Ernst Krenek
(geb. Wien, 23. August 1900,
gest. Palm Springs, California, 22. Dezember 1991)

Zweites Concerto grosso op. 25 (1924)

Vorwort
Während seiner langen, abwechslungsreichen und außerordentlich produktiven Karriere durchlief Ernst Krenek viele Kompo-sitionsstile und ästhetische Haltungen – vom ungezügelten Expressionismus seiner Jugend bis zum energischen Eintreten für die Aleatorik in der Spätzeit, wobei er nicht einmal davor zurückschreckte, sich an Tin Pan Alley-Songs zu versuchen. Mit ungewöhnlicher Leichtigkeit begabt, schuf er ein musikalisches Oeuvre, das allein dem Umfang nach keinen Vergleich mit den fruchtbarsten Komponisten des 20. Jahrhunderts – wie etwa Darius Milhaud oder Bohuslav Martinů – scheuen muss, diese jedoch an Vielfalt und kompositionstechnischer Vielseitigkeit weit übertrifft. Seine Schriften über Musik und Literatur, aber auch über Psychologie und Soziologie, zeigen ihn als einen der scharfsinnigsten musikalischen Köpfe des 20. Jahrhunderts und führten zu literarischen Freundschaften mit so unterschiedlichen Persönlich-keiten wie Rilke, Adorno oder Thomas Mann. Schon vor dem Hoch-schulabschluß sicherten ihm seine I. und II. Symphonie (1921/22) sowie das 1. Streichquartett (1921) schnell einen Platz an vorderster Front unter den deutschen Nachkriegskomponisten. Ausgestattet mit einem Exklusivvertrag mit der Wiener Universal Edition kehrte er umgehend dem akademischen Studium den Rücken und schlug die Laufbahn eines freischaffenden Komponisten ein, wobei er bald neben Hindemith und – etwas später – Kurt Weill zu den drei führenden deutschen Komponisten seiner Generation gehörte.

Im Jahre 1923 bot der große Schweizer Musikmäzen Werner Rein-hart dem jungen Krenek eine großzügige zweijährige Fördersumme von 10.000 Schweizer Franken an, die es dem Komponisten erlauben sollte, sich von allen lästigen Brotarbeiten zu befreien und ausschließlich dem Komponieren zu widmen. Nur zwei Bedin-gungen waren daran geknüpft: Er müsse als Wohnort die Schweiz wählen und seine Liebesbeziehung zu der Mahler-Tochter Anna durch eine Heirat besiegeln, um die Empfindlichkeiten der Schweizer Öffentlichkeit nicht zu verletzen. Krenek willigte ein – mit der Folge, daß er bald aus der Großstadt Berlin in die Provinz zog (er blieb danach zeitlebens ein überzeugter Provinzler), und daß ihm durch die kurz darauffolgende Scheidung von Anna Mahler die 10.000 Schweizer Franken mit einem Schlag wieder verlorengingen.

Anfang 1924 befand sich also Krenek in der kleinen, kulturell jedoch sehr aktiven Schweizer Stadt Winterthur. Nachdem er gerade sein Viertes Streichquartett op. 24 abgeschlossen hatte, machte er sich gleich an die Komposition eines neuen Werks, das – wie er bald erkannte – eine stilistische Wende in seinem Oeuvre herbeiführen sollte: das Zweiten Concerto grosso, op. 25, das er am Neujahrstag 1924 begann und mit gewohnter Schnelligkeit am 23. Februar bereits abschloß. Über die Entstehung des Werks hat er ausführlich in seinen Memoiren Im Atem der Zeit (1998) berichtet:

„Im zweiten Stück, das ich gleich darauf begonnen haben muß [d.h. nach dem Vierten Streichquartett, op. 24], meinem Zweiten Concerto grosso, op. 25, zeichnet sich eine neue Tendenz in meinem Komponieren ab. Später, als die Partitur veröffentlicht wurde [1925], versah ich sie mit einer zweisprachigen Widmung, ‚Hommage an meine Freunde in der Schweiz‘. Ich weiß nicht genau, ob es damals war, daß ich zum erstenmal Strawinskys Pulcinella Suite hörte, das erste einer langen Reihe von Werken in Verkleidung sozusagen, die dieser eigenartige Komponist seither geschaffen hat. Ich war von dem klar konturierten, irgendwie stählernen, polierten, glitzernden und stromlinienförmigen Charakter dieser ansprechenden Paraphrase der lebhaften und schelmischen Melodien Pergolesis sehr beeindruckt. Offenbar war ich durchaus zu einer Neuorientierung bereit, sonst hätte ich meine neuen Lebensumstände nicht so begeistert angenommen. Ich fühlte mich immer mehr von einem musikalischen Ideal angezogen, das dem überschwenglichen, zügellosen, leidenschaftlichen und scheinbar schwerfälligen expressionistischen Stil eher entgegengesetzt war.

Wie viele andere Komponisten dieser Zeit – Paul Hindemith zum Beispiel – erwartete ich, einen neuen Ansatz zu finden, indem ich mich den Textur- und Strukturformen des Orchesterstils des siebzehnten und frühen achtzehnten Jahrhunderts annäherte. Das Stück, das ich schrieb, ist eine meiner erfolgreicheren Kompositionen im ‚modernen‘ Stil geworden. Es war für drei Soloinstrumente – Violine, Viola und Cello – und ein mittelgroßes Orchester, in dem die Streicher, den alten Vorbildern entsprechend, abwechselnd als ‚tutti‘ oder als ‚ripieno‘ behandelt wurden, wobei letzteres bedeutet, daß eine kleinere Gruppe die Soloinstrumente begleitet. Das Stück hatte, glaube ich, fünf Sätze, und der erste und der letzte waren den entsprechenden Sätzen der Brandenburgischen Konzerte nachgebildet. Einer der Mittelsätze enthielt Abschnitte wie Sarabande und Menuett. Das Idiom ähnelte noch sehr dem meiner früheren atonalen Werke, und einer der langsamen Sätze hatte einen überwältigenden Höhepunkt, der an ähnliche Passagen in meinen Symphonien erinnerte. Das Stück hatte jedoch etwas von einer neuen Stimmung, etwas ‚Praktisches‘, das dem Gedanken der ‚Gebrauchsmusik‘ verwandt war, für die sich Hindemith und andere damals mit ihren Kompositionen einzusetzen begannen.“

Das Zweite Concerto grosso wurde am 14. Oktober 1924 durch die Tonhalle-Orchester Zürich unter der Leitung von Volkmar Andreae uraufgeführt und gleich im darauffolgenden Jahr beim Wiener Musikverlag Universal veröffentlicht. Recht bald wurde das neue Werk von vielen Orchestern in und auch außerhalb der Schweiz ins Repertoire aufgenommen: Eine Aufführung in Bern durch Fritz Grun fand beispielsweise im Januar 1925 statt, kurz darauf eine weitere unter der Leitung des Komponisten in Kassel. Vor allem aber ertönte das Zweite Concerto grosso repräsentativ am 19. Mai 1925 bei der Prager Jahresversammlung des Internationalen Gesellschaft für Zeitgenössische Musik. Wie mit dem kompositorischen Frühwerk Kreneks überhaupt wurde jedoch auch sein op. 25 bald durch den phänomenalen Erfolg seiner “Jazzoper” Jonny spielt auf (UA 1927) in den Schatten gestellt, woraufhin die Konzertgänger kein weiteres Interesse an seinen modern angelegten früheren Stilrichtungen zu hegen schienen. Trotzdem hat sich das Zweite Concerto grosso einen bescheidenen Platz im Konzertrepertoire unter den professionellen Streichtrios bis heute behalten können und wurde 2000 durch die Jenaer Philharmoniker auf CD verlegt. (Zwei weitere Rundfunkaufnahmen unter der Leitung des Komponisten – mit den Wiener Symphonikern bzw. den Nordwestdeutschen Philharmonikern des WDR – bleiben noch unveröffentlicht.) Vor allem aber: Durch seine Vereinfachung der kompositorischen Stilmittel erwies sich das Zweite Concerto grosso als Vorbote jenes “hedonistischen Konstruktivismus” (Slonimsky), der in der zweiten Hälfte des Jahrzehnts die Grundlage der Neuen Sachlichkeit bilden sollte, und verdient daher neben den Schwesternwerken, dem Ersten Violinkonzert op. 29 und der Symphonie pour instruments à vent et batterie op. 34, einen festen Platz in der Musikgeschichte der 1920er Jahre.

Bradford Robinson, 2009

Aufführungsmaterial ist von der Universal Edition, Wien zu beziehen.

Ernst Krenek
(b. Vienna, 23 August 1900; d. Palm Springs, 22 December 1991)

Second Concerto grosso
op. 25 (1924)

Preface
In his long, diverse, and extraordinarily productive career Ernst Krenek passed through many compositional styles and aesthetics, from the unbridled atonal Expressionism of his youth to an energetic espousal of indeterminacy in his old age, and was not even averse to trying his hand at Tin Pan Alley songs. Gifted with unusual facility, he turned out a body of music that in sheer bulk brooks comparison with the most prolific composers of the century - Darius Milhaud, say, or Bohuslav Martinů - while surpassing them in the variety and versatility of his technique. His essays on music, literature, even psychology and sociology place him among the most incisive musical minds of the twentieth century and brought him literary friendships with figures as diverse as Rilke, Adorno, and Thomas Mann. His early First and Second Symphonies (1921-2) and First String Quartet (1921) quickly placed the young man at the forefront of post-war German composers before he had even completed his music degree. He immediately abandoned his studies and, armed with an exclusive publishing contract from Universal-Edition in Vienna, advanced upon a career as a freelance composer, where he joined Hindemith and, later, Kurt Weill, as the three most gifted German composers of his generation.

In 1923 the great Swiss patron, Werner Reinhart, generously offer-ed the young composer a two-year grant of 10,000 Swiss francs that would relieve him of all money-making obligations and allow him to devote himself entirely to composing. However, two conditions were attached: he would have to live in Switzerland, and he would have to marry his lady-friend Anna Mahler, the daughter of the famous composer, lest he offend Swiss sensibilities. Krenek agreed to both conditions, with the twin results that he left he the metropolis of Berlin for the provinces (he remained a confirmed provincial to the end of his days) and soon became a married man. (The subsequent hasty divorce from Anna would cost him, at a single stroke, the 10,000 francs he received from the stipendium.)

The beginning of 1924 thus found Krenek in the tiny but cultural-ly active Swiss town of Winterthur. Having just completed his Fourth String Quartet, op. 24, he immediately embarked on a new work which, as he quickly realized, augured a new stylistic period in his oeuvre: the Second Concerto grosso, op. 25, begun on New Year’s Day of 1924 and completed, with his usual swiftness, on 23 February. In retrospect he attributed the change in style to a hearing of Stravinsky’s Pulcinella Suite, whose clearly structured, burnished, and streamlined textures left a deep impression on him at the time. Krenek gradually found himself drawing away from the excessive and unbridled Expressionism that had marked his preceding works, especially the First and Second Symphonies, and sought contact with the orchestral style of the high baroque. The result was one of the earliest German essays in neoclassicism, and one which he later numbered among his most successful works of the period.

Like the Brandenburg Concertos that served as Krenek’s model, the orchestra of the Second Concerto grosso is divided into a tutti and a smaller ripieno section that accompanies the three solo instruments: violin, viola, and cello. Despite the historicizing partition of the orchestra and the explicit use of dance models in the inner movements, however, the break with his Expressionist style is anything but complete: the general idiom resembles that of his earlier atonal works, and one of the slow movements reaches a towering climax worthy of the symphonies.

The Second Concerto grosso was premièred by the Zurich Tonhalle Orchestra on 14 October 1924, under the baton of Volkmar Andreae, and published by Universal in 1925 with a bilingual dedication “to my friends in Switzerland.” It was quickly taken up by other orchestras in Switzerland and abroad: Fritz Brun conducted a performance in Berne in January 1925, and the composer himself did the same in Kassel a short while later. Most notably, it was featured at the Prague meeting of the International Society for Contemporary Music on 19 May 1925. As with all of Krenek’s early music, however, it was soon utterly eclipsed by the extraordinary success of his “jazz opera” Jonny spielt auf (premièred in 1927), after which audiences were loathe to listen to the more modernistic earlier works. Since then op. 25 has managed to retain a slender toe-hold in the repertoire among professional string trios and has been issu-ed at least once on a commercial recording, by the Jena Philharmonic in 2000. (Two radio recordings conducted by Krenek himself, one with the Vienna SO and another with the Northwest German PO, remain unpublished.) Still, with its new simplificat-ion of means, the Second Concerto grosso stands as a harbinger of the “hedonistic constructivism” (Slonimsky) that was to form the basis of Germany’s Neue Sachlichkeit later in the decade, and as such the work ranks alongside Krenek’s First Violin Concerto, op. 29, and the Symphonie pour instruments à vent et batterie, op. 34, as a landmark in the music history of the 1920s.

Bradford Robinson, 2009

For performance material please contact the publisher Universal Edition, Vienna.