Goetz, Hermann

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Goetz, Hermann

Nenie Op. 10 for choir and orchestra

Art.-Nr.: 4513 Kategorie:

18,00 

Hermann Goetz – Nenie op. 10 für Chor und Orchester

(geb. Königsberg, 7. Dezember 1840 – gest. 3. Dezember 1876 Hottingen bei Zürich)

Vorwort
Dass der preußische Komponist Hermann Goetz heute kaum noch bekannt ist, lässt sich auf zwei Tatsachen zurückführen. Erstens ist zu bedenken, dass der oft kränkliche Komponist im jungen Alter von 35 Jahren verstarb, wenige Tage vor seinem 36. Geburtstag. Dieser Umstand führt zu einer relativ überschaubaren Werkliste, wenngleich Goetz bereits im Jugendalter mit der Komposition eigener Werke begann. Der zweite Grund dürfte die Tonsprache des in Königsberg geborenen Komponisten sein, die zwar technisch ausgereift, jedoch weniger spektakulär und eher rückwärtsgewandt anmutet, anders als die Musik der meisten seiner Zeitgenossen. In den Kompositionen Goetz’ hört man viel Einfluss von Schumann und Mendelssohn Bartholdy, weniger von Brahms oder gar Wagner. Diesem Festhalten an vergangenen Stilen und Gattungen war vermutlich auch geschuldet, dass viele seiner Kompositionen trotz niveauvoller Ausarbeitung erst nach seinem Tod verlegt wurden. Eine Ausnahme davon bildet die vieraktige Komische Oper Der Widerspenstigen Zähmung, die sich bereits nach der Uraufführung 1874 in Leipzig großer und langewährender Beliebtheit beim Publikum erfreute.

Es war eigentlich nur eine Frage der Zeit, dass sich Hermann Goetz früher oder später mit der Vertonung eines Schiller-Gedichtes befassen würde. Wie der 1916 erschienenen Biographie zu entnehmen ist, war Goetz bereits im Kindesalter vom literarischen Werk Friedrich Schillers begeistert. Trotzdem finden sich unter den Vokalkompositionen, namentlich den Chorwerken und Liedern, keine Schöpfungen, denen ein Schiller-Text zugrunde liegt. Erst 1874, zwei Jahre vor seinem frühen Tod, widmete sich Goetz, nunmehr wohnhaft in Winterthur, Friedrich Schillers Gedicht Nänie von 1799. Das komplexe und kryptische Gedicht, das – wie sich später zeigen wird – vor mythologischen Anspielungen nur so strotzt, erschien Goetz (trotz der schwer zu vertonenden Hexameter) als Grundlage für eine Komposition geeignet. Einem Brief des Komponisten ist zu entnehmen, dass er das Gedicht schon seit geraumer Zeit kannte und sehr schätzte. Vermutlich reifte auch der Gedanke an eine Vertonung schon länger in ihm. Schließlich nahm Goetz die Komposition für gemischten Chor und Orchester im Frühling 1874 in Angriff. Das Konzept arbeitete er im Mai und Juni aus, den Sommer verbrachte er aufgrund seiner sich verschlechternden Tuberkulose auf ärztliches Anraten hin im Schweizer Richisau, wo er bereits in den Jahren 1865/66 aus gesundheitlichen Gründen weilte. An seinen Freund, den Komponisten und Dirigenten Friedrich Hegar, schrieb Goetz später einen Brief, in dem er ihm seine Überlegungen mitteilte: „Du weißt, wie es mir dann mit meiner Gesundheit ging, und ganz plötzlich kam mir der Gedanke, das [die Nenie] ist mein Requiem, und es wird mir gehen wie Mozart, ich werde es nicht einmal vollenden können“. Bald nach seiner Ankunft in Richisau verbesserte sich Goetz’ Gesundheitszustand jedoch durch die frische Alpenluft deutlich, sodass er nach nur drei Arbeitswochen, in denen er sich nach eigenen Aussagen beim Komponieren nicht besonders anstrengen musste, seine Nenie op. 10 vollendete. Die Schreibweise der Nenie mit einem „e“ statt einem „ä“ ist auf den Rat des befreundeten Schriftstellers Josef Viktor Widmann zurückzuführen, der den Komponisten darauf hinwies, dass „Nänie“ zwar gebräuchlicher, „Nenie“ aber im Hinblick auf den griechischen Ursprung des Wortes richtiger sei. Goetz sandte die Partitur im Herbst an Hegar mit der Bitte, sie dem gemeinsamen Freund Johannes Brahms zu zeigen. Dieser war laut Hegar von Goetz’ Komposition sofort begeistert und an einer eigenen Vertonung des Schiller-Textes interessiert. Dennoch wartete Brahms mit der Umsetzung dieses Vorhabens bis zum Jahr 1880. Goetz widmete die Nenie Hegar, der das Werk am 31. Januar 1875 erstmals zur Aufführung brachte. Im April 1875 schließlich wurde sie, zusammen mit der Symphonie in F-Dur op. 9, vom Verlag Friedrich Kistner in Leipzig für 300 Mark gekauft und im Dezember desselben Jahres veröffentlicht.

Schillers Nänie (das Wort bezeichnete im antiken Griechenland eine öffentliche Lobpreisung, im antiken Rom jedoch einen Toten- oder Trauergesang) ist in sieben elegische Distichen gegliedert, also in sieben ungereimte Doppelverse, die aus Hexametern und Pentametern zusammengesetzt sind. Das Gedicht ist, wie bereits angedeutet, recht kryptisch und der Inhalt erschließt sich auf den ersten Blick nur für jene, die in der griechischen Mythologie und Geschichte bewandert sind. Es stellt einen Klagegesang auf das Schöne und Vollkommene dar, in dem tragische Legenden aus der griechischen Mythologie aufgegriffen werden. So wird im zweiten Distichon auf Orpheus angespielt, der vergebens in die Unterwelt hinabsteigt, um seine geliebte Eurydike mithilfe des schönen Lyraspiels und Gesangs ins Reich der Lebenden zurückzuholen. Der Doppelvers danach erzählt von der Liebesgöttin Aphrodite, die um ihren geliebten Adonis trauert, der vom eifersüchtigen Kriegsgott Ares in Gestalt eines Ebers getötet wurde. Das vierte Distichon wiederum handelt von der Unfähigkeit der Meeresnymphe Thetis, ihren Sohn Achilles vor dem Tod zu bewahren. Er stirbt bekanntermaßen am skäischen Tor in Troja durch einen von Apollon gelenkten Pfeil aus der Hand des trojanischen Prinzen Paris. Auffällig an diesen kurzen Episoden ist jedoch, dass die Namen der Personen, um die es in den einzelnen Versen geht, nicht genannt werden. So wird etwa auch Hades, Herrscher der Unterwelt und des Flusses Styx, im ersten Distichon als „stygischer Zeus“ bezeichnet. Grund dafür ist die Absicht Schillers, die Aufmerksamkeit auf das abstrakte Schöne zu lenken, nicht auf die griechischen Helden. Der Bezug auf Achilles erstreckt sich im Gegensatz zu den kürzeren Erwähnungen von Orpheus und Adonis noch weiter über die nächsten zwei Doppelverse, in denen vom Klagegesang der Thetis die Rede ist, die zusammen mit den Töchtern des Meeresgottes Nereus (also den Nereiden, den Meeresnymphen) und den Göttinnen und Göttern des Olymp den Tod ihres Sohnes beweint. Im siebten und letzten Distichon resümiert Schiller über das Sterben des Schönen, dass dieses „im Mund der Geliebten“ weiterleben, also durch kunstvolle Tradierung als Kunstwerk über den Tod hinaus die Zeit überdauern könne. Dabei schafft Schiller zwei Bedeutungsebenen der Nänie: einerseits dichtet er über die Errettung des vollkommen Schönen durch die Kunst, andererseits demonstriert er diese Rettung anhand seines eigenen Gedichts.

Da Hermann Goetz’ Nenie op. 10 in der Vergangenheit vor allem im Hinblick auf Johannes Brahms’ Nänie op. 82 untersucht und damit verglichen wurde, wird eine Beschreibung des Brahms’schen Werkes an dieser Stelle ausgespart. Es scheint jedoch angebracht zu erwähnen, dass Brahms seine Komposition nicht als „Verbesserung“ von Goetz’ Arbeit ansah, sondern als Parallelarbeit dazu. Der Respekt vor seinem Freund und dessen Chorwerk war wohl mitunter auch der Grund, warum Brahms mit der Komposition seiner Nänie mehrere Jahre bis nach dem Tod von Goetz wartete. Die grundverschiedenen Herangehensweisen der beiden Komponisten an die Umsetzung der Vertonung sind bereits in den ersten Takten deutlich erkennbar: Während Goetz in seiner Komposition zuerst einen dramatischen und klagenden Weg einschlägt und erst am Ende versöhnlich-verklärte Klänge ertönen, verströmt Brahms’ Werk am Anfang eine gewisse kontemplative Ruhe.

Die Nenie beginnt mit einer dramatischen sich steigernden Orchestereinleitung, die von Läufen in den Streichern gekennzeichnet ist. Schließlich werden die ersten Worte des Chores a capella und homophon ausgerufen, wodurch sie besonders klagend und beklemmend wirken. Auch darin unterscheidet sich Goetz von Brahms, der den Chor nacheinander und polyphon beginnen lässt. Nachdem der Chor bei Goetz den Ausruf wiederholt hat, beginnt auch hier ein polyphoner Abschnitt, in dem das erste Distichon vorgetragen wird. Erneut werden die klagenden Worte des Anfangs ausgerufen, bevor ein langsamerer epischer Abschnitt beginnt, in dem nach der Reihe die drei Legenden der griechischen Heroen besungen werden. Bemerkenswert ist, dass Goetz dem Chor hierbei Rollen zuteilte: So wird der Doppelvers über Orpheus und Eurydike von den Tenören gesungen und die Episode über Adonis und Aphrodite von den Altistinnen. Die Bässe wiederum übernehmen die Verse über Thetis und Achilles. Begleitet werden diese Abschnitte von den Bläsern und den Streichern, die die Stimmen wie bei einem Rezitativ mit dezenten liegenden Klängen harmonisch unterstützen. Diese Gestaltung rechtfertigt die Behauptung, dass die Nenie Züge eines Oratoriums oder einer Kantate trägt. Brahms’ Nänie hingegen hat zwar ebenfalls mehrere Sinnabschnitte, erinnert von der Form aber eher an eine Ode oder Hymne. Der nächste Abschnitt (Goetz ist bereits beim fünften Distichon angelangt) wird von fließenden Bewegungen der hohen Streicher eingeleitet, die die Wellen des Meeres nachzeichnen. Immerhin steigt Thetis an dieser Stelle mit den Nereiden aus dem Meer und trauert um den toten Sohn. Der Chor agiert nun wieder als ein Ganzes, und die Musik steigert sich über den Worten „Und die Klage hebt an“, nur um dann die den Abschnitt einleitenden Worte noch einmal zu wiederholen. Das sechste Distichon erklingt nach der Dur-Klage der Meeresnymphen nun wieder in Moll. Am Ende dieses sechsten Doppelverses pausiert das Orchester, während der Chor die Worte noch einmal a capella wiederholt. Das letzte Distichon, Schillers Erklärung der Unsterblichkeit des Schönen, schlägt eine Brücke zum Anfang, indem der Chor das tröstende Thema der Holzbläser aus der orchestralen Einleitung aufnimmt. Die Stimmung schlägt noch einmal um, als vom Orkus (also von der Unterwelt) die Rede ist und in den Gesangstimmen dabei eine absteigende Skala erklingt. Anstatt das Werk hier enden zu lassen, wiederholt Goetz den vorletzten Vers über die Unsterblichkeit des Schönen und beendet seine Nenie schließlich in Dur mit der verklärenden Wiederholung der Worte „ist herrlich“.

Matthias Guschelbauer, 2021.

Das Aufführungsmaterial ist vom Verlag Kistner & Siegel, Brühl, zu beziehen.

Nänie
von Friedrich Schiller
Auch das Schöne muß sterben! Das Menschen und Götter bezwinget,
Nicht die eherne Brust rührt es des stygischen Zeus.
Einmal nur erweichte die Liebe den Schattenbeherrscher,
Doch an der Schwelle noch, streng, rief er zurück sein Geschenk.
Nicht stillt Aphrodite dem schönen Knaben die Wunde,
Die in den zierlichen Leib grausam der Eber geritzt.
Nicht errettet den göttlichen Held die unsterbliche Mutter,
Wenn er, am skäischen Tor fallend, sein Schicksal erfüllt.
Aber sie steigt aus dem Meer mit allen Töchtern des Nereus,
Und die Klage hebt an um den verherrlichten Sohn.
Siehe! Da weinen die Götter, es weinen die Göttinnen alle,
Daß das Schöne vergeht, daß das Vollkommene stirbt.
Auch ein Klaglied zu sein im Mund der Geliebten ist herrlich;
Denn das Gemeine geht klanglos zum Orkus hinab.

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