Frederic Hymen Cowen
(geb. 29. Januar 1852, Kingston, Jamaica - gest. 6. Oktober 1935, London)

Idyllische Sinfonie No. 6 in E-Dur
“The Idyllic”

Vorwort
Schon zu Beginn des Ersten Weltkriegs hatte Frederic Hymen Cowen (1852–1935) den Zenit seiner kompositorischen Karriere überschritten. Seine Musik war nicht mehr zeitgemäß, und Cowen war sich dessen bewusst. Gegen 1910 stellte er das Komponieren fast vollständig ein und verfolgte nunmehr vor allem andere Berufspfade. Geboren am 29. Januar 1852 in Kingston, der Hauptstadt des Commonwealth-Inselstaates Jamaica, zog Cowen 1856 mit seinen Eltern nach England. Der Junge zeigte schon früh musikalisches Talent und veröffentlichte im Alter von sechs Jahren seine erste Komposition, einen Walzer; zwei Jahre später folgte eine Operette über Garibaldi auf ein Libretto einer älteren Schwester. Etwa zu dieser Zeit wurde Cowen Schüler von Julius Benedict und Sir John Goss. Sein erster öffentlicher Auftritt als Pianist fand 1863 statt, zwei Jahre darauf konzertierte er als Solist in Mendelssohn Bartholdys d-Moll-Klavierkonzert op. 40 in einer musikalischen Soiree des Earl of Dudley, dem Cowens Vater als Privatsekretär diente; bei dieser Gelegenheit präsentierte der Dreizehnjährige auch zusammen mit Joseph Joachim und dem Cellisten Alessandro Pezze sein eigenes Klaviertrio A-Dur. Im selben Jahr gewann Cowen das Mendelssohn-Stipendium der Royal Academy of Music und ging zum Studium bei Louis Plaidy, Ignaz Moscheles, Carl Reinecke, Moritz Hauptmann und Ernst Friedrich Richter an das Leipziger Konservatorium; der Preußisch-Österreichische Krieg unterbrach 1866 sein Studium, das er 1867 mit einer Studienperiode am Sternschen Konservatorium in Berlin abschloss, wo er sich erste Sporen als Dirigent verdiente. Ab 1868 begann er in London regelmäßig als Pianist aufzutreten. Erste größere Erfolge stellten sich für den Siebzehnjährigen im folgenden Jahr mit den Uraufführungen seines Klavierkonzerts in a-Moll und seiner ersten Sinfonie in c-Moll ein. Dieser ersten Sinfonie sollten bis 1897 fünf weitere folgen, deren letzte die »Idyllic« Sinfonie E-Dur ist.
Seine musikalische Karriere begann Cowen als Korrepetitor für James Henry Maplesons italienische Opernkompanie sowie für den berühmten Sir Michael Costa an Her Majesty’s Theatre. 1876 wurde Cowens Oper Pauline nach einer Vorlage von Edward Bulwer Lytton durch die Carl Rosa-Kompanie am Londoner Lyceum Theatre erfolgreich uraufgeführt und im selben Jahr erhielt Cowen durch die Vermittlung Costas den Kompositionsauftrag zur Kantate The Corsair (nach Byron) für das Birmingham Festival. Nun folgte Erfolg auf Erfolg. Das Jahr 1880 erwies sich als besonders wichtig, wurde Cowen doch als Nachfolger Arthur Sullivans zum Dirigenten der Promenadenkonzerte in Covent Garden berufen. Mit dieser Position begann Cowens steile Karriere als Dirigent, 1884 leitete er erstmals ein Konzert der Philharmonic Society in London, er begründete eine eigene Konzertreihe und eröffnete 1893 die Londoner Queen’s Hall. Nach dem unerwarteten Tod Charles Hallés übernahm er von 1895 bis 1899 das Hallé Orchestra in Manchester. 1897 kam die Bradford Choral Society hinzu und von 1899 bis 1902 das Bradford Permanent Orchestra; von 1883 bis 1913 war er künstlerischer Leiter der Konzerte der Liverpool Philharmonic Society, von 1900 bis 1910 Chefdirigent des Scottish Orchestra und von 1902 bis 1910 Leiter des Cardiff Festival. Als er 1888 nach Australien reiste, um die Musik für die Jahr-hundertausstellung in Melbourne zu dirigieren, übertraf sein Honorar von £5000 alles bislang Dagewesene. Als Dirigent blieb Cowen bis in die 1920er-Jahre aktiv. Die Kritiker liebten ihn, eine von wenigen Ausnahmen war George Bernard Shaw, der ihn wegen seines langsamen Dirigierens angriff. 1912 legte er vier Komponistenmonografien vor (über Haydn, Mendelssohn Bartholdy, Mozart und Rossini), ein Jahr später folgten seine Memoiren My art and my friends. 1911 wurde Cowen zum Ritter geschlagen, Ehrendoktorwürden erhielt er von den Universitäten Cambridge und Edinburgh. Am 6. Oktober 1935 starb Frederic Cowen in London. Erst seit etwa 1990 wurden zwei seiner Sinfonien, darunter auch die »Idyllic«, kommerziell eingespielt und erlauben eine Neueinschätzung seiner kompositorischen Fähigkeiten.

Von Cowens sechs Sinfonien gelten die ersten beiden als verschollen, seine Dritte Sinfonie in c-Moll trägt den Beinamen die »Skandinavische«, gefolgt von einer »Welsh« Sinfonie in b-Moll und einer F-Dur-Sinfonie, die gelegentlich den Beinamen »Cambridge«-Sinfonie trug. Als letztes Werk dieser Gattung schuf Cowen zehn Jahre nach dieser früheren, Hans Richter gewidmeten F-Dur-Sinfonie die 1897 vollendete »Idyllic« Sinfonie in E-Dur. Das Werk wurde am 31. Mai 1897 in London durch Hans Richter aus der Taufe gehoben und 1898 von Breitkopf & Härtel gedruckt. Doch Cowens Zeit als Komponist war fast abgelaufen, die Komposition erlangte kaum mehr als einen Achtungserfolg. Als die Sinfonie zuerst erklang, wurde sie gepriesen als ein Werk, das »nichts mit der ultra-modernen und sensationellen Kompositionsschule« etwa eines Richard Strauss gemein zu haben schien, doch schon zehn Jahre später hatte die nachfolgende Komponistengeneration sie aus dem Konzertleben verdrängt.
Überraschend nah ist Cowen mit seiner letzten Sinfonie an seinem Zeitgenossen Charles Villiers Stanford (1852–1924), mit dem er, etwa im Kopfsatz der »Idyllic«, erstaunlich viele Stilmittel gemein hat. Doch Cowen ist insgesamt spielerischer, und gerade die Eröffnung des ersten Satzes, eines Allegro vivace im 6/8-Takt, ist durchaus eigenständig. Bereits in der Exposition hebt die Materialverarbeitung an, doch mit reizenden Nebengedanken, und auch Cowens Orchestrierungsfähigkeiten sind immer wieder zu bewundern.
Das Scherzo in a-Moll eröffnet mit einem »idyllischen« Englischhornsolo. Der eher zurückhaltend wirkende Satz besitzt eine ausgesprochene Eleganz, die vielleicht als spätviktorianisch bezeichnet werden kann. Das kurze, nur 46-taktige Trio, das man harmonisch als für seine Zeit durchaus fortschrittlich bezeichnen kann, führt zu neuartigen Klangerlebnissen, die ein wenig einen skandinavischen Einfluss vermuten lassen. Die Wiederkehr des Scherzoteils zunächst in der ungewohnten Instrumentation Englischhorn/Bassklarinette war in damaliger Zeit höchst gewagt, und besonders gegen Ende des Satzes werden Cowens beachtliche kompositorischen Fähigkeiten offenkundig.
Das Adagio (in C-Dur) erhebt sich aus einem von den tiefen Streichern pp molto legato e misterioso vorgetragenen Thema, der Satz bleibt dynamisch fast durchgehend eher verhalten. Die sorgfältige Behandlung der Holzbläser (auch hier mit Bassklarinette, einem von Cowen eher selten benutzten Instrument) zeigt sorgfältige, erfindungsreiche Instrumentationskunst, die jedoch immer wieder ins Traditionelle, auch in die traditionelle Emphase, zurückkehrt. Die sorgfältige, den ganzen Satz durchziehende Materialverarbeitung hebt diesen über die anderen Sätze der Sinfonie heraus.
Das lebhafte, kraftvolle Finale lässt fast alle Idyllik hinter sich, umfangreiche Durch-führungsarbeit scheint wie eine abschließende Zusammenfassung von Cowens sinfonischen Fertigkeiten. Die Sinfonie endet mit einer Art idyllischem Epilog, der den Titel des Werks bestätigt und gleichzeitig weit über Cowens Schaffen hinausweist – zu den Sinfonien Arnold Bax’ und Ralph Vaughan Williams’.

Jürgen Schaarwächter

 

Aufführungsmaterial ist von Fleisher Library, Philadelphia zu beziehen. Nachdruck eines Exem-plars der Sammlung Jürgen Schaarwächter, Karlsruhe.


Frederic Hymen Cowen
(b. Kingston, Jamaica, 29 January 1852 – d. London, 6 October 1935)

“Idyllic” Symphony in E major

Preface
By the beginning of the Great War Frederic Hymen Cowen’s career had already passed its zenith. His music was no longer timely, and he knew it. Some time around 1910 he almost stopped composing altogether and began mainly to pursue other lines of work. Cowen was born in Kingston, the capital of the Commonwealth state of Jamaica, on 29 January 1852 and moved with his parents to England in 1856. At a very early age he revealed a talent for music; he published his first composition, a waltz, at the age of six and composed an operetta on Garibaldi two years later (the libretto was written an his older sister). At about the same time he became a pupil of Julius Benedict and Sir John Goss. He made his first public appearance as a pianist in 1863; two years later he played the solo part in Mendelssohn’s D-minor Piano Concerto, op. 40, at a soirée given by the Earl of Dudley, whom Cowen’s father served as private secretary. On this occasion the 13-year-old boy also played his own A-major Piano Trio with Joseph Joachim and the cellist Alessandro Pezze. In the same year he won the Mendelssohn bursary from the Royal Academy of Music and travelled to Leipzig Conservatory to study with Louis Plaidy, Ignaz Moscheles, Carl Reinecke, Moritz Hauptmann and Ernst Friedrich Richter. His studies were interrupted by the Austro-Prussian War in 1866, but he was able to complete them the following year at the Stern Conservatory in Berlin, where he also gave his conducting début. Starting in 1868 he made regular appearances in London as a pianist. The following year, at the age of 17, he garnered his first major successes with the premières of his A-minor Piano Concerto and his First Symphony in C minor. By 1897 the symphony had been followed by five more essays in the genre, the last being the ‘Idyllic’ Symphony in E major.

Cowen began his musical career as a vocal coach for James Henry Mapleson’s Italian opera company and for the famous Sir Michael Costa at Her Majesty’s Theatre. In 1876 his opera Pauline (after Edward Bulwer Lytton) was successfully premièred at London’s Lyceum Theatre by the Carl Rosa company and he was commissioned, through Costa’s intercession, to compose a cantata after Byron’s The Corsair for the Birmingham Festival. His successes then followed thick and fast. The year 1880 proved to be especially important as Cowen was chosen to succeed Arthur Sullivan as conductor of the Promenade Concerts in Covent Garden. This launched a meteoric conducting career: he gave his début with the London Philharmonic Society (1884), founded his own concert series and inaugurated Queen’s Hall in London (1893). After the unexpected death of Charles Hallé he took charge of the Hallé Orchestra in Manchester (1895-9). To this he added the Bradford Choral Society (1897) and the Bradford Permanent Orchestra (1899-1902). He was also artistic director of the Liverpool Philharmonic Society (1883-1913), principal conductor of the Scottish Orchestra (1902-10) and head of the Cardiff Festival (1902-10). When he travelled to Australia in 1888 to conduct at the Melbourne Centennial International Exhibition, his fee of £5000 surpassed anything known to that date. Cowen remained active as a conductor until well into the 1920s The critics loved him, one of the few exceptions being George Bernard Shaw, who bemoaned his slow tempos. In 1912 he published biographies of Haydn, Mendelssohn, Mozart and Rossini, followed one year later by his memoirs, My art and my friends. He was knighted in 1911 and received honorary doctorates from Cambridge and Edinburgh. He died in London on 6 October 1935. Only since the 1990s have two of his symphonies, including the ‘Idyllic’, been released on commercial recordings, allowing us to reassess his prowess as a composer.

Of Cowen’s six symphonies the first two are considered lost. The Third, in C minor, bears the nickname ‘The Scandinavian’; it is followed by ‘The Welsh’ (in B-flat minor) and an F-major Symphony, dedicated to Hans Richter, that is occasionally nicknamed ‘The Cambridge’. His final work in the genre, the ‘Idyllic’ Symphony in E major, was completed in 1897, ten years after its F-major predecessor. It was given its first performance in London on 31 May 1897, conducted by Hans Richter, and published the following year by Breitkopf & Härtel. But Cowen’s moment of glory as a composer was almost over, and the work achieved little more than a succès d’estime. At its première the symphony was praised for having ‘nothing in common with the ultra-modern and sensational school of composition’ as practised by, say, Richard Strauss. Ten years later, however, it had been eased out of the repertoire by the next generation of composers.
In his final symphony Cowen comes surprisingly close to his contemporary Charles Villiers Stanford (1852–1924), with whom he has an astonishingly large number of stylistic devices in common, as is apparent in the first movement. All in all, however, Cowen is the more playful of the two, and the opening of this very movement, an Allegro vivace in 6/8 metre, strikes out on an independent path. The development of the material already begins in the exposition, but with delightful side thoughts, and Cowen’s skills as an orchestrator frequently command admiration.

The A-minor Scherzo opens with an ‘idyllic’ solo for cor anglais. This slightly reserved movement has a suavity that might well be called late Victorian. The short 46-bar Trio reveals harmonies that were highly progressive in their day, leading to novel sonic effects that suggest a slight Scandinavian influence. The return of the Scherzo section, unusually scored for cor anglais and bass clarinet, was extremely daring for its time, and the end of the movement in particular bears witness to Cowen’s impressive command of compositional technique.

The Adagio (in C major) emerges from a theme stated pp molto legato e misterioso in the low strings. The movement remains almost entirely at a subdued dynamic level. The fastidious handling of the woodwind (once again with bass clarinet, an instrument Cowen otherwise rarely used) demonstrates a skilful and inventive approach to orchestration which, however, constantly falls back into traditional lines, and traditional pathos. The meticulous handling of the material throughout this movement raises it far above the symphony’s other movements.

The vivacious and powerful finale largely abandons the idyll of the title, and its spacious passages of development seem like a final summation of Cowen’s skills as a symphonist. The work ends with a sort of idyllic epilogue that reaffirms its nickname while pointing far beyond Cowen’s music to the symphonies of Arnold Bax and Ralph Vaughan Williams.

Translation: Bradford Robinson

 

For performance material please contact Fleisher Library, Philadelphia. Reprint of a copy from the collection Jürgen Schaarwächter, Karlsruhe.