Cherubini, Luigi

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Cherubini, Luigi

Lodoiska

Art.-Nr.: 47 Kategorie:

75,00 

Luigi Cherubini
(geb. Florenz, 8./14. September 1760 – gest. Paris, 15. März 1842)

Lodoïska

Heldenkomödie in drei Akten

Libretto von Claude François Fillette-Loreaux nach
Les amours du Chevalier de Faublas von Jean-Baptiste Louvet de Couvrai.
Erstaufführung: Paris, Théâtre Feydeau, 18. Juli 1791

Vorwort
Zwischen 1791 und 1796 haben gleich vier Komponisten den Lodoïska–Stoff als Oper vertont. Die von Luigi Cherubini war die erste; sie wurde mit großem Erfolg im Juli 1791 am Théâtre Feydeau produziert. Nur einen Monat später folgte am Théâtre Favart die Vertonung von Rodolphe Kreutzer. 1794 erschien in London eine Oper von Steven Storace, die das Libretto und einiges von der Musik Kreutzers verwendete; 1796 wurde außerdem in Venedig die von Simon Mayr herausgebracht, bald darauf in revidierter Form noch einmal im Teatro alla Scala in Mailand (1799). Die Beliebtheit dieser Handlung mag sich aus den politischen und soziokulturellen Ereignissen erklären, die Europa in den letzten Jahrzehnten des 18. Jahrhunderts im Griff hatten, kulminierend zunächst in den Aufständen in Frankreich, die sich dann im 19. Jahrhundert über ganz Europa ausbreiteten. Lodoïska war eine der ersten »Errettungs-Opern« bzw. »Revolutions-Opern«; das einzige heute noch bekannte Beispiel dieses Genres ist Beethovens Fidelio.

Lodoïska, eine Bühnen-Bearbeitung von Louvets oben genannter Novelle, spielt in Polen und handelt von der Suche des Grafen Floreski nach der gleichnamigen Liebe seines Lebens, die von ihrem Vater auf das Schloß des Grafen Dourlinski in Sicherheit gebracht wurde. Lodoïskas Vater wußte allerdings nicht, daß Dourlinski der Bösewicht ist. So wurde die Zuflucht zum Gefängnis, und der Graf versucht mit den rohesten Verführungsmethoden, die Hand der Schönen zu gewinnen. Floreski hat jedoch zufällig die Bewunderung von Titzikan gewonnen, dem Anführer der Tartaren, die derzeit Polen besetzt hielten – durch eine ehrenvolle Niederlage beim Schwerterduell vor den Mauern von Dourlinski. Floreski und sein Diener Varbel erhalten Zugang zum Schloß, indem sie sich als Beauftragte von Lodoïskas Vater ausgeben. Während des Rettungsversuches greifen die Tartaren das Schloß an und brennen es nieder; die Liebenden werden vereint und der Schurke erhält seine verdiente Strafe.

Man fragt sich unwillkürlich, was an dieser melodramatischen Handlung mit all den Baronen, Grafen, Tartaren, ihren Banalitäten, Zufällen und unglaublichen Verwicklungen das damalige Publikum so sehr fasziniert hat, daß unser »Italiener in Paris« damit seinen ersten internationalen Erfolg errang? Das Volk hatte genug von Adligen, die sich mit Süßigkeiten vollstopften und in ihren Besitztümern schwelgten, während es selbst wegen der hohen Preise für Brot hungerte und unter Steuern ächzte, die nur von den Armen genommen wurden, und so erhob es sich schließlich Im Jahr 1789. Die Gewalttätigkeit einer Revolution spiegelt üblicherweise das Ausmaß jener Ungerechtigkeiten wider, die sie ausgelöst haben, und demzufolge muß es enorme Ungerechtigkeiten in Frankreich gegeben haben. Das tägliche Leben der Bauern, Bourgeois und Blaublüter würde nie wieder das gleiche sein. Freie Bürger forderten, wie menschliche Wesen behandelt zu werden, und auch Theaterbesucher wünschten sich reales Leben auf der Bühne anstelle der üblichen prunkhaften Allegorien von Göttern und Göttinnen, die vom Himmel herabstiegen oder in Triumphwagen einzogen. Die Konventionen der Hauptform französischer Oper, der Tragédie lyrique, die seit Louis XIV. dominierend war, machte nun Platz für einen neuen Realismus, der aus der niederklassigen Opéra comique einsickerte. Und während der Revolution kamen keine Götter vom Himmel herab, um irgendeines ihrer Opfer zu retten, nicht einmal Louis XVI., auch wenn es etliche gab, die dem Mob gerade noch entkommen konnten. Die Gefahren, die Operncharaktere wie Lodoïska durchzustehen hatten, erzeugten nun eine Illusion von Wahrheit, und das Eingreifen der Tartaren zeigte, daß selbst die Bauern des eigenen Landes durchaus edelmütig sein konnten. Das Happy-End beschwichtigte insbesondere auch die ständigen latenten Ängste des Publikums – ein Effekt, der ein Hauptgrund für den Erfolg der Errettungs-Oper war, wie Lewis Lockwood bemerkt hat.

Cherubinis Drama traf so sehr den Zeitgeschmack, daß Lodoïska am Théâtre Feydeau über zweihundert Mal gegeben wurde. Und die Musik? Lodoïska war Cherubinis zweite Oper für Paris. Seine erste, Démophon (1788), war durch den antiken Titel und die Handlung geradezu prädestiniert für ihren Mißerfolg, auch wenn das Werk den Komponisten vieles lehrte. Anstatt nun die italienische Opera seria in Frankreich einzuführen, kombinierte Cherubini allerdings in Lodoïska den Realismus der komischen französischen Oper mit der Vielfalt von Form und Darstellung aus der Tragédie lyrique. Cherubini selbst führte viele jener Elemente ein, die später von gebürtigen französischen Komponisten aufgegriffen und weiterentwickelt wurden, darunter Méhul (Mélidore et Phrosine, 1794; La Caverne, 1797) und Berlioz’ bewunderter Lehrer Lesueur (Paul et Virginie, 1796). Als großer Bewunderer Haydns behandelte Cherubini das Orchester völlig anders als alles, was man zuvor aus dem Orchestergraben gehört hatte. Er verwendete orchestrale Farben und instrumentale Solo-Passagen, um die Charakteristik zu vertiefen, das Publikum durch die Handlung zu leiten und die starken Unterschiede zwischen Gut und Böse auszuleuchten, die solche Handlungen prägten. All das war insgesamt neuartig, auch wenn unter seinen Vorgängern Gluck bereits mit den Mitteln des 18. Jahrhunderts große psychologische Tiefe erzielt und Grétry Musik komponiert hatte, die schon viel deutlicher die Charaktere nachzeichnete und größere Wirklichkeitsnähe erzielte, als zuvor in der Opéra comique zu hören war. Cherubini würde später all diese Aspekte in seinem Meisterwerk zusammenführen, Medée (1797), dem einzigen seiner Werke, das bis heute regelmäßig aufgeführt wird, wenn auch leider in einer scheußlich zusammengestrichenen italienischen Bearbeitung, noch dazu überladen mit hinzukomponierten Rezitativen eines deutschen Kleinmeisters. (Eine weitere Oper von Cherubini, Les Deux journées aus dem Jahr 1800, damals überall außer in Frankreich sehr beliebt, hat ebenfalls das Potential, dem Publikum des 21. Jahrhunderts zu gefallen, und wird auch gelegentlich produziert.) Ein Problem für den Zuhörer von heute ist allenfalls der langsame harmonische Rhythmus dieser Werke, typisch für die Revolutions-Hymnen, in denen die Grund-Akkorde Seite für Seite geradezu herausgemeißelt werden.

Cherubini verlor die Fortüne in den frühen Jahren des Imperiums – Napoléon mochte er nicht –, und nach dem Mißerfolg seiner Oper Anacréon (1803) fühlte er sich zunehmend ernüchtert vom Theater. Die Zeiten hatten sich künstlerisch und politisch geändert. Er produzierte verschiedene komische Opern für das private Theater des Herrschers (darunter beispielsweise La Crescendo, eine Oper über einen Mann, der laute Geräusche nicht ertragen kann, und die angeblich gar Napoléons Abneigung gegen alle Musik außer der einfachsten auf die Schippe nimmt). Zugleich versuchte er mit dem Günstling der Kaiserin, Gaspare Spontini, zu konkurrieren, dessen tragische Oper La Vestale Europa im Sturm eroberte und Frankreich einen Schritt weiter an die Romantik heranführte. Bis zu seinem Lebensende schrieb Cherubini schließlich nur noch Kirchenmusik, Messen und Requiems-Vertonungen, sowohl für das Herrscherhaus wie auch für den Wiederaufbau, und leitete das Conservatoire National de Musique, damals die einzige öffentliche Musikhochschule der Welt. Schon vor seinem Tod galt er als »alter Zopf«, und im Umgang mit Berlioz – Frankreichs wohl einzigem international berühmten Komponisten vor dem 20. Jahrhundert – gab es zwar gegenseitigen Respekt, aber auch Groll. Berlioz lernte aber tatsächlich das eine oder andere von diesem Konservatoriums-Direktor, welcher ihn einst eigenhändig aus seiner Bibliothek geworfen hatte, und über dessen italienischen Akzent er sich später in seinen berühmten »Erinnerungen« lustig machte.

Cherubini ist gleichwohl ein bedeutender Komponist der Musikgeschichte, die ohne ihn anders verlaufen wäre. Beethoven besaß etliche seiner Partituren und schätzte ihn als einen der größten damals lebenden Komponisten. Insbesondere sein Fidelio verdankt Cherubini viel; nach der Premiere in Gegenwart des alten Meisters mag Cherubini Beethoven bei der Umarbeitung seines berüchtigten, schweren Vokalsatzes geholfen haben, und Graf Dourlinski ist zweifellos eine frühe polnische Ausgabe von Don Pizarro. Der Dirigent Riccardo Muti hat sich sehr dafür eingesetzt, mit seinen Aufführungen und Einspielungen die Musik von Cherubini dem heutigen Publikum nahezubringen. Die hier vorgelegte Partitur ist ein vorzüglicher Begleiter zu Mutis Einspielung von Lodoïska aus dem Jahr 1991 (Sony Classical, S2K 47290).

© der deutschen Übersetzung: Benjamin-Gunnar Cohrs, Artium, Bremen 2006
(artiumbremen@yahoo.de)

Aufführungsmaterial ist von Boosey and Hawkes, Berlin zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars aus der Sammlung Tom Zelle, Chicago.

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