Die Münchner Partiturserie ‚Opera Explorer’

Die Verbreitung und Bekanntheit musikalischer Werke hat seit jeher sehr viel damit zu tun, ob es käufliche Partituren gibt. Wer etwa César Francks Béatitudes, Enescus Œdipe oder Faurés Prométhée gehört hat und mehr davon sehen will als einen Klavierauszug, kann durchaus bald zu spüren bekommen, dass er am Beginn einer Odyssee steht. Diese Situation hat vor 12 Jahren dazu geführt, dass die Musikproduktion Höflich in München ihre Serie ‚Repertoire Explorer’ mit anderswo nicht erhältlichen Partituren startete, die mittlerweile auf ca. 1500 Titel angewachsen ist. Da findet sich nicht nur Bekanntes wie Debussys ‚Le martyre de St Sébastien’ oder Josef Suks ‚Asrael’-Symphonie, sondern auch eine überwältigende Vielfalt vergessener Großmeister wie John Foulds, Albéric Magnard, Paul Büttner, Heinz Tiessen oder Heinrich Kaminski, immer häufiger auch in Urtext-Erstdrucken. Ein besonderes Schwergewicht bildet dabei die Serie ‚Opera Explorer’.
So kann man zwar die Partituren von Richard Wagners Opern ab dem ‚Rienzi’ durchaus immer schon in erschwinglichen Studienpartituren erwerben, doch Frühwerke wie die ‚Feen’ oder das ‚Liebesverbot hat erst der Opera Explorer in entsprechender Form zugänglich gemacht. Besonders imposant sind die großen Meisterwerke der russischen Oper von Bortniansky, Glinka, Borodin (Fürst Igor), Tschaikowsky, Rimsky-Korsakov (10 Werke), Mussorgsky, Tanejev (Oresteia) und Rachmaninoff vertreten, aber auch das deutsche Opernschaffen jenseits von Mozart, ‚Fidelio’ und ‚Freischütz’: Weber, Marschner, Spohr, Schubert, Mendelssohn, Schumann, Nicolai, Lortzing, Cornelius, Reinecke, Draeseke, Hermann Goetz, Hugo Wolf, d’Albert, Thuille, Schillings, Siegfried Wagner, Zemlinsky, Schreker, Braunfels, Gurlitt und mit 6 Werken Ernst Krenek. Fast wie ‚Who is Who’ nimmt sich der Katalog französischer Opern aus mit Lully, Méhul, Boieldieu, Berlioz, Meyerbeer, Delibes, Gounod, Saint-Saëns oder Ravel, mit lange nicht erhältlichen Juwelen wie Lalos ‚Le Roi d’Ys’, Chabriers ‚Gwendoline’, Faurés ‚Pénélope’, Chaussons ‚Le Roi Artus’, Dukas’ ‚Ariane et Barbe-bleue’, Roussels ‚Padmâvatî’. Sechs Smetana-Opern und Dvoráks ‚Rusalka’, eine Vielzahl italienischer Meister von Spontini, Rossini, Bellini, Donizetti, Verdi und Ponchielli bis zu Boitos ‚Mefistofele’ und Busonis ‚Brautwahl’ und ‚Arlecchino’, Britisches und Flämisches runden das Bild ab. Über 100 Partituren von Opern, die von den Ursprungsverlagen nicht angeboten werden, geben jedem Interessenten reichlich Gelegenheit, sich direkt an der Quelle zu informieren und nicht einfach nur blind vertrauen zu müssen, dass die Aufführenden „es schon richten werden“. Dadurch, dass diese Partituren zunehmend in vielen Bibliotheken vorhanden sind, gelangen sie auch in die Hände der Studierenden, die bislang damit gar nicht in Kontakt kommen konnten. Auf diese Weise ist zu hoffen, dass sich das Repertoire in Zukunft unvorhersehbar erweitern kann.
Die Macher von ‚Opera Explorer’ tun damit etwas, was sich bezüglich des Arbeitsaufwands kein Verlag leisten könnte. Viele Hände helfen dabei. Jede Partitur wird vor Veröffentlichung optisch ausgebessert – Notenlinien werden nachgezogen, im alten Druck Verblichenes wird ergänzt, alles wird gesäubert. Jeder Partitur ist obligatorisch ein Vorwort vorangestellt, das auch für Dramaturgen und Kritiker ausgezeichnete Dienste leistet. All diese Arbeit kann natürlich nicht bezahlt werden, sämtliche Autoren und Übersetzer sind in einem weltumspannenden Netzwerk ehrenamtlich tätig. Es ist zudem ein klares Statement dieser marktunabhängigen Münchner Hinterhof-Unternehmung mit eigener Druckerei, dass man auch keinen Wert auf die gängigen Verkaufsmechanismen legt: Weder sind die Partituren per EAN-Code elektronisch erfasst noch gibt es ein Budget für Werbung. Die Qualität spricht sich unter Fachleuten ohnehin unaufhaltsam herum, und täglich trudeln Bestellungen aus aller Welt ein. Wer eine seltene Partitur sein eigen nennt, kann einfach einen Besuch in der Werkstatt machen und seinen Beitrag dazu leisten, dass unser Kulturleben reicher und vielfältiger wird. Der komplette Katalog ist online einsehbar, auch kann man dort einen großen Teil der Vorworte lesen. Ein englischer Kritiker sprach unlängst schon vom ‚neuen Mekka der Opernkenner’.

Crescendo im Mai 2014