Siegfried Wagner
(geb. Tribschen, 6. Juni 1869 – gest. Bayreuth, 4. August 1930)

Konzertstück für Flöte und kleines Orchester
(1913)

 

In der Mitte des 18. Jahrhunderts verdrängte die Quer-flöte die vorherige Blockflöte. Auch als Soloinstrument in Konzerten erfreute sie sich in jener Zeit großer Beliebtheit, man denke nur an die Konzerte von Mozart, Danzi, Benda, Quantz und anderen. Doch trotz technischer Weiterentwicklungen des Instruments, allen voran eine größere Tonfülle, wurde sie nur von wenigen Komponisten als Instrument eines Solokonzertes gewählt. Das lag vor allem an der Entwicklung der Solokonzerte im 19. Jahrhundert, die sich immer mehr zu einem symphonischen Konzert mit großem Ausmaß und großer Besetzung entwickelten. Dies zeigen beispielhaft die Konzerte von Beethoven, Brahms, Tschai-kowsky, Dvořák und weiteren Komponisten des 19. Jahrhunderts. Doch im 20. Jahrhundert entstanden wieder einige wertvolle Flötenkonzerte, so etwa das noch in der Romantik verhaftete Konzert von Reinecke, das Divertimento von Busoni und die Flötenkonzerte von Nielsen, Ibert, Arnold und schließlich auch das Konzertstück für Flöte und kleines Orchester von Siegfried Wagner.

Siegfried Wagner wurde als einziger Sohn Richard und Cosima Wagners in Tribschen bei Luzern geboren. Siegfried hatte zunächst den Wunsch, Architektur zu studieren, begann dann aber 1889 bei Engelbert Humper-dinck ein Studium der Harmonielehre und des Kontra-punkts. Nach einem Jahr war Humperdinck bereits der Meinung, er könne ihm nichts mehr beibringen, und er solle nun schon auf eigenen Füßen stehen. 1892 unternimmt er mit Clement Harris (englischer Komponist 1871-1897) eine sechsmonatige Ostasienreise, die ihn sehr prägte und in seinen 1922 erschienenen Erinne-rungen einen breiten Raum einnimmt. Hierbei reifte in ihm die Entscheidung, sich ganz der Musik zu widmen, und er begann seine Lehrzeit am Bayreuther Festspiel-haus.

Im Bayreuther Markgräflichen Opernhaus debütiert er 1893 als Dirigent. 1895 entstand seine erste Oper „Der Bärenhäuter“, mit der er einen sensationellen Erfolg hatte. Dennoch nahm die Öffentlichkeit ihn zumeist als Sohn Richard Wagners und Enkel von Franz Liszt wahr. Insbesondere als er 1908 schließlich die alleinverantwortliche Leitung der Bayreuther Festspiele übernahm, Aufführungen dirigierte und inszenierte. So äußerte Arnold Schönberg sich 1912 über ihn: „Der Sohn dieses Vaters, der übrigens als Künstler zweifellos das Opfer einer pedantischen Theorie ist, der nicht nach seinem Eigenwert geschätzt, sondern nach einem vermeintlichen Naturgesetz, demzufolge ein bedeutender Mann keinen bedeutenden Sohn haben darf, obwohl Johann Sebastian Bach zwei sehr bedeutende Söhne hatte und obwohl Siegfried Wagner ein tieferer Künstler ist, als viele, die heute sehr berühmt sind“.

Während des 1. Weltkrieges fanden in Bayreuth keine Aufführungen statt. 1915 heiratete Siegfried Wagner die 28 Jahre jüngere Winifred Williams. Aus dieser Ehe stammen vier Kinder (Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena). Zwei Jahre später konnte er noch einmal mit seiner neuen Märchenoper „An allem ist Hüttchen schuld“ an seinen Erfolg des Bärenhäuters anknüpfen.

Die Festspiele wurden 1924 mit den „Meistersingern von Nürnberg“ wiedereröffnet. Den deutschnationalen Kreisen, die immer mehr Einfluss in Deutschland gewannen, stand er ablehnend gegenüber. So verbot er nach Aufführungen der Meistersinger, das Deutsch-landlied zu singen. Auch gegenüber Adolf Hitler, den Siegfried 1923 kennenlernte, verhielt er sich ablehnend.

Siegfried Wagner starb am 4. August 1930, nachdem er am 17. Juni bei einer Probe zum 2. Aufzug der „Götterdämmerung“ einen Herzinfarkt erlitten hatte.

Siegfried Wagner übernahm zwar manche kompositorischen Aspekte seines Vaters, beispielsweise die Leitmotivtechnik, wie auch viele weitere Komponisten seiner Zeit, fand aber zu seiner eigenen musikalischen Sprache. Neben seinen 18 Opern (zum Teil unvollendet) schuf Siegfried Wagner eine Sinfonie in C (1927), drei Sinfonische Dichtungen ( „Sehnsucht“ 1894, „Und wenn die Welt voll Teufel wär“ 1922, „Glück“ 1923), ein Violinkonzert (1915), eine Ballade für Bariton und Orchester „Das Märchen vom dicken fetten Pfanneku-chen“ (1913), Lieder und das Konzertstück für Flöte.

Das Konzertstück verdankt seine Entstehung einer Bitte von Gilbert Graf Gravina, dem Neffen Siegfried Wagners. Komponiert wurde es im Jahr 1913 und am 17. Oktober dieses Jahres fertiggestellt.

Das Konzertstück ist in einem durchgehenden Satz komponiert. Es lässt sich in drei große Abschnitte teilen. Der erste Abschnitt (6/8 Takt, d-moll) erstreckt sich vom Beginn bis fünf Takte nach Ziffer 8. Der zweite Abschnitt, nun zunächst in D-Dur und im 3/4 Takt, erhält am Ende einen Durchführungsteil. Der dritte Abschnitt führt wieder zurück zum 6/8 Takt und leitet über As-Dur beginnend nun allmählich zur eigentlichen Grundtonart F-Dur. Das Konzertstück endet ungewöhnlich ruhig mit dem Motiv des Beginns und schafft damit eine thematische Klammer.

Siegfried Wagner reduzierte die Orchesterbesetzung bewusst auf jeweils zwei Oboen, Klarinetten und Fagotte, vier Hörnern, sowie Streicher, um den Solisten nicht zuzudecken. Auffallend ist das Fehlen von Flöten im Orchester, dadurch hebt sich die Soloflöte klanglich besonders ab. Wie auch in seinem zwei Jahre später komponierten Violinkonzert, verwendet Siegfried Wagner zahlreiche Zitate aus seinen Opern. Diese Zitate sind im Konzertstück für Flöte programmatisch zu verstehen. Die Motive stammen aus den Opern „Der Friedensengel“, die kurz zuvor entstand, und aus seiner frühen Oper „Herzog Wildfang“. Mit ihrer Hilfe entwirft Siegfried Wagner ein Portrait des jungen Draufgängers Gilbert Graf Gravina, dem das Werk schließlich auch gewidmet wurde.

Das Konzertstück wurde am 3. Februar 1914 im Großen Saal der Musikhalle Hamburg unter Siegfried Wagners Leitung uraufgeführt. Es erschien bei seinem Freund Carl Gießel in Bayreuth, der auch die Opern „An Allem ist Hüttchen Schuld“ und „Der Heidenkönig“ veröffentlichte.

Aufführungsdauer ca. 11 Minuten.

Marcus Prieser 2009

Aufführungsmaterial ist von Brockhaus, Remagen zu beziehen.

Siegfried Wagner
(born Tribschen, 6th June 1869 – died Bayreuth, 4th August 1930)

Concertino for Flute ans Small Orchestra
(1913)

In the middle of the 18th century the flute replaced the previous recorder. As a solo instrument in concerts it was also very popular in that period. One only needs to consider the concertos of Mozart, Danzi, Benda, Quantz and others. However, in spite of the further development of the instrument, and in particular an increased breadth of sound, only a few composers chose it as an instrument for solo concertos. This was mainly due to the development of the solo concerto in the 19th century, which increasingly moved in the direction of symphonic concertos on a large scale and with a large orchestra. Examples of this are the concertos of Beet-hoven, Brahms, Tchaikovsky, Dvorak and other composers of the 19th century. However, in the 20th century valuable flute concertos again emerged, such as the concerto from Reinecke, which still draws on the romantic, the divertimento from Busoni, the flute concertos from Nielsen, Ibert, Arnold and finally also the concert piece for flute and a small orchestra from Sieg-fried Wagner.

Siegfried Wagner was born as the only son of Richard and Cosima Wagner in Tribschen near Luzern. Siegfried initially wanted to study architecture, but then in 1889 began to study harmony and counterpoint under Engel-bert Humperdinck. After a year, Humperdinck was already of the opinion that he could not teach him anything more, and that he should now become independent. In 1892, he travelled for six month with Clement Harris (English composer 1871 – 1897) in East Asia, which made a great impression on him and features conspicuously in his memoirs, published in 1922. During his travels he decided to concentrate on music and thereafter began his apprenticeship at the Festspielhaus in Bayreuth.
In the Marktgräfliche Opera House in Bayreuth he first appeared as conductor in 1893. In 1895 he wrote his first opera, the Bärenhäuter, with which he had a sensational success. However, the public generally saw in him the son of Richard Wagner and grandchild of Franz Liszt; particularly after 1908, when he was the sole director of the Bayreuth Festspiele and conducted and directed the productions. Thus Arnold Schönberg said of him in 1912: “The son of this father, who by the way is without doubt, as an artist, the victim of a pedantic theory, is not measured according to his own value, but in accordance with an assumed law of nature, which states that a famous man may not have a famous son, although Johann Sebastian Bach had two very famous sons, and although Siegfried Wagner is a more profound artist than many of those who are today very famous”.
During the First World War there were no productions in Bayreuth. In 1915 Siegfried Wagner married Winifred Williams who was 28 years younger. They had four children (Wieland, Friedelind, Wolfgang and Verena). Two years later, he could once more with his new fairytale opera “An allem ist Hüttchen schuld” repeat his success with the Bärenhäuter. The Festspiele were reopened in 1924 with the “Meistersinger von Nürnberg”. He rejected the German nationalistic circles which gained ever increasing influence in Germany. Thus he did not allow the singing of the Deutschlandlied after the production of the Meistersinger. He also disapproved of Adolf Hitler whom Siegfried met in 1923.
Siegfried Wagner died on the 4th of August 1930, after he had suffered a heart attack on the 17th of June during a rehearsal of the 2nd scene of the Götterdämmerung.
Although Siegfried Wagner used various aspects of his father’s compositions, such as the technique of the Leitmotiv, as many other composers of his period, he nevertheless developed his own musical language. In addition to 18 operas (some of them incomplete) Siegfried Wagner wrote a symphony in C (1927), three symphonic poems (“Yearning” 1894, “And if the World was full of Devils” 1922, “Happiness” 1923), a violin concerto (1915), a ballad for baritone and orchestra “The Fairytale of the thick fat Pancake” (1913), songs and the concertino for flute and orchestra.

The concertino was written in response to a request from Gilbert Graf Gravina, the nephew of Siegfried Wagner. It was composed in 1913 and completed on the 17th of October of that year. The work is composed in a continuous movement. It can be divided into three large sections. The first section (6/8 time, d-minor) extends from the beginning to five bars after figure 8. The second section, initially in d-major and in 3/4 time includes a transitional section at the end. The third section leads back to 6/8 time and beginning with a-flat-major gradually modulates back to the actual home key of f-major. The work concludes unusually quietly with the initial theme and thus creates a thematic bracket.
Siegfried Wagner intentionally reduced the orchestra to two oboes, clarinets and bassoons each, four horns as well as strings, in order not to overwhelm the soloist. It is significant, that there are no flutes in the orchestra, so that the solo flute is particularly apparent. As in the violin concerto composed two years later, Siegfried Wagner used many quotations from his operas. These quotations in the concert for flute should be understood as programmatic. The motifs arise from the opera “Der Friedensengel” which had just been completed, and from his earlier opera “Herzog Wildfang”. With the help of these references Siegfried Wagner develops a portrait of the young dare-devil Gilbert Graf Gravina, to whom the piece was ultimately dedicated.

The concert piece was first performed on the 3rd of February 1914 in the large hall of the Music Hall Hamburg under the direction of Siegfried Wagner. It was published by his friend Carl Gießel in Bayreuth, who also published the operas “An Allem ist Hüttchen schuld” and “Der Heidenkönig”.

Duration of performance about 11 minutes.

Translation: John Conrad

 

 

For performance material please contact the publisher Brockhaus, Remagen.