Leoš Janáček
(b. Hukvaldy, 3 July 1854 — d. Moravská Ostrava, 12 August 1928)

Idyla
(“Idyll”)
for string orchestra (1878-80)


Vorwort
Im Jahre 1876 fertigte der grosse deutsche Orgelbauer Georg Friedrich Steinmeyer ein prachtvolles neues Instrument in der mährischen Hauptstadt Brünn (heute: Brno). Anläßlich des Einweihungskonzerts am 20. August 1876 war er vom Spiel eines jungen einheimischen Organisten derart beeindruckt, daß er diesen zu einem Besuch an den Firmensitz in der bayerischen Kleinstadt Oettingen einlud. Warum denn nicht, dachte der damals 22jährige, mit der grossen, weiten Welt noch nicht vertraute Künstler. Doch sollte es schliesslich noch zwei Jahre dauern, bis Leoš Janáček die Einladung wahrnehmen konnte.

Bis dahin aber hatte Janáček ein tschechisches Orchester in Brünn gegründet – die „Beseda“ als Anhang zur gleichnamigen Chorgesellschaft – und Freundschaft mit dem damals wenig bekannten Antonín Dvořák geschlossen, mit dem er zu Fuß seine böhmische Heimat erkundete, und dessen Musik er mit seinem Orchester aufführte ( in unserem Zusammenhang vor allem die Serenade für Streicher aus dem Jahr 1876). Bis zu seiner Deutschlandreise 1878 war er also mit der Musiksprache Dvořáks bestens vertraut und bereit, sein Glück mit eigener Orchestermusik für Streicher zu probieren. Sein erster Versuch – die Suite für Streicher von 1877 – wurde mit dem Brünner Beseda-Orchester im gleichen Jahr unter seiner Leitung uraufgeführt. Der zweite – die ebenfalls für Streichorchester konzipierte Idylle – entstand erst 1878 während besagter Deutschlandreise, als die fünfsätzige Urfassung zwischen dem 31. Juli und dem 29. August in Oettingen komponiert wurde. Diese erste Fassung erlebte ihre Uraufführung am 15. Dezember 1878 in Brünn, ebenfalls mit dem Beseda-Orchester unter der Leitung des Komponisten, diesmal sogar mit Dvořák im Publikum. Bis Dezember 1880 hatte das Werk zwei weitere Sätze erhalten und damit seine endgültige siebensätzige Form erreicht. Aus diesen sieben Sätze wurden fünf (Nr. 1, 2, 6, 5 und 7) am 12. Dezember 1880 von dem Beseda-Orchester unter Janáčeks Leitung in Brünn aufgeführt. Mittlerweile hatte der Komponist jedoch seine Leipziger Studienzeit (1879) hinter sich und war sich der kompositiontechnischen Mängel des Werks nur allzu bewußt. In einem Brief an seine Ehefrau Zdenka vom 21. Februar 1880 bezeichnete er sowohl die Suite als auch die Idylle als „überholt“. Erst zehn Jahre später fühlte sich Janáček wieder imstande, ein weiteres Orchesterwerk in Angriff zu nehmen – es waren die berühmten Lachi-schen Tänze vom 1889/90 –, wobei er nunmehr zum erstenmal wagte, Blasinstrumente miteinzubeziehen.

Dennoch: Die Nachwelt hat die Idylle gnädiger beurteilt als der Komponist. Nach seiner Wiederentdeckung 1938 durch den Musikforscher Vladimir Helfert wurde das Werk 1951 als Taschenpartitur und Stimmensatz und ein Jahr später als Großpartitur veröffentlicht (beides beim Prager Verlag Orbis), 1974 wurde die Idylle als Taschenpartitur beim Verlag Artia in Prag neu herausgegeben. Seitdem ist das Werk fast zwanzigmal auf Tonträger eingespielt worden. Auch wenn die Idylle vom reifen Personalstil Janáčeks noch weit entfernt zu sein scheint, weist sie viele bemerkenswerte Eigenschaften auf, die zu ihrer heute noch andauernden Beliebtheit beitragen. Darunter sind beispielsweise die Einschübe im 5/4-Takt im dritten Satz, die – nach Angaben des Komponisten – als Eindruck einer Bootsfahrt am Starnberger See entstanden. Der berückend schöne, von gedämpften Streichern getragene fünfte Satz (einer der beiden neu hinzugekommenen Sätze der 2. Fassung) erlangte besonderen Ruhm als Teil der Filmmusik zur Unerträglichen Leichtigkeit des Seins (1988, Regie Philip Kaufman). Obwohl dieser Satz – vor allem wegen des differenzierten Einsatzes von Pizzicato in den Begleitstimmen – oft als besonders auffallender Beweis für den Einfluß Dvořáks hervorgehoben wird, wäre es kaum weniger treffend, ihn als Vorbote der romantisierenden Adagios der Spätzeit Janáčeks zu bezeichnen, wie etwa im herrlichen langsamen Satz der Sinfonietta (1926) deutlich zu spüren.

Bradford Robinson, 2009

 

Aufführungsmaterial ist von der Bärenreiter, Kassel zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

— d. Moravská Ostrava, 12 August 1928)

Idyla
(“Idyll”)
for string orchestra (1878-80)

Preface
In 1876 the great German organ builder, Georg Friedrich Steinmeyer, completed a superb new instrument in the Moravian capital of Brünn, or Brno. At the inaugural recital on 20 August 1876 he was thoroughly impressed by the playing of a young local organist and invited him to come visit the firm’s headquarters in Oettingen, Bavaria. Why not, thought the young man, then twenty-two years of age and as yet unacquainted with the larger world. It would take two years before Leoš Janáček finally took advantage of the invitation.

By then Janáček had founded a Czech orchestra in Brno – the Beseda, attached to the choral society of that name – and had established a close friendship with the still largely unknown Czech musician Antonín Dvořák, with whom he went on walking tours of Bohemia and whose music he performed with his new orchestra (notably, in our context, the Serenade for Strings in 1876). By the time Janáček traveled to Germany in 1878, he was steeped in Dvořák’s musical style and ready to try his own hand at orchestral music. His first attempt, the Suite for strings of 1877, was premièred under his baton with the Brno Beseda that same year. The second, Idyll, likewise for string orchestra, had to wait until his German tour of 1878, when its five-movement first version was composed between 31 July and 29 August in the little Bavarian town of Oettingen. This version received its première in Brno on 15 December 1878, again with the Beseda under Janáček’s baton and with Dvořák in attendance. By December 1880, however, it had acquired two further movements to produce its present seven-movement form. Five movements of this new version (nos. 1, 2, 6, 5 and 7) were performed in Brno on 12 December of that year, again with the Beseda, and again with Janáček conducting. But in the meantime the composer had begun his studies in Leipzig (1879) and become acutely aware of the work’s technical shortcomings. Writing to his wife Zdenka on 21 February 1880, he noted that the Suite and the Idyll were both “outdated.” It would be another ten years before he attempted another orchestral work – the famous Lachian Dances (1889-90) – by which time he felt comfortable enough to write for a full orchestra with winds.

Posterity has looked more kindly on the Idyll than its composer. Rediscovered in 1938 by Vladimir Helfert, the work was published in pocket score and parts in 1951, and in full score one year later, both by Orbis of Prague. In 1974 the work was reissued in pocket score by the Prague publishing house of Artia. Since then it has been recorded almost twenty times. Although still far removed from Janáček’s mature style, it has many striking features that contribute to its ongoing popularity. Among them are the interpolations in 5/4 meter in movement 3, which Janáček claimed were inspired by a boat outing on Lake Starnberg. Its fifth movement, the beautiful Adagio for muted strings (one of the two new movements written for Version 2), achieved particular fame by appearing on the sound track of Philip Kaufman’s film The Unbearable Lightness of Being (1988). This movement has often been singled out as evidence of Dvořák’s influence, especially the delicate use of pizzicato in the accompaniment, but it might just as easily be seen as a distant precursor of Janáček’s late romantic adagios, such as the magnificent slow movement of the Sinfonietta (1926).

Bradford Robinson, 2009

For performance material please contact the publisher Bärenreiter, Kassel. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.