Bedřich Smetana
(geb. Litomyšl, 2. März 1824 - gest. Prag, 12. Mai 1884)
Kleinere Orchesterstücke
Vorwort
Die in der vorliegenden Ausgabe versammelten Orchesterstücke, von
denen einige die Bezeichnung “Werk” nur bedingt verdienen, stellen
sozusagen Überbleibsel aus der mehrbändigen Studienausgabe der
Werke Smetanas dar, die zwischen 1940 und 1977 in Prag erschien.
Dort wurden sie in einem von František Bartoš herausgegebenen Band
mit dem Titel Orchestrální skladby I (“Orchesterkompositionen I”)
untergebracht, der 1962 vom Prager Smetana-Museum und vom Staatlichen
Musikverlag veröffentlicht wurden. Bei der vorliegenden Publikation
handelt es sich um einen getreuen Nachdruck dieser Originalausgabe.
Die betreffenden Orchesterwerke lassen sich in drei Kategorien unterteilen:
1) Früh- und Jugendwerke, 2) Übungen aus der Studienzeit und 3) fragmentarische
bzw. unvollendete Kompositionen. Bei den Werken der ersten beiden
Kategorien fallen vor allem die Mängel Smetanas in der Orchestrierungskunst
auf. Als junger Mann war Smetana zwar bekanntlich ein brillanter
Klaviervirtuose, der früh in Auftritten bei bürgerlichen Tanzveranstaltungen
glänzte. Zu seiner später unbestrittenen Beherrschung der Orchestrieungskunst
gelangte er jedoch erst nach mühseligem Selbstunterricht. Beispiele
für seine noch unvorbelasteten diesbezüglichen Bemühungen liefern
etwa die ersten beiden Werke der vorliegenden Sammlung: ein Menuett
aus dem Jahr 1842 (S. 1 ff.) sowie ein Galopp der Bajadere (“Kvapík
Bajadér”, S. 9 ff.), der wahrscheinlich aus dem gleichen Jahr stammt.
Beide Werke entstanden während der Gymnasialzeit des heranwachsenden
Smetana in Plzeń, wohin er von seinem Vater zur Verbesserung seiner
Schulleistungen geschickt wurde. In beiden Fällen handelt es sich
um die Art von Tanzstücken, die er sonst zweifellos am Klavier bei
Tanzveranstaltungen gespielt hätte, und beide weisen Anfängerfehler
auf, die seine mangelnden Kunstfertigkeiten deutlich unter Beweis
stellen.
Die nächste vollständige Orchesterkomposition, die Jubel-Ouvertüre
D-Dur (“Velká Předehra”, S. 35 ff.), unterscheidet sich grundsätzlich
von den beiden Vorgängerwerken. Die durch das Revolutionsjahr 1848
inspirierte Konzertouvertüre spiegelt die “offiziellen“ Kompositionsstudien
wider, die Smetana in der Zwischenzeit in Prag genießen durfte, und
ist deutlich bestrebt, weitaus mehr als nur Tanzmusik zu sein. Die
mit Satzfehlern und instrumentationstechnischen Fehlkalkulationen
durchsetzte Erstfassung wurde am 20. April 1849 in Prag durch den
frühen tschechischen Nationalkomponisten František Škroup uraufgeführt.
Gegen Ende seines Lebens griff Smetana dieses Frühwerk erneut auf
und arbeitete es für eine erneute Aufführung vor seinem Tod um. Diese
Zweitfassung wurde zum erstenmal am 2. März 1884 aufgeführt, und
zwar nach einer fehlerhaften Abschrift, die der Komponist angesichts
seines fortgeschrittenen Krankheitsstadiums nicht mehr korrigieren
konnte. Die im vorliegenden Band abgebildeten Ausgabe Bartoš’ versucht
nicht nur die Fehldeutungen des Kopisten, sondern auch die offensichtlichen
Flüchtigkeitsfehler des Komponisten zu beheben.
Die oben erwähnten “offiziellen“ Kompositionsstudien Smetanas, die
von 1844 bis 1847 bei dem hochangesehenen Prager Musikpädagogen Josef
Proksch (1794-1864) stattfanden, beschränkten sich zwar vorwiegend
auf die Grundbegriffe der Harmonie-, Kontrapunkt- und Formenlehre,
beinhalteten jedoch mindestens vier Orchestrierungsaufgaben, die
im Nachlaß des Komponisten auch erhalten sind: ein Stück für Doppelrohrblattinstrumente
(2 Oboen, 2 Englishhörner, 2 Fagotte und Kontrafagott; S. 111 ff.),
eine Choralharmonisierung für jeweils zwei Klarinetten und Fagotte
(S. 113), einen Satz für vier Waldhörner (S. 113 f.) sowie eine Orchesterfassung
der großen Klavierfantaisie c-Moll von W. A. Mozart (S. 115 ff.).
Bei den ersten dreien handelt es sich offensichtlich um Übungsaufgaben
in der Behandlung von transponierenden Instrumenten bzw. Waldhörnern
(das Ventilhorn hatte sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht durchgesetzt),
beim letzten um Smetanas einzig bekannte Orchesterbearbeitung eines
Fremdwerks.
Die dritte Kategorie der Orchesterwerke beinhaltet Stücke, die aus
verschiedenen Gründen nur fragmentarisch überliefert wurden oder
unvollendet blieben. Das erste Stück Marsch der Nationalgarde (“Pochod
Národní gardy”, S. 119) hat eine interessante Entstehungsgeschichte,
die hier kurz umrissen werden soll. Angefangen hat das Werk als reißerisches
Klavierstück aus dem Revolutionsjahr 1848, das im gleichen Jahr beim
Prager Verlag Hoffmann auch in Druck erschien. Kurz darauf wurde
das Stück durch einen gewissen Jan Pavlis (1819-1880) für Militärkapelle
bearbeitet. Da sich die Partitur dieser Bearbeitung im Nachlaß Smetanas
befindet, sah sich Bartoš veranlaßt, sie als vom Komponisten genehmigt
zu betrachten und im Anhang seines Bandes vollständig abzudrucken
(S. 183 ff.). In seiner Reifezeit versuchte Smetana, den Marsch für
großes Orchester umzuarbeiten, wovon jedoch lediglich die Stimmen
für Violine I und II erhalten sind (letztere wurde wohl nie vollständig
ausgeführt). Der Anlaß für diese neue Bearbeitung bleibt allerdings
im Dunkeln, und es scheint ehe unwahrscheinlich, daß Smetana wesentlich
über dieses unvollendete Stadium hinausgekommen ist, zumal der Titel
in allen seinen eigenen Werkverzeichnissen fehlt.
Als nächstes Werk der Bartoš-Ausgabe erscheint eine Ouvertüre, die
lediglich aus drei unzusammenhängenden Fragmenten besteht (S. 120
ff.). Wenig gibt es über dieses Werkprojekt zu berichten, außer daß
es wahrscheinlich zur gleichen Zeit als die Jubel-Ouvertüre (1848/49),
sicherlich jedoch vor der Triumph-Symphonie (1853/54) entstand, denn
Bleistiftskizzen des letzteren Werkes sind in den leerstehenden Notensystemen
der fragmentarischen Ouvertüre zu finden.
Nicht weniger schleierhaft verhält es sich mit der darauf folgenden
Komposition c-Moll ohne Titel (S. 155 ff.), die wohl zwischen der
Triumph-Symphonie (1853/54) und der Tondichtung Richard III. (1858)
entstand. Interessanterweise wurde die Einleitung zu diesem Stück
zum ersten und einzigen Male im Schaffen Smetanas auf einem Passacagliabaß
gebaut. Die gewisse Ähnlichkeit zwischen dem Passacagliathema und
einer Stelle aus einer skizzierten Konzertouvertüre Wikingerfahrt
(“Plavha Vikungů”) aus dem Jahr 1857 deutet stark darauf hin, daß
auch die Kompositionsskizze c-Moll während der schwedischen Jahre
Smetanas entstand. Auch die Wikingerfahrt wird als Skizze in der
Bartoš-Ausgabe abgedruckt (S. 168 ff.).
Beim letzten der vier Orchesterfragmente handelt es sich wiederum
um eine Komposition d-Moll ohne Titel (S. 176 ff.), die der Tintenfarbe
und der geschliffenen Satzweise nach zu schätzen zur Reifezeit Smetanas,
wohl aber zwischen 1874 und 1878 gehört. Merkwürdigerweise ist dieses
Werk nicht etwa als Kompositionsentwurf, sondern als unvollständige
Reinschrift erhalten, was denn Eindruck erweckt, daß es bereits einen
gewissen Grad an Vollständigkeit erreicht hatte. Womöglich war das
Stück als Einlage in eine der verschiedenen Opern Smetanas aus dieser
Zeit wie etwa Die zwei Witwen (1874), Der Kuß (1876) oder Das Geheimnis
(1878) vorgesehen.
Als letzte Kuriosität, die im Anhang der Bartoš-Ausgabe abgedruckt
wird, erscheint eine Polka D-Dur mit dem Titel Našim dĕvám (“Unseren
Mädels“, S. 198 ff.), die lediglich in einer Kopistenabschrift überliefert
wird, die zu Aufführungszwecken vom Smetana-Verleger Urbánek vertrieben
wurde. Da dieses Manuskript von den üblichen notationsmäßigen Gepflogenheiten
Smetanas abweicht (vor allem etwa in der Behandlung der Waldhörner),
ist die Authentizität des Werks nicht über alle Zweifel erhaben.
Nach Bartoš ist die Komposition aus stilistischen Gründen in die
Entstehungszeit der Smetana-Oper Die Verkaufte Braut (um 1862/63)
einzuordnen, und es gibt auch einige indirekte Hinweise auf eine
Aufführung am 6. Februar 1865 bei einem Prager Naródní-Beseda-Konzert.
Der Titel Unseren Mädels wurde der Polka erst viel später anläßlich
einer Prager Aufführung im Jahre 1880 zugewiesen. Nach dem Tod Smetanas
erschien das Stück 1888 in Fassungen für Klavier bzw. Orchester auch
in Druck.
Bradford Robinson, 2009
Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek,
München.
|
Bedřich Smetana
(b. Litomyšl, 2 March 1824 - d. Prague, 12 May 1884)
Miscellaneous Orchestral Works
Preface
The orchestral works collected in this volume, some of which are
hardly deserving of the term “works” at all, represent what might
be called the leftovers from the study edition of Smetana’s orchestral
music issued in Prague from 1940 to 1977. They appeared in a volume
entitled Orchestrální skladby I (“Orchestral compositions I”),
edited by František Bartoš and published jointly by the Smetana
Museum and the State Music Publishing House in 1962. Our volume
is a faithful reprint of that original edition.
The works fall basically into three categories: 1) early pieces
and juvenilia, 2) student exercises, and 3) abandoned compositions.
The first two categories are striking particularly for the shortcomings
they reveal in Smetana’s command of orchestration. As is well known,
the young Smetana was a brilliant pianist whose early career centered
mainly on his appearances at society dance functions. His later uncontested
mastery of the art of orchestration was attained only gradually after
much arduous self-instruction. Examples of his untutored efforts
are provided by the two early items in our collection, a Minuet of
1842 (pp. 1 ff.) and a Gallop of the Bayadères (“Kvapík Bajadér,”
pp. 9 ff.) probably dating from the same year. These pieces were
written during Smetana’s adolescent years in Plzeń, where he had
been banished by his father to improve his performance at school.
Both are functional dance numbers of the sort that he would undoubtedly
have otherwise played at the piano, and both contain beginner’s errors
that show him just learning his craft.
The next complete composition, the Grand Overture in D major (“Velká
Předehra,” pp. 35 ff.) is a different affair altogether. Inspired
by the revolutionary events of 1848, it reflects to a certain extent
his official study of composition he had undertaken in Prague and
aspires to be much more than functional dance music. The first version,
replete with compositional errors and miscalculated orchestration,
was premièred in Prague on 20 April 1849, when it was conducted by
the early Czech nationalist composer František Škroup. Toward the
end of his life Smetana recalled this early piece and revised it
for a performance just before his death. This second version was
given for the first time on 2 March 1884 from a garbled copyist’s
manuscript which the composer was unable, in the advanced state of
his illness, to correct. Bartoš’s edition, reproduced in our volume,
attempts not only to correct the copyist’s misreadings but to remove
the composer’s own obvious slips of the pen.
Smetana’s aforementioned “official” studies of composition were
conducted in Prague from 1844-7 with the highly respected teacher
Josef Proksch (1794-1864). Though they focused mainly on the standard
rudiments of harmony, counterpoint, and form, they also included
at least four orchestration assignments that have survived among
his posthumous papers: a piece for double-reed instruments (two oboes,
two English horns, two bassoons and contra-bassoon; pp. 111 ff.),
a chorale harmonization for two clarinets and two bassoons (p. 113),
and a movement for four natural horns (pp. 113 f.), as well as an
orchestral version of Mozart’s C-minor Piano Fantasy (pp. 115 ff.).
The first three items are quite obviously exercises in the handling
of transposing instruments and the use of natural horns, the valve
horn not having gained currency yet. The last item is Smetana’s only
known orchestral arrangement of a piece by another composer.
The third group of orchestral pieces consists of items which, for
one reason or another, have survived in fragmentary form. The first
of them, the March of the National Guard (“Pochod Národní gardy,”
p. 119), has an interesting history which deserves to be recounted
in some detail. It began life as a stirring piano piece written in
the Revolutionary Year of 1848 and published in that same year by
Hoffmann in Prague. Shortly thereafter it was transcribed for military
band by a certain Jan Pavlis (1819-1880). The score of this arrangement
was found among Smetana’s posthumous papers, which for this reason
alone confers a certain authority upon it and led Bartoš to include
it in toto in the appendix to his volume (pp. 183 ff.). Later, at
some point during his maturity, Smetana sought to write out the piece
for full symphony orchestra. Of this only the parts for violins 1
and 2 survive, the second being left incomplete. The reasons for
this new arrangement are obscure, and it is unlikely that he proceeded
far beyond this point, particularly as it does not appear in any
of his own work lists.
Next in Bartoš’s volume is an Overture that survives only in three
unconnected fragments (pp. 120 ff.). Little can be said about this
work except that it probably arose at the same time as the Grand
Overture (1848-9) and certainly no later than the Triumph Symphony
of 1853-4, for pencil sketches of the latter work can be found on
its unused staves.
Equally obscure is the next untitled composition in C minor (pp.
155 ff.) which probably arose between the Triumph Symphony (1853-4)
and the symphonic poem Richard III (1858). Interestingly, the introduction
to this piece is made up of a passacaglia, the only instance of this
device in Smetana’s oeuvre. The similarity of the passacaglia theme
to a passage from a sketched concert overture Viking Journey of 1857
(“Plavha Vikungů”) strongly suggests that the work originated during
Smetana’s years in Sweden. These latter sketches, too, are reproduced
in our volume (pp. 168 ff.).
The last of the orchestral fragments is an untitled composition
in D minor (pp. 176 ff.) which, judging from the color of the ink
and the finish of the texture, dates from Smetana’s maturity, probably
sometime between 1874 and 1878. Oddly, it survives not in a compositional
draft but in a fair copy, which suggests that it had already reached
a certain state of completion. It may well have been intended for
any of Smetana’s operas from this period, which includes The Two
Widows (1874), The Kiss (1876), and The Secret (1878).
A final curiosity which found its way into the appendix of Bartoš’s
volume is the D-major polka Našim dĕvám (“To Our Lassies,” pp. 198
ff.), which survives only in a copyist’s manuscript circulated for
performance purposes by Smetana’s publisher Urbánek. As this manuscript
departs from Smetana’s usual habits of notation, particularly in
the handling of the natural horns, some doubt must be cast on his
authorship. Bartoš placed the composition stylistically in the years
of The Bartered Bride (i.e. 1862-3), and there is some circumstantial
evidence suggesting that it may have been performed at a Naródní
Beseda concert in Prague on 6 February 1865. The title To Our Lassies
did not originate until a much later Prague performance in 1880.
It was published posthumously in versions for piano and orchestra
in 1888.
Bradford Robinson, 2009
Reprint of a copy from the Musikabteilung der Leipziger Städtische
Bibliotheken, Leipzig.
|