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Louis (eigentl. Ludewig) Spohr (1784-1859)

Jessonda (1822)
Große Oper in drei Akten

Libretto: Eduard Heinrich Gehe

UA: 28.7.1823, Hoftheater Kassel

Personen:

Jessonda – Witwe eines Rajahs (Sopran)
Amazili – ihre Schwester (Sopran)
Nadori – ein junger Brahmine (Tenor)
Tristan d´Acunha – ein portugiesischer Feldherr (Bariton)
Dandau – Oberbrahmine (Bass)
Pedro Lopez – Oberst der Portugiesen (Tenor)
Chor, Ballet, Statisterie

Vorwort

Leben und Werk

Die Komposition seiner Oper Jessonda 1822 fällt in eine Glanzzeit im Schaffen Louis Spohrs. Der damals 36jährige konnte bereits auf eine beeindruckende Karriere als Komponist, Konzertmeister, Dirigent und vor allem als bedeutendster deutscher Violinist zurückblicken. Dabei war Spohr kein Wunderkind im eigentlichen Sinne. 1784 in Braunschweig geboren, verbrachte Spohr seine Kindheit in der Provinz, erhielt Violinunterricht und besuchte von 1797 an die Katharinenschule in Braunschweig. Dort erhielt er eine Ausbildung bei den Orchestermusikern G. Kunisch und Ch. L. Maucourt, sowie Theoriestunden bei dem Organisten K. A. Hartung. Es sollte Spohrs einziger Unterricht in musikalischer Theorie bleiben.
Karl Wilhelm Ferdinand, Herzog von Braunschweig, förderte den jungen Geiger und verschaffte ihm eine Anstellung bei der Hofkapelle. Entscheidender für Spohrs Entwicklung aber wurde der Unterricht bei dem Virtuosen Franz Eck (1774-1804), der den jungen Geiger auf eine Konzertreise nach Petersburg 1802/03 mitnahm. Pierre Rode (1774-1830), in Deutschland gefeierter Violinist und Lehrer am Pariser Conservatoire, vollendete Spohrs Ausbildung nach dessen Rückkehr 1803. Spohrs in dieser Zeit entstandenen ersten Kompositionen sind elegante Virtuosenstücke, die beim Publikum großen Anklang fanden.
Seinen eigentlichen Durchbruch schaffte der junge Musiker mit seinem sensationellen Debut in Leipzig 1805. Im gleichen Jahr lernte er seine spätere Frau, die Harfenistin Dorette Scheidler (1787-1834) kennen. Ihre langen Konzertreisen als Duo zeigten eine „bis dahin kaum gekannte Vollkommenheit des Zusammenspiels“ (MGG, Bd. 12). Während seines Aufenthaltes in Wien 1813/14 gelangte Spohr auf den Höhepunkt seiner instrumentalen Meisterschaft, er wurde über Rode (s.o.) gestellt und galt als deutsche Antwort auf Paganini. Hier entstand auch seine erste Oper Faust, die 1816 von Carl Maria von Weber (1786-1826) in Prag uraufgeführt wurde. Eine lange Konzertreise 1815-1817, die ihn in die Schweiz und nach Italien führte, bekräftigte auch seinen internationalen Ruhm.
Ein mißglücktes Intermezzo als Frankfurter Operndirektor 1817-1819 bewog den Musiker, erneut auf Reisen zu gehen, diesmal in die Metropolen London und Paris (bis 1821). Endlich fand er, durch Vermittlung Webers, 1822 eine Stelle als Hofkomponist in Kassel. Diese gesicherte Position (Vertrag auf Lebenszeit) ermöglichte eine große Entfaltung von Spohrs kompositorischen Vermögen. Neben Opern, Symphonien und Kammermusik komponierte er in den folgenden Jahren Oratorien, die er noch wenige Jahre vor seinem Tod mit großen Erfolg aufführte (bes. England 1852/53).
So befreiend die Kasseler Position auf den Komponisten Spohr wirken mochte, so sehr engten ihn die politischen und gesellschaftlichen Zwänge am Hof ein. Der vom Vormärz beeinflußte bekennende Republikaner geriet in immer stärkere Konflikte und Spannungen mit seinem Brotherren, dem Kurfürsten Friedrich Wilhelm I.. Doch Spohr war nicht mehr in der Lage, sich von seinem Wirkungskreis zu lösen. Durch eine zweite Ehe 1836 auch familär an Kassel gebunden, versah er seinen Dienst unter Bevormundungen des Kurfürsten, die bei der musikalischen Öffentlichkeit Empörung auslösten. 1857 wurde er, offiziell aus Altersgründen, in den Ruhestand versetzt. Spohr starb 1859 in Kassel.

Handlung

Goa an der indischen Westküste zu Beginn den 16. Jahrhunderts.
1.Akt; 1.Bild Jessonda, die junge und schöne Witwe eines Rajahs, soll ihrem Mann in den Tod folgen. Brahminen und Bajarden bereiten den grausamen Brauch der Witwenverbrennung vor. Nadori, der gegen seinen Willen zum Brahminen erzogen wurde, wird beauftragt, Jessonda den Tod zu verkünden. Zugleich wird die Ankunft portugiesischer Seeleute gemeldet, die Goa erobern wollen. Dank ihres Gottvertrauens bleiben die Brahminen gelassen und siegessicher.
2.Bild Amazili beschwört ihre Schwester Jessonda, gegen die geplante Verbrennung aufzubegehren. Sie erinnert an Jessondas einstigen Geliebten, einen Europäer, von dem ihr Vater sie trennte. Amazili hofft nun, ein Angriff der Portugiesen könnte ihre Schwester retten. Jessonda aber will sich ihrem Schicksal ergeben und verweist auf eine bestehende Waffenruhe. Der junge Nadori erblickt die Schwestern und verliebt sich auf der Stelle in Amazili. Er will die junge Frau umwerben, wird sich jedoch als Brahmine seines erzwungenen Zölibats bewußt. Amazili hingegen sieht nur die Rettung ihrer Schwester und bittet Nadori um Hilfe.
2.Akt Inzwischen ist der Feldherr Tristan d´Acunha im Lager der Portugiesen eingetroffen. Er war vor Jahren Jessondas Geliebter und ist voller Sehnsucht auf der Suche nach ihr. Der Bajardenzug mit der Todgeweihten schreitet vorbei und Tristan und sein Freund Lopez ziehen sich pietätvoll zurück. Doch durch Nadori, der um Amazili Willen zu helfen bereit ist, erfährt Tristan, wer die unglückliche Witwe ist. Ein Versuch, Jessonda zu entführen, scheitert. Die Brahminen sind in heller Empörung und ihr Oberhaupt Dandau verweist auf die vereinbarte Waffenruhe und erwartet, die heilige Zeremonie der Verbrennung fortsetzten zu können. Tristan zieht sich abermals zurück.
3.Akt; 1.Bild Nachts: Tristan wird von Angstvisionen geplagt, er glaubt Jessonda endgültig verloren. Schließlich naht Nadori und teilt den Plan der Brahminen mit, heimtückisch die portugiesische Flotte niederzubrennen. Er sagt sich von seinen Landsleuten los und bietet den Portugiesen an, sie heimlich in die Stadt zu führen. Tritan, den der geplante Vertragsbruch der Inder aufbringt, schöpft neuen Mut.
2.Bild Ein Blitz zerstört das Bild Brahmas, während Dandau und seine Gefolgsleute Jessondas Verbrennung vollziehen wollen. Dandau sieht die als Strafe für Jessondas Aufbegehren an. Während die Europäer angreifen, bleibt sie einen Moment allein, in dem sie zu Brahma um Hilfe betet. Trotz immer stärkerer Angriffe der Portugiesen will Dandau das Opfer unbedingt vollziehen. Er stützt sich auf Jessonda und versucht sie niederzustechen. Tristan greift ein und rettet seine Geliebte. Während die Portugiesen ihren Sieg als Sieg des Christentums über die Barbaren feiern, vereint Tristan auch Amazili und Nadori.

Kommentar

Witwenverbrennung als Skandalon, die Überlegenheit der europäischen Welt über die sich immer weiter erschließende restliche, Christentum versus Heidentum, die alle Schranken überwindende Kraft der Liebe – die Motive in Gehes Libretto treffen entscheidende Punkte in der gesellschaftlichen Diskussion seiner Zeit. Bereits 1770 lieferte Antoine-Marin Lemierre mit seiner Tragödie La Veuve du Malabar eine erste Bearbeitung des Stoffes , Carl Martin Plümicke ließ 1782 mit Lanassa eine deutsche Version folgen. Spohr führte in seiner Selbstbiographie (unvollendet, posthum 1861 erschienen) an, den Stoff erst 1821 in Paris kennengelernt zu haben und dem Dresdener Gehe zur Bearbeitung übergeben zu haben. Zeitgenossen lasen jedoch sehr wohl Verwandtschaften zu anderen Bühnenwerken heraus, z.B. Spontinis Fernand Cortez von 1809.
Der eher unbekümmerte Umgang mit einer anderen Kultur (sowie mit den vermeintlichen Leistungen der eigenen) ist Spohrs Zeit geschuldet. Nur wenige Jahre zuvor konnte immerhin ein Immanuel Kant von sich geben, die "Neger" könnten kein Wahl- und Bürgerrecht erlangen, da sie von Natur aus nicht intelligent und vernünftig seien. Sentimentale, Rousseau-hafte Sehnsucht nach den edlen, einfältigen Wilden durchdringt sich mit der Geringschätzung fremder kultureller Leistungen (wobei ich nicht der Meinung bin, die grausame Hinrichtung eines Menschen habe etwas mit "Kultur" oder "Leistung" zu tun). So kann die Inderin Jessonda schön und begehrenswert sein, da sie sich ja letztlich von ihrem Land abwendet in die Arme des rettenden Europäers.
Spohrs Oper fällt in eine Zeit der Suche nach einer verbindlichen Form für das deutsch-romantische Opernschaffen. Wenngleich z.B. Schreiber glaubt, Spohr sei „nicht der Mann“, einen Prototyp zu schaffen (Opernführer für Fortgeschrittene, 2.Bd.), so ist sich die heutige Literatur doch einig, daß gerade Jessonda vieles enthält, was spätere Entwicklungen vorbereitet. Trotz durchschimmernder Schematik ist das Werk ein frühes Beispiel für eine durchkomponierte Oper. Spohr wendet auch konsequente Leitmotiv-Techniken an, etwas, das der Franzose Méhul vorbereitet hat und das später Wagner zu höchster Entfaltung bringen sollte. Zu der z.T. etwas abfälligen Kritik an Spohrs Leistungen, die ihn einen Konservativen und rückwärts gewandten Klassizisten nennt, ist zu bedenken, wie unfair es ist, von ihm etwa ein Tristan-ähnliches Gebilde zu erwarten (das wäre auch einem Mozart oder Strawinsky nicht angemessen). Spohr, von den Zeitgenossen als größter deutscher Musiker neben Mendelssohn bewundert, war kein Vollender, sondern ein Wegbereiter zwischen den Zeiten. Eher sollte man zugeben, daß auch unsere Einschätzungen nur zeitbezogen und revidierbar sind. So wie man heute Strauss (1864-1949), der nach einer Dresdner Aufführung Jessonda zwar für schön, aber ohne jede Dramatik hielt, nicht mehr folgen möchte. Es bleibt eben ein sensibler Akt, aus der Fülle sich widersprechender Literatur und dem eigenen Erleben eines Werks ein verantwortbares Urteil sich bilden zu lassen.