Leoš Janáček
(geb. Hukvaldy, 3. Juli 1854 — gest. Ostrava, 12. August 1928)

Capriccio

Der Komponist, Pianist, Dirigent, Musik-Ethnologe, Folklorist, Kritiker, Autor und Lehrer Leoš Janáček wurde 1854 in einem Städtchen in Mähren geboren. Die Hügel und Wälder dieser tschechischen Region, ihre Volksmusik und Musikkultur hatten entscheidenden Einfluß auf ihn. Sein Vater war Lehrer und wünschte, sein Sohn würde in seine Fußststapfen treten, doch gestattete er ihm, Musik zu studieren, als er seine diesbezügliche frühe Begabung erkannte. Nach Beendigung seiner Ausbildung kehrte er nach Mähren zurück und wirkte dort als Musiklehrer, Chormeister und Komponist; außerdem sammelte und studierte er heimische Volkslieder und -tänze. Allmählich stieg er zu den bedeutendsten musikalischen Positionen der mährischen Hauptstadt Brünn auf: Mit 62 Jahren war Janáček schon unverzichtbarer, respektierter Bestandteil der Brünner Musik-Gemeinde, doch außerhalb Mährens war er wenig bekannt. Zu dieser Zeit waren nur etwa 30 seiner Werke im Druck erschienen, vor allem kleine Chöre, Klavierstücke und Kirchenmusik. Nur wenige davon waren jemals außerhalb Mährens aufgeführt worden. Das änderte sich schlagartig mit dem 26. Mai 1916, dem Tag der Uraufführung seiner Oper Jenufa in Prag – ein überwältigender Erfolg, der etliche Produktionen in bedeutenden Opernhäusern und eine Veröffentlichung in der Wiener Universal Edition nach sich zog. Während der letzten zwölf Jahre seines Lebens nahm sein Schaffen noch einen erstaunlichen Aufschwung; währenddessen komponierte er jene Meisterwerke, auf denen heute sein internationaler Ruf gründet.

Diese schließen das Capriccio ein, eins seiner sechs bedeutenden Kammermusik-Werke, zugleich das letzte seiner Stücke, dessen Uraufführung (1928) er noch erleben durfte. Auftraggeber war der tschechische Pianist Otakar Hollmann, der aufgrund einer Verwundung aus dem ersten Weltkrieg nur die linke Hand benutzen konnte, ähnlich wie ein bekannterer Kriegsveteran – Paul Wittgenstein, der Werke für die linke Hand allein unter anderem bei Ravel, Prokofiev, Strauss, Korngold, Hindemith und Britten in Auftrag gegeben hatte. Hollmann seinerseits bat vor allem tschechische Komponisten um Stücke für ihn, darunter Jaroslav Tomášek, Václav Kaprál, Erwin Schulhoff und Bohuslav Martinů. Als er Janáček ansprach, wies dieser das Ansinnen anfangs mit den Worten zurück: »Aber, mein Lieber, warum wollen Sie denn nur mit einer Hand spielen? Auch Tanzen ist schwierig, wenn man nur ein Bein hat.« Vielleicht dennoch stimu-liert durch die Herausforderung, etwas für Klavier linke Hand allein zu schreiben, begann Janáček mit der Arbeit im Juni 1926 und beendete das Capriccio im Oktober. Der große Musikforscher und Komponist Donald Tovey bemerkte dazu: »Schreiben für die linke Hand allein ist aesthetisch interessant, weil gerade die dadurch gegebenen Restriktionen für die Erfindungskraft des Komponisten besonders stimulierend wirken.« Ursprünglich nannte Janáček das Werk Vzdor (Trotz) in Würdigung Hellmanns heldenmutiger Akzeptanz des grausamen Schicksalsschlags, vielleicht aber auch aufgrund der trotzigen Natur dieser Musik. Der letztgültige Titel gewährt einige Einblicke in das Stück. Vielleicht war sich Janáček Robert Schumanns Definition des Begriffes Capriccio bewußt – ein Genre, das sich von der schlichten Burleske darin unterscheidet, dass sie Sentimalität mit Witz verbindet.

In Janáčeks Capriccio finden wir Polkas, Märsche, Walzer und sentimentale Lieder durcheinander gewürfelt. Dazu schrieb Jeremy Denk sehr eloquent: »Erst lacht das Leben über die Sentimentalität der Musiker, dann weint es darüber. Fetzen von Straßenkapellenmusik sind Antiquitäten voller Gefühl; wenn man sie anfaßt (hört), machen sie einem Gänsehaut, sie erzählen von vergangenen Generationen, von Geistern (…), und oft fühlt sich das Stück an wie ein leeres, verwunschenes Zimmer (…). Er kreuzt unablässig von Fragment zu Fragment; jeder Interpret tritt furchtsam auf, stolpert auf der Bühne; schlägt sich mit dem Absurden herum.« Janáčeks Auswahl der begleitenden Instrumente wurde oft als verworren, bizarr, disfunktional und problematisch beschrieben. Janáček-Biograph Hans Hollander fand: »Noch mehr als in anderen problematischen Stücken des Komponisten hat seine Willkür, vielleicht auch techni-sche Unerfahrenheit, unspielbare oder klanglich nicht realisierbare Passagen hervorgebracht.« Ein späterer Biograph, Ian Horsbrugh, meinte: »Eine der anziehenden Seiten an Janáček ist, dass er so viele hoch originelle, abenteuerliche Ideen ausführte; allerdings in diesem Fall nicht erfolgreich.« Janáček wußte freilich genau, was er tat. Die Partien sind keineswegs unspielbar, nicht einmal besonders schwierig, und gute Musiker können hier auch eine gute Balance herstellen. Und wie könnte man die Ideen und Emotionen des Werkes besser zum Ausdruck bringen, als mit einer Straßenkapelle aus Flöte, Piccolo, zwei Trompeten, drei Posaunen und Tenortuba? Alles dient dem Maximum an musikalischer und emotionaler Wirkung.

Karl Hinterbichler, University of New Mexico, © 2009

»Bei einer so merkwürdigen Instrumenten-Kombination hängt die Wirkung der Musik sehr davon ab, wie gut man hinhört und das man genau dem folgt, was Janáček auch geschrieben hat (zum Beispiel ein mf im Klavier gegen ein p im Blech, und alle Arten subtiler Abstufungen).« (John Warrack)

»Die bizarr anmutenden Kombinationen im Capriccio (…) sind wohl überlegt. (…) Der Einfallsreichtum beim Instrumental-Ensemble wird einem weit eher bewußt als dessen Exzentrität.« (John Tyrell)

“Das Capriccio von Janáček ist ein erstaunliches, unmögliches Werk, und ungeachtet meiner Verbitterung aufgrund meiner Behinderung der linken Hand haut es mich völlig um. Ich liebe die unglückliche Instrumentierung: Der arme linkshändige Pianist, der im “falschen” Register spielt; Flöte und Piccolo, die verzweifelt versuchen, lyrisch zu spielen, und die wolkige Wummtata-Kapelle tiefer Blechbläser, die Dinge tun, nach denen sonst niemand fragen würde … Die mutige Entscheidung, so ungeschickt für die Spieler zu schreiben, hat eine erstaunlich ausdrucksvolle Wirkung.« (Jeremy Denk, Konzertpianist)

“Das Capriccio ist schon lang eins meiner Lieblingsstücke. Janáčeks meisterliche Schreibweise für Bläser ist eine schiere Freude zu hören. Die ganze Partitur ist inspiriert im besten Sinn. Das Werk läßt keinen Zweifel daran, das Leos Janáček ein echtes Genie war.« (Lawrence Budmen)

»Ein willkommenes Konzertstück mit vielen sprühenden Funken und interessanten Klängen.« (Donald Patterson)

»Janáček schuf hier für alle Beteiligten ein höchst befriedigendes, anspruchsvolles Werk. Die eigentlich zu erwartenden Balance-Probleme zwischen Flöte und Blech werden durch die sorgfältige Instrumentierung und Bezeichnung der Begleitung weitestgehend vermieden. has created a most satisfying and challenging work for all involved. Der Bläsersatz ist brillant, kombiniert mit einem überraschend reichen Klavierpart – ein Stück, das der besten Ensembles und Solisten würdig ist.« (Rodney Winther)

Literatur
- Beckerman, Michael: Janáček and His World. Princeton University Press, Princeton 2003
- Hollander, Hans. Janáček, His Life and Works. St. Martin’s Press, New York, 1963
- Horsbrugh, Ian: Leoš Janáček. Charles Scribner’s Sons, New York 1982
- Patterson, Donald L: One Handed. Greenwood Press, Westport 1999
- Semanova, Mirka: Janáček. North-Eastern University Press, Boston 2002
- Tyrrell, John: Janáček: Years of a Life: (1854-1914) The Lonely Blackbird (Bd. I). Faber, London 2006
- Winther, Rodney: An Annotated Guide to Wind Chamber Music. Warner Brothers Publications, Inc., Miami 2004

 

Aufführungsmaterial ist von Kalmus, Boca Raton zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

Leoš Janáček
(b. Hukvaldy, 3 July 1854 — d. Ostrava, 12 August 1928)

Capriccio

Composer, pianist, conductor, ethnomusicologist, folklorist, critic, writer, teacher, and administrator, Leoš Janáček, was born in a small village in Moravia in 1854. The hills and forests of these Czech lands were deeply rooted in folk music and folk culture, a decisive influence on Janáček. His father was a teacher and wished his son to follow in his footsteps, but recognizing his precocious talents allowed him to study music. After completing his education he returned to Moravia to begin a career as a composer, choirmaster and music teacher, at the same time collecting and studying folk music, songs and dances. He gradually ascended to the most prominent musical positions in the capital of Moravia, Brno. At the age of 62 Janáček was an integral member of the music community in Brno, respected as a composer, teacher, folklorist and administrator. His name outside of Moravia was little known. At that point in his life only about 30 of his composition were in print, consisting of some small choruses, keyboard pieces and liturgical works. Only a few of these had ever been performed outside of Moravia. That all changed on May 26, 1916 when his opera Jenufa was performed in Prague. It was an overwhelming success, with further productions in major opera houses and publication by Universal Edition in Vienna. In the last twelve years of his life he experienced an amazing creative upsurge during which time he composed the masterpieces on which his international reputation rests today.

That includes the Capriccio, one of only six major pieces of chamber music that he composed. It was also the last of his compositions that he heard premiered (1928). The Czech pianist Otakar Hollmann, who was wounded during World War I and only able to use his left hand, commissioned it. Not as well known or wealthy as fellow World War I veteran, Paul Wittgenstein, who commissioned works for the left hand from Ravel, Prokofiev, Strauss, Korngold, Hindemith and Britten, Hollmann tried to persuade contemporary Czech composers to compose pieces for the left hand, including Jaroslav Tomášek, Václav Kaprál, Erwin Schulhoff, and Bohuslav Martinů. When approached, Janáček initially refused to write such a work, declaring: “But, my dear boy, why do you want to play with one hand? It’s hard to dance when you have only one leg.” Perhaps stimulated by the challenge of writing a work for the left hand only, Janáček began working on the Capriccio in June 1926 and completed it by October. As Donald Tovey, the great musicologist wrote: “Writing for the left hand is of great aesthetic interest because the restrictions it imposes on the composer are a stimulus to his invention.” Originally Janáček titled the work Vzdor (Defiance) in honor of the heroic acceptance by Hollmann of a cruel blow of fate, and perhaps also for the defiant nature of the music. The ultimate title Capriccio offers some insights into this work. Perhaps Janáček was aware of Robert Schumann’s definition: a genre of music, which is different from the ‘low-comedy’ burlesque in that it blends the sentimental with the witty.
In Janáček’s Capriccio we hear polkas, marches, waltzes and sentimental songs all intermingled. As Jeremy Denk so eloquently wrote: “Life laughs at the sentimentality of the musicians, then cries. The bits of street-band music are antiques fraught with emotion; when you touch them (hear them) they give you a shiver, they tell you of generations past, of ghosts (…) the piece often feels like an empty, haunted room (…) He perpetually cross fades from fragment to fragment; every performer appears awkwardly, stumbles on stage, duels with absurdity.” Janáček’s choice of instruments to collaborate with the pianist has often been criticized as clumsy, bizarre, unworkable and problematic. Hans Hollander (a biographer of Janáček) stated: “More frequently than in other problematical works of the composer, his willfulness (and perhaps technical inexperience) has here produced unplayable, or tonally unrealizable, passages.” A more recent biographer, Ian Horsbrugh, wrote: “One of the attractions of Janáček is that he undertook so many highly original and adventurous ideas; this, alas, is one (Capriccio) that did not succeed.” Janáček knew exactly what he was doing. The instrumental parts are not unplayable, not even overly difficult, and good musicians can achieve a perfect balance. And what better ensemble to convey the ideas and emotions of this work than a street band consisting of flute (piccolo), two trumpets, three trombones and tenor tuba. Everything is written to extract the maximum musical and emotional effect.

“With such an odd combination of instruments, much of the music’s effect depends upon really listening and really following exactly what Janáček wrote (for instance, the piano mf against brass p, and all manner of subtle gradations).” (John Warrack)

“The bizarre combinations in the Capriccio (…) are well calculated. (…) One is made aware of the ingenuity rather than the eccentricity of the instrumental ensemble.” (John Tyrell)

“The Janáček Capriccio is an amazing, impossible piece, and despite my bitter left hand boot camp I am totally wowed by it. I am in love with its infelicitous instrumentation. The poor left-handed pianist, playing in the ‘wrong’ register; the flute and piccolo straining to be lyrical; the cloudy oompah band of low brass doing things they normally would never be asked to do. (…) The deliberate choice to write awkwardly for the players has a tremendous expressive effect.” (Jeremy Denk, concert pianist)

“The Capriccio has long been a favorite of mine. Janáček’s masterly wind writing is a joy to hear. The entire score is inspired in the best sense. This work leaves no doubt that Leos Janáček was an authentic genius.”(Lawrence Budmen)

“A welcome concert work with lots of sparkle and interesting sounds.” (Donald Patterson)

“Janáček has created a most satisfying and challenging work for all involved. The balance issues that one would expect between the flute and the brass rarely occur because of the care with which Janáček has scored the accompaniment. This is brilliant brass writing, combined with a surprisingly rich piano solo, a composition worthy of the finest ensemble and soloist.” (Rodney Winther)

Karl Hinterbichler, University of New Mexico, © 2009

Literature
- Beckerman, Michael. Janáček and His World. Princeton: Princeton University Press, 2003
- Tyrrell, John. Janáček: Years of a Life: (1854-1914) The Lonely Blackbird (Vol 1). London: Faber, 2006
- Semanova, Mirka. Janáček. Boston: Northeastern University Press, 2002
- Horsbrugh, Ian. Leoš Janáček. New York: Charles Scribner’s Sons, 1982
- Hollander, Hans. Janáček, His Life and Works. New York: St. Martin’s Press, 1963
- Patterson, Donald L. One Handed. Westport, CT: Greenwood Press, 1999
- Winther, Rodney. An Annotated Guide to Wind Chamber Music. Miami, FL: Warner Brothers Publications, Inc. 2004.

 

For performance material please contact Kalmus, Boca Raton. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.