Arriaga, Juan Crisóstomo de 

Arriaga, Juan Crisóstomo de 

Complete String Quartets Nos. 1-3 / Critically revised Urtext edition by Lucian Beschiu (Score and parts)

44,00 

Preface

Juan Crisóstomo de Arriaga – Troi quatuors pour deux violons, alto et violoncelle (1824)

(b. Bilbao, 27 January 1806 – d. Paris, 17 January 1826)

Unter den überragenden Wunderkindern der Musikgeschichte, die noch vor der Entfaltung ihrer großen Begabung aus dem Leben scheiden mussten, gehört Juan Crisóstomo (Jacobo Antonio) de Arriaga (y Balzola) sicherlich zu den tragischsten. Mozart, Schubert, Mendelssohn, Chopin, Schumann und Wolf hinterließen wenigstens genug Werke, damit die Musikhistoriker – wie sie es mit Vorliebe tun – ihr Oeuvre in eine frühe, mittlere und späte Schaffensperiode unterteilen konnten; Pergolesi und Guillaume Lekeu konnten trotz ihres frühzeitigen Ablebens (mit 26 bzw. 24 Jahren) wenigstens einige Werke hinterlassen, um die sich glühende Anhänger scharten. Arriaga starb jedoch nach brillanter Kindheit bereits zehn Tage vor seinem zwanzigsten Geburtstag, und seine vielen Werke wurden zerstreut oder gingen unwiederbringlich verloren, bevor ihr Wert überhaupt erkannt werden konnte. Der Nachwelt bleibt nur ein schmales Oeuvre erhalten, das von vielen unerfüllten Hoffnungen zeugt. Zwei Fällen jedoch dürfen als ernsthafte Kandidaten zur Aufnahme ins ständige Konzertrepertoire gelten: die Symphonie D-Dur (1821-26) und die vorliegenden Drei Streichquartette (1824).

 

Arriaga stammte aus einer wohlhabenden, in Bilbao ansässigen Händlerfamilie baskischer Herkunft, und seine außergewöhnlichen Begabungen wurden vom musikalisch interessierten Vater nach Kräften unterstützt, sofern dies in der kulturellen Ödnis der baskischen Provinzstadt möglich war. Bereits mit 12 Jahren hatte er etliche Kompositionen geschrieben, von denen zwei erhalten geblieben sind: Nada y mucho, ein Oktett für fünf Streicher, Trompete, Klavier und Gitarre (als Manuel de Falla das Werk nach der verspäteten Veröffentlichung 1929 gezeigt wurde, nannte er es “ein Wunder der Musikgeschichte”), sowie eine Ouvertüre (Nonett) für vier Streicher, Flöte und je zwei Trompeten und Klarinetten, die der begabte Knabe stolz als sein “Opus 1” bezeichnete. Das mit Abstand beeindruckendste Werk aus dieser Zeit ist jedoch eine zweiaktige Opera semi-seria Los esclavos felices, die Arriaga mit 13 Jahren komponierte und die ein Jahr später bei ihrer Uraufführung in Bilbao großes Aufsehen erregte. Aufgrund dieser frühen Erfolge wurde das jugendliche Genie von seiner Familie nach Paris geschickt, um am dortigen Conservatoire eine geregelte musikalische Ausbildung zu erhalten.

Als Arriaga 1821 in Paris eintraf, hatte er im Gepäck seine neueste Bilbaoer Komposition: ein Stabat mater für drei Vokalstimmen und kleines Orchester, das er prompt dem Leiter des Konservatoires, dem führenden Pariser Komponisten Luigi Cherubini, zeigte. Diese denkwürdige Begegnung und die Reaktion Cherubinis sind in dessen Memoiren festgehalten: “Unfassbar! Du bist die Musik in Person!” (Interessanterweise war drei Jahre später die Reaktion Cherubinis auf ein weiteres Wunderkind – Mendelssohn – weitaus gedämpfter). Am Conservatoire studierte der Junge Geige mit dem ersten französischen Virtuosen seiner Zeit, Pierre Baillot, bei dem er außergewöhnlich rasch vorankam. Noch wichtiger: Er wurde in die Kompositionsklasse des großen belgischen Musiktheoretikers und Lexikographen François-Joseph Fétis aufgenommen, der noch im späteren Leben seine Verblüffung über den jungen Musiker kaum im Zaum halten konnte: “Seine Fortschritte waren kaum anders als ungeheuerlich zu beschreiben. In weniger als drei Monaten eignete er sich eine vollkommene Beherrschung der Harmonielehre an, und innerhalb von zwei Jahren konnte er die schwierigsten Probleme des Kontrapunkts und der Fuge lösen. Von der Natur erhielt Arriaga zwei Veranlagungen, die sich selten im gleichen Künstler vereinen: eine originelle Erfindungsgabe und die vollkommenste Fähigkeit, den Schwierigkeiten seiner Kunst Herr zu werden….. Die Natur hat ihn so geschaffen, um alles auf dem Gebiet der Musik erreichen zu können” (Biographie universelle, Bd. 1, 1877, S. 119-20). Bereits 1824 hatte der 18jährige Arriaga durch Fétis’ Zutun eine Assistenzstelle am Conservatoire erhalten, wobei er dadurch zum jüngsten Professor in der Geschichte dieses ehrwürdigen Instituts wurde.

Im gleichen Jahr 1824 ließ Arriaga seinen Premier livre de quatuors (mit den vorliegenden Drei Streichquartetten) durch den angesehenen Pariser Verlag Philippe Petit veröffentlichen, und zwar mit einer diplomatischen Widmung an Cherubini “als Zeichen seiner Hochachtung und Zuneigung”. Es sollte das einzige Werk sein, der zu seinen Lebzeiten in Druck erschien, und bildet noch heute zu Recht die Grundlage seines Ruhmes. Mehr als 50 Jahre danach sah der alte Fétis keinen Grund, seine ursprüngliche Meinung über das Werk zu ändern: “Es ist unmöglich, sich etwas vorzustellen, das origineller, eleganter oder in der kompositorischen Ausführung vollkommener wäre als diese Quartette, die noch heute kaum bekannt sind. Jedesmal, als der junge Autor sie zur Aufführung brachte, erregten sie die Bewunderung der Zuhörer” (ebda, S. 120). Es entstanden in rascher Folge auch eine Ouvertüre, eine Symphonie, eine Messe, ein Anzahl von Kantaten, ein Klavierzyklus sowie – wohl am bemerkenswertesten – eine achtstimmige Fuge Et vitam venturi, die der damals führende Meister dieser Kunstform Cherubini als “Meisterleistung” anerkannte. Aber die selbstauferlegte Arbeitslast Arriagas zehrte offensichtlich auch an seiner Gesundheit, und kaum zwei Jahre nach der Veröffentlichung seiner Streichquartette starb er nur wenige Tage vor seinem 20. Geburtstag an einer nicht näher bezeichneten Lungenkrankheit. Ein Freund der Familie, der am Sterbebett dabei war, schrieb an den Vater in Bilbao: “Die Meinung, die ich über Juan Crisóstomo bilden konnte, deckte sich mit der von Fétis, Reicha, Catel, Boïeldieu, Baillot, Berton und Cherubini [d.h. den damaligen Größen der französischen Musikwelt], die alle fest davon überzeugt war, dass, hätte sich Ihr Sohn noch weitere acht Jahre mit der gleichen Geschwindigkeit entwickeln können, die seine frühen Leistungen auszeichneten, er zu einem der ersten Komponisten und Lehrern am Conservatoire geworden wäre.”

In Ermangelung eines Verfechters, der sich um sein musikalisches Erbe gekümmert hätte, fielen die Werke Arriagas der Vergessenheit anheim und wurden erst 50 Jahr später durch den leidenschaftlichen Einsatz seines ehemaligen Lehrers Fétis wieder in Erinnerung gerufen. Nun wurde aber das früh verstorbene Genie von der damals aufkeimenden Nationalbewegung Spaniens entdeckt und zum unerkannten Held des spanischen musikalischen Nationalismus erklärt. Die Streichquartette erhielten 1884 in Bilbao ihre erste nachweisbare öffentliche Aufführung und wurden 1890 bei Dotesio in Bilbao nachgedruckt. Bis dahin hatte sich 1887 eine Comisión Permanente de las Obras del Maestro Arriaga gegründet, der 1928 eine Kommission gleichen Namens sowie 1955 eine Arriaga Society of America folgten. Der Urgroßneffe Arriagas, José de Arriaga e Igartua, veröffentlichte 1935 unter dem Pseudonym Juan de Eresaldo eine Ausgabe der noch erhaltenen Teile der Oper Los esclavos felices, die auch wichtige biographische Kenntnisse enthält. Dennoch: Als der amerikanische Musikforscher Dennis Libby 1980 seinen Arriaga-Beitrag im New Grove’s Dictionary veröffentlichte, konnte er mit Recht behaupten, dass “vieles über sein Leben und Werk veröffentlicht wurde, jedoch größtenteils von eher schwärmerischer Natur, und Arriaga bleibt von ernsthaften kritischen und wissenschaftlichen Untersuchungen noch praktisch unberührt.”

Glücklicherweise sollte sich diese Situation bald ändern. Im gleichen Jahr 1980 wurde das Streichquartett d-Moll Gegenstand einer Analyse in einer amerikanischen Dissertation (M. W. Edson, University of Iowa, 1980); in kurzer Zeit erschienen zwei weitere Dissertationen (S. K. Hoke, University of Iowa, 1983; J. A. Gómez Rodríquez, University of Oviedo, 1990) sowie eine detaillierte und nüchterne Biographie von Barbara Rosen im Basque Studies Program von Reno/USA (Arriaga, the forgotten genius, 1988). Schließlich wird seit 2006 eine Gesamtausgabe der erhaltenen Werke Arriagas, die Obra completa, vom Instituto Complutense de Ciencias Musicales in Madrid veröffentlicht. Wohl am bedeutendsten in unserem Zusammenhang ist jedoch die knapp 400seitige Monographie Marie Winkelmüllers, Die drei Streichquartette von Juan Crisóstomo de Arriaga (Freiburg i. Br. 2009), die neben ausführlichen Beschreibungen seines Lebens und seines künstlerischen Umfelds auch detaillierte Analysen aller drei Quartette enthält, die eine enge Beziehung zu den Streichquartetten op. 18 von Ludwig van Beethoven nachweisen und damit Arriagas Streichquartette als Pionierleistungen der Beethoven-Rezeption in Frankreich umdeuten.

Auch Interpreten nehmen Arriagas Streichquartette immer mehr zur Kenntnis. Zur Zeit gibt es eine beträchtliche Zahl von hervorragenden CD-Einspielungen, unter denen die wohl bemerkenswerteste 1996 vom berühmten Guarneri-Quartett aufgenommen und bei Philips verlegt wurde. Dadurch haben wohl die drei schillernd-spritzigen Streichquartette Arriagas mit ihren einprägsamen Melodien, ihrem fließenden kontrapunktischen Satz, ihrer geschliffenen Kompositionstechnik und ihren kühnen formalen Neuerungen (die gitarrenähnliche Begleitung im Trio von Nr. 1, die Pizzicato-Variation im langsamen Satz der Nr. 2, die gewagte Gestaltung der Pastorale-Form in Nr. 3) Einzug in das Standardrepertoire gehalten, in das sie sicherlich auch gehören. Ziel der vorliegenden überarbeiteten Veröffentlichung, die einige Fehler in den früheren modernen Ausgaben beseitigt, ist es, den Platz dieser unvergleichlichen Werke im Repertoire noch weiter zu festigen.

Bradford Robinson, 2012

Wegen Aufführungsmaterial wenden Sie sich bitte an Musikproduktion Höflich (www.musikmph.de), München.
Überarbeitete Ausgabe von Lucian Beschiu.

Score Data

Edition

Repertoire Explorer

Genre

Kammermusik

Seiten

160

Printing

New print / Urtext

Specifics

Set Score & Parts

Size

210 x 297 mm /225 x 320 mm

Go to Top