (1855-1922), und die erste englische Aufführung fand in einem Prom-Konzert am 19. August 1909 in der Londoner Queen’s Hall statt. Weitere Erfolge kamen hinzu: Arthur Nikisch leitete das Gewandhausorchester in der Uraufführung seiner Symphonie ‚Vita’ in h-moll op. 36 am 11. Januar 1912 in Leipzig, und das 1911 komponierte, äußerst dankbare Violinkonzert op. 38 wurde beim Tonkünstlerfest in Danzig am 28. Mai 1912 in Danzig durch Alexander Petschnikoff (1873-1949) aus der Taufe gehoben und bald darauf durch Hugo Kortschak (1884-1957), jeweils begleitet unter der Stabführung Norens, am 9. Oktober 1912 erstmals in Berlin mit den Berliner Philharmonikern und am 24. November 1912 erstmals in Wien mit dem Wiener Tonkünstlerorchester vorgestellt. Kortschak spielte auch die Münchner Première und in der Folge die erste amerikanische Aufführung am 5. Dezember 1913 in Chicago mit dem Chicago Symphony Orchestra unter Chefdirigent Frederick Stock (1872-1942). Erst der Erste Weltkrieg setzte dem Höhenflug von Norens Musik ein abruptes Ende, und nach dem Kriege war der Name Noren, auch mangels aufsehenerregender neuer Werke, wie so viele anderen schnell weitgehend aus dem kollektiven Gedächtnis gelöscht. Dabei war Noren noch in der Saison 1916/17 mit zwei Werken im Programm der Berliner Philharmoniker vertreten gewesen: am 12. Oktober 1916 mit dem ‚Kaleidoskop’ unter Hermann Henze (1886-), und im Februar 1917 mit der Uraufführung seiner Symphonischen Serenade op. 48.
Zunächst Brahmsianer, war Noren auf der Höhe des Erfolgs an die Seite des von ihm verehrten Richard Strauss gerückt, und in der natürlichen Virtuosität seiner Schreibweise wie auch der kapriziösen Musikanterie steht er Seite an Seite mit Strauss und Reznicek – es ist höchste Zeit, dass man ihn hundert Jahre nach dem allmählichen Sinken seines Sterns wiederentdeckt, und kein Werk läge hierfür näher als das ‚Kaleidoskop’, jenes Kultwerk in Zeiten des Umbruchs in die Moderne, welches wir hier als unveränderten Nachdruck des bei Lauterbach & Kuhn in Leipzig 1908 erschienenen Erstdrucks der Partitur vorlegen.

Wann genau die Symphonische Serenade op. 48 entstanden ist, wissen wir nicht, doch dürfte dies 1914/15 geschehen sein. Im Druck erschien sie 1915 beim Musikverlag «EOS» in Berlin. Zur Uraufführung gelangte sie am 12. Februar 1917 durch die Berliner Philharmoniker unter der Leitung von Felix Weingartner (1863-1942). Im Kern unbeschwerte, heitere Musik voller Lebensbejahung, verwundert es in Unkenntnis von Norens weiteren Lebensumständen, dass danach keine weiteren Werke von ihm überliefert sind. Entsprechend schnell ist es still um ihn geworden. Ob die Symphonische Serenade nach der Uraufführung noch andernorts erklungen ist, ist uns unbekannt, doch darf davon ausgegangen werden, dass sie spätestens ab den 1930er Jahren bis heute nirgendwo gespielt wurde. Höchste Zeit für eine Wiederbelebung dieser lebendigen, humor- und gemütvoll natürlichen Musik!

Christoph Schlüren, August 2016

Aufführungsmaterial ist erhältlich vom Verlag Boosey & Hawkes/Bote & Bock, Berlin (www.boosey.com).

Score Data

Edition

Repertoire Explorer

Genre

Orchester

Format

210 x 297 mm

Druck

Reprint

Seiten

236

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