Karol Szymanowski
(geb. Tymoszóka, Ukraine, 6. Oktober 1882 – gest. Lausanne, 29. März 1937)

Symphonie concertante
(Vierte Symphonie) op. 61
Für Klavier und Orchester (1931/32)

 

Vorwort
Seit Mitte der zwanziger Jahre wurde Karol Szymanowski zunehmend als größter polnischer Komponist seit Chopin anerkannt sowie als einer der führenden Musiker seiner Zeit. Die entsprechenden Ehrungen ließen nicht lange auf sich warten, darunter im Jahre 1927 auch gleich zwei Einladungen aus Warschau und Kairo, die dort ansässigen Konservatorien zu leiten. Obwohl weniger reich dotiert, entschied er sich für das Warschauer Amt und fand sich bald in die typischen administrativen Querellen verstrickt, die mit einer Komponistenlaufbahn in der akademischen Welt allzu oft einhergehen. Seine Zeit für kreative Arbeit wurde zunehmend eingeschränkt, und als öffentliche Größe des neugegründeten polnischen Staats sah er sich immer massiverer Kritik durch konservative Kollegen ausgesetzt. In diesen Jahren schuf er zwar reihenweise Skizzen für “works in progress”, jedoch kaum fertige Kompositionen. Unter diesen umfangreichen Skizzen befanden sich jedoch embryonal u.a. die drei Meisterwerke seiner letzten Jahre: die Symphonie concertante op. 60, das Zweite Violinkonzert op. 61 sowie das Ballett Harnasie.

1932 trat Szymanowski demonstrativ von seinem Amt als Leiter der Warschauer Musikakademie zurück und wurde wieder freischaffender Musiker. Damit gab es gleich zwei dramatische Änderungen in seinen Lebensumständen: Er hatte nun zwar weitaus mehr Zeit für Kompositionsarbeit, mußte jedoch seinen Lebensunterhalt durch vermehrte Konzertreisen bestreiten. In einem Schaffensrausch vollendete er noch im Jahre 1932 alle drei oben erwähnten Werke. Die Symphonie concertante gestaltete er als Instrumentalkonzert zum eigenen Gebrauch auf seinen vielen Tourneen , die ihn bis zu seinem verhältnismäßig frühen Tod durch Kehlkopfkrebs im Jahre 1937 in Beschlag nahmen.

So kam es, daß die Symphonie concertante op. 60 für Klavier und Orchester, die gelegentlich auch als Vierte Symphonie bezeichnet wird, tatsächlich ein vollwertiges Klavierkonzert darstellt. In seinen Erinnerungen berichtet Artur Rubinstein, wie ihm der Komponist Anfang der 1930er Jahre ausführliche Skizzen zu einem künftigen “Klavierkonzert” zeigte, die jedoch schließlich alle in das Zweite Violinkonzert Eingang fanden. Wie dem auch sei, arbeitete Szyanowski bekanntlich ab 1931 mit vielen Unterbrechungen an der neuen Symphonie concertante in seiner Sommerfrische Zakopane und schloß das Werk erst im August 1932 ab, nachdem er als Rektor der Musikakademie zurückgetreten war. Im Herbst des gleichen Jahres erlebte das neue Werk in Poznán seine Uraufführung und am 11. November 1932 seine Warschauer Erstaufführung, wobei Szymanowski selber den Solopart übernahm und sein treuer Freund und musikalischer Mitstreiter Grzegorz Fitelberg das Orchester leitete. Bald darauf erschien das Werk bei Max Eschig in Paris in einer von Fitelberg besorgten Fassung für zwei Klaviere (1932) sowie als Partitur (1933), und zwar mit einer Widmung an Rubinstein, der nicht nur den Komponisten im Laufe ihrer langjährigen Freundschaft kräftig finanziell unterstützte, sondern auch nach dem Tod des Komponisten die Symphonie concertante in sein Repertoire aufnahm und in den Musikmetropolen der Welt aufführte.

Zwischen 1933 und 1935 ertönte die Symphonie concertante nicht weniger aus 16 Mal im Ausland, wobei bezeichnenderweise 14 Aufführungen vom Komponisten selber bestritten wurden. Wohl die bemerkenswerteste dieser letzteren Aufführungen fand am 27. Oktober 1934 in London statt, als die BBC das Werk unter der Leitung des jungen Malcolm Sargent zur vollsten Zufriedenheit des Komponisten live ausstrahlte. Im darauffolgenden März spielt Szymanowski sein Op. 60 auch in Stockholm, Oslo, Bergen und Copenhagen. Danach wurden seine öffentlichen Auftritte jedoch wegen seiner sich verschlechternden Gesundheit immer seltener, und die Symphonie concertante, die nunmehr von den neuen Machthabern im Dritten Reich als “entartet” eingestuft wurde, verschwand allmählich von der Konzertbühne. Seit den Nachkriegs-jahren wird das Op. 60 vor allem von polnischen Künstlern bevorzugt und auf Platte eingespielt, darunter zwei hervorragende Aufnahmen von Artur Rubinstein (unter Alfred Wallenstein bzw. Artur Rodzinsky), die beide mittlerweile digital veredelt auf CD nachgepreßt worden sind.

Wie beim formalen Muster des klassischen Instrumentalkonzerts gliedert sich auch die Symphonie concertante in drei Teile (I. Allegro moderato – II. Andante molto sostenuto – II. Allegro non troppo), - damit aber wären die gattungsspezifischen Ähnlichkeiten erschöpft. Wie bei vielen anderen Kompositionen aus der Spätperiode Szymanowskis ist die thematisch-motivische Arbeit auffallend dicht verwoben, und die letzen beiden Sätze werden durch eine komplexe Solokadenz mit obligaten Bläserstimmen und vielen thematischen Verknüpfungen miteinander verschränkt. Der Solopart wurde nach Angaben des Komponisten besonders einfach gehalten, um seine eigenen Auftritten mit dem Werk zu erleichtern, jedoch genügt ein kurzer Blick auf die beiden Solokadenzen, um dieser angeblichen „Einfachheit“ Lügen zu strafen. 1934 ließ der Komponist gar wissen, er würde an einem neuen Klavierkonzert arbeiten, „um meine Symphonie concertante euch Berufspianisten überlassen zu können“.

Der erste Satz fängt in bewährter Prokofiev-Manier mit einem breitangelegten, romantisch-ausladenden Hauptthema mit breiter Intervallik an, um sogleich in ein betriebsam-perkussives Seiten-thema mit engen Melodieintervallen zu münden, das bald in einem gewaltigen Höhepunkt jäh zusammenbricht. Bei der Reprise tauschen sich Solist und Orchester die Rollen, wobei das romantische Hauptthema nunmehr in den hohen Streichern erklingt. Mit einer aufwendigen Solokadenz wird dieser musikalisch-technisch anspruchsvolle Satz wirkungsvoll abgerundet. Der langsame zweite Satz erinnert sehr an die Grundfaktur der damaligen Kammermusik Szymanowskis, indem das Klavier eine obligate Flöten- bzw. Geigen-stimme mit sanft dissonierenden Ostinatomustern begleitet. Nach einer weiteren Solokadenz mit thematischen Anspielungen auf den Hauptsatz sowie mit eingeschobenen vogelsangähnlichen Spielfiguren folgt das rhythmisch stark ausgeprägte Finale, das von einem schnellen polnischen Volkstanz im Dreiertakt – dem Oberek – ausgiebig Gebrauch macht. Hier verläßt Szymanowski die Ideenwelt Prokofievs zugunsten der zugänglicheren Welten Ravels und Manuel de Fallas, und das Werk schließ mit einem Bacchanal ab, das eines Daphnis et Chloë oder La Valse würdig wäre.

Bradford Robinson, 2008

 

 

Aufführungsmaterial ist von PWM, Krakau zu beziehen.

 

 

Karol Szymanowski
(b. Tymoszóka, Ukraine, 6 October 1882 – d. Lausanne, 29 March 1937)

Symphonie concertante
(Fourth Symphony)
for piano and orchestra, op. 61 (1931-2)

Preface
In the mid-1920s Karol Szymanowski began to be recognized as the greatest Polish composer since Chopin and one of the leading musicians of his age. The honors started to pour in, including almost simultaneous invitations from Warsaw and Cairo in 1927 to serve as head of their respective conservatories. Though it meant a decrease in income, he decided in favor of Warsaw, and soon found himself embroiled in the typical administrative squabbles that beset composers in academia. He now had little time available for composition and, as a leading public figure in the new state of Poland, was increasingly subjected to massive backbiting from his conservative colleagues. During these years he produced reams of sketches for “works in progress,“ but hardly any finished compositions. Among this body of sketches were, in embryonic form, the three masterpieces of his later years: the Symphonie concertante (op. 60), the Second Violin Concerto (op. 61), and the ballet Harnasie.

In 1932 Szymanowski summarily resigned his post as rector of the Warsaw Academy of Music and became once again a freelance musician. This caused two drastic changes in his life: he now had more leisure time for composition, but also a greater need to concertize in order to augment his reduced income. In a burst of energy he completed all three of the above works in 1932, fashioning the Symphonie concertante into a concert vehicle for his own use on the many tours that occupied him until his untimely death from laryngeal cancer in 1937.

Thus, the Symphonie concertante for piano and orchestra, also known as the Fourth Symphony, is in fact a piano concerto in everything but name. Artur Rubinstein recalled being shown sketches for a prospective “piano concerto” in the early 1930s, but claimed that the material was eventually incorporated into the Second Violin Concerto. Whatever the case, it is known that Szymanowski worked intermittently on the new Symphonie concertante at his summer retreat in Zakopane from 1931 and only finished it in August 1932 after resigning his rectorship. It was premièred in Poznán in autumn of that year and given its Warsaw première on 11 November 1932, with Szymanowski at the piano and the orchestra conducted by his close friend and musical comrade-in-arms, Grzegorz Fitelberg. The work was immediately published by Max Eschig in Paris in a two-piano version prepared by Fitelberg (1932) and slightly later in full score (1933). It bears a dedication to Artur Rubinstein, who not only supplied financial assistance to Szymanowski in the course of their long friendship but took the new work under his wing, playing it fairly often in the world’s music capitals after the composer’s death.

Between 1933 and 1935 the Symphonie concertante was given no fewer than sixteen performances outside of Poland, and of these, revealingly, fourteen were played by the composer himself. Perhaps the most notable was a live broadcast on the BBC on 27 October 1934, with the orchestra conducted (to Szymanowski’s complete satisfaction) by a young Malcolm Sargent. The following March the composer played the work in Stockholm, Oslo, Bergen, and Copenhagen. Thereafter his public appearances were increasingly curtailed by poor health, and the work, which was placed in the “degenerate” category by the new officialdom of the Third Reich, fell from the repertoire. Since then it has mainly been favored by Polish artists, including two superb recordings by Artur Rubinstein, one with Alfred Wallenstein and another with Artur Rodzinsky, both of which have been digitally remastered and re-released on CD.

The Symphonie concertante falls into the classic three-movement concerto form – I. Allegro moderato, II. Andante molto sostenuto, and III. Allegro non troppo – but there the generic similarities come to an end. Like many of Szymanowski’s late compositions, the motivic work is extremely tight-knit, and the final two movements elide in a complex cadenza with obligato winds and thematic reminiscences. The piano part, the composer claimed, was made deliberately simple to aid his own performance; however, a glance at the cadenzas belies its alleged simplicity, and in 1934 the composer claimed to be writing a new and even simpler piano concerto in order “to leave my Symphonie concertante to you professional pianists.”

The first movement opens much in the vein of a Prokofiev concerto, with a broad, highly romantic first theme in wide intervals followed by a bustling and percussive second theme in narrow intervals ending in a violent collapse. At the recapitulation the pianist and orchestra switch roles, the romantic theme now being taken by high-register violins. An elaborate cadenza for the piano brings this challenging movement to an effective conclusion. The slow second movement recalls much of Szymanowski’s chamber music, with the piano playing gently dissonant passage of ostinato to accompany an obligato flute and violin. A cadenza based loosely on the romantic theme of the first movement, interspersed with luxurious figuration recalling birdsong, leads into a highly rhythmic third movement based on a fast triple-meter Polish dance known as an oberek. Here Szymanowski leaves the world of Prokofiev for the more approachable worlds of Ravel and de Falla, and the work comes to an end in a final bacchanal worthy of Daphnis et Chloë or La Valse.

Bradford Robinson, 2008

For performance material please contact the publisher PWM, Krakow.