Grosz, Wilhelm

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Grosz, Wilhelm

Rondels, Op.11(Three Mood Paintings for Low Voice and Chamber Orchestra)

Art.-Nr.: 1763 Kategorien: ,

17,00 

Wilhelm Grosz
(geb. Wien, 11. August 1896 – gest. New York, 10. Dezember 1939)

Rondels op. 11

Drei Stimmungsbilder für eine tiefe Singstimme und Kammerorchester (1921)

Die Machtergreifung der NSDAP teilt Wilhelm Grosz’ öffentliches Schaffen in zwei sehr ver­schiedene Perioden: eine „ernste“ mit Kompositionen für den Konzertsaal und eine zweite, in der er zwar noch für die Schublade komponierte, aber hauptsächlich unter Pseudonym Unterhaltungsmusik schrieb.
Geboren wurde er als Sohn eines Juweliers am 11. August 1894 in Wien. Nach der Matura studierte er an der Wiener Musikakademie Klavier, Dirigieren und Komposition, unter anderem bei Robert Fuchs und vor allem bei Franz Schreker—von 1913 bis 1916 und noch einmal am Ende des Studiums 1918/19. 1920 beendete er zudem das Studium der Musikwissenschaft bei Guido Adler mit einer Dissertation über die Fugenarbeit bei Mozart. 1920/21 hatte er ein Engagement als Kapellmeis­ter an der Mannheimer Oper. Wieder in Wien, arbeitet er als Pianist, Dirigent und Komponist. Sein Opus 9, Symphonische Variationen, wurde 1921 in Donaueschingen gespielt. Am Ende des gleichen Jahres beendete er die Arbeit an den Rondels.; die Uraufführung fand am 16. April 1923 in Wien statt.
Intensiven Umgang mit der Unterhaltungsmusik bekam Grosz um 1927 in Berlin, frisch verheiratet, durch eine Anstellung bei der Ultraphon Gramophone Co., einem Vorgängerlabel von Supraphon und Mercury. Er war dort Pianist, Arrangeur und künstlerischer Leiter. Doch immer noch war er europaweit als Dirigent und Klavierbegleiter in Konzertsälen unterwegs. Sein „Tanzspiel“ Baby in der Bar (op. 23), mit ausgiebigen Anleihen an populärer Musik, wurde 1928 in Hannover aufge­führt, der Symphonische Tanz (op. 24) 1930 in Amsterdam. Sein wohl bekanntestes Werk, der Zyklus Afrika-Songs (op. 29) mit Vertonungen einiger Gedichte von Langston Hughes in Über­setzung, entstand 1929 für den Rundfunksender Schlesische Funkstunde; und für das Kino schrieb er die Musik zum Film Wer nimmt die Liebe ernst? (1931).
1933 verlor er als Jude seine Anstellung in Berlin und verließ ein Jahr später mit seiner Familie auch seine Heimatstadt Wien mit dem Ziel London. Dort arbeitet er mit dem Schlagertexter Jimmy Kennedy (1902 – 1984) zusammen. Gleich im ersten Jahr schrieben sie mit Isle of Capri einen großen Erfolg, der nicht der einzige blieb. Wie Red Sails In the Sunset und Harbor Lights wurde das Stück noch bis in die 1960er Jahre immer wieder aufgenommen. Als Komponist wird Grosz’ Pseud­onym Hugh Willams genannt.
1938 ging Grosz auf Anregung seines Freundes Erich Wolfgang Korngold in die USA. Für das Filmprojekt Santa Fé Trail schrieb er dort den Titelsong, der ebenfalls zu einem Hit werden sollte. Sein Tod durch Herzversagen am 10. Dezember 1939 führte dazu, dass letztendlich Max Steiner der Filmkomponist wurde.
Im Lauf der 1990er Jahre wurden Wilhelm Grosz’ klassische Werke, im Zuge der Aufarbeitung der sogenannten „entarteten Musik“, wiederentdeckt.

Die Rondels
Die „Rondels“, wie Wilhelm Grosz seine „drei Stimmungsbilder“ nach Georg Trakls gleichnami­gem Gedicht genannt hat, sind eigentlich gar keine. Das Rondel ist wie das Rondeau eine Tanzlied- und Gedichtform des Spätmittelalters, die sich durch eine Beschränkung auf zwei Reime und die refrainartige Wiederho­lung der Anfangszeilen in der Mitte und am Ende auszeichnet: ABba abAB abbaA. Die Symbolisten Frankreichs und Englands entdeckten diese Form am Ende des 19. Jahr­hun­derts neu; im deutsch­sprachigen Raum wurde sie nur selten verwendet.
Inhaltlich sprechen alle drei „Stimmungsbilder“ eine Abkehr von buntem Treiben und, positiv oder negativ, eine Hinwendung zur Stille an. Tonal ist der Zyklus nicht geschlossen, folgt aber durch das chromatische Hochrücken der Grundtöne von Satz zu Satz einer zwingenden Logik. Das Klangbild entspricht einer schwelgerischen Spätromantik und hat nichts von der Härte der Neuen Sachlichkeit.

„Geh leise“
„Geh leise“ von Ernst Feigl spricht in drei Paarreimen vom Ersterben des Lebens in der Nacht. Die eröffnende Halbzeile „geh leise“ wird dabei am Ende der vierten Zeile und einer Coda, der siebten Zeile, wiederholt, ein Anklang an den Refrain des Rondels. Ernst Feigl (1887 – 1957) war ein Pra­ger Journalist und Dramatiker. Seine Gedichte erschienen verstreut im Prager Tagblatt.
Die Musik pendelt zwischen einem D-Moll-Klang und einem übermäßigen Quintsextakkord auf B beziehungsweise einem Dominantakkord mit tiefalterierter Quinte auf E – eine echte Dominante auf der fünften Stufe gibt es nicht. Eine Modulation zu G-Dur (gleichfalls im regelmäßigen Wechsel mit dem Gegenklang auf Es) kulminiert auf dem Wort „Welt“, doch eine Klangfläche auf B-Dur führt zurück zum „Geh’ leise“ und dem umspielten D-Moll des Anfangs. Mehr als in den folgenden Lie­dern spiegeln die gedeckten Klangfarben den Pessimismus des Textes wider.

Geh’ leise, alle Felder schlafen,
nur Winde wachen. Wälder schlafen,
einsam ist die Nacht am Ort.
Was willst du noch, geh’ leise fort,
ein großer Schlaf liegt auf der Welt.
Nichts bist du mehr, Dein Schritt verfällt –
Geh’ leise, leise –

„Rondels“
Georg Trakl (1887 – 1914) war ein von den Symbolisten beeinflusster expressionistischer Dichter und als solcher mit dem Rondel vertraut. Sein „Rondels“ über das Ersterben des Lebens im Herbst ist zwar nur ein Fünfzeiler, weist aber mit der Beschränkung auf zwei Reime und den wörtlich wie­derholten, wenn auch in der Reihenfolge veränderten Refrainzeilen die Hauptcharakteristika des Rondels auf.

Vertont wurde der Text als reines Hirtenidyll, durchgehend in Es, wobei die Dur-Diatonik durch chromatische Nebennoten des C aufgelockert wird. Die unbekümmert mäandernden Melismen und die Coda auf „Tralala“ stehen im Gegensatz zum Inhalt und der formalen Strenge des Textes.

Verflossen ist das Gold der Tage,
des Abends braun und blaue Farben:
Des Hirten sanfte Töne starben
des Abends braun und blaue Farben
Verflossen ist das Gold der Tage.

„Irgend wohin weht der Wind“
Nichts ist bekannt von Viktor Aufricht, dem Dichter von „Irgend wohin weht der Wind“. Die Form lässt sich am besten als eine Folge  von Terzetten im Schema aab plus einer weiteren, nicht reimen­den Zeile beschreiben. Das dritte, abschließende Terzett reimt sich abb. Mit dem Thema des naiv ruhenden, kein Woher und Wohin kennenden Kindes wird die Endzeitstimmung der vorher­gehen­den Texte wieder etwas zurückgenommen.

Das Lied wird eingeleitet von kurzen, vogelrufartigen Motiven der Bläser, welche eine pentatoni­sche Klangfläche bilden, die sich zunächst als Cis-Moll deuten lässt – das E kommt relativ spät als sechster Ton hinzu und bildet zum Abschluss des Vorspiels den Basston. Nach der dritten Textzeile läutet ein A-Dur-Akkord einen Tonartwechsel ein. Das Tempo halbiert sich, und unter einem H in der Flöte, das schon vorher neben anderen Motiven signalartig zwischen Solooboe und Soloflöte hin- und hergeworfen wurde, liegt ein D-Moll-Akkord: „Von irgend woher kam’s“. Der gleiche Klang auf G und eine terzlose Quintschichtung über A modulieren nach D-Dur.

Ab dem Schlussvers des zweiten Vierzeilers führt erneute harmonische Bewegung – G-Dur und H-Moll, jeweils mit sixte ajouteé – zurück zu einem Quintklang auf E, über dem zum Wort „Ruh’“ die Vogelrufe der Einleitung wieder erklingen und auf dem, zum Dreiklang mit Sexte und None er­gänzt, das Stück endet.

Irgend wohin weht der Wind,
weht über ein Kind,
das traumschwer im Grase liegt.
Von irgend woher kam’s …

Unter einem Blütenstrauch liegt’s im Sonnenschein
und blickt glückselig ins Blaue hinein.
und weiß von nichts …
Und die Bienen umsummen es leis’

und die Sommerfliegen …
Die Blumen flüstern ihm zu
von Ruh’, von Ruh’, von Ruh’, von Ruh.

Klaus Schmirler, 2016

Aufführungsmaterial ist von Universal Edition, Wien, zu beziehen.


Wilhelm Grosz
(b. Vienna, 11 August 1896 – d. New York, 10 December 1939)

Rondels, op. 11

Three Mood Paintings for Low Voice and Chamber Orchestra (1921)

The Nazi seizure of power split Wilhelm Grosz’s public career into two quite different periods: one of “serious” music for the concert hall, and another in which he continued to compose for the desk drawer but mainly wrote commercial music under a pseudonym.
Wilhelm Grosz, the son of a jeweler, was born in Vienna on 11 August 1894. After graduating from high school he studied piano, conducting, and composition at the Vienna Academy of Music, first from 1913 to 1916 and again in 1918-19 (his composition teachers were Robert Fuchs and above all Franz Schreker). In 1920 he also took a degree in musicology under Guido Adler with a dissertation on Mozart’s fugues. In 1920-21 he was employed as a conductor at the Mannheim Opera. Returning to Vienna, he worked as a pianist, conductor, and composer. His op. 9, Symphonic Variations, was performed in Donaueschingen in 1921. Toward the end of that same year he completed Rondels, premièred in Vienna on 16 April 1923.
Around 1927 Grosz, now newly wed, plunged into the world of commercial music in Berlin, where he was hired as a pianist, arranger, and artistic director by the Ultraphon Gramophone Co., the predecessor of the Supraphon and Mercury labels. But he still toured Europe’s concert halls as a conductor and piano accompanist. His “dance play” Baby in der Bar (op. 23), with abundant borrowings from popular music, was performed in Hanover in 1928; his Symphonic Dance (op. 24)  premièred in Amsterdam in 1930. Perhaps his best-known work, the song cycle Afrika-Songs (op. 29) to poems by Langston Hughes in German translation, originated in 1929 for the radio broadcaster Schlesische Funkstunde. He also wrote a score for the film Wer nimmt die Liebe ernst? (Who takes love seriously?, 1931).
Being Jewish, Grosz was dismissed from his Berlin position in 1933. A year later he left his native Vienna with his family for London, where he entered a collaboration with the lyricist Jimmy Kennedy (1902-1984). In their very first year they produced a huge hit with Isle of Capri. It was soon joined by Red Sails in the Sunset and Harbor Lights, all three of which were still being recorded in the 1960s. For this end Grosz adopted the pseudonym Hugh Williams.
In 1938 Grosz, at the suggestion of his friend Erich Wolfgang Korngold, traveled to the United States, where he wrote the title song for the film Santa Fé Trail. This song, too, become a hit, but with his death of heart failure on 10 December 1939, the task of writing the film score passed to Max Steiner.
Since the reappraisal of so-called “degenerate music” in the 1990s, Grosz’s classical compositions have enjoyed a revival

The Rondels
The Rondels, as Grosz called his “Three Mood Paintings “ (Stimmungsbilder) after the like-named poem by Georg Trakl, are not actually rondels at all. The rondel, like the rondeau, is a late-medieval form of poem and dance song limited to two rhymes, with the opening lines repeated like a refrain in the middle and at the end (ABba abAB abbaA). The Symbolists of France and England revived this form in the late nineteenth century; it was rarely used in the German-speaking countries.
The contents of all three “mood paintings” have to do with a flight from the bustle of everyday life and a turn toward silence, whether positive or negative. Though not written in a unified key, the cycle nevertheless has a rigorous design as the tonic pitch ascends chromatically from one piece to the next. The rapturous sound is beholden to late romanticism and has nothing in common with the edgy brittleness of the Neue Sachlichkeit.

Geh leise.
Geh leise, by Ernst Feigl, speaks in three paired rhymes of the passing of life in the night. The opening half-line, “Geh leise” (go softly), is repeated at the end of the fourth line and the seventh line, a coda, thereby resembling the refrain of a rondel. Ernst Feigl (1887-1957) was a Prague journalist and playwright whose poems appeared sporadically in the Prager Tagblatt.
The music fluctuates between a D-minor sonority and an augmented six-five chord on B-flat, or a dominant chord on E with a lowered fifth (the piece has no genuine dominant on the fifth scalar degree). A modulation to G major (likewise in regular alternation with the counter-parallel on E-flat) culminates on the world “Welt” (world), only to lead via a static backdrop of B-flat major back to the fluctuating D minor of “Geh leise.” More so than in the other songs, the veiled hues project the pessimism of the poem.

Geh‘ leise, alle Felder schlafen,
nur Winde wachen. Wälder schlafen,
einsam ist die Nacht am Ort.
Was willst du noch, geh‘ leise fort,
ein großer Schlaf liegt auf der Welt.
Nichts bist du mehr, Dein Schritt verfällt –
Geh‘ leise, leise –
(Go softly, the fields are all asleep, only the winds stand watch. The woodlands sleep, the night at this spot is solitary. What more do you want; go forth softly, a great sleep lies upon the world. You are as naught, your footsteps fade – go softly, softly –.)
Rondels.
Georg Trakl (1887-1914) was an expressionist poet influenced by the Symbolists, and as such familiar with the rondel. His Rondels on the passage of life in autumn, though only five lines long, reveals the main features of the rondel in its limitation to two rhymes and its verbatim repetition of the refrain lines, albeit in a different order.
Grosz set the poem purely as a pastoral idyll in E-flat major, though the diatonicism is fractured with a chromatic neighbor note, C. The aimlessly meandering melismas and the coda on “tralala” stand in sharp contrast to the poem’s contents and formal rigor.

Verflossen ist das Gold der Tage,
des Abends braun und blaue Farben:
Des Hirten sanfte Töne starben
des Abends braun und blaue Farben
Verflossen ist das Gold der Tage.

(The gold of day is faded, the evening’s brown and blue. The shepherd’s gentle tones have passed, the evening’s brown and blue. The gold of day is faded.)

Irgend wohin weht der Wind.
Nothing is known about Viktor Aufricht, the poet of Irgend wohin weht der Wind. The form is best described as a series of tercets (aab) with an additional unrhymed line. The third and final tercet has the rhyme scheme abb. The theme of the poem – a naïve child at rest with no sense of whence it came or where it is going – somewhat mollifies the nihilism of its predecessor.
Grosz’s song is introduced by short motifs in the winds resembling birdsong and creating a pentatonic backdrop initially suggestive of C-sharp minor (the E arrives relatively late as a sixth pitch, forming the bass note at the end of the introduction). After the third line of the poem, an A-major chord signals a change of key. The tempo is halved, and a D-minor chord is found lying beneath a B in the flute, a pitch which, along with other motifs, had already been tossed to and fro like a fanfare between the solo oboe and the solo flute (“It wafted from afar”). The same sonority in G and an accumulation of open 5ths on A modulates to D major.
After the final line of the second quatrain, a renewed harmonic motion (G major and B minor, each with added 6th) leads back to an open 5th on E, above which the birdsong from the introduction returns at the word “Ruh” (peace). The piece then comes to an end in a triad with added 6th and 9th.

Irgend wohin weht der Wind,
weht über ein Kind,
das traumschwer im Grase liegt.
Von irgend woher kam‘s …

Unter einem Blütenstrauch liegt‘s im Sonnenschein
und blickt glückselig ins Blaue hinein.
und weiß von nichts …
Und die Bienen umsummen es leis‘

und die Sommerfliegen …
Die Blumen flüstern ihm zu
von Ruh‘, von Ruh‘, von Ruh‘, von Ruh.

(The wind wafts toward somewhere distant. It wafts across a child lying in the grass, heavy with dreams. It has wafted from afar …The child lies in the sunshine beneath a flowery shrub and gazes blissfully into the blue, insensate … The bees and summer flies softly hum around it … The flowers whisper to it of peace, of peace, of peace, of peace.)

Translation: Bradford Robinson

For performance material please contact Universal Edition, Vienna.

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