Christian Frederik Emil Horneman
(geb. Kopenhagen, 17. Dezember 1840 - gest. Kopenhagen, 8. Juni 1906)

Aladdin
En Eventyr-Ouverture
(„Eine Märchen-Ouvertüre“)

Besetzung:
2 Fl. – 2 Ob. – 2 Kl. – 2 Fg. – 2 Trp. – 2 Hr. – 3 Pos.– Harfe – Pauke – Streicher
Dem Gewandhausorchester Leipzig gewidmet

Christian Frederik Emil Hornemans Werke gehören gegenwärtig bedauerlicherweise nicht zum gängigen Repertoire in den internationalen Konzertsälen. Gründe dafür mögen sein, dass Horneman zu jener Generation junger dänischer Komponisten gehörte, die in zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts stets im Schatten des übermächtigen Kopen-hagener Kreises um Niels W. Gade und Johann Peter Emilius Hartmann stand. Hinzu kommt, dass Hornemans Kompositionen oft spät nach ihrer Vollendung oder – weitaus häufiger – überhaupt nicht im Druck erschienen. Entsprechend selten wurden sie aufgeführt und gerieten infolge in Vergessenheit. Dennoch lohnt sich eine Auseinan-dersetzung mit seinen unkonventionellen Kompositionen, deren Farbenpracht besonders in der Aladdin-Ouvertüre besonders leuchtet.

Seit Kindheitstagen hatte sich Horneman für das Feld der Oper begeistert. Musiken für monumentale Bühnenwerke mit entsprechend großer Orchesterbesetzung zu komponieren, war sein erklärtes Ziel gewesen. Dies spiegelt sich in seinem Gesamtwerk wider, in dem breit dimensionierte Schauspielmusiken, die große Oper Aladdin sowie Werke für Solo, Chor und Orchester den größten Raum einnehmen. Mit der Aladdin-Ouvertüre bezog sich Horneman inhaltlich auf einen Kulturkreis, der zwar geographisch gesehen außer Sichtweite seines eigenen lag, dennoch zu Lebzeiten des Dänen von hoher Aktualität war. Seit dem 18. Jahrhundert herrschte in Europa eine große Orientbegeisterung, von der sich Komponisten besonders durch Victor Hugos Gedicht-sammlung Les Orientales (1828), und die Orientromantik der englischen Dichter Thomas Moore oder Lord Byron inspirieren ließen. Musikalisch erregte vor allem Félicien Davids Sinfonie-Ode Le Désert (1844) Aufsehen. David hatte darin eigene Erlebnisse und Eindrücke von einer 1835 unternommenen Orientreise verarbeitet und musikalische Orientalismen benutzt. Orientalische Sujets, Fabelwesen, Märchen und ihre Umsetzung in Musik gewannen daraufhin insbesondere im Ballett und in der Oper zunehmend an Beliebtheit.
Der Stoff von Aladdin und seiner Wunderlampe war vor Horneman in Dänemark bereits von Gade (Aladdin eller den forunderlige Lampe („Aladdin und die Wunderlampe“), 1839) nach einer Textvorlage von Adam Oehlenschläger nach den Märchen aus 1001 Nacht vertont worden. Ob Horneman von diesem Vorgängerwerk zu seiner Ouvertüre angeregt wurde, ist fraglich. Nach einer ersten Aufführung wurde Gades Melodram vermutlicht nicht mehr gespielt und blieb ungedruckt. Es deutet mehr darauf hin, dass Horneman außerhalb von Dänemark mit dem Orient in Berührung kam, nämlich in Leipzig. Der Däne, der für die Musik Robert Schumanns schwärmte, hörte vermutlich während seiner Studienjahre am Leipziger Konservatorium 1860 eine Aufführung von Schumanns Oratorium Das Paradies und die Peri nach der im Orient angesiedel-ten Dichtung Lalla Rookh von Thomas Moore.
Vor der Aladdin-Ouvertüre hatte Horneman vermutlich ebenfalls in Leipzig bereits seine erste Ouvertüre komponiert, die allerdings als verschollen gilt. 1867 entstand mit der Ouverture héroïque – Helteliv („Heldenleben“) seine dritte und letzte Konzert-ouvertüre. Dazwischen komponierte der Däne 1864 die Aladdin-Ouvertüre. Der Titel des Autographs Ouverture til Aladdin („Ouvertüre zu Aladdin“) lässt die Vermutung zu, dass Horneman schon zu diesem Zeitpunkt die Konzeption einer Bühnenmusik oder einer Oper in Erwägung gezogen hatte.

Orientalische Klangfarben durch entsprechendes Instrumentarium sucht man allerdings vergeblich. Weder sind Tamburine oder Zimbeln besetzt, die dem orientalischen Kulturkreis zuzuordnen wären. Vielmehr ist ein klassischer Orchesterapparat vorgesehen, der lediglich durch drei Posaunen und eine Harfe aufgestockt wird. Dass Horne-man Posaunen und Harfe eindeutig als Ergänzung zur Standardbesetzung verstand, zeigen verschiedene exponierte Stellen, in denen diese Instrumente klanglich in den Vordergrund treten. Formal betrachtet wählte Horneman für die Ouvertüre eine ungewöhnliche Struktur, die durch einen episodischen Charakter geprägt ist. Fermatentakte oder Generalpausen unterbrechen immer wieder den Spielfluss und zerteilen so die Ouvertüre in deutlich voneinander abgrenzbare Teile. Um dennoch Verbindungen zu schaffen, benutzt Horneman ein wirbelndes Sechzehntelketten-Motiv in a-Moll, das durch seine vielfältige Kombination im Verlauf der Ouvertüre Zusammenhalt stiftet.

Orientalisches Kolorit erzeugt Horneman durch eine ausgeprägte Chromatik in der Melodieführung sowie in den harmonischen Fortschreitungen. Generell scheint der Däne jedoch eher das märchenhafte des Aladdin-Sujets als musikalische Orientalismen vertonen zu wollen. Dazu gehören das wirbelnde Eingangsmotiv genauso wie Abschnitte, die solistisch durch Arpeggien der Harfe gestaltet werden und in denen eine geheimnisvolle Stimmung erzeugt wird.

Liegt die Besonderheit der Aladdin-Ouvertüre nicht nur in ihrer Form und ihrem geheimnisvollen Programm, so kommt hinzu, dass sie auch zwei Uraufführungen erlebte. Zwei Jahre nach ihrer Vollendung fand die erste Uraufführung am 14. April 1866 in dem von Horneman und Edvard Grieg gegründeten, sich der skandinavischen Musik verschreibenden Konzertverein Euterpe in Kopenhagen statt. Die Reaktionen des Publikums waren verhalten und auch die Presse berichtete eher negativ darüber und richtete nach Hornemans Erinnerungen die Ouvertüre „grauenvoll zu“. Besonders die lockere Form und die eher auf das rhythmische denn auf das melodische Element zielende Wirkung wurden kritisiert. 1867 unternahm Horneman mit Hilfe eines Stipen-diums eine knapp einjährige Reise nach Deutschland, während derer er sich für längere Zeit auch in Leipzig aufhielt. Dort bot er die Aladdin-Ouvertüre der Gewandhausdirektion zur Aufführung an – mit Erfolg, so dass am 28. November 1867 die als Uraufführung deklarierte, zweite Aufführung stattfand. Im Gegensatz zu den Reaktionen in Kopenhagen fand die Ouvertüre in Leipzig Anklang, wenn auch mehr von Seiten der Presse. Das Publikum hatte verhalten reagiert, was jedoch für die Aufnahme von Novitäten in den Gewandhauskonzerten keine Besonderheit darstellte. Die Zeitungsrezensenten hoben dagegen positiv den exotischen Ton und die bisweilen ungewöhnliche Klangfarbe hervor, die das Werk besonders eigentümlich und originell erscheinen ließen. Aber auch hier wurde die undurchsichtige Konzeption kritisiert, was sich vor allem auf die improvisiert wirkenden Harfenpassagen bezog.

Vermutlich durch das positive Presseecho begünstigt, erreichte Horneman die Drucklegung der der Partitur und eines Arrangements für Klavier vierhändig, die 1868 im Leipziger Verlag von Bartholf Senff erschienen. Horneman verlieh der Ouvertüre einen neuen Titel: „Aladdin. Eine Märchen-Ouvertüre für Orchester“. Damit wurde der Alleinstellungscharakter des Werks als Konzertouvertüre betont und die Verbindung zu einer möglichen Oper gekappt. Diese Assoziation durch den ursprünglichen Titel „Ouvertüre zu Aladdin“ hatte stets bei der Rezeption des Werkes für Probleme gesorgt. Kritiker in Kopenhagen und Leipzig wiesen häufig darauf hin, dass es für das Verständnis der Ouvertüre erhellend wäre, ihren Bezug zur vermeintlichen Oper zu kennen.
In der Druckfassung verwies Horneman auf das Datum der „Uraufführung“ am 28. November 1867 in Leipzig und widmete die Ouvertüre vor diesem Hintergrund dem Leipziger Gewandhausorchester. Damit hatte Horneman den Misserfolg bei der eigentlichen Uraufführung in Kopenhagen 1866 unterschlagen und gleichzeitig den repräsentativeren Leipziger Erfolg für seine Komponistenkarriere ausgenutzt. Diese Drucklegung wirkte zumindest beflügelnd, denn nach der Leipziger Aufführung wurde die Aladdin-Ouvertüre mehrmals in Deutschland und in Europa mit Erfolg gespielt. Erst jetzt erwachte auch in Kopenhagen verstärktes Interesse. Die jahrelange Tradition, dass Werke sich erst durch die „Leipziger Taufe“ der Gewandhauskonzerte bewähren mussten, um dann auch in der (dänischen) Heimat Erfolg zu haben, setzte sich hier fort. Ein ähnliches Schicksal hatte die Sinfonie Nr. 1 c- Moll op. 5 von Niels W. Gade erfahren, die in Kopenhagen abgelehnt und im Gewandhaus unter Felix Mendelssohn Bartholdy mit unvergleichlichem Erfolg uraufgeführt worden war.
Die Aladdin-Ouvertüre sollte Hornemans ersten und letzten großen internationalen Erfolg bedeuten. Sämtliche Nachfolgewerke wurden ausschließlich in Dänemark aufgeführt und über die Grenzen hinaus durch die Eingangs erläuterten Umstände kaum wahrgenommen.

Yvonne Wasserloos, Januar 2010

Christian Frederik Emil Horneman
(b. Copenhagen, 17 December 1840 – d. Copenhagen, 8 June 1906)

Aladdin
En Eventyr-Ouverture (“A Fairy-Tale Overture”)

Orchestration:
2 fl – 2 ob – 2 cl – 2 bn – 2 tpt – 2 hn – 3 tbn– hp – timp – strs
Dedicated to the Leipzig Gewandhaus Orchestra

Preface
Regrettably, Christian Frederik Emil Horneman’s works do not currently figure in the standard repertoire of the world’s concert halls. One reason might be that he belonged to the same generation of young late-nineteenth-century Danish composers overshadowed by the towering circle of Niels W. Gade and Johann Peter Emilius Hartmann in Copenhagen. For another, many of his works did not appear in print until long after their completion – or, far more frequently, not at all – and for that reason remained unperformed and fell into oblivion. Nonetheless, it is well worth studying his unconventional compositions, whose sumptuous colors are especially radiant in the Aladdin Overture.

From the days of his childhood Horneman was keenly interested in opera. Writing scores for monumental stage works, with suitably lavish orchestral forces, was his declared goal. This left a mark on his total oeuvre, in which the greatest part is taken up by broadly conceived theater scores, the grand opera Aladdin, and works for solo voice, chorus, and orchestra. With the Aladdin Overture, Horneman drew on material from a culture which lay geographically outside his own, but which was considerably en vogue during in his lifetime. Ever since the eighteenth century Europe had been visit-ed by a lively craze for the Orient, which inspired composers especially through Victor Hugo’s poetry collection Les Orientales (1828) and the orientalized romanticism of the English poets Thomas Moore and Lord Byron. The greatest sensation in musical terms was Félicien David’s symphonic ode Le Désert (1844), in which the composer employed musical orientalisms to depict experiences and impressions he had gathered during a tour of the Orient in 1835. Thereafter Oriental subjects, imaginary creatures, fairy tales, and their translation into music became increasingly popular, especially in the ballet and opera house.

The theme of Aladdin and his magic lamp had already been set to music in Denmark in Gade’s Aladdin eller den forunderlige Lampe (“Aladdin and the Magic Lamp,” 1839), based on a text by Adam Oehlenschläger from the Arabian Nights. It is doubtful whether Horneman was inspired by this precedent to write his own overture as Gade’s melodrama was never revived after its initial performance and remained unpublished. There is more evidence that he came into contact with the Orient outside Denmark – namely, in Leipzig. In 1860, during his years of study at Leipzig Conservatory, he probably heard a performance of Das Paradies und die Peri, an oratorio by his much-admired forebear Robert Schumann, based on Thomas Moore’s orientalesque poem Lalla Rookh.

It was also in Leipzig that Horneman, prior to his Aladdin Overture, had presumably composed his first overture, which, however, is considered lost. His third and last concert overture, Ouverture héroïque – Helteliv (“A Hero’s Life”), originated in 1867. Between these two works lies the Aladdin Overture of 1864. The title on the autograph score, Ouverture til Aladdin (“Overture to Aladdin”), suggests that he was already giving thought to a theater score or an opera.

That said, one searches in vain for oriental timbres in the instrumentation. The score calls neither for a tambourine nor for finger cymbals, two quintessentially oriental instruments. Instead, Horneman writes for a classical orchestral apparatus merely reinforced by three trombones and a harp. That Horneman clearly viewed the trombones and harp as additions to the standard format is evident from various exposed passages where they come timbrally to the fore. As to the form of his overture, Horneman chose an unusual structure of episodic character. Bars of fermata or general pauses constantly interrupt the flow of the music, splitting the work into discrete subsections. To tie them together, Horneman uses a whirling 16th-note motif in A minor that imparts coherence through its varied combinations as the music progresses:

Horneman generates an oriental tinge through striking chromaticism in the melodic lines and harmonic progressions. In general, however, he seems more intent on setting the fairy-tale ambience of the Aladdin material than on creating musical orientalisms, such as the whirling opening motif or the sections dominated by solo harp arpeggios to produce an aura of mystery.

The peculiarity of the Aladdin Overture resides not only in its form and secret program, but also in the fact that it received two premières. The first took place two years after its completion, when it was performed on 14 April 1866 in the Copenhagen concert society Euterpe, co-founded by Horneman and Edvard Grieg and devoted to Scandinavian music. The response of the audience was lukewarm, and the generally negative reviews, as the composer later recalled, left the work “gruesomely battered.” The loose-limbed form and the rhythmic rather than melodic impact of the music were singled out for particular criticism. In 1867 Horneman, assisted by a travel grant, took a roughly one-year journey to Germany during which he spent a fairly long period in Leipzig. There he offered the Aladdin Overture to the directors of the Gewandhaus – successfully, so that the work’s second performance, on 28 November 1867, was declared to be its première. Unlike the responses in Copenhagen, the overture was well-received in Leipzig, though more on the part of the press. The audience’s response was again lukewarm – nothing unusual for new works in the Gewandhaus concerts. In contrast, the newspaper reviewers singled out for praise the exotic inflection and the occasionally unusual timbres that lend the work its especially distinctive and original garb. But once again the murky formal design was criticized, and especially the seemingly improvised passages for the harp.

Presumably bolstered by the positive reaction of the press, Horneman was able to arrange the publication of the score and a version for piano four-hands, both of which were issued by Bartholf Senff of Leipzig in 1868. Horneman gave the work a new title: Aladdin: Eine Märchen-Ouvertüre für Orchester (“a fairy-tale overture for orchestra”), thereby emphasizing its solitary character as a concert overture and severing its ties with a prospective opera. The associations caused by the original title “Overture to Aladdin” had always troubled the work’s reception. Critics in Copenhagen and Leipzig alike frequently pointed out that an understanding of the overture would be illuminated by knowing its relation to the purported opera.

In the printed version Horneman cited the Leipzig “première” of 28 November 1867 and, accordingly, dedicated the work to the Gewandhaus Orchestra. He thereby passed over the failure of the actual Copenhagen première of 1866 and exploited the high-profile Leipzig triumph to advance his career. The publication was at least helpful in that, after the Leipzig performance, the work was successfully given several times in Germany and other European countries. Only now did Copenhagen evince interest, thereby prolonging the venerable tradition that Danish works had to prove their merit in a “Leipzig baptism” at the Gewandhaus before succeeding in their native country. A similar fate had befallen Gade’s Symphony No. 1 in C minor, which was rejected in Copenhagen only to be premièred with stunning success at the Gewandhaus under the baton of Felix Mendelssohn.

The Aladdin Overture proved to be Horneman’s first and last noteworthy international triumph. All his subsequent works were performed entirely in Denmark and, for the reasons mentioned at the opening of this preface, barely noticed outside its borders.

Translation: Bradford Robinson