Delius, Frederick

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Delius, Frederick

String Quartet (1916) (Parts)

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Delius, Frederick

String Quartet (1916) (Parts)

In einem Brief aus Frankreich vom Spätherbst 1916 bemerkte Frederick Delius verbittert, die Engländer hätten »sehr wenig Vorstellungsvermögen & daher sind sie nur schwer zu bewegen

[…] eine gefühllose Rasse & suhlen sich nur in der schlimmsten & alleroffensichtlichsten Sentimentalität.« Doch immerhin gestand er den Briten noch die Fähigkeit zu, sich von herausragenden Ereignissen verändern zu lassen, denn im gleichen Brief heißt es kurz darauf: »Der Krieg wird viel Veränderung nach sich ziehen – Völker werden gelitten haben – viele werden den Verfall gewittert haben, der im Schwange war – die Hohlheit des Patrotismus & Chauvinismus & und all der anderen Ismen – Politiker & Diplomaten & Experten aller Arten haben sich derart zum Narren gemacht (und tun dies auch immer noch), daß die Klügeren, vielleicht, nach ein bischen Wahrheit in den Künsten & Künstlern suchen werden – & finden vielleicht etwas Genugtuung in jenem raren Erlebnis – einer wirklich künstlerischen & emotionalen Darbietung.« Delius schrieb hier schließlich auch von seinem Wunsch, nach London zu reisen, um der Premiere seines (ursprünglich dreisätzigen) Streichquartetts beiwohnen zu können, was die kritischen Kriegsumstände schließlich verhinderten. Dieses Stück, während eines Norwegenaufenthalts entstanden und im Juni beendet, wurde am 17. November in der Aeolian Hall vom London String Quartet aufgeführt – ein intimer Spielort, dessen Existenz in den 1870ern in Verbindung mit den Englischen Aestheten als Kunstgalerie begonnen hatte, und der zehn Jahre vor dem ersten Weltkrieg von einer amerikanischen Musikinstrumenten-Firma in eine zweckgebundene Konzerthalle umgebaut worden war. Zehn Jahre nach der Uraufführung schrieb Delius’ Gattin Jelka, daß das London String Quartet dieses Werk »nie verstanden« habe. Mehr Verständnis dafür hatte ein viel größerer Interpret von Delius’ Musik – Alexandre Barjansky (1885–1946), ein russischer Cellovirtuose, der eng mit der englischen Musik verbunden war. Prompt revidierte Delius das Werk und fügte 1917 ein Scherzo hinzu. Die Premiere der Umarbeitung folgte am 1. Februar 1919 – allerdings wieder durch das London String Quartet –, in einer Zeit wachsender Anerkennung von Delius (wenn auch durch seine eigenen Bemühungen). Die hier vorgelegte Ausgabe folgt der revidierten Fassung.

Doch auch wenn Delius zu manchen Zeiten seines Lebens wenig Zuneigung zu England zeigte, verblieb etwas inhärent Englisches in seiner Musik mit ihrem Esoterizismus und entschieden modalem Klang. Zwar verdankt Delius’ Musik viel den früheren Werken von Debussy (und auch Ravel bewunderte er dafür), aber er bewahrte sich auch traditionelle Werte, wie zum Beispiel kreative Kontrolle bezüglich der Notentreue gegenüber seinen eigenen Partituren (so unterstreicht er noch in einem Brief von 1925 deutlich, daß er zu Lebzeiten keine Änderungen an seiner Musik wünschte; solche durften nur mit seiner Zustimmung vorgenommen werden.) Hier zeigt sich ein Komponist, der sich zumindest potentiell unverständlich gegenüber jeglicher zeitgenössischen Musik zeigte, die auf spürbar lockereren oder abstrakteren Grundsätzen beruhte. Was für Delius zählte, war Gefühl. Das mag einige Widersprüchlichkeit beinhalten, denn in seiner Musik scheinen wir einen Mann heraushören zu müssen, der umfangreiche persönliche Briefe essentiell konversationeller Natur schreibt, die den Themen von philosophischer Tiefe, die er auch anschneidet, die Schärfe nehmen (auch wenn solche erwähnt sind). Die Akzeptanz einer solchen Delius-Sicht paßt gut zu dem, was Deryck Cooke mit »ausgesprochen begrenztem« Stil und Ausdrucksbreite bezeichnete, beschränkt auf »eine sehr persönliche Grundlage der Harmonik, und ein langsames oder getragenes Tempo, um einen besonderen Aspekt menschlichen Gefühls zu zeigen« (also anstelle der Tiefe des Gefühls; vergl. Deryck Cooke, Vindications. Essays on Romantic Music, London 1982, S. 120). Cooke zögert kaum, das durchaus treffende Urteil zu fällen, Delius hätte seine besten Werke zwischen 1899 und 1917 komponiert, und wenn man diese Kategorisierung akzeptiert, muß man dem Streichquartett zuerkennen, daß es neben seiner Einzigartigkeit auch typisch für Delius’ grundlegende musikalische Charakteristika ist.

Delius’ Quartett, nicht seine erste Übung in dieser Gattung, exponiert eine sichere Reife der Technik und Beherrschung der Form, und mit den intimen Kräften zu seiner Verfügung evoziert er viele besondere und eindrückliche Momente. In der letztgültig viersätzigen Form bewahrt sich das Werk ungeachtet der programmatischen Untertöne, die durch den Titel des dritten Satzes, Late Swallows [= ›Späte Schwalben‹] hervorgerufen werden, eine köstliche Abstraktion und viel Gedankenreichtum. Ein Schlüssel zum Verständnis der Musik ist das durchdringende tonale Zentrum G-Dur, auch wenn Delius an keiner Stelle eine Grundtonart vorgegeben hat (– wodurch die Abstraktheit eines nahezu quasi-tonalen Rahmens unterstrichen wird). Die Ausdrucks-Anweisungen sind überwiegen in Englisch (– die wenigeren italienischen Angaben werden meist durch englische Zusätze verdeutlicht –). Die Gefühlsbreite ist erkennbar begrenzt (– und dies stellt die verbleibenden, emotional aufgeladenen Passagen umso deutlicher heraus –), und die Verarbeitung der musikalischen Gedanken ist vordergründig grundlegend unzusammenhängend (– auch wenn es auf höheren Ebenen einige vage wahrnehmbare organische Bewegung geben mag –). Zum eng gefaßten Gefühlsrahmen trägt die rhythmisch ruhige Textur bei, vielleicht bis auf die mögliche Schilderung der Schwalben (wie könnte dies beabsichtigt sein?) in einer unglaublich langen, gedämpften Passage im dritten Satz. Hier ändert sich die Textur zu einem rhythmischen Doppeldecker aus chromatisch-modaler Choral-Polyphonie in verlängerten Notenwerten gegen die wellenförmige Schwalben-Figur, die sich die hohen Streicher teilen. Dieses Bild von repräsentativer Bedeutung ist sicher die Schlüsselstelle für rhythmische Transmutation im gesamten Quartet. Wenn man versucht, die Konstruktion des Werks im Allgemeinen zu beschreiben, ist es in der Tat vielleicht wohl am besten, sich dabei auf derartige Momente zu konzentrieren.

For more information on the piece:

Read the preface to the full score / das Vorwort zur Partitur lesen > HERE

Partitur Nr.

1095b

Edition

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Genre

Kammermusik

Format

225 x 320 mm

Anmerkungen

Set Stimmen

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Reprint

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