Karol Szymanowski
(geb. Tymoszóka, Ukraine, 6. Oktober 1882 - gest. Lausanne, 29. März 1937)

Konzert Nr. 2 für Violine und Orchester op. 61
(1931/32)

Vorwort
Bei dem in den Jahren 1931/32 entstandenen Zweiten Violinkonzert von Karol Szyma-nowski handelt es sich um das letzte Orchesterwerk, das der große polnische Komponist vor seinem Tod an Luftröhrenkrebs im relativ frühen Alter von 54 Jahren schuf. Genau wie sein etwas beliebterer Vorgänger, das Erste Violinkonzert von 1916, wurde das Werk in enger Zusammenarbeit mit dem polnischen Geigenvirtuosen Paweł Kochańsky (1887-1934) komponiert, der auch mit Prokofiew und Strawinsky in kollegialer Beziehung stand (u.a. entsprang die erste Pulcinella-Suite Strawinskys einer Anregung des Virtuosen). Nicht nur redigierte Kochańsky die Solopartien beider Konzerte mit Hinblick auf ihre geigentechnische Ausführung – genau wie seinerzeit Joseph Joachim die Brahms- und Bruch-Konzerte –, sondern er schrieb für beide Werke auch Soloka-denzen, die Szymanowski unverändert in die endgültige Partitur übernahm. Wie der Komponist in einem Brief vom 6. September 1932 gestand: “Das Zweite Violinkonzert wurde aus mir innnerhalb von vier Wochen von Kochańsky herausgequetscht.”

Tatsächlich verlief jedoch der Schaffensprozeß etwas komplizierter. Im Juni 1932 reiste Szymanowski für einen zweimonatigen Aufenthalt nach Paris, wo er sich mit dem mittlerweile in die USA übersiedelten, an der New Yorker Julliard School tätigen Kochańsky traf. Zu diesem Zeitpunkt hatte der Komponist in seinem Gepäck bereits einen Rohentwurf des neuen Konzerts, den er stolz seinem Freund vorzeigen konnte. Kochańsky zeigte sich vom neuen Werk höchst angetan, und die beiden Freunde beschlossen, gemeinsam nach Szymanowskis Sommerfrische in der Kleinstadt Zakopane zu fahren, um die kompositorischen Details auszuarbeiten. Szymanowski fühlte sich Kochańsky dabei zutiefst verbunden: Das Zweite Violinkonzert wurde dem polnischen Virtuosen gewidmet, und der Erstdruck, der 1934 im Pariser Musikverlag Max Eschig als Partitur und Klavierauszug erschien, trägt im Titel die anerkennenden Worte “parti du violon en collaboration avec Paul Kochansky“. Entsprechend war es auch Kochańsky, der am 6. Oktober 1933 die Warschauer Uraufführung mit dem Philhamonischen Orchester Warschau bestritt, und zwar unter der Leitung des Szymanowski-Freunds Grzegorz Fitelberg, der auch den oben erwähnten Klavierauszug besorgte.

Neben der Vierten Symphonie (1932) und der Ballettmusik Harnasie (1922-32) stellt das Zweite Violinkonzert den Höhepunkt der sogenannten “dritten Schaffensperiode” Szymanowskis dar, in der er sich vom impressionisten Stil der Vorkriegsjahre distanzierte und sich zugleich von der polnischen Folklore anregen liess, die er im gleichen Sinne (wenn auch nicht mit der gleichen Radikalität) wie sein von ihm hochgeschätzter Altersgenosse Béla Bartók behandelte. Ebenso wie das Erste Konzert ist das Zweite in einem einzigen Satz angelegt, der sich in zwei größere, durch die Solokadenz Kochańskys getrennte Abschnitte teilt. Das Werk ist beinahe monothematisch konzipiert, wobei der Hauptteil des musikalischen Materials aus einer einzigen aufsteigenden kleinen Terz gewonnen wird, die auf verschiedenste Weise verarbeitet und stellenweise durch eine erhöhte vierte Tonstufe lydisch gefärbt wird. Der zweite Abschnitte scheint zunächst auf einem konstrastierunden aufsteigenden Quartgang zu beruhen, der jedoch zum Schluß in das aufsteigende Terzmotiv des Werkanfangs zurückverwandelt wird. Durch den monothematischen Aufbau entsteht ein dichtes motivisches Beziehungsgeflecht, das die ganze 23minütige Aufführungsdauer des Werks durchzieht. Die Einheitlichkeit der kompositorischen Faktur spiegelt sich auch im Verhältnis des Orchesters gegenüber dem Solisten wider, der in den reich verwobenen, fein verarbeiteten Orchestersatz wie ein Primus inter pares hinein- und herausschlüpft. Das Verhältnis zwischen Solisten und Orchester wird aufschlußreich, wenn auch leicht abwertend, von Joseph Kerman in seinen Harvard-Vorträgen von 1997/98 hervorgehoben: “Die Orchestrierung der beiden Violinkonzerte Szymanowskis gehört überhaupt zu den reichhaltigsten im ganzen Repertoire des Instrumentalkonzerts. Hier liegt das Wesen des Orchesters nicht etwa in der Masse oder der Gewalt oder der Klangrede, sondern eher in einer bunt schillernden Klangfarbigkeit. Das Problem mit diesen beiden unzweifelbar hochrangigen Werken besteht nicht etwa darin, daß man die Geige nicht hört – sie bleibt immer gut hörbar –, sondern darin, daß das Orchester immer so viel interessanter wirkt.“

Der Einwand Kermans verpufft, wenn wir dieses Werk nicht etwa als romantisches Konzert für einen virtuosen Solisten, sondern – und sicherlich passender – als Orchesterkomposition mit einer gedankenvoll-meditativen Obligatstimme für Solovioline betrachten.

Obwohl Szymanowski schließlich seinem Zweiten Violinkonzert unfreundlich gegenüberstand (er assoziierte es mit dem Tod seines vielgeliebten Mitstreiters Kochańsky zusammen, der kurz nach der Uraufführung des Werks verstarb), ist die Musikwelt nach wie vor anderer Meinung. Zu den frühen Bewunderern des Konzerts gehörte u.a. Nathan Milstein, der im Alter von 19 Jahren die russische Erstaufführung von Op. 61 in der Fassung für Violine und Klavier aufführte, (der Klavierpart wurde von einem weiteren 19jährigen Genie bestritten: Vladimir Horowitz). Auch wurde das Werk vielfach auf Tonträger eingespielt, vor allem in den letzten Jahren, als es junge Nachwuchsvirtuosen als willkommene Ergänzung des Standardrepertoire entdeckten. Neben vier maßgebenden Einspielungen durch Henryk Szeryng (mit den Dirigenten Artur Rodzinski, Ernset Ansermet, Jan Krenz und Kazuyoshi Akiyami) ist auch neuerdings eine hervorragende Aufzeichnung durch Thomas Zehetmair mit dem City of Birmingham Orchestra unter Simon Rattle erschienen.

Bradford Robinson, 2008

Aufführungsmaterial ist von der PWM-Edition, Krakau zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

Karol Szymanowski
(b. Tymoszóka, Ukraine, 6 October 1882 - d. Lausanne, 29 March 1937)

Violin Concerto No. 2, op. 61
(1931-2)

Preface
Karol Szymanowski’s Second Violin Concerto of 1931-2 was the last orchestral work that this great Polish composer produced before his untimely death of laryngeal cancer at the relatively early age of fifty-four. Like its more popular predecessor, the First Violin Concerto of 1916, it was composed in close collaboration with Paweł Kochańsky (1887-1934), the Polish violin virtuoso who was also closely associated with Prokofiev and Stravinsky (the first Pulcinella Suite, among other things, was written at his instigation). Not only did Kochańsky closely examine the violin parts of both concertos for their performability, much in the same way that Joseph Joachim did for the Brahms and Bruch concertos, he also supplied cadenzas to both works that Szymanowski incorporated intact into the final scores. As the composer wrote in a letter of 6 September 1932, “the Second Violin Concerto was squeezed out of me in four weeks by Kochańsky.”

In fact, the compositional process was more complicated than that. In June 1932 Szymanowski travelled to Paris for a two months‘ stay during which he met up with Kochańsky, who had by then moved to the United States and was teaching at Juilliard. At that time the composer could already bring along a rough sketch of the new concerto, which he proudly showed to his friend. Kochańsky was delighted, and the two men agreed to travel to the composer’s summer retreat in the town of Zakopane to work out the details of the score. Szymanowski was not unaware of his debt to Kochańsky: the Second Concerto is dedicated to the Polish violinist, and the publication, issued both in full score and reduction for piano and violin by Max Eschig (Paris, 1934), carries the by-line “parti du violon en collaboration avec Paul Kochansky.” Fittingly, it was Kochańsky who gave the première in Warsaw on 6 October 1933, with the Warsaw Philharmonic Orchestra conducted by Grzegorz Fitelberg, who also supplied the piano reduction for the aforementioned Eschig print.

The Second Concerto represents, along with the Fourth Symphony (1932) and the ballet Harnasie (1922-32), the zenith of Szymanowski’s so-called “third period,” during which he left his impressionist style of the pre-war years and drew inspiration from Polish folk music, approaching it in much the same spirit (if not the same radicality) as his age-mate Béla Bartók, a composer he greatly admired. Like the First Concerto, it is written in a single movement that falls into two large sections separated by Kochańsky’s cadenza. It is almost monothematic in conception, with virtually the entire material derived from a motif of an ascending minor third, which is elaborated in a great many ways and often given a Lydian flavor with an added raised fourth scalar degree. The latter section at first seems to be constructed from an ascending scalar segment spanning the interval of a fourth, only to transmute this new motif into the original ascending minor third of the opening. The monothematic construction leads to a dense nexus of motivic relations pervading the full twenty-three minutes of the score. This uniformity of compositional fabric is also reflected in the handling of the orchestra vis-à-vis the violin, which slips in and out of the rich, delicately wrought orchestral texture like a primus inter pares. This relation between soloist and orchestra is revealingly, if somewhat pejoratively, described by Joseph Kerman in his Norton lectures of 1997-8: “The orchestration in [Szymanowski’s] two violin concertos is about the richest to be found in the concerto repertory. The orchestral particularity here is color rather than mass or power or discourse - kaleidoscopic color. The problem with these unquestionably distinguished works is not that you can’t hear the violin; you always can; but the orchestra is always so much more interesting.”

Kerman’s caveat vanishes if we regard the work, as we undoubtedly should, not as a romantic concerto for a virtuoso instrumentalist, but as an orchestral composition with a thoughtful and meditative obligato part for solo violin.

Although Szymanowski came to dislike his Second Violin Concerto, which he associated with the death of his beloved collaborator Kochańsky shortly after its composition, the world of music has been of a different opinion. Among its early champions was Nathan Milstein, who gave the work its first Russian performance at the age of nineteen, using the version for violin and piano (the piano part was taken by another nineteen-year-old genius, Vladimir Horowitz). It has been frequently recorded, especially in recent years, as young musicians have found in it a fresh and welcome alternative to the standard repertoire. At least four distinguished readings were issued by Henryk Szeryng (with the conductors Artur Rodzinski, Ernset Ansermet, Jan Krenz, and Kazuyoshi Akiyami), and an outstanding recent recording was made by Thomas Zehetmair, with Simon Rattle conducting the City of Birmingham Orchestra.

Bradford Robinson, 2008

 

For performance material please contact the publisher PWM-Edition, Kraków. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.