Milhaud, Darius

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Milhaud, Darius

Christophe Colomb, Op. 102 (in two volumes with German and French Libretto)

Art.-Nr.: 2071 Kategorie:

85,00 

Darius Milhaud – Christophe Colomb, Op. 102

(geb. Marseille, 4. September 1892 – ges. Genf, 22. Juni 1974)

 

Vorwort
An unterschiedlichen Punkten der Geschichte scheinen bestimmte Opernstoffe eine starke Anziehungskraft auf Komponisten ausgeübt zu haben. Der fliegende Holländer von Richard Wagner entstand etwa zeitgleich mit dem deutlich unbekannteren Werk Le vaisseau fantôme von Pierre-Louis Dietsch; bloß um Wochen geht die Vollendung von Alban Bergs Wozzeck Manfred Gurlitts gleichnamigem Opus voraus. In den vergangenen Jahren wurde Walter Benjamins philosophischer Aufsatz „Über den Begriff der Geschichte“ von Brian Ferneyhough, Claus-Steffen Mahnkopf und Vinko Globokar in Dramenform verarbeitet (wenngleich in eher diskursiver und abstrakter Weise). Zusammengefasst gesehen kann die Vorliebe für bestimmte Themen zeitgenössischer Musiker, obwohl sie durch Geographie, Praxis und Stil getrennt sind, als eine Art kulturelles Barometer gelten, das auf die Hoffnungen, Ängste und Anliegen der Künstler in ihrem historisch bedingten Milieu hinweist.
Es ist augenfällig, dass in den Jahrzehnten zwischen den beiden Weltkriegen drei große Komponisten Werke über Leben und Umfeld von Christopher Kolumbus schrieben. Das Thema wurde gelegentlich schon früher umgesetzt: Félicien David komponierte 1847 Christophe Colomb, und Alberto Franchetti schrieb im Jahre 1892 Cristoforo Colombo zum Gedenken an den 400. Jahrestag der Reise von Kolumbus. Das vorliegende Werk, Milhauds Christophe Colomb, ist die früheste der drei Umsetzungen aus der Zwischenkriegszeit; ihm folgte 1932 Werner Egks Columbus (untertitelt ‚Bericht und Bildnis‘, in Wirklichkeit eine Radiooper) und 1940 Arthus Honeggers Christophe Colomb (ein ‚jeu radiophonique‘). Diese drei Werke stellen die Kolumbuserzählung mit beinahe Brechtscher Distanziertheit dar, mit Erzählern und Chören, welche regelmäßig die belehrende Erzählung unterbrechen, um die Zuhörerschaft direkt anzusprechen und die Handlung zu kommentieren. Entsprechend erscheint die romantische Beziehung des Protagonisten mit Königin Isabella (mit ihrem unvermeidlichen Liebestod) beinahe als eine fast nostalgische Konvention und in dieser Umsetzung fast ein wenig fehl am Platz. Darüber hinaus offenbaren alle diese Bearbeitungen eine Abneigung gegenüber dem Heroischen, eine fatalistische, aber moralisch mehrdeutige Darstellung von Entdeckung und Eroberung, und – vielleicht am offensichtlichsten dem Zeitgeist entsprechend – einen moralischen Imperativ, der sich eher nach geistigen denn materiellen Zielen ausrichtet und damit gleichzeitig eine zensorische Haltung gegenüber Eitelkeit und Dekadenz inszeniert: Kolumbus und seine Entdeckungen werden hier (wenn überhaupt) durch den Glauben gerechtfertigt und nicht durch Gold. Dem letzten Punkt entsprechend kann das aufsteigende Spanierreich zu Kolumbus‘ Zeit als eine Analogie zu Europa vor der großen Depression gesehen werden. In allen drei Bühnenbearbeitungen ist dies sichtbar (Milhaud hatte seine Oper vor dem Börsencrash begonnen), am deutlichsten (auch in zeitgenössischer Hinsicht) in Egks Bearbeitungen, der mit einer Anklage durch den vollen Chor gegenüber der Führung des Finanzmarkts endet.

Solch eine allgemein-historische Auffassung vernachlässigt zwangsläufig die detaillierten Eigenheiten der jeweiligen Klangwelten dieser drei Komponisten, doch nichtsdestoweniger zeigen diese drei Opern verblüffende musikalische Ähnlichkeiten. Um lediglich die deutlichsten zu nennen: Eine Vorliebe für Choralsätze, Vorherrschaft von rhythmischen Ostinati und dichte, perkussive Orchestertexturen sowie vorgetäuschte, nicht-klassische (sprich, exotische) Idiome, um das von Kolumbus erforschte Land zu beschreiben. In letzterer Hinsicht erscheint Milhauds Musik überraschend nuanciert – ihre Anleihen aus dieser Kultur sind weniger grob, besser integriert und sensitiver – vor allem im Vergleich zu der – frei heraus gesagt – blamablen Musik, die Egks „Eingeborenen“ charakterisiert…

von Max Erwin, 2017

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