Sir Alexander Campbell Mackkenzie (geb. Edinburgh, 22. August 1847 - gest. London, 28. April 1935)

Konzert für Violine und Orchester cis-Moll, op 32

Vorwort Die Violine spielte schon immer eine bedeutsame Rolle im Leben des schottischen Komponisten Sir Alexander Campbell Mackenzie. Sein Vater Alexander Mackenzie sah als Prinzipalgeiger und Leiter der Kapelle am Theatre Royal in Edinburgh für seinen ältesten Sohn eine ähnliche Laufbahn vor. Zu weiteren Studien wurde er daher 1857 nach Schwarzburg-Sondershausen geschickt, wo er vom dortigen Konzertmeister unterrichtet wurde und recht bald als 2. Geiger im herzoglichen Orchester aufrückte. Hier machte er die Bekanntschaft mit Franz Liszt, der von Weimar kommend des öfteren Proben abhielt. Nach seiner Rückkehr 1862 setzte er sein Studium mit der Hilfe des begehrten King’s Scholarship Stipendiums an der Londoner Royal Academy of Music fort. Während seiner dreijährigen Ausbildungszeit betätigte er sich abends als Berufsmusiker in Theatern und Orchester-Konzerten. Eine kurze Karriere als Lehrer führte ihn sodann zurück nach Edinburgh. Besonderes Ansehen erwarb er sich durch seine 1874 einsetzende Mitarbeit an den dortigen Classical Chamber Concerts. In der Zwischenzeit war die Komposition zum Zentrum seines Schaffens geworden. Sein Werkkatalog umfasst fünf Opern, Kantaten, Orchester-stücke, vier Kammermusikwerke und zahlreiche Kompositionen für Klavier sowie über 100 Lieder. Die großen Verdienste, die sich Mackenzie um die britische Musik erwarb, brachten ihm insgesamt sieben Ehrendoktorwürden u. a. so honoriger Universitäten wie Cambridge und Oxford ein. 1895 hob Queen Victoria ihn in den Adelsstand, hinzu kamen weitere Auszeichnungen europäischer Monarchen. Dass ein Kulturträger von der Bedeutung eines Alexander Campbell Mackenzie dem Vergessen anheim fallen konnte, wäre wohl zu seinen Lebzeiten undenkbar gewesen. Erst mit dem Aufkommen der „Second English Renaissance“ mit Edward Elgar, Ralph Vaughan Williams und Gustav Holst als Exponenten waren seine Werke einer Konkurrenz ausgesetzt, der sie nicht standzuhalten vermochten. Zudem fokussierte die musikalische Heroengeschichtsschreibung den Blick auf die herausragenden Geistesgrößen und verzerrte damit das Geschichtsbewusstsein für seine Epoche. Erst seit den 1990er-Jahren beginnt dank der Arbeit einer jungen Generation von Forschern und Interpreten, die sich der Wiederaufnahme des spätromantischen Repertoires verschrieben hat, ein Umdenkungs - und Umwertungsprozess. 1997 spielte der Violinvirtuose Malcolm Stewart Mackenzies Violin-Konzert für das Label Hyperion ein.

Auch wenn für Mackenzie letztlich die Komposition zum eigentlichen Arbeitsfeld wurde, verlor er nie die besondere Affinität zu „seinem“ Instrument - die Violine. 1884 erreichte ihn eine Anfrage der Kommission des Birmingham Music Festival, für das Folgejahr ein Violinkonzert zu schreiben. Zunächst war ein Chorstück Ausgangspunkt der Verhandlungen, doch hielten Mackenzie die bereits begonnenen Arbeiten an dem Oratorium The Rose of Sharon sowie am ersten Akt seiner zweiten großen Oper The Troubadour davon ab, zuzustimmen. Aber ein musikalisches Projekt ohne Librettisten realisieren zu können enthob Mackenzie von den Schwierigkeiten, die sich üblicherweise aus der Zusammenarbeit mit Textern ergaben, weshalb man sich auf ein reines Instrumentalstück einigen konnte. Mitte Juni begann er mit ersten Entwürfen unweit von Florenz, wo er sich des wärmeren Klimas wegen 1879 nach einem gesundheitlichen Zusammenbruch niedergelassen hatte. Binnen Monatsfrist waren die ersten beiden Sätze skizziert, dennoch benötigte er bis zur Vollendung fünf weitere. Gerade der Schlusssatz gab ihm die meisten Probleme auf. Zudem verzögerten weitere Unterbrechungen die Fertigstellung, wie die England- Reise im Oktober 1884 anlässlich der Uraufführung seines Oratoriums in Norwich, einem Werk, das ihm größten Erfolg bescherte und den künstlerischen Wendepunkt in Mackenzies Karriere markierte. Der Zeitdruck, das Violinkonzert nun fertig zu stellen, verschärfte sich mit der Sorge, einen Solisten für die Premiere zu engagieren. Zunächst schrieb Mackenzie im November 1884 an Joseph Joachim, erhielt aber keine sofortige Antwort. Einige Wochen später ließ er einen zweiten Brief mit den Kopien der ersten beiden Sätze sowie dem Versprechen folgen, den dritten in der nächsten Woche zu beenden. Dennoch sagte Joachim auch nach längerem Zaudern nicht zu, was allerdings keinerlei Rückschlüsse auf die Qualität des Werks zulässt. Schon Antonín Dvořák wurde ähnlich behandelt und dieser musste auf die abschlägige Replik sogar über zwei Jahre warten. Letztlich übernahm Pablo de Sarasate den Solopart, ungeachtet der verkürzten Vorbereitungszeit. Hatte Mackenzie das Konzert anfänglich Joachim zu dedizieren gedacht, widmete er es nunmehr dem ihm persönlich völlig unbekannten Sarasate.

Beide Geiger standen als Vertreter der deutschen und französischen Schule für unterschiedliche Violinstile. Joseph Joachim, selbst auch kompositorisch tätig (Violin-konzert op. 11, 1861), zog eine mehr vergeistigte Haltung, wie sie von Johannes Brahms modellhaft verkörpert wurde, einem effektheischenden Virtuosentum vor. Sarasate hingegen favorisierte das brillante Feuerwerk, das seine technische Perfektion am besten zu Geltung brachte. Mackenzies Konzert stellt eine Kombination beider Schulen dar. Wenngleich sich gewisse Einflüsse aus der deutschen Tradition in Bezug auf Harmonik und Form ausmachen lassen – schließlich hatte er anfangs Joseph Joachim bei der Konzeption im Sinn gehabt – so entbehrt das Konzert nicht einer technischen Extrovertiertheit.

Der 1. Satz zeigt Mackenzies idiomatische wie ungewöhnliche Behandlung der traditionellen Sonaten-Form. Der Exposition lässt er statt der üblichen Durchführung eine Solokadenz folgen, ein Verfahren, dass er auch im späteren Scottish Concerto for Piano (1897) anwandte. Die Idee einer zentral platzierten Kadenz ist hingegen keine Novität, sondern findet in Mendelssohns Violin-Konzert (1844) seinen berühmten Vorläufer, wenngleich Mendelssohn ihr in diesem Fall einen konventionellen Durchführungsteil vorausschickt. Mackenzies Interpretation der Sonatenform führt so zu einer eher unkomplizierten Struktur und verleiht dem Satz eine straffe Kürze, die Sarasate wohl eher angesprochen haben mag als den verkopften Joachim. Im lyrischen Largo dominieren Frage-Antwort-Partien zwischen Orchester und Solist und bieten letzterem für die Ausschmückung und Ausbreitung der Motive reichlich Gelegenheit. Der Finalsatz in E-Dur basiert auf einem polnischen Nationaltanz, dem Krakowiak. Damit lehnt sich Mackenzie gewissermaßen an Brahms Violinkonzert an, das im letzten Satz ebenfalls volksmusikalische Elemente verarbeitet, in diesem Fall ungarische Tanzrhythmen. Nach einer kurzen Orchestereinleitung erscheint in der Violine das Hauptthema mit seinem charakteristisch synkopierten Rhythmus, das im Satzverlauf stets wiederkehrt und ihm seinen unverkennbaren Stempel aufdrückt.

Die erfolgreiche Uraufführung fand im Rahmen des Birmingham Festivals am Abend des 26. August 1885 unter der Leitung des Komponisten statt und erhielt überaus positive Kritiken. In seiner Autobiografie stellte Mackenzie fest, dass er diesem Ereignis den Beginn seiner Freundschaft mit Sarasate schulde, die bis zu dessen Tod anhielt.

Matthias Schneider-Dominco, 2008

Aufführungsmaterial ist von der Free Library of Philadelphia zu beziehen.

Sir Alexander Campbell Mackkenzie (b. Edinburgh, 22. August 1847 - d. London, 28. April 1935)

Concerto for Violin and Orchestra in C-sharp minor, op 32

The violin always played an important part in the life of the Scottish composer, Sir Alexander Campbell Mackenzie. His father, Alexander Mackenzie, was the principal violinist and concertmaster of the orchestra of the Theatre Royal in Edinburgh, and he envisaged a similar career for his eldest son. For further study he therefore sent the boy in 1857 to Schwarzburg-Sondershausen, where he was taught by the local concertmaster and soon advanced to the second violins in the ducal orchestra. Here the lad met Franz Liszt, who often traveled from Weimar to rehearse. After returning to Scotland in 1862, Mackenzie resumed his studies at London’s Royal Academy of Music, aided by a coveted King’s Scholarship. During this three-year period he played professionally in theater productions and orchestral concerts in the evenings. A brief career as a teacher then took him back to Edinburgh, where he attracted special attention through his work with the local Classical Chamber Concerts, beginning in 1874. By then the center of his interest had shifted to composition. In the end his catalogue of works contained five operas, cantatas, orchestral works, much chamber music, a good many piano pieces, and more than one-hundred songs. His meritorious service on behalf of British music eventually brought him new fewer than seven honorary doctorates from such auspicious universities as Cambridge and Oxford. In 1895 he was knighted by Queen Victoria, one of several distinctions he received from European monarchs. During his lifetime it would have been unthinkable that a cultural lion of the stature of Alexander Campbell Mackenzie could fall into oblivion. Only with the rise of the “Second English Renaissance” of Edward Elgar, Ralph Vaughan Williams, and Gustav Holst were his works subjected to competition they were unable to withstand. Moreover music historians, with their penchant for heroiades, focused entirely on outstanding personalities, thereby distorting the historical awareness of Mackenzie’s age. It was not until the 1990s, thanks to the work of a young generation of scholars and performers devoted to the rediscovery of the late romantic repertoire, that a process of rethinking and reassessment set in. In 1997 the violin virtuoso Malcolm Stewart recorded Mackenzie’s Violin Concerto for Hyperion.

Even if composition ultimately became Mackenzie’s true field of endeavor, he never lost his special affinity for “his” instrument, the violin. In 1884 he received a request from the Commission of the Birmingham Festival to write a violin concerto for the next year. At first the negotiations had centered on a choral work, but Mackenzie’s ongoing labors on his oratorio The Rose of Sharon, and Act 1 of his second large-scale opera The Troubadour, kept him from agreeing to this proposal. But a musical project without the need for a librettist relieved him of the difficulties usually attendant on collaborations with writers, and it was agreed that the new work would be purely instrumental. In mid-June he produced the initial drafts in the near vicinity of Florence, whose warm climate had induced him to settle there in 1879 to recover his health. Within the space of a month the first two movements were fully sketched, but another five months had to elapse before the to work was complete. The finale in particular gave him the most problems. Further delays resulted from his travels, including a trip to Norwich in October 1884 for the première his oratorio (the work was received with maximum acclaim and marked a turning point in his artistic career). The pressure of finishing the Violin Concerto on schedule was compounded with the problem of engaging a soloist for the première. At first, in November 1884, Mackenzie contacted Joseph Joachim, but did not receive an immediate reply. A few weeks later he sent Joachim a second letter with copies of the first two movements and a promise to complete the third within the next few weeks. After much procrastination Joachim ultimately declined. This has no bearing on the quality of the music, however, for even Antonín Dvořák was given similar treatment, having to wait for more than two years before receiving a rejection. Finally, notwithstanding the approaching performance deadline, Pablo de Sarasate agreed to play the solo part. If Mackenzie had initially sought to dedicate the work to Joachim, he now dedicated it to Sarasate, a man whom he had never met.

These two violinists, as respective heads of the German and French schools, represented antithetical styles of violin playing. Joachim, himself a composer (Violin Concerto, op. 11, 1861), preferred a more intellectual approach, as notably personified by Johannes Brahms, to a flashy virtuoso style. Sarasate, in contrast, favored the brilliant pyrotechnics that displayed his superb technique to best advantage. Mackenzie’s concerto represents a combination of both schools: if certain influences the German tradition are evident in the harmony and form (he had, after all, conceived the work for Joachim), the concerto is not entirely without extrovert virtuosity.

In the opening movement Mackenzie reveals an idiomatic and unusual treatment of traditional sonata form. Instead of the customary development section, the exposition is followed by a solo cadenza – a procedure that he would apply later in his Scottish Concerto for Piano (1897). Yet the idea of a centrally-positioned cadenza is not new per se, having a famous precedent in Mendelssohn’s Violin Concerto (1844), although in this case Mendelssohn preceded it with a conventional development section. Mackenzie’s redefinition of sonata form thus leads to a rather uncomplicated structure, lending the movement a concision that probably held out greater appeal to Sarasate than to the more cerebral Joachim. The lyrical slow movement is dominated by exchanges of question-and-answer between the orchestra and the soloist, providing the latter with ample opportunities for motivic embroidery and expansion. The E-major finale is based on a Polish national dance, the krakowiak. In this respect Mackenzie draws to a certain extent on Brahms’s Violin Concerto, whose final movement likewise manipulates elements from folk music, in this case Hungarian dance rhythms. After a brief orchestral introduction the violin states the main theme with its characteristic syncopated rhythm. The theme recurs again and again as the movement progresses, imparting its distinctive flavor to the music.

The Violin Concerto was successfully premièred at the Birmingham Festival on the evening of 26 August 1885, conducted by the composer and universally praised by the critics. In his autobiography Mackenzie records that the event marked the beginning of a friendship with Sarasate that lasted until the violinist’s death.

Translation: Bradford Robinson

Performance material is available from the Free Library of Philadelphia.