Niels Wilhelm Gade
(geb. Kopenhagen, 22.2.1817 - gest. Kopenhagen, 21.12.1890)

Sinfonie Nr. 2 E-Dur op. 10
„Dem Gewandhausorchester Leipzig gewidmet“

Besetzung:
2 Fl. – 2 Ob. – 2 Klar. – 2 Fg. – 4 Hr. – 2 Trp. – 3 Pos. – Pauke – Streicher

I. Andantino quasi Allegretto - Molto Allegro
II. Andante con moto
III. Scherzo. Molto Allegro
IV. Finale. Allegro energico

Spieldauer:
ca. 25 Minuten

Vorwort
Mit seiner Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 5 und ihrer Uraufführung in Leipzig durch Felix Mendelssohn Bartholdy hatte der bis dato in Europa völlig unbekannte Däne Niels W. Gade über Nacht den internationalen Durchbruch geschafft und eines der beliebtesten Werke des 19. Jahrhunderts vorgelegt. Mit großer Spannung wurde daher das Nachfolgewerk des „Überraschungserfolgs“ des 26jährigen Dänen erwartet.

Im Mai 1843 begann Gade in Kopenhagen die Arbeit an seiner „Zweiten“ und vollendete bis zum August die ersten drei Sätze. Zu diesem Zeitpunkt stand seine Reise nach Leipzig, die er auf Einladung Mendelssohns antrat, bereits fest. Vermutlich wollte Gade daher mit einer neuen Sinfonie als Gastgeschenk im Gepäck eintreffen seinen Erfolg weiter ausbauen. Dass mit der Sinfonie durchaus ein Dank verbunden war, zeigt die Widmung. Nachdem Gade Mendelssohn die erste Sinfonie gewidmet hatte, dedizierte er seine zweite dem „Concert-Orchester zu Leipzig“ und damit jenen beiden Mitverantwortlichen für seinen plötzlichen Ruhm.

Ende September 1843 traf Gade in Leipzig ein. Nach einigen Diskussionen mit Mendelssohn über die E-Dur-Sinfonie schloss er sie Mitte Oktober zunächst ab, überarbeitete das Finale jedoch noch einmal, so dass die Vollendung auf den 20. November 1843 datiert ist. Die Besonderheit der ersten Sinfonie, die auch ihren beispiellosen Erfolg ausmachte, beruhte auf der Integration eines Volksliedmodells in die große sinfonische Form – ein Vorgang, der in der Geschichte der Sinfonie bis dahin völlig neu war. Auch in der E-Dur-Sinfonie griff Gade auf dänischen Volksliedern nachempfundene Melodien zurück. Im Gegensatz zur c-Moll-Sinfonie, die von der Fremdartigkeit des als „nordisch“ rezipierten, dunklen Klanges des Liedes Paa Sjølunds fagre Sletter (Auf Seelands lieblichen Ebenen) lebte, prägen die Volkslieder in der E-Dur-Sinfonie weniger ihren Charakter. Vielmehr lassen sich tanzartige Motive erkennen, die durch punktierte Rhythmen bestimmt werden und vorherrschend im ersten und vierten Satz auftauchen. Bereits mit dem einleitenden Hornmotiv und dem Seiten-thema im Kopfsatz verlässt Gade seinen Nordischen Ton und schlägt klassisch-romantisch geprägte Klänge an:

(Sinfonie E-Dur op. 10, I. Satz, T. 3-6)

In ihrer Gestalt wirkt die E-Dur-Sinfonie unspektakulärer als ihre Vorgängerin. Wie in der c-Moll-Sinfonie ist eine Montagetechnik festzustellen. Motive kehren unaufhörlich wieder, werden unverbunden nebeneinander gestellt und erfahren eine Variierung meist nur durch Transposition oder Instrumentation. Es fehlt ihre sinfonische Verarbeitung durch Kombination oder kontrapunktische Verwebung. Besonders im Finale fallen Passagen auf, in denen die Entwicklung zu stagnieren scheint. Gade transponiert einzelne Motive unaufhörlich in andere Tonarten, verbindet die einzelnen Satzteile durch Felder aus gebrochenen Dreiklängen und lässt danach die nächsten Motiv- bzw. Themengruppen folgen. Vom selben Prinzip ist ebenfalls das Scherzo durchdrungen. Insgesamt findet also kaum eine Entwicklung verschiedener Themen statt, eher ist einer Aneinanderreihung der Motive und Themengruppen zu beobachten.

Möglicherweise hatte Gade geglaubt, das Geheimnis seines Erfolgs läge allein in der Verwendung der Volksliedmodelle. Dass es aber weitaus mehr kompositorischer Sorgfalt bedurfte, zeigt die Rezeption des Werkes in Leipzig, einer Stadt mit hohen Ansprüchen. „Noch in diesem Monat erwarten wir eine zweite Sinfonie Gades; sie weicht von der ersten ab, ist weicher und leiser, man denkt dabei an die lieblichen Buchenwälder Dänemarks“ hielt Robert Schumann noch vor der Uraufführung der Sinfonie in seiner Neuen Zeitschrift für Musik Anfang Januar 1844 fest. Schumann brachte den Unterschied zur ersten Sinfonie darin bereit auf den Punkt: in ihrem Charakter war die E-Dur-Sinfonie meilenweit vom Rustikalen und der Urgewalt der c-Moll-Sinfonie entfernt. Dennoch war in der Zweiten, man denke „an die lieblichen Buchenwälder Dänemarks“, ein durchaus poetischer Charakter zu bemerken.
Die Uraufführung am 18. Januar 1844 im Gewandhaus fand unter Gades eigener Leitung statt. Die Sinfonie wurde nach jedem Satz mit „rauschendem Applaus“ bedacht und insgesamt „brillant“ aufgenommen, hieß es in der Presse. Der große Enthusiasmus, wie er bei der Ersten in Leipzig ausgebrochen war, blieb jedoch aus, was den hohen Erwartungshaltungen zuzuschreiben ist. Bei den Kritikern herrschten geteilte Meinungen. Während die einen, wie Johann Christian Lobe, die zweite in ihrer künstlerischen Machart sogar über die erste Sinfonie stellten und sie für organischer hielten, äußerten andere scharfe Kritik. Zu ihnen gehörte Julius Becker, der Gade sogar Epigonentum vorwarf, da er sich bisweilen eines Stils bediente, der nicht sein eigener sei. Becker sprach schließlich von einer „gesuchten“ Originalität. Dass Gade selbstkritisch genug war und seine Zweite vermutlich als „Schnellschuss“ betrachtete zeigt, dass gut vier Jahre verstrichen, bis er 1847 begann, an der dritten, der a-Moll-Sinfonie zu arbeiten. Das Warten zahlte sich aus, denn die a-Moll-Sinfonie sollte die Enttäuschung mit der Zweiten bald vergessen lassen.

Yvonne Wasserloos, März 2009

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.

Niels Wilhelm Gade
(b. Copenhagen, 22 February 1817 – d. Copenhagen, 21 December 1890)

Symphony No. 2 in E major, op. 10
“Dedicated to the Leipzig Gewandhaus Orchestra”

Scoring:
2 fl, 2 ob, 2 cl, 2 bn, 4 hn, 2 tpt, 3 tbn, timp, strs

I. Andantino quasi Allegretto - Molto Allegro
II. Andante con moto
III. Scherzo. Molto Allegro
IV. Finale. Allegro energico

Duration:
ca. 25 mins.

 

Preface
The première of Niels Gade’s Symphony No. 1 in C minor, op. 5, conducted in Leipzig by Felix Mendelssohn, catapulted the previously unknown twenty-six-year-old Danish composer overnight to international fame and created one of the most popular works of the nineteenth century. The successor to this “surprise hit” was thus awaited with keen anticipation.

Gade began work on his Second Symphony in Copenhagen in May 1843, and by August he had finished the first three movements. By this time he had firmly agreed to travel to Leipzig at Mendelssohn’s invitation, and he presumably wanted to arrive with a new symphony as a present in order to build on his previous success. That the symphony was indeed intended as a token of grati-tude is proved by its dedication: if the First is dedicated to Mendelssohn, the dedicatee of the Second is the “Concert Orchestra of Leipzig,” the second of the two parties responsible for his sudden fame.

Gade arrived in Leipzig in late September 1843. After discussing the E-major Symphony with Mendelssohn he completed the work in mid-October and then proceeded to revise the finale once again, thereby postponing the date of completion to 20 November 1843. The peculiarity of the First Symphony that accounted for its unprecedented success resided in the way it integrated an original folksong into a large-scale symphonic form – a procedure wholly new to the history of the genre. In the E-major Symphony Gade again turned to melodies based on Danish folksongs. But if its predecessor thrived on the strange and gloomy sound of Paa Sjølunds fagre Sletter (“On Zeeland’s lovely plains”) – a sound considered typically “Nordic” – the new work owed its character less to folksong than to dance-like motifs dominated by dotted rhythms, especially in the outside movements. The introductory horn motif and the secondary theme of the opening movement already abandon the Nordic tone in favor of a classic-al-romantic tinge:

(Symphony in E major, op. 10, movt. 1, mm. 3-6)

The E-major Symphony is less spectacular in form than its predecessor. As in op. 5, there is a clear feeling of montage technique: rather than being developed symphonically through combination or contrapuntal manipulation, motifs ceaselessly recur in disjointed juxtaposition, usually varied by means of transposition or rescoring. There are passages, particularly in the finale, in which the development seems to stagnate. Gade constantly transposes isolated motifs into new keys and splices sections of music together with swaths of broken triads, followed by new groups of motifs and themes. This same principle likewise pervades the Scherzo. All in all, thematic development gives way to the juxtaposition of motifs and themes.

Gade may have believed that the secret of his success lay entirely in the use of original folksongs. That he needed to be far more fastidious in his craftsmanship became apparent from the work’s reception in Leipzig, a city with high standards. “This very month we await a second symphony from Gade,” Robert Schumann wrote in the Neue Zeitschrift für Musik in early January 1844, shortly before the première. “It departs from the first in being gentler and quieter, evoking the lovely beechwood forests of Denmark.” Schumann thereby summed up the difference between the two works in a nutshell: the E-major Symphony is poles apart in character from the rustic ambience and primal force of the First. Nevertheless, as the “lovely beechwood forests of Denmark” suggest, it projected a thoroughly poetic character.

The première took place in the Gewandhaus on 18 January 1844 under Gade’s baton. The work, as the reviewers inform us, was “raucously applauded” and its reception regarded on the whole as “brilliant.” But the great sensation unleashed by the First in Leipzig failed to materialize, no doubt because of the high level of expectation. The critics were of two minds: some, like Johann Christian Lobe, even preferred the Second to the First in its artistic workmanship, arguing that it was more organic, while others were unsparing in their criticism. Among the latter was Julius Becker, who accused Gade of being derivative, of sometimes employing a style not his own, and went so far as to speak of “recherché” originality. That the composer was self-critical enough to regard his Second as “precipitate” is proved by the fact that he waited a good four years before embarking on his Third, the Symphony in A minor, in 1847. The wait paid off: the A-minor Symphony would soon consign to oblivion the disappointment of the Second.

Translation: Bradford Robinson

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.