Richard Wagner
(geb. Leipzig, 22. Mai 1813 – gest. Venedig, 13. Februar 1883)

Ouvertüre d-Moll, WWV 20 (1831)
Ouvertüre C-Dur, WWV 27 (1832)

Vorwort
Bei diesen Titeln, die heute meistens als Konzertouvertüren Nr. 1 und 2 bekannt sind, handelt es sich um Gesellenstücke, die der noch nicht 20jährige Wagner während seiner Leipziger Jugendzeit in einer Art “learning by doing” zustande brachte. Von vielen solcher Jugendwerke haben diese den seltenen Vorteil, daß sie den Zahn der Zeit überlebt haben und uns einen lebhaften Einblick in die frühen musikalischen Vorbilder Wagners sowie in seine kompositorischen Stärken und Schwächen vermitteln können.

Das erste Werk, die Ouvertüre d-Moll, entstand im Sommer/Herbst 1831. Zu diesem Zeitpunkt studierte der junge Wagner noch informell bei Christian Gottlieb Müller, einem Mitglied des Leipziger Gewandhausorchesters, der ihm zwischen 1829 und 1831 die Grundzüge der Harmonik beizubringen versuchte. Einer ersten Fassung vom 26. September 1831 folgte bald darauf – wahrscheinlich nach Rücksprache mit Lehrer Müller – eine zweite, die das Abschlußdatum 4. November 1831 trägt. Das Stück ertönte zum erstenmal in Leipzig am Weihnachtstag 1831 sowie erneut im Leipziger Gewandhaus am 23. Februar 1832, worauf in der gefürchteten Allgemeinen Musikalischen Zeitung vom 3. März 1832 eine durchaus günstige Besprechung erschien. In seiner Autobiographie Mein Leben gestand Wagner freimütig, daß das Stück “stark auf der Beethovenschen ‘Coriolan-Ouvertüre’ fußte”, mit der es tatsächlich die Tonart d-Moll sowie etliche Details gemein hat. Die Aufführung selber – sehr zur Freude des angehenden Komponisten – war durchaus erfolgreich, da die Ouvertüre “vom Publikum freundlich aufgenommen war und mir das erste Hoffnungslächeln meiner Mutter eingebracht hatte”. Bei einem Wienbesuch im Jahre 1832 versuchte Wagner eine Probe mit Studenten des Konservatoriums zu organisieren, mußte jedoch erkennen, daß die Ouvertüre die Fähigkeiten der Ausführenden überstieg und aufgegeben werden mußte.

Durch dieses frühe Erfolgserlebnis ermutigt, machte sich Wagner bald darauf an eine Ouvertüre C-Dur, die er zwischen dem 3. und 17. März 1832 komponierte. Die erste Aufführung fand Ende März 1832 statt, und zwar durch die Leipziger „Euterpe-Gesellschaft“, ein Privatorchester, das vom Lehrer Müller geleitet wurde. Bei der Aufführung dirigierte das Werk jedoch Wagner selber, wie er es im späteren Leben auch einige Male machen sollte. Eine Wiederaufnahme fand am 3. April 1832 anläßlich eines Konzerts der Sängerin Matilde Palazzesi statt. Mit dieser Ouvertüre setzte Wagner seine kompositionstechnische Meßlatte um einiges höher und beendete das Werk mit einem Fugato, „wie ich es meinem neuen Vorbilde [Beethoven] zu Ehren um jene Zeit nicht glaubte besser zustande bringen zu können“. Erneut wandte er sich an seine Mutter als kritische Instanz:
„Ich entsinne mich des sonderbaren Eindruckes, den ich bei dieser Gelegenheit durch eine Bemerkung meiner Mutter erhielt; diese Arbeit, im kontrapunktischen Stile gehalten, ohne eigentliche leidenschaftliche Bewegtheit, hatte auf sie einen befremdenden Eindruck gemacht; sie gab mir ihre Verwunderung hierüber durch besonders lebhafte Anerkennung der in dem gleichen Konzerte zuvor aufgeführten ‚Egmont-Ouvertüre‘ kund, von der sie behauptete, ‚daß diese Art Musik doch mehr ergriffe als so eine dumme Fuge‘.“

Seltsamerweise tauchte die Ouvertüre C-Dur auch im späteren Leben Wagners mehrmals auf. Am 22. Mai 1873 wurde das Werk zu Ehren des Komponisten anläßlich seines 60. Geburtstags in Bayreuth aufgeführt. Drei Jahre später, am 30. November 1877, ertönte es erneut bei einem Berliner „Bilse-Konzert“ – einer Art Vorläufer der Londoner Proms. Wohl durch das wiedergewonnene Interesse an diesem Werk überrascht, nahm Wagner am 8. Januar 1878 seine studentische Arbeit wieder in die Hand, verwarf sie jedoch in „Ärger“ (Cosima Wagner) gleich wieder und beschloß, es doch nicht in Druck erscheinen zu lassen. Dennoch ging ihm das kleine Jugendwerk auch dann nicht aus dem Sinn: Cosima berichtet von einer weiteren Begebenheit im Hause Wagner am 12. 12 November 1878:
„Dann singt er die C dur Ouvertüre, die möchte ich dir gerne noch aufführen, man kann sie nicht schnell genug nehmen, man muß gar nicht wissen, was es ist, ganz verrückt muß es klingen, denn das Thema ist nicht bedeutend genug, aber ich kann mir vorstellen, was ihn verleitet hat diese Sequenzen zu nehmen; ganz verrückt muß es klingen.‘“

Bradford Robinson, 2008

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

Richard Wagner
(b. Leipzig, 22 May 1813 – d. Venice, 13 February 1883)

Overture in D minor, WWV 20 (1831)
Overture in C major, WWV 27 (1832)

Preface
Both these pieces, now commonly known as Concert Overtures Nos. 1 and 2, are apprentice works written while Wagner was still a teenager in Leipzig and undergoing a process of what today would be called learning by doing. Of his many such juvenilia, these have the rare advantage that they happened to survive and can inform us of his early musical role-models and compositional strengths and weaknesses.

The first, the Overture in D minor, was written in the summer and autumn of 1831 while the boy Wagner was studying informally with Christian Gottlieb Müller, a member of the Gewandhaus Orchestra who taught him the rudiments of harmony between 1829 and 1831. A first version, dated 26 September 1831, was followed shortly thereafter, probably after consultation with Müller, by a second one that he completed on 4 November. The piece received its initial hearing in Leipzig on Christmas Day of 1831 and again at the Gewandhaus on 23 February 1832, at which time it drew a favorable review from the feared Allgemeine Musikalische Zeitung (2 March 1832). In his autobiography, Mein Leben, Wagner candidly admits that the piece “drew heavily on Beethoven’s Coriolan Overture,” with which it shares the D-minor key signature and a good many details. The performance itself, much to the gratification of the novice composer, was a success: “The piece was warmly received by the audience and earned me the first smile of hope from my mother.” In 1832, while visiting Vienna, Wagner tried to organize a rehearsal of Conservatory students to run through the work, only to find that it was beyond their abilities and had to be given up.

Encouraged by this early success, Wagner set out on an Overture in C major, which he composed between 3 and 17 March 1832. The first performance was given toward the end of March 1832 by Leipzig’s Euterpe Society, a private orchestra headed by his teacher Müller. Wagner himself conducted the work at this performance, as he would several times later in his career. The overture was revived on 30 April 1832 at a concert by the singer Matilde Palazzesi. With this overture Wagner set his compositional standards a bit higher and proudly ended the work, “in honor of my new role-model [Beethoven], with a fugato which, at the time, I felt I could not have brought off to superior effect.” Once again he turned to his mother as critical arbiter:
“I recall the special effect I received on this occasion from a remark made by my mother; this piece, carried out in the contrapuntal style without any actual emotional passion, had left a puzzling impression on her; she expressed her perplexity by expressing lively recognition for the Egmont Overture which immediately preceded it in the same concert, adding that ‘this sort of music is more moving than any stupid fugue.’“

The C-major Overture cropped up several times in Wagner’s later life. On 22 May 1873 it was performed at Bayreuth as a present for his sixtieth birthday; three years later, on 30 November 1877, it was performed at the “Bilse Concerts” in Berlin, a sort of forerunner to Arthur Fiedler and the Boston Pops. Perhaps surprised at this renewed interest in a student effort, Wagner took the work in hand on 8 January 1878 only to dismiss it “in anger” - to quote his wife Cosima - and resolved not to publish it. But the piece obviously would not leave him alone. Cosima again records an event at the Wagner home on 12 November 1878:
“Then he sings the C-major Overture: ‘I’d love to perform it for you some day. One can’t take it fast enough; we needn’t even know what it is. It must sound completely mad, for the theme is not significant enough; but I can imagine what led him to write these sequences. It must sound completely mad.’“

Bradford Robinson, 2008

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.