George Whitefield Chadwick
(geb. Lowell, Massachusetts, 13. November 1854 - gest. Boston, 4. April 1931)

Symphonic Sketches (1895-96/1904)

I Jubilee. Allegro molto vivace – Animato assai – Lento espressivo
Assai tranquillo – Presto p. 2
II Noël. Andante con tenerezza – Poco animando p. 42
III Hobgoblin. Scherzo capriccioso. Allegro vivace – Un poco più moderato Animato – Animato assai – Assai con fuoco p. 57
IV A Vagrom Ballad. Moderato. Alla burla – Più mosso
Tempo I – Animato – Animando sempre più – Tempo I – Lento misterioso
Molto vivace – Più mosso – Prestissimo p. 112

 

Vorwort
George Whitefield Chadwick war einer der ersten amerikanischen Komponisten von hervorragender Bedeutung und ein eminenter Könner und Meister orchestraler Charakterisierungskunst. Nachdem er in Leipzig bei Carl Reinecke und Salomon Jadassohn sowie in München bei Joseph Rheinberger studiert hatte, wirkte er ab 1880 in Boston. Sein Stil war zunächst eindeutig von der konservativen deutschen Schule geprägt, doch allmählich machten sich auch russische Elemente und besonders der Einfluß Wagners (Tristan!) und des französischen Impressionismus geltend, die er zu einer eigenen Tonsprache verwob, welche in jüngerer Zeit zunehmend als “amerikanisch” angesehen wurde. Das, was man als das amerikanische Element identifizierte, war vor allem sein blitzender Humor, der in Werken wie der Tondichtung Tam O’Shanter seine überschäumende Magie entfaltet und einen orchestralen ‚Yankee-Stil’ begründete. Chadwick muss bis zum Auftreten von Charles Ives als der bedeutendste amerikanische Orchesterkomponist gelten, und von seinen ca. 30 Orchesterwerken sind einige bis heute regelmäßig in Konzertprogrammen zu hören, insbesondere die dramatische Ouverture Melpomene (1887), die hier vorliegenden Symphonic Sketches, eine Sinfonietta (1904), die Suite Symphonique (1909), die symphonische Fantasie Aphrodite (1912) und die symphonische Ballade Tam O’Shanter (1915). Chadwick hat zwar u.a. auch durchaus wertvolle Kammermusik, Chormusik und Bühnenwerke geschrieben, doch das Orchester war seine große Domäne, eine eindeutige Gewichtung, in welcher er an den ein Jahrzehnt später geborenen Jean Sibelius erinnert.

Seinen ersten großen Erfolg hatte Chadwick mit der 1879 in Leipzig komponierten Ouverture Rip Van Winkle, die nicht nur am Leipziger Konservatorium als bestes Orchesterwerk ausgezeichnet wurde, sondern bereits vor seiner Rückkehr nach Boston dort zweimal erklungen war (1930 hat Chadwick dieses frühe Werk noch einer Revision unterzogen). Danach schrieb er seine Erste Symphonie, der 1883-84 die Zweite Symphonie B-Dur op. 21 folgte – diese das erste amerikanische Orchesterwerk, das bei einem amerikanischen Verlag (Arthur P. Schmidt in Boston) im Druck erschien (noch bevor Schmidt auch Orchestermusik von Arthur Foote verlegen sollte). 1887 komponierte Chadwick die stark von Wagners tragischem Pathos befruchtete Melpomene, sein seither erfolgreichstes Stück, welches immer wieder in amerikanischen Konzert-programmen aufscheint (uraufgeführt am 23. Dezember 1887 durch das Boston Symphony Orchestra unter Wilhelm Gericke). 1894 schrieb er seine Dritte Symphonie F-Dur, die den Preis im zweiten jährlichen Wettbewerb des National Conservatory of Music gewann, ausgewählt von einer Jury, der Antonín Dvorák vorsaß. Danach hat Chadwick keine Symphonien mehr geschrieben, jedoch drei weitere viersätzige Werke, die ebenso als Symphonien hätten durchgehen können. Die Vermutung liegt nahe, dass er auf den tradierten Titel verzichtete, weil der Inhalt der Werke weniger tiefsinnig und schwergewichtig angelegt ist. Zugleich sind diese Werke zweifellos lebendiger und eigenständiger, und damit auch bedeutender, als die untadeligen drei vorangegangenen Symphonien. Diese drei Werke, die Steven Ledbetter sehr zutreffend als „light symphonies“ bezeichnete, sind: die Symphonic Sketches A-Dur (1895-96/1904), die Sinfonietta D-Dur (1904) und die Suite Symphonique Es-Dur (1909), und das erfolgreichste unter ihnen sollten die Symphonic Sketches (in der Popularitätsrangliste seiner Werke gleich hinter Melpomene und noch vor Tam O’Shanter) sein.

Die ersten zwei Sätze der Symphonic Sketches, Jubilee und Noël, entstanden 1895, gefolgt 1896 vom bewusst bizarr anmutenden Finale, A Vagrom Ballad. Der dritte Satz, das fulminante, von Dukas’ Zauberlehrling und dergleichen Geniestreichen im Gefolge des überragenden Scherzando-Meisters Mendelssohn inspirierte Scherzo capriccioso Hobgoblin auf ein Shakespeare-Motto, komponierte er erst 1904, ein knappes Jahrzehnt später, in einem entsprechend vorangeschrittenen Stil. Die kurzen Motto-Gedichte, die dem ersten und letzten Satz vorangestellt sind, stammen ungeachtet der irreführenden Autorenkürzel beide aus Chadwicks eigener Feder. Der zweite Satz huldigt der heilen Welt der Mutter-Kind-Beziehung um Chadwicks ein Jahr zuvor geborenen Sohn Noël. Chadwicks Kollege Horatio Parker hat in Chadwick einen „musikalischen Realisten“ gefunden (man denke an das hinreißend vertonte programmatische Szenario in Tam O’Shanter, und man denke dabei flüchtig an Richard Strauss!) und ihn gepriesen als „the most American of our composers, because oftener than the rest in mood and spirit sounds distinctively American“. Dies trifft in den Symphonic Sketches ganz besonders zu, über die Chadwick selbst bemerkte: „They are not very serious, but they sound.“ Er nannte sie eine „Suite“, und sie konnten eigentlich nach damaligen, konservativ geprägten Begriffen gar keine Symphonie sein, vor allem wegen des Finales, das von vielen seriösen Hörern geradezu als ein blasphemischer Akt im Konzertsaal empfunden wurde.
Dabei ist zu beachten, dass die ersten drei Sätze auf einer durch die Worte implizierten Stimmung beruhen und nicht auf einem erzählerischen Programm. Das lustvolle Vaudeville-Finale hingegen schildert ein Saufgelage mit anschließendem Kater, „a tale of tramps and railway ties“, und beinhaltet grelle Vaudeville-Fanfaren-Einwürfe, in einer aufgeplustert satirischen Solokadenz der Bassklarinette eine köstliche Parodie auf den 5. Akt aus Giacomo Meyerbeers Hugenotten, ein ins komische verbogenes Xylophon-Zitat aus Johann Sebastian Bachs G-Dur-Orgelfuge, und ein impressionistisch sinnlich die Katerstimmung malendes Lento misterioso mit Ponticello-Streichern, Harfen-Glissandi und Holzbläser-Trillern. Eine eingehende Beschreibung der Symphonic Sketches gibt Victor Fell Yellin in seiner Biographie Chadwick. A Yankee Composer (Washington 1990). Bemerkenswert ist die aufsteigende Großterzfolge der Tonarten der vier Sätze: A, Des, F, und wieder A. Was den orchestralen Erfindungsreichtum betrifft, dürften die Symphonic Sketches seinerzeit in Amerika ohnegleichen sein.
Als in den späten 1890er Jahren Theodore Thomas mit dem Chicago Symphony Orchestra in Omaha, Nebraska, Station machte, traf er dort Chadwick und spielte die ersten drei Sätze der Symphonic Sketches (abgeschlossen am 13. Februar 1896) durch. Das komplette viersätzige Werk schließlich gelangte erstmals am 7. und 8. Februar 1908 in Boston durch das Boston Symphony Orchestra unter Karl Muck zur Uraufführung. Die Partitur erschien 1907 beim Verlag Schirmer, New York, im Druck und liegt hier als unveränderter Nachdruck im Studienformat vor.
In den fünfziger Jahren hat Howard Hanson in Rochester für Mercury eine legendäre LP-Einspielung der Symphonic Sketches geleitet, und 1995 legte José Serebrier mit der Tschechischen Staatsphilharmonie in Brünn für Reference Recordings eine unübertroffene Referenzaufnahme des Werkes vor.

Christoph Schlüren, August 2009

 

 

Aufführungsmaterial ist vom Verlag Music Sales Corp. / G. Schirmer, New York (www.schirmer.com), zu beziehen.

George Whitefield Chadwick
(b. Lowell, Massachusetts, 13 November 1854 - d. Boston, 4 April 1931)

Symphonic Sketches (1895-96/1904)
I Jubilee. Allegro molto vivace – Animato assai – Lento espressivo
Assai tranquillo – Presto p. 2
II Noël. Andante con tenerezza – Poco animando p. 42
III Hobgoblin. Scherzo capriccioso. Allegro vivace – Un poco più moderato Animato – Animato assai – Assai con fuoco p. 57
IV A Vagrom Ballad. Moderato. Alla burla – Più mosso – Tempo I
Animato – Animando sempre più – Tempo I – Lento misterioso
Molto vivace – Più mosso – Prestissimo p. 112

Preface
George Whitefield Chadwick was one of America’s earliest composers of real importance and an eminent connoisseur and master of musical characterization for the orchestra. After completing his studies with Carl Reinecke and Salomon Jadassohn in Leipzig and with Joseph Rheinberger in Munich, he worked in Boston from 1880 onwards. His early style owed much to the conservative German school, but gradually Russian influences prevailed, as did that of Wagner’s Tristan (sic!) and the French Impressionists, all of which he succeeded in molding into a personal musical idiom that has increasingly been dubbed “American” in recent years. The feature specifically identified as American was above all the quick humor that lends such exuberant magic to such works as his tone-poem Tam O’Shanter and helped to established a “Yankee” style of orchestral music. Before the advent of Charles Ives, Chadwick must be viewed as the most significant American composer for the orchestra; some of his roughly thirty orchestral works have remained firmly in the concert repertoire to the present day, in particular the dramatic overture Melpomene (1887), the present Symphonic Sketches, a Sinfonietta (1904), the Suite symphonique (1909), the symphonic fantasy Aphrodite (1912), and the symphonic ballad Tam O’Shanter (1915). To be sure, he also produced valuable chamber music, choral pieces, and stage works, but the orchestra was his true domain – a predilection recalling another composer born ten years later, Jean Sibelius.

Chadwick’s first major success came with the overture Rip Van Winkle, composed in Leipzig in 1879. Not only was it singled out as the best orchestral work at Leipzig Conservatory, it was given there twice before the composer returned to Boston (he revised this early work once again in 1930). Chadwick went on to compose his First Symphony, followed in 1883-4 by the Second Symphony in B-flat major (op. 21), the first American orchestral work to be issued in print by an American publisher (Arthur P. Schmidt in Boston, who would later publish the orchestral music of Arthur Foote). In 1887 Chadwick composed what would become his most successful piece: Melpomene, a work heavily beholden to Wagner’s tragic pathos, and one would appear time and again on America’s concert programs (it was premièred by the Boston Symphony Orchestra under Wilhelm Gericke on 23 December 1887). In 1894 he wrote his Third Symphony in F major, which won the prize at the second annual competition of the National Conservatory of Music, where it was chosen by a jury headed by Antonín Dvořák. Though Chadwick wrote no further symphonies, he did turn out three four-movement works that might equally pass for symphonies. The suspicion arises that he deliberately avoided the traditional term because these works were less profound and weighty in their expressive import. At the same time, they are unquestionably more lively and independent, and hence more important, than the impeccable symphonies that preceded them. These three works, which Steven Ledbetter fittingly refers to as “light symphonies,” are the Symphonic Sketches in A major (1895-6, 1904), the Sinfonietta in D major (1904), and the Suite Symphonique in E-flat major (1909). Of these the Symphonic Sketches would eventually become the most successful, ranking just behind Melpomene and ahead of Tam O’Shanter in popularity.

The first two movement of the Symphonic Sketches – Jubilee and Noël – were written in 1895, followed in 1896 by the deliberately grotesque finale, A Vagrom Ballad. The third movement Hobgoblin, a rousing scherzo on a motto from Shakespeare, was inspired by Dukas’ Sorcerer’s Apprentice and similar strokes of genius in the tradition of that master of scherzando, Mendelssohn. It was not composed until almost ten years later, in 1904, and adopts a correspondingly advanced style. The short poems prefixed to the outside movements both proceeded from Chadwick’s pen, despite the misleading author’s initials. The second movement pays homage to the pristine world of maternal love for Chadwick’s son, born the previous year. Horatio Parker referred to his fellow-composer Chadwick as a “musical realist” (we need only think of his exhilarating setting of the program to Tam O’Shanter, and Richard Strauss flits across our mind!) and praised him as “the most American of our composers, because oftener than the rest in mood and spirit [he] sounds distinctively American.” This applies especially to the Symphonic Sketches, of which Chadwick himself noted that “[t]hey are not very serious, but they sound.” He called the work a “suite”; indeed, in the conservative parlance of the day, it could hardly be called a symphony at all, least of all for its finale, which many serious-minded listeners considered virtually an act of blasphemy in the concert hall.

That said, it should be noted that the first three movements are based on a mood implicit in the words and not on a narrative program. The vivacious vaudeville finale, on the other hand, portrays a drinking bout with consequent hangover, “a tale of tramps and railway ties.” It contains garish interpolations of vaudeville fanfares, a delightful parody of Act V from Giacomo Meyerbeer’s The Huguenots in a satirically puffed-up solo cadenza for the bass clarinet, a comically twisted quotation from Bach’s G-major Organ Fugue on the xylophone, and a sensually impressionist Lento misterioso with sul ponticello strings, harp glissandos, and woodwind trills to depict the hangover. A detailed account of the Symphonic Sketches can be found in Victor Fell Yellin’s Chadwick: A Yankee Composer (Washington, 1990). Remarkably, the keys of the four movements rise in a series of major thirds from A to D-flat and F and again to A. As for the wealth of invention in the orchestration, the Symphonic Sketches probably had no peer in the American music of its day.

When Theodore Thomas made a stop in Omaha, Nebraska, with the Chicago Symphony Orchestra in the late 1890s, he met Chadwick and played through the first three movements of the Symphonic Sketches, which had been completed on 13 February 1896. The complete four-movement work was finally given its première in Boston by the Boston Symphony Orchestra under Karl Muck on 7 and 8 February 1908. The score was published by Schirmer of New York in 1907; the present volume is a faithful reproduction of that print in study format.

In the 1950s Howard Hanson conducted a legendary LP recording of the Symphonic Sketches in Rochester for Mercury, and in 1995 José Serebrier produced an unsurpassed reading of the work with the Czech State Philharmonic of Brno for Reference Recordings.

Translation: Bradford Robinson

 

For performance materials please contact the publisher Music Sales Corp. / G. Schirmer, New York (www.schirmer.com).