Albert, Eugen d‘

Albert, Eugen d‘

String Quartet No. 2 in E-flat Op. 11 (parts)

25,00 

Preface

Eugen d’Albert

String Quartet No. 2 in E-flat major, op. 11 (1893)

(geb. Glasgow, 10. April 1864 – gest. Riga, 3. März 1932)

Einführung zu dem Streichquartett (aus dem Vorwort zur Partitur)

Eugen d’Alberts (1864-1932) Platz in der allgemeinen Musikgesichte ist zweigeteilt. Und in keiner der beiden Sphären steht eigentlich die Existenz eines Streichquartetts zu erwarten. Der im schottischen Glasgow geborene d’Albert, der später nach der britischen auch die deutsche und die schweizer Staatsbürgerschaft tragen sollte, sich jedoch kulturell als von deutscher Identität verstand1, hat gleich zwei hinterlassen, ein erstes Quartett in a-Moll op. 7 (1887) und das hier als Partitur vorliegende zweite Stück in Es-Dur op. 11 (1893). Wer nicht spezialisiert ist auf den Bereich spätromantischer Kammermusik, wird angesichts dieses Umstandes ähnlich überrascht sein wie der unbefangene Musikinteressierte, der erstmals auf die Existenz des Streichquartetts e-Moll im Oeuvre des Opernkomponisten Giuseppe Verdi oder des Streichquintetts F-Dur im Schaffen des Symphonikers Anton Bruckner stößt. Denn das „erste Künstlerleben“ d’Alberts war jenes eines umjubelten Klaviervirtuosen, das zweite das eines vielgespielten Opernkomponisten. Aus dem letztgenannten Bereich rühren jene Werke her, mit denen es d’Albert gelungen ist, ansehnliche Erfolge zu erzielen und auch gut ein Dreivierteljahrhundert nach seinem Tod zumindest in einem gewissen Maß noch im Musikleben präsent zu sein, allen voran seine Opern Tiefland (1903), welche Wagnerimus und Verismus mit eingängiger Melodik und einem guten dramaturgischen Plot verbindet, sowie, wenn auch mittlerweile seltener zu hören, Die Abreise (1898) und Flauto solo (1905), beides sehr entspannt-schwungvolle Partituren, und Die toten Augen (1916), ein Opus, das, stilistisch ganz anders geformt, späten Wagner und den Richard Strauss vor Der Rosenkavalier miteinander zu verbinden scheint. Insgesamt hat d’Albert die stattliche Zahl von 21 Opern hinterlassen, wobei er über das letzte Projekt, Mister Wu, verstarb. Er befand sich zu jener Zeit im lettischen Riga, seinerzeit ein El Dorado mit umgekehrten Vorzeichen zum heutigen Heiratsparadies Las Vegas. Nach Riga pilgerte die scheidungswillige europäische Prominenz, da dort besondere rechtliche Bestimmungen galten, die den Vollzug der Trennung ebenso erleichterten wie heute in der Glücksspielmetropole der USA die Gesetze den Vollzug des ehelichen Bundes.
Als d’Albert starb, suchte er gerade seine sechste Scheidung zu erreichen. Obwohl ausgesprochen klein von Statur, war d’Albert aufgrund seines Ruhmes als Pianist und seiner extrovertierten Bühnenpräsenz ein Frauenschwarm, wie es heute wohl nur noch Schauspieler und Popstars zu werden vermögen. So war die Berichterstattung zu Lebzeiten stets ebenso sehr dem Künstler d’Albert wie seiner High-Society-Seite gewidmet. Aus diesem „ersten Leben“ des Pianisten stammt auch der Nimbus des Virtuosen und Stars des internationalen Musiklebens, der bis heute beim Erklingen des Namens d’Albert nachwirkt. Einigen Tonaufnahmen des späten d’Albert aus den 1910er und 1920er Jahren sind erhalten. Obwohl jene zeitbedingt noch bescheidener tontechnische Standards aufweisen, erlauben sie zumindest eine Ahnung von dem gefeierten Interpreten der Musik Bachs, Beethovens und Chopins, auch wenn der d’Albert des ausgehenden 19. Jahrhunderts noch besser gespielt haben soll2, bevor er sich ab Mitte der 1890er Jahre schwerpunktmäßig dem Bereich der Komposition zuwandte. An jene Seite dieses Künstlers erinnern ergänzend zu den Tonaufnahmen daher vor allem frühe und noch gelegentlich zu hörende Schöpfungen aus seiner Feder wie die für den Eigengebrauch als Pianist geschriebenen Klavierkonzerte in h-Moll op. 2 (1884) und E-Dur op. 12 (1893) sowie die – in Anbetracht der Gattungsgeschichte „späte“ – Klaviersonate fis-Moll op. 10 (1893). Die letzten beiden Arbeiten stammen dabei aus demselben Jahr wie das hier vorliegende Streichquartett Nr. 2 Es-Dur op. 11, in dem schließlich auch die erste Oper Der Rubin beendet wurde. Mit dem Jahr 1893 mag man daher jenen Zeitpunkt in d’Alberts Werdegang ausmachen, wo sich die Verschiebung des Schwerpunkts vom Pianisten zum Komponisten vollzog, auch wenn er bis an sein Lebensende konzertieren sollte, nicht zuletzt um die beträchtlichen Alimente für seine zahlreichen Frauen und Kinder zu erwirtschaften. Das hier vorliegende Streichquartett Nr. 2 Es-Dur op. 11 ist also zu einem entscheidenden Moment im Werdegang dieses Künstlers entstanden. Dass es angesichts des Arbeitsaufwandes wie Erfolgs von d’Albert sowohl als Pianist als auch, von hier an, als Opernkomponist überhaupt andere Gattungen wie Kammermusik für Streicher in seinem Oeuvre gibt, illustriert trefflich d’Alberts Emanzipationsanspruch in jener Phase, als universeller Komponist ernst genommen zu werden. Die frühere Symphonie F-Dur op. 4 (1886) oder das zu unrecht vergessene, da hörenswerte Cellokonzert C-Dur op. 20 (1899) stehen im gleichen Kontext. Insofern gibt es Parallelen zur Entwicklung seines verehrten Lehrers Franz Liszt, der sich ebenfalls nach Jahren als gefeierter Klaviervirtuose zu einem über das eigene Instrument hinausgehenden Komponisten entwickelte. Im übrigen war es auch kein geringerer als eben jener Franz Liszt, Übervater aller Klaviervirtuosen, der diese Profession wie kein zweiter in den 1830er und 1840er Jahren geprägt hatte, der d’Alberts Rang als Pianist adelte, als er ihn als einen „zweiten Tausig“ adelte.3
Der noch vor seinem 30. Geburtstag verstorbene Carl Tausig (1841-1871)4 gilt vielen als der bedeutendste Pianist zwischen Liszt, dessen (Lieblings-)Schüler er war, und Ferruccio Busoni.5 Tausig und d’Albert müssen in der Bühnenperformance dabei jedoch da genau Gegenteil gewesen sein. Während erster fast analytisch mit minimalem körperlichen Bewegungseinsatz agierte, folgte letzterer dem am Geiger Niccolo Paganini geschulten Modell extrovertierten Selbstinszenierung des frühen Liszt nach. Spieltechnisch gaben sie sich dabei wohl nichts. Noch Arthur Schnabel, einer der besten Pianisten des 20. Jahrhunderts, stellte d’Albert mit Busoni auf eine Stufe, was angesichts dessen, was die wenigen Tonaufnahmen des 1924 verstorbenen Italieners über sein grandioses, kaum erreichtes pianistisches Können zu erzählen vermögen, für sich spricht.

Gewiss sind also Klaviervirtuose und Opernkomponist nicht zu unrecht die beiden Schubladen, die sich angesichts dieser künstlerischen Biographie aufdrängen, möchte man d’Albert nach dieser gängigen historiographischen Praxis in die Musikgeschichte einsortieren. Doch wie sowohl die Existenz des Streichquartetts Nr. 2 Es-Dur op. 11 als auch der Zeitpunkt seiner Entstehung illustrieren, hängt die Wahrnehmung eines Künstlers doch oft zu sehr an eben jener Schublade – bzw. im Fall d’Alberts an den beiden Schubladen –, in die er sich, vermeintlich sorgfältig, einsortiert findet. Doch Schubladen sind – bestenfalls – Abbildungen von künstlerischen Schwerpunkten. Und sie knüpfen daher notwendig an das Allgemeine und das Häufige an und neigen zur Vereinfachung. Für die Vermarktung eines Komponisten hat das in mancher Hinsicht einen Nutzen, für die Beschreibung von historischen Leitlinien ebenso. Das Seltene und das Besondere kommen dabei jedoch gerne zu kurz. Und so verhält es sich auch bei d’Albert. Aber ist es nicht gerade diese Dimension des von der Erwartung Abweichenden, die einen maßgeblich dazu anstiftet, sich stets aufs Neue mit Musikgeschichte zu beschäftigen und nicht immer bei denselben 20 Komponisten und 50 Werken zu verharren, die den vermeintlichen Standard darstellen? Der geschilderte Prozess muss im übrigen nicht bei Äußerem wie den gewählten Gattungen stehen bleiben. Immer noch lässt sich z.B. Staunen hervorrufen, wenn man Nichtspezialisten mit Hilfe von Stücken wie dem Streichsextett Verklärte Nacht op. 4 (1899), dem Vorspiel zu den Gurre-Liedern (1901/11) oder dem späten A Survivor from Warsaw op. 46 (1947) mit dem „emotionalen Komponisten“ Arnold Schönberg bekannt macht, der, nicht zuletzt in den Schulen, als Leidbild des mathematisch-intellektuellen – und im Umkehrschluss emotionsarmen – Komponisten tradiert wird, seinem Konzept einer Zwölftonmusik wegen.

Doch zum Glück ist Musikgeschichte vielseitiger und spannender als das streng hierarchisierte Allgemein- und Lehrbuchwissen gemeinhin vermuten lassen und allzu oft ist hinter der vordergründig klaren Einordnung weit mehr zu entdecken. Genauso verhält sich im Fall von d’Alberts Schaffen für Streichquartett, das ebenso weit vom virtuosen Gestus des Starpianisten wie vom vorrangig großen, spätromantisch-emphatischen Pinselstrich des Opernautors entfernt steht. Intime Musik, von einigem satztechnischen Können und melodischem Reichtum getragen, reich an den Farben spätromantischer Harmonik, abwechslungsreich dabei und melodisch attraktiv. Die beiden Quartette halten sich qualitativ dabei durchaus die Wage. Vom Charakter ist das hier präsentierte Es-Dur-Quartett jedoch lyrischer und meditativer, bedingt durch den überwiegend langsam gestalteten ersten Satz, Andante con moto, mit einem ausgesprochen einprägsamen Hauptthema und vor allem den mehr als zwölf Minuten Spieldauer benötigenden dritten Satz, Adagio ma non troppo e con molto espressivo. Das rhythmisch akzentuierte, in lichtem Satz gehaltene, vom Gestus fast vorbeihuschende Scherzo, Allegro vivace, und das schwungvoll-tänzerische finale Allegro vermögen das Werk auszubalancieren, so dass man hier eine hörenswerte, spielfreudige Ergänzung des gängigen Repertoires vorfindet, die zugleich auch einem breiteren Hörergeschmack zugänglich sein dürfte. Die hier inszenierte Klanglichkeit verrät viel von d’Alberts Liebe zur Musik des mittleren bis späten Beethoven. Und auch zum zeitgleichen und so abwechslungsreichen Quartettschaffen Antonín Dvořáks trägen sich viele stilistische Parallelen auf. Obwohl zur Entstehungszeit noch vorrangig als Pianist bekannt und als solcher ausgebildet, beherrscht d’Albert jenes klavierlose, im 19. Jahrhundert zur kammermusikalischen Königsgattung erkorene Format6, für das noch bis ins 20. Jahrhundert wie in so vielen musikalischen Bereichen Beethovens Referenzwerke als Maßstab galten, ein Umstand, den Komponisten wie Johannes Brahms oder Gabriel Fauré ausdrücklich als Bürde empfanden – nicht so jedoch d’Albert. Fast möchte man bedauern, dass sich d’Albert in der Folge auf den Bereich der Oper konzentrierte und den beiden frühen Streichquartetten keine weitere Kammermusik, insbesondere solche mit Klavier, mehr hat folgen lassen. So gesehen erscheint das Streichquartett Nr. 2 Es-Dur op. 11 des noch nicht ganz 30-jährigen Komponisten wie ein uneingelöst gebliebenes Versprechen auf mehr.

1 Nicht zuletzt der Umstand, dass alle Opernlibretti deutsche Texte haben, belegt dieses Selbstverständnis d’Alberts.
2 John Williamson, Albert, Eugen d’, in: The New Grove Dictionary of Music and Musicians, hg. von Stanley Sadie, London 2001, S. 300.
3 Charlotte Pangels, Eugen d’Albert: Wunderpianist und Komponist. Eine Biographie, Zürich 1981, S. 27.
4 Frédéric Döhl, Carl Tausig, in: Lexikon des Klavier, hg. von Siegfried Mauser und Christoph Kammertöns, Laaber 2006, S. 713f.
5 Josef-Horst Lederer, Albert, Eugen d’, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, hg. von Ludwig Finscher, 2. Auflage, Personenteil Bd. 1, Kassel/Stuttgart 1999, S. 338: „D’Alberts Klavierspiel galt zu seiner Zeit als unvergleichlich […]“; Franz Liszt, Brief vom 12 Mai 1882, zitiert nach Abdruck bei Wilhelm Raupp, Eugen d’Albert. Ein Künstler- und Menschenschicksal, Leipzig 1930, S. 24: „Ihr seltenes Talent ist offenkundig […].“
6 Für einen eingehenden Überblick über die Gattung vgl. Friedhelm Krummacher, Geschichte des Streichquartett (Handbuch der musikalischen Gattungen Bd.6), Laaber 2004.

Frédéric Döhl, 2008

 

Score Data

Edition

Repertoire Explorer

Genre

Kammermusik

Printing

Reprint

Specifics

Set of Parts

Size

225 x 320 mm

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