Jean-Baptiste Lully
(geb. Florenz, 28. November 1632 – gest. Paris, 22. März 1687)
Le Bourgeois gentilhomme
(“Der Bürger als Edelmann“)
Bühnenmusik zur gleichnamigen Comédie-Ballet in 5 Akten von Molière
(1670)
Vorwort
Am 4. August 1669 traf der türkische Gesandte Müteferrika Süleyman
Ağa aus Istanbul mit einem 20köpfigen Gefolge in Toulon ein und forderte
eine Audienz beim französischen König Ludwig XIV. Sein Wunsch ging
zwar in Erfüllung, bei der Audienz jedoch kränkte er seinen Gastgeber
sehr, indem er den überlegenen Glanz des türkischen Hofs gegenüber
dem französischen prahlerisch beteuerte, worauf ihm alle weiteren
Besuche in Versailles stracks untersagt wurden. Dieser diplomatische
Zwischenfall, obwohl an und für sich unbedeutend, sollte für die
Geschichte des abendländischen Theaters Folgen haben, denn der Sonnenkönig
orderte keinen geringeren als Molière herbei und bestellte von ihm
ein Bühnenstück, in dem die Türken in einem Ballett verspottet werden.
Das literarische Ergebnis zählt zu den großen Schätzen der Weltliteratur:
Le Bourgeois gentilhomme, in dem der Titelheld Monsieur Jordain dazu
überlistet wird, ein türkisches Adelsprädikat anzunehmen, und in
einem abschließenden pseudotürkischen Ballett zum Gegenstand des
allgemeinen Spotts wird. Am 14. Oktober 1670 erlebte das neue Stück
– mit einem ebenso großen wie dauerhaften Erfolg – eine prunkvolle
Uraufführung durch die Schauspieltruppe Molières vor dem versammelten
Hofstaat im Schloß Chambord. Als Meister der Charakterkomödie aber
hatte Molière mit Le Bourgeois gentilhomme weitaus mehr als eine
bloße Persiflage der damals wütenden Türkenmode geschaffen: Auch
nimmt das Stück die Heucheleien und Anmaßungen des Bürgertums wie
auch die des Adels beißend und treffsicher unter die Lupe.
Ebenfalls ist Le Bourgeois gentilhomme in die Musikgeschichte eingegangen,
denn das Stück wurde als Comédie-Ballet (Ballett mit gesprochenen Dialogen)
konzipiert, mit musikalischen Beilagen von keinem geringeren als dem
großen königlichen Hofkomponisten Jean-Baptiste Lully, der auch die
Rolle des Großen Mufti bei der Première kreierte. Das Bühnenstück wurde
zum wohl langlebigsten der Meisterwerke Molières, und so blieb die
Bühnenmusik Lullys jahrzehntelang im Repertoire, bis sie schließlich
im 18. Jahrhundert langsam durch neue Vertonungen verdrängt wurde.
Im Jahre 1891 wurde die Originalmusik Lullys von J. B. Weckerlin „rekonstituiert“
und in Paris veröffentlicht; vier Jahrzehnte danach wurde sie in einer
Ausgabe von G. Sazerac de Forge in die große, von Henri Prunières herausgegebene
Gesamtausgabe Oeuvres complètes de Lully aufgenommen (Paris 1938, Nachdruck
1974); und neuerdings erschien sie in einer von Herbert Schneider sorgfältig
besorgten Neuausgabe im Rahmen der neuen Oeuvres complètes (Hildesheim
2006). Nicht weniger interessant ist eine Abschrift, die um 1690 durch
den Komponisten und königlichen Musikbibliothekar André Danican Philidor
l’aîné (1647-1730) erstellt wurde und heute beim International Music
Scores Library Project (IMSLP) im Internet zugänglich ist. Die musikalischen
Zwischenspiele Lullys sind auch mehrfach durch namhafte Vertreter der
Alten Musik von Gustav Leonhardt bis Marc Minkowski auf Platte oder
CD eingespielt worden.
Auch auf andere Weise ist Le Bourgeois gentilhomme in die Musikgeschichte
eingegangen. In den ersten Jahren nach der Jahrhundertwende wurde das
Theaterstück durch den großen österreichischen Dichter Hugo von Hoffmannsthal
für die deutschsprachige Bühne stark adaptiert und mit einer Bühnenmusik
von Richard Strauss versehen. Anstelle des ursprünglichen „Ballet des
Nations“ bekam diese Neufassung, die nunmehr Der Bürger als Edelmann
hieß, eine kurze Oper als abschließendes Divertissement: die einaktige
erste Fassung von Ariadne auf Naxos, die notgedrungen kurz gehalten
werden und mit stark reduziertem Orchesterapparat auskommen mußte.
Nach der Uraufführung im Jahre 1912 erwiesen sich jedoch die Schwierigkeiten,
eine erstklassige Theatertruppe und ein erstklassiges Opernensemble
gleichzeitig auf die Bühne zu bringen, für den weiteren Erfolg des
Werkes als schädlich. Um ihr gemeinsames Meisterwerk zu retten, beschlossen
Hoffmannsthal und Strauss, das Zwitterwesen in zwei unabhängige Fas-sungen
umzubauen: als Bühnenstück ohne Oper sowie als Oper ohne Bühnenstück.
Bei der ersten Fassung, die immer noch den Titel Der Bürger als Edelmann
trug, wurde das Originalstück Molières weitgehend wiederhergestellt
und mit einer erweiterten Bühnen-musik von Strauss versehen (darunter
auch einige spritzige Orchesterbearbeitungen der Originalmusik Lullys).
Bei der letzteren Fassung handelt es sich um die bekannte zweiteilige
Version von Ariadne auf Naxos, die nun einen einleitenden Opernprolog
erhielt. Die beiden Partituren Strauss’ – die Bühnenmusik sowie die
Oper – werden mittlerweile als künstlerische Gipfelleistungen dieses
Komponisten anerkannt.
Handelnde Personen
Monsieur Jourdain, ein Bürgerlicher
Madame Jourdain, seine Frau
Lucile, ihre Tochter
Nicole, Dienerin
Cléonte, Luciles Liebhaber
Covielle, Cléontes Diener
Graf Dorante, Dorimènes Liebhaber
Marquise Dorimène
Ein Musiklehrer
Sein Schüler (hoher Tenor)
Ein Tanzlehrer
Ein Fechtlehrer
Ein Philosophielehrer
Ein Schneider
Sein Lehrling
2 Lakaien
Eine Musikerin (Sopran)
3 Musiker (hoher Tenor, Tenor, Baß)
Der Mufti (Baß)
Ein alter geschwätziger Bürger (Tenor)
Eine alte geschwätzige Bürgerin (Tenor)
2 gutaussehende Männer (Tenöre)
2 gutaussehende Frauen (Soprane)
2 Männer aus Gascogne (Tenöre)
Ein Schweizer (Tenor)
1. Spanier (hoher Tenor)
2.-3. Spanier (Bässe)
Eine italienische Musikerin (Sopran)
Ein italienischer Musiker (Tenor)
2 Männer aus dem Poitou (hohe Tenöre)
Chor
12 Türken, 4 Derwische, Leute aus verschiedenen Provinzen, 3 Aufdringliche
Ballett
4 Tänzer, 6 Schneidergesellen, 6 Köche, 6 Türken, ein Textbuch verteilender
Mann, Leute aus verschiedenen Provinzen, 3 Aufdringliche, Spanier,
Italiener, Skaramuze, Bajazzen, Harlekine, Franzosen
Zusammenfassung der Handlung
Der reiche Herr Jourdain möchte es unter allen Umständen dem Adel gleichtun.
Er nimmt Unterricht bei einem Musik-, Tanz- und Fechtmeister. Und
ein Philosoph ist bestellt, ihn in die Wissenschaften einzuführen.
Auf eine angebliche Freundschaft mit dem Grafen Dorante ist er unendlich
stolz. Dieser hat es jedoch nur auf sein Geld abgesehen, was Herr
Jourdain nicht merkt, wohl aber Madame Jourdain, eine resolute Bürgersfrau.
Jourdain läßt durch den Grafen der Marquise Dorimène allerlei Huldigungen
und Geschenke übermitteln, in der Hoffnung, ihre Gunst zu erringen.
Der Graf, der die Marquise liebt, gibt ihr gegenüber jedoch alles
als seine eigenen Gaben aus. Er behauptet auch, daß das Fest, das
nun im Hause Jourdains in Abwesenheit der Hausfrau stattfindet, von
ihm (dem Grafen) zu Ehren der Marquise bestellt sei, während Jourdain
es für sein eigenes Arrangement hält. Durch das unerwartete Auftreten
der Madame Jourdain wird das Bankett unliebsam unterbrochen. Jourdain
aber ist immer noch nicht geheilt. Er fällt auf den großen Schwindel,
den Cléonte, ein Liebhaber seiner Tochter Lucile, und dessen Diener
Covielle veranstalten, herein. Jourdain hatte dem Cléonte die Hand
seiner Tocher verweigert, weil er kein Edelmann sei. Nun spielen
Cléonte und Covielle ihm eine Maskerade vor. Sie geben sich als türkischer
Prinz und dessen Dolmetscher aus, versetzen Jourdain in den Stand
eines Paladin des Großtürken und erreichen bei ihm, daß der angebliche
Prinz der Schwiegersohn des Hauses wird. Die anfangs heftig protestierenden
Damen, Madame Jourdain und Lucile, willigen sofort ein, als sie das
Spiel durchschauen. Den Schluß bildet eine große Tanzvorführung „Das
Ballett der Nationen“.
Bradford Robinson, 2009
Aufführungsmaterial ist von der Durand, Paris zu beziehen. Nachdruck
eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München
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Jean-Baptiste Lully
(b. Florence, 28 November 1632 - d. Paris, 22 March 1687)
Le Bourgeois gentilhomme
(“The Bourgeois Gentleman”)
Music for the like-named five-act comédie-ballet by Molière (1670)
Preface
On 4 August 1669 Müteferrika Süleyman Ağa, an emissary from the Turkish
throne in Istanbul, arrived in Toulon with a retinue of twenty attendants
and demanded a private audience with the King of France, Louis XIV.
His wish was granted, but during the audience he greatly offended
his hosts by boasting of the superior splendor of the Turkish court
and was summarily banned from any further visits to Versailles. This
diplomatic incident, though minor in itself, had repercussions for
the history of the theater. Louis summoned none other than Molière
and ordered him to write a play in which the Turks would be mock-ed
in a ballet. The result was one of the treasures of world literature:
Le Bourgeois gentilhomme, in which the title figure, Monsieur Jordain,
is ultimately swindled into believing that he has been elevated to
the Turkish aristocracy - and is mocked in a concluding “faux-turc“
ballet. On 14 October 1670 the play was lavishly produced by Molière’s
company before the assembled court of Louis XIV at Chambord to great
and lasting acclaim. Being by Molière, history’s greatest master
of the comedy of manners, Le Bourgeois gentilhomme is more than just
a spoof of the seventeen-century Turkish craze: it acidly and accurately
satirizes the hypocrisies and pretensions of bourgeoisie and aristocracy
alike.
Le Bourgeois gentilhomme also entered music history, for it was conceived
as a comédie-ballet (i.e. a ballet with spoken dialogue), and its musical
interludes were written by none other than Jean-Baptiste Lully, court
composer to the Sun King himself (and the creator of the part of the
Grand Mufti at the première). The play proved to be the most durable
of Molière’s masterpieces, and Lully’s music remained in the repertoire
for decades until it was gradually superseded in the eighteenth century.
In 1891 Lully’s score was “reconstituted” by J. B. Weckerlin and published
in Paris; four decades later it entered Henri Prunières’ Oeuvres complètes
de Lully, edited by G. Sazerac de Forge (Paris, 1938, repr. 1974);
and most recently it has been painstakingly re-edited by Herbert Schneider
for the new Oeuvres complètes (Hildesheim, 2006). No less interesting
is a manuscript version prepared around 1690 by the composer and royal
music librarian André Danican Philidor l’aîné (1647-1730) and available
online at the International Music Scores Library Project (IMSLP). Lully’s
musical interludes have been recorded separately from the play on many
occasions by leading early music practitioners from Gustav Leonhardt
to Marc Minkowski.
Le Bourgeois gentilhomme also entered music history in another sense.
In the early years of the twentieth century Molière’s play was heavily
adapted into German by the great Austrian fin-de-siècle poet Hugo von
Hoffmannsthal, who enlisted Richard Strauss as his musical collaborator.
Strauss supplied new incidental music for Molière’s play, now entitled
Der Bürger als Edelmann, and, as a final divertissement, added a short
opera in lieu of Lully’s original “Ballet des Nations.” This opera,
with its necessarily reduced orchestra and brief length, was the original
one-act version of Ariadne auf Naxos. At the première in 1912 it transpired
that the difficulty of mounting a production requiring both a first-rate
theatrical company and an equally first-rate opera ensemble was too
great to ensure the work’s viability. To salvage their efforts, Hoffmannsthal
and Strauss decided recast the work into two distinct versions: the
play without the opera, and the opera without the play. The former,
still entitled Der Bürger als Edelmann, reinstated much of Molière’s
original play and added more incidental music by Strauss (including
some deft orchestrations of the original Lully). The latter became
the well-known second version of the opera Ariadne auf Naxos, now introduced
by an entirely new operatic prologue. Both Strauss scores - the incidental
music and the opera - though entirely different in conception, are
numbered among his supreme achievements.
Characters
Monsieur Jourdain
Madame Jourdain, his wife
Lucile, their daughter
Nicole, a maidservant
Cléonte, Lucile’s lover
Covielle, Cléonte’s manservant
Count Dorante, Dorimène’s lover
Marquise Dorimène
A music teacher
His apprentice (high tenor)
A dancing teacher
A fencing teacher
A philosophy teacher
A tailor
His apprentice
2 lackeys
A female musician (soprano)
3 musicians (high tenor, tenor, bass)
The Grand Mufti (bass)
An old chattering bourgeois (tenor)
An old chattering bourgeois (tenor)
2 good-looking men (tenors)
2 good-looking women (sopranos)
2 men from Gascogne (tenors)
A Swiss man (tenor)
1st Spaniard (high tenor)
2nd and 3rd Spaniard (basses)
A female Italian musician (soprano)
An Italian musician (tenor)
2 men from Poitou (high tenors)
Chorus:
12 Turks, 4 dervishes, people from various provinces, 3 meddlers
Ballet:
4 dancers, 6 apprentice tailors, 6 cooks, 6 Turks, man distributing
textbooks, people from various provinces, 3 meddlers, Spaniards,
Italians, scaramouches, clowns, harlequins, Frenchmen
Plot Synopsis
The wealthy Monsieur Jourdain is intent on aping the aristocracy, come
what may. He takes lessons in music, dance, and fencing and hires
a philosopher to introduce him to the world of learning. He is inordinately
proud of his supposed friendship with Count Dorante. But the Count
has his sights set solely on his friend’s money, a fact that escapes
Monsieur Jourdain but not his wife, the resolutely middle-class Madame
Jourdain. Jourdain uses the Count to send all manner of keepsakes
and endearments to Marquise Dorimène, hoping thereby to win her favors.
The Count, however, is himself in love with the Marquise, and pretends
that all the presents are from him. He also claims that he has arranged
the banquet now taking place in her honor in Jourdain’s house, in
the absence of his wife, whereas Jourdain maintains that the banquet
is his own doing. The festivities are rudely interrupted by the unexpected
arrival of Madame Jourdain. But Jourdain is not cured yet. He readily
falls for a grand ruse concocted by Cléonte, a young man in love
with Jourdain’s daughter Lucile, and Cléonte’s manservant Covielle.
Jourdain has refused to let Cléonte marry his daughter because the
young man is not of noble birth. Now Cléonte and Covielle play an
elaborate trick on him. They pose as a Turkish prince and his interpreter,
elevate Jourdain to the status of paladin to the Grand Mufti, and
convince him to accept the make-believe prince as his son-in-law.
Madame Jourdain und Lucile protest vigorously at first, but immediately
acquiesce once they have seen through the ruse. The play ends with
a grand dance entitled The Ballet of the Nations.
Bradford Robinson, 2009
For performance material please contact the publisher Durand, Paris.
Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek,
München.
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