Hector Berlioz
(geb. La Côte-St.-André, 11. Dezember 1803
— gest. Paris, 8. März 1869)

Te Deum
Op. 22

 

Tief verwurzelt in der prachtvollen Napoleonischen Tradition des Schauspiels und der feierlichen Zeremonie ist das Te Deum (1849-50) von Hector Berlioz eines seiner “architektonischen Stücke”, das er selbst auf eine Stufe mit seiner weniger bekannten Symphonie funèbre et triomphale (1840) und dem prunkvollen Requiem von 1837 stellte1.
Dieses Werk für drei Chöre, großes Orchester und Konzertorgel ist gleichzeitig dramatisch und feierlich, andächtig und pompös. Das Te Deum in dieser Aus-stattung war weder eine Auftragsarbeit, noch wurde es für einen bestimmten Anlaß geschrieben; folgt man den Schülern von Berlioz, so hat seine Entstehungsge-schichte etwas Geheimnisvolles. Andererseits ist die Kunstfertigkeit dieser überdimensionalen Komposition und ihre überwältigende Wirkung auf den Zuhörer eine Tatsache, und zwar trotz des sakralen Charakters des Stücks.
Nach Berlioz ist ein Te Deum im allgemeinen eine feierliche Hymne zur Danksagung. In der Tat ist die Feierlichkeit der Grundcharakter, aber einige Verse des Texts sind eigentlich Gebete, deren demütige Beschei-denheit und Schwermut einen Gegensatz bilden zu den majestätischen Hymnen. Es gibt sogar ein Miserere im Te Deum. Der Komponist hat daher versucht, diese ganz und gar gegensätzlichen Stimmungen wiederzugeben2.

In der Tat fängt Berlioz die dramatischen Elemente des religiösen Texts ein und erzeugt damit ein hintergründigeres Erlebnis für den Zuhörer. Seine Fähigkeit, eine intime, andächtige Atmosphäre zu erzeugen und gleichzeitig die prunkvolle, bombastische Öffnung des Him-mels, zeugt von seiner besonderen Genialität. Hier zeigt sich, daß der Komponist durchaus meisterlich mit dramatischer Musik umzugehen versteht, obwohl andererseits seine Opernversuche nicht gerade von Erfolg gekrönt waren. Wenn Berlioz über sein Requiem und sein Te Deum spricht, läßt er uns wissen, daß es die “Form dieser Stücke ist, der Umfang der Stile und die absichtsvolle Gestaltung bestimmter Fortschreitungen, deren Ziel nicht unmittelbar einsichtig ist, die diese Werke so gigantisch erscheinen lassen und ihnen ihren überdimensionalen Ausdruck verleihen”3.
Mit diesem Kommentar gestand Berlioz ein, daß wegen der “Unermeßlichkeit der Form” einige Zuhörer entweder total “zerschmettert wären von einer gewaltigen Ergriffenheit” oder aber “die Tendenz des Gesamt-werks”4 völlig mißverstehen würden. Daher war ihm klar, daß nicht jeder gleich die Ungeheuerlichkeit eines Werkes wie das Te Deum begreifen würde.
Da Berlioz für eine große Besetzung komponierte, verfügt er über mannigfaltige dramatische Effekte in Chor und Orchester sowie über eine unermeßliche Bandbreite für die Ausführung. Die Orgel, die sowohl eine symbolische als auch eine theatralische Rolle spielt, muß sich in einiger Entfernung vom Orchester befinden, wie es in der Kirche St. Eustache in Paris der Fall ist, wo die einzige komplette Aufführung des Werks zu Lebzeiten des Komponisten stattfand5.
Berlioz stützt sich auf verschiedene antiphonische Effekte, die den Eindruck erzeugen, die Gesamtheit der Menschen sei am Musizieren. Diese Technik setzte er auch im Requiem ein, indem er Blech und Pauken auf die vier Ecken des Konzertsaals verteilte. Sowohl das handwerkliche Geschick von Berlioz bei der Instrumen-tierung als auch sein geschickter Umgang mit dem Kontrapunkt in diesem Werk sind hervorragend. Von Anfang an entwickelt er fingerfertig und liebevoll das nachahmende Leitmotiv “Te Deum laudamus” zwischen den Chören und dem Orchester, wobei es ihm darauf ankommt, eine Reihe von Steigerungen zu erzeugen, ähnlich einem sich kontinuierlich aufbauenden Glockengeläut.
Der zweite Satz “Tibi omnes angeli” beginnt mit einem relativ einfachen choralartigen Orgelsolo, bevor der Sopran hinzukommt. Das nachfolgende “Sanctus” entwickelt sich mit Sechzehntel-Wiederholungen bei den Bläsern (wie das Flattern von Flügeln) und geschichteten Gesangsstimmen, die zusammen mit Paukenwir-beln und Beckenschlägen (4 oder 5 Paare nach Vorschrift des Komponisten) ein atemberaubendes Bild von der Öffnung des Himmels erzeugen. Der Effekt ist ergreifend: der Himmel ist wahrlich erfüllt von Engelschören. Nach diesem Satz fügt Berlioz ein Präludium ein, das nach der Vorschrift des Komponisten dann weggelassen werden muß, wenn das Werk nicht als Teil einer militärischen Zeremonie aufgeführt wird. Es hat eigentlich nur eine harmonische Funktion, indem es das Werk von H-Dur nach F-Dur und dann nach D-Dur für das nachfolgende “Dignare Domine” führt; es kann aber auch in Abhängigkeit von der jeweiligen Zeremonie eine liturgische Funktion haben. Dieser Satz ist ein gefühlvolles Gebet, das, wie Hugh Macdonald aufzeigt, auf einer einfachen aufsteigenden Orgelpunktsequenz von D über F, A und C nach Eb beruht, die dann von E über C#, A und F# wieder zurück nach D abfällt6.
Der nachfolgende Satz “Christe Rex Gloriae” ist majestätisch und eher marschartig mit einem langsameren Mittelteil zum Text “als Du den Menschensohn erschufst, verabscheutest Du nicht der Jungfrau Schoß”, der dann wieder zur bombastischen Fülle des Anfangs zurückkehrt. “Tu ergo quaesumus” bildet sowohl stilistisch wie auch vom Charakter her einen scharfen Gegensatz zu “Christe Rex Gloriae”. Dies ist der einzige Satz des Te Deum mit einer Solopartie, und zur Steigerung der Innigkeit reduziert Berlioz die Anzahl der Instrumente um die Hälfte. Interessanterweise entscheidet sich der Komponist für den Tenor als Solostimme, die gleiche Solostimme wie im Requiem. Wegen der möglichen militärischen Assoziation hielt Berlioz vermutlich den Tenor für die heldenhaftere Stimme. Die demütige Stimme des Solisten bittet wahrhaftig andächtig um Gnade mit einer sehr einfachen, jedoch kraftvollen Melodie, der alles Opernhafte fehlt. Der Komponist beschließt diesen Teil des Werks ruhig und mit unbegleitetem Chor. Der gedämpfte und stille Charakter dieses Satzes steht in starkem Kontrast zum Schlußsatz “Judex Crederis”, über den Berlioz 1855 verlauten ließ: “Der ‘Judex’ überbietet all die Ungeheuerlichkeiten, derer ich mich bisher schuldig gemacht habe”7.
In diesem wahrhaft dramatischen und spektakulären Teil des Te Deum paart der Komponist sowohl Grauen als auch Flehen in einem Satz mit der Form ABA1. Das Donnern der Orgel kündigt das zentrale Fugenthema an, das von Berlioz in den Singstimmen entwickelt wird und das sich an einer chromatischen Skala von Bb, H und C schließlich zu einer Kadenz in Db hochschlängelt. Die stampfende Heftigkeit des marschartigen Abschnitts fällt in sich zusammen und weicht einem andächtigeren Abschnitt “Salvum fac populum”, der mit “dolce” gekennzeichnet ist. Hier verwendet Berlioz ein nachhaltiges trauernd weinendes Motiv in der Singstimme, obwohl die Gegenmelodie der Violinen noch an das marschartige Motiv des vorangegangenen A-Teils erinnert. Eine sich ständig wiederholende Steigerung der Sing- und Instrumentalstimmen kündigt die Wiederkehr des A-Teils an, der mit dem Text “In te Domine speravi” beginnt. Die Wirkung des unvermischten Klangvolumens und des Kontrapunkts ist ergreifend und ehrfurchtgebietend: ein angemessenes Finale für ein herrliches Werk.

Zum Ausklang des Te Deum legt Berlioz einen Marsch zur Präsentation der Fahnen vor, was bedeuten könnte, daß der Komponist dieses Werk ganz bewußt für eine militärische Zeremonie im großen Maßstab vorgesehen hat. Hugh Macdonald, ein Schüler von Berlioz, glaubt, daß dieser Marsch ein früheres Werk sei, das der Komponist umgearbeitet hat, um es hier einzufügen. Wie dem auch sei, hat das Werk ein viel stärkeres und dramatischeres Ende, wenn der Marsch weggelassen wird; allerdings zeigt dies auch (wie auch das Präludium nach dem zweiten Satz), daß Berlioz am Gesamtkonzept der Zeremonie interessiert ist und darauf bedacht ist, sie auch als solches umzusetzen und daß es sein Wunsch ist, ein einheitliches musikalisch-dramatisches Ganzes zu schaffen. Das Te Deum ist ein ausgezeichnetes Beispiel für romantische Üppigkeit und Fülle, die ihre Wurzeln in den berühmten Motetten der Komponisten des französischen Barock hat und in der Tradition, die von Komponisten wie Gounod und Saint-Saëns vertreten wird.

Übersetzung: Peter Glanzmann

1 Hector Berlioz. Memoires of Hector Berlioz from 1830 to 1865, kommentiert und Übertragung revidiert von Ernest Newman. (New York: Dover Publications, 1960), p. 489.

2 Hugh Macdonald. Berlioz. (London: J. M. Dent and Sons, Ltd., 1982), p. 146 – 147. Dieser Literaturhinweis findet sich auch bei Hugh Macdonald’s New Berlioz Edition, vol. 10, p. 194.

3 Berlioz, op. cit., p. 489.

4 Ibid., p. 489.

5 Macdonald, op. cit., p. 144.

6 Ibid., p. 145.

7 Ibid., p. 146.

 

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

Hector Berlioz
(b. La Côte-St.-André, 11 December 1803
— d. Paris, 8 March 1869)

Te Deum
Op. 22

Firmly rooted in the grand Napoleonic tradition of spectacle and great ceremony, the Te Deum (1849-50) by Hector Berlioz is one of the composer’s “architectural pieces” which he himself placed alongside the lesser-known Symphonie funèbre et triomphale (1840) and the magnificent Requeim of 1837.1
This work, for three choirs, large orchestra, and grand organ, is at once dramatic and solemn, prayerful and pompous. The Te Deum setting was neither a commission nor was it written for a specific event; its genesis is somewhat mysterious according to Berlioz scholars. However, what is sure is the craftsmanship of this colossal composition and the awesome impact that it has upon the listener, despite its sacred nature. According to Berlioz: “A Te Deum is generally thought to be a ceremonial hymn of thanksgiving. Ceremony is indeed its principal character, but several verses of the text are actually prayers whose humility and melancholy offer contrasts to the majesty of the hymns. There is even a Miserere in the Te Deum. The composer has therefore attempted to reproduce these quite different moods.”2

Berlioz indeed captures the dramatic elements inherent in the religious text, thus creating a more profound musical experience for the audience. His ability to create both an intimate, prayerful atmosphere and a grandiose, bombastic opening of the heavens is nothing short of genius. This demonstrates the composer’s ma-stery of dramatic music even though his operatic attempts were less than successful. In speaking of his Requiem and Te Deum Berlioz indicates that it is the “form of the pieces, the breadth of style, and the deliberateness of certain progressions, the goal of which is not at once perceived, that give those works their gigantic physiognomy and colossal aspect.”3 With this said, Berilioz recognized that because of the “immensity of form” some listeners would either be totally “crushed by a tremendous emotion” or entirely “[miss] the drift of the whole.”4

He therefore realized that from the outset not everyone would grasp the enormity of a work such as the Te Deum.
Composed for large forces, Berlioz relies upon various dramatic effects in the chorus and orchestra, as well as a vast space for the performance. The organ, which plays both a symbolic role as well as a theatrical one, must be at a distance from the orchestra, as in the church of St. Eu-stache in Paris where the only complete performance of the work took place during the composer’s lifetime.5
Berlioz relies upon various antiphonal effects which give the impression of the whole of humanity making music, a technique he also employed in the Requiem with brass and tympani being dispersed to the four corners of the concert hall. Berlioz’s skill as an orchestrator is preeminent in this work, as is his proficiency with counterpoint. From the outset, he develops the imitative theme of “Te Deum laudamus” between the choirs and orchestra with dexterity and great interest, creating a chain of climaxes like bells tolling, as they build continuously.
The second movement, “Tibi omnes angeli,” begins with a rather simple chorale-like solo for the organ before the sopranos enter. The ensuing “Sanctus” builds with sixteenth-note iterations in the winds (like the fluttering of wings) and the layering of voices in addition to the timpani rolls and cymbal crashes (4 or 5 pairs as indicated by the composer) creates a breath-taking picture of the opening of the heavens. The effect is thrilling; the skies are truly full of the angelic choirs. After this movement Berlioz inserts a prelude which, according to the composer himself, must be omitted if the work is not performed as part of a military function. It serves an harmonic function if nothing else, moving the work from B major, to F major, to D major for the next section, “Dignare Domine,” or it may also serve a liturgical function depending upon the ceremony. This movement is a lyric prayer, which as Hugh Macdonald points out, is based simply upon an ascending pedal tone sequence from d to f-natural, to a, to c-natural to e-flat, then it descends from e-natural to c-sharp, to a, to f-sharp, back to d.6

The following movement, “Christe Rex Gloriae” is majestic and rather march-like with a slower middle section as the more tender text, “when you came to deliver man you did not abhor the Virgin’s womb” is sung, before returning to the grandiose quality of the beginning. “Tu ergo quaesumus” contrasts sharply to the “Christe Rex Gloriae” in both style and character. This is the only movement in the Te Deum which includes a soloist, and to intensify the intimacy Berlioz reduces the number of instruments by half. Interestingly, the composer chooses the tenor voice for the solo, the same solo voice as in the Requiem. Perhaps given the potential military association, Berlioz found the tenor to be more a “heroic” voice. Truly prayerful, the suppliant voice of the soloist pleads for mercy with a very simple yet powerful melody, actually eschewing anything operatic. The composer concludes this portion of the work quietly and with the chorus unaccompanied. The subdued and calm nature of this movement contrast sharply with the final movement, “Judex Crederis,” of which Berlioz confessed in 1855: “The “Judex” surpasses all the enormities of which I have been guilty up to now.”7
Truly a dramatic and spectacular section of the Te Deum, the composer combines both terror and supplication in a movement the form of which is ABA1. The thundering of the organ announces the main fugal theme which, as Berlioz works it out in the voices, moves sinuously up a chromatic scale from B-flat to B-natural, to C, to ultimately a cadence on D-flat. The pounding intensity of the march-like section subsides and gives way to a more prayerful section, “Salvum fac populum” which is marked “dolce.” Here Berlioz employs an effective weeping motive in the vocal melody; however, the countermelody in the violins is still reminiscent of the main march-like theme from the previous A section. A continual build up of voices and instruments heralds the return of the A section, beginning with the text “In te Domine speravi.” The effect of this sheer mass of sound and counterpoint is thrilling and awe-inspiring: a fitting finale to a glorious work.
At the conclusion of the Te Deum, Berlioz provides a march for the presentation of the colors, which would indicate that the composer surely intended this work for some type of large-scale military ceremony. Berlioz scholar, Hugh Macdonald, believes that this march may be an earlier work which the composer arranged for inclusion here. Regardless, the work has a much stronger and dramatic ending when it is omitted; however, what this indicates (as does the prelude after the second movement) is Berlioz’s interest in and care for the overall drama of ceremony and his desire to create a unified musical-dramatic whole. The Te Deum is a marvelous example of romantic sumptuousness and opulence which finds its roots in the grand motets of the French Baroque composers, and the tradition of which is carried on by composers such as Gounod and Saint-Saëns.

Timothy Flynn, Ph.D. – Olivet College, MI, 2009

1 Hector Berlioz. Memoires of Hector Berlioz from 1830 to 1865, annotated and translation revised by Ernest Newman. (New York: Dover Publications, 1960), p. 489.

2 Hugh Macdonald. Berlioz. (London: J. M. Dent and Sons, Ltd., 1982), p. 146 – 147. This quote is also found in Hugh Macdonald’s New Berlioz Edition, vol. 10, p. 194.

3 Berlioz, op. cit., p. 489.4 Ibid., p. 489.

5 Macdonald, op. cit., p. 144.

6 Ibid., p. 145.

7 Ibid., p. 146.

 

For performance material please contact the publisher Breit-kopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Musik-bibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.