Robert Schumann (geb. Zwickau, 8 Juni 1810 – gest. Endenich, 29 Juli 1856)

Ouvertüre zu Julius Cäsar op.128 f-Moll (1851)

Ludwig van Beethoven (1770-1827) war ein schweigsamer Mann. Zumindest, was seine mündlichen oder schriftlichen musikästhetischen Äußerungen betraf. Still und heimlich hinterließ er ein musikalisches Erbe, ohne viele Worte darüber zu verlieren, was er mit seiner Musik eigentlich ‚ausdrücken’ wollte. Seine Nachlässigkeit stellte für die nachfolgenden Komponisten ein ernst zu nehmendes Problem dar: Welcher Weg soll in Zukunft beschritten werden? Soll an der dialektischen Form des Sonatenhauptsatzes festgehalten werden oder bestätigte Beethoven spätestens mit seiner neunten Sinfonie, dass die musikalische Form einer kontinuierlichen Weiterentwicklung unterworfen sein muss? Die ‚Inhaltsfrage’ wurde zum Leitgedanken einer bildungsbürgerlichen Generation, die das scheinbar Unkonkrete der Instrumentalmusik überwinden wollte. Die Verschmelzung von Musik und Literatur barg in ihren Augen die größten Möglichkeiten, das ideale Kunstwerk zu verwirklichen. Zum ersten Mal in der Musikgeschichte fand eine theoretische und geschichtsphilosophische Diskussion statt, bevor das eigentliche musikalische Werk realisiert wurde.

Der Komponist, Journalist und Pianist Robert Schumann (1810-1856) bildete dabei eine Schlüsselfigur der hier beschriebenen Entwicklung: Zeit seines Lebens fühlte er sich gleichermaßen der Ton- und Wortkunst verpflichtet. Seine musikalische Produktivität war einer intensiven journalistischen Reflexion ausgesetzt. Beide Tätigkeiten bildeten die wesentlichen Grundpfeiler seiner künstlerischen Persönlichkeit. Musik und Poesie waren für ihn keine abgrenzbaren Künste, sondern bedingten sich gegenseitig, sei es durch das ‚poetische’ Element in der absoluten Musik oder durch musikalische Formen, in denen die menschliche Stimme selbstverständlicher Anteil des Gesamtkonzeptes war. Für Robert Schumann kennzeichnend war dabei die Vorgehensweise, sich sehr intensiv auf eine Musikgattung zu konzentrieren. Dementsprechend wendete er sich im Verlauf der 1840er Jahre verstärkt der Oper zu, ein Kunstform, in der Musik und Wort zwangsweise miteinander korrespondieren mussten. Er erzielte zwar mit seiner 1850 in Leipzig uraufgeführten Romantischen Oper Genoveva einen Achtungserfolg, der gewünschte künstlerische Durchbruch auf dem Musiktheater blieb jedoch aus.

Die Enttäuschung über den aus seiner Sicht erlebten Fehlschlag gepaart mit der Schwierigkeit, im Leipziger Musikleben dauerhaft Fuß zu fassen, bewegten Schumann, im Herbst 1850 nach Düsseldorf überzusiedeln, um die dortige Stellung eines Musikdirektors anzutreten. Motiviert durch die Verpflichtung als musikalischer Leiter des Allgemeinen Musikvereins, konzentrierte sich Schumann auf die Konzeption von Werken, die im Rahmen der jährlich angesetzten Konzerte und Festspiele aufgeführt werden konnten. Schumann strebte nach einer konzentrierten sinfonischen Form, die zugleich kunstvollen Ansprüchen genügte und in der Öffentlichkeit für Aufsehen sorgte. Eine viel versprechende Möglichkeit war die „Idee, zu mehreren der schönsten Trauerspiele Ouvertüren zu schreiben.“

Die sinfonische Gattung der Konzertouvertüre hatte sich, ausgehend von Beethovens Ouvertüren Leonore und Coriolan, vor allem durch die Werke Felix Mendelssohn Bartholdys (1809-1847) im Konzertrepertoire als funktional ungebundenes Werk etabliert: sie erschöpfte sich nicht mehr in ihrer einleitenden Funktion eines Schauspiels, sondern repräsentierte vielmehr auch jene Ideen, um derentwillen Theater überhaupt gemacht wurde. Die Idee des ‚Heroischen’ etwa oder die Idee der tragischen Größe spielte in der Musik eine ebenso wichtige Rolle wie in den Dramen selbst. Der inneren Verschmelzung von Musik und literarischer Vorlage war hier eine völlig neue Perspektive gegeben worden. In Abgrenzung zu der von Franz Liszt (1811-1886) etablierten Form der sinfonischen Dichtung ging es Schumann bei der Konzertouvertüre nicht um die ästhetische Fortsetzung eines sinfonischen Zyklus, sondern um die „Idee der Symphonie in einen kleineren Kreis zusammengedrängt.“ Schumann sah also in der Ouvertürenkomposition grundsätzliche Möglichkeiten für unkonventionelle formale Problemstellungen und Lösungsansätze, die unabhängig von zyklischer Mehrsätzigkeit blieben.

Die vom 27. Januar bis 2. Februar 1851 als Partitur niedergeschriebene Ouvertüre f-Moll Opus 128 zu William Shakespeares (1564-1616) Julius Cäsar für großes Orchester war mit Blick auf ihre Bauform seine unkonventionellste. Bei ihrer Premiere, am 3. August 1852 im Rahmen der großen Vokal - und Instrumentalkonzerte in Düsseldorf, wurde das Werk durchaus freundlich aufgenommen. Bei späteren Rezensionen zur Aufführung des Werkes mischten sich jedoch skeptische bis weniger verständnisvolle Töne. Die Ouvertüre erschien aufgrund ihrer unspezifischen thematischen Anlage zwar nachvollziehbar, erschwerte jedoch einen partiturfreien Zugang durch ihre Komplexität und Dichte der formalen Konzeption. Schumann stellte die Sonatenhauptsatzform bei Julius Cäsar nicht grundsätzlich in Frage, sondern konterkarierte diese durch eine thematische Entwicklung jenseits der gängigen dialektischen Praxis.

Der eigentlichen Exposition geht beispielsweise eine langsame Einleitung voraus, in der die wesentlichen motivischen Bausteine etabliert werden, die für den weiteren Verlauf des Werkes relevant sind. Das viertaktige Anfangsthema in der Grundtonart f-Moll entspricht mit seiner punktierten Signalmotivik und dem weiten Ambitus seiner Melodik zwar ganz dem pathetischen Gestus eines Ouvertüren-Themas, besitzt wiederum aber keine ausgeprägte Charakteristik. Bereits mit den ersten Takten wird also ein kontinuierlicher Entwicklungsprozess in Gang gesetzt, der es erschwert, die einzelnen Teile der klassischen Sonatenhauptsatzform zu bestimmen. Langsame Einleitung und Exposition verschmelzen zu einer thematisch-formalen Einheit, in der auf eine mögliche Kontrastwirkung von Haupt- und Seitensatz verzichtet wird. Die motivisch-thematische Arbeit ist nicht der Durchführung vorbehalten, sondern findet sukzessive während der gesamten Ouvertüre statt. Der Musikwissenschaftler Michael Struck spricht auch von einer assoziativen Verfahrensweise, bei der das Material des Hauptthemas wieder aufgenommen, abgewandelt und zu neuen Einheiten bzw. Abläufen verbunden wird. Ab Takt 76 erfolgt eine modulationsreiche dramatische Intensivierung, deren Höhepunkt ein integrierter Trauermarsch (Marcia funebre) bildet. Der verkürzten Reprise (ab Takt 115) folgt eine nach F-Dur gewendete Schlusscoda (ab Takt 178), deren kadenzieller Abschluss durch einen fanfarenartigen Triumphmarsch (marcia trionfale) zu Ende geführt wird. Das sehr zielgerichtete Fortschreiten der Musik entspricht der unbeirrbaren Hand-lungsstringenz der Vorlage Shakespeares, die bei aller dramatischen Zuspitzung der Interessenkonflikte auf weiter ausgeführte Charaktergegensätze verzichtet. So gesehen war es konsequent, dass Schumann auf melodische und dynamische Kontraste verzichtete und eine gewisse Einheitlichkeit in der musikalischen Konzeption anstrebte. Die Ouvertüre gewann ihre literarischen Impulse nicht aus der historischen Gestalt Julius Cäsars allein, sondern zielte auch auf das Verhältnis von persönlicher und staatlicher Macht im Spiel der einzelnen Persönlichkeiten.

Es ist in dem Zusammenhang natürlich verlockend, jeden Hinweis des Komponisten für eine mögliche Interpretation oder Gliederung des musikalischen Gefüges heranzuziehen. Im oben genannten Falle Beethovens wären wir für folgende Anknüpfungspunkte äußerst dankbar gewesen: Bei der Anfertigung der ersten Skizzen zu Julius Cäsar notierte Schumann unter den Notenlinien der ersten Seite die für ihn zentralen Handlungsmomente des Dramas: “Cäsar. / Römisches Leben. Brutus. / Verschwörung. Calpurnia. Die Idus. Tod. Philippi. / Octavinius Rache. Sieg über Brutus.” Inwieweit die inhaltlichen Stichpunkte von Schumann programmatisch angelegt worden waren oder eine motivische Entsprechung in der Ouvertüre fanden, kann und soll an dieser Stelle jedoch nicht entschieden werden. Das bleibt der Entscheidung des Partitur lesenden Hörers überlassen… Christian Chur, 2008

Literaturverweise - Altenburg, Detlev: Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung? In: Liszt und die Neudeutsche Schule, hrsg. von Detlev Altenburg, Weimarer Liszt-Studien Band 3, Laaber 2006 - Edler, Arnfried: Robert Schumann und seine Zeit, Laaber 1982 - Edler, Arnfried: Schumann, in: Die Musik in Geschichte und Gegenwart, 2. neubearbeitete Ausgabe, hrsg. von Ludwig Finscher, Personenteil 15, Kassel 2006 Jost, Peter: Ouvertüre zu Shakespeare’s Julius Cäsar Op.128, in: Robert Schumann – Interpretationen seiner Werke, hrsg. von Helmut Loos, Band 2, Laaber 2005 - McCorkle, Margit: Robert Schumann. Neue Ausgabe sämtlicher Werke, Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, hrsg. von der Robert-Schumann-Gesellschaft Düsseldorf, Mainz 2003 - Struck, Michael: Am Rande der „großen Form“ – Robert Schumanns Ouvertüren und ihr Verhältnis zur Sinfonie. Mit besonderer Berücksichtigung der Ouvertüre zu Shakespeare’s Julius Cäsar Op.128, in: Probleme zur symphonischen Tradition im 19. Jahrhundert, Internationales Musikwissenschaftliches Colloquium Bonn 1989, hrsg. von Siegfried Kross, Tutzing 1990

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.

Robert Schumann (b. Zwickau, 8 June 1810 – d. Endenich, 29 July 1856)

Overture to “Julius Caesar” in F minor, op.128 (1851)

Ludwig van Beethoven (1770-1827) was a taciturn man – at least as far as his recorded written or oral statements on music aesthetics are concerned. Quietly and secretly he left behind a musical legacy without having much to say about what he actually intended it to “express.” His negligence posed a serious problem to his younger contemporaries: what path to follow in the future? Should composers cling to the dialectical form of the sonata allegro, or did Beethoven, at the latest by the time of the Ninth Symphony, affirm that musical form must be subject to a process of continual change? The question of “content” – of expression rather than technique – became the guiding thought of a generation of cultured middle-class music-lovers who sought to overcome the seeming non-specificity of instrumental music. In their eyes, the best way to achieve the ideal work of art was to blend music and literature. For the first time in music history, a theoretical and historiological debate took place before the actual work of music had come into being. One key figure in this line of evolution was the composer, journalist, and pianist Robert Schumann (1810-1856), who throughout his career felt equal allegiance to the art of sound and the art of words. Schumann subjected his musical output to intense journalistic scrutiny. These two activities formed the essential pillars of his artistic personality. To Schumann music and poetry, rather than being clearly delimitable art forms, were mutually conditioned, whether through the “poetic” element in absolute music or through musical forms in which the human voice formed a self-evident part of the overall conception.

It was typical of Schumann’s modus operandi to focus intensively on one musical genre at a time. Accordingly, he turned increasingly during the 1840s to opera, an art form in which music and words must perforce interact. His romantic opera Genoveva achieved a succès d’estime at its Leipzig première in 1850, it is true, but the breakthrough he sought on the musical stage failed to materialize. Schumann’s disappointment at what he regarded as this flop, together with the difficulty of finding a permanent foothold in Leipzig’s musical scene, induced him in 1850 to move to Düsseldorf, where he assumed the post of the city’s music director. Motivated by his duties as music director of the General Music Society, he put his mind to devising works capable of being performed at the city’s annual concerts and festivals.

What Schumann sought was a concise symphonic form that would satisfy the demands of art while attracting public attention. One highly promising possibility was the “idea of writing overtures to several of the most beautiful tragedies.” The symphonic genre known as the concert overture, proceeding from Beethoven’s Leonore and Coriolanus overtures, had taken hold in the concert repertoire mainly through the works of Felix Mendelssohn (1809-1847). It was not a functionally dependent entity: instead of introducing a play, a concert overture represented the very ideas for whose sake theater is made at all. The idea of the Heroic, say, or the idea of tragic grandeur played no less important a role in the music than in the dramas themselves. This new genre opened up entirely new perspectives for the inner fusion of music and literature. Yet unlike the novel form of the symphonic poet introduced by Franz Liszt (1811-1886), Schumann’s overtures were concerned, not with the aesthetic prolongation of a four-movement symphony, but with the “idea of the symphony, compressed into a smaller orbit.” In short, Schumann viewed overtures as a basic vehicle for exploring unconventional formal problems and solutions outside the purlieus of the multi-movement cycle.

The most unconventional of these overtures, with regard to its architecture, was the Overture in F minor, op. 128, to Julius Caesar by William Shakespeare (1564-1616). Written out in full score from 27 January to 2 February 1851, it was given a warm reception at its première on 3 August 1852 during one of Düsseldorf’s large vocal and instrumental concerts. However, reviews of later performances struck skeptical or less appreciative notes. Granted, the piece was intelligible owing to the generalized nature of its themes, but any approach to it without a score in hand was hampered by the complexity and density of its formal conception. Without questioning the underlying validity of sonata-allegro form, Schumann offset it with thematic development that went far beyond the standard dialectical fare.

For example, the exposition proper is preceded by a slow introduction that establishes the essential motivic components relevant to the further course of the music. The four-bar opening theme, in the tonic F minor, fully adheres to the emotional gesture of an overture theme with its dotted fanfare motifs and wide melodic range, but is otherwise not particularly distinctive in character. Hardly have the opening bars passed by than a continuous process of development sets in, making it difficult to determine the sections of the classical sonata form. The slow introduction and exposition blend into a thematic and formal unity in which any contrast between primary and secondary thematic groups is studiously avoided. The motivic and thematic manipulation, rather than being consigned to the development section, takes place successively throughout the entire overture. The musicologist Michael Struck refers to this as an associative approach in which the material of the main theme is repeated, transformed, and reassembled to form new units or processes.

Beginning in bar 76, we hear a richly modulatory dramatic escalation culminating in an integrated funeral march (Marcia funebre). The truncated reprise (mm. 115 ff.) is followed by a concluding coda directed toward F major (mm. 178 ff.) whose cadential termination ends in a fanfare-like triumphal march (marcia trionfale). The music progresses with an iron purposefulness fully in keeping with the ineluctable rigor of Shakespeare’s plot, which, despite the dramatic intensification of the conflicts of interest, dispenses with the further delineation of contrasting characters. Viewed in this light, it was only consistent that Schumann should dispense with melodic and dynamic contrasts and aspire toward a certain uniformity in his musical conception. Rather than taking its literary impetus from the historical figure of Julius Caesar, the overture takes aim at the relation between individual and state power in the interplay of personalities.

In this context it is tempting, of course, to make use of any remarks from the composer that might allow us to advance a viable interpretation or subdivision of the musical fabric. In Beethoven’s case, we would be extremely grateful to have the following hints that Schumann jotted down in his initial sketches for Julius Caesar: beneath the staves on the first page he wrote down what he considered the central “plot points” of the play: “Caesar. / Life in Rome. Brutus. / Conspiracy. Calpurnia. The Ides. Death. Philippi. / Octavian’s revenge. Victory over Brutus.” This is not the place to decide the extent to which these plot points were intended to form a program or to be reflected in the overture’s musical motifs. Listeners following along in the score are invited to answer such questions for themselves …

Translation: Bradford Robinson

Bibliography - Altenburg, Detlev: “Die Neudeutsche Schule – eine Fiktion der Musikgeschichtsschreibung?” Liszt und die Neudeutsche Schule, ed. Detlev Altenburg, Weimarer Liszt-Studien 3 (Laaber, 2006) - Edler, Arnfried: Robert Schumann und seine Zeit (Laaber, 1982) - Edler, Arnfried: “Schumann, Robert,” Die Musik in Geschichte und Gegenwart, rev. 2nd edn., ed. Ludwig Finscher, Personenteil 15 (Kassel, 2006) - Jost, Peter: “Ouvertüre zu Shakespeare’s Julius Cäsar Op.128,” Robert Schumann – Interpretationen seiner Werke 2, ed. Helmut Loos (Laaber, 2005) - McCorkle, Margit: Thematisch-Bibliographisches Werkverzeichnis, Robert Schumann: Neue Ausgabe sämtlicher Werke, ed. Robert Schumann Society, Düsseldorf (Mainz, 2003) - Struck, Michael: “Am Rande der ‘großen Form’ – Robert Schumanns Ouvertüren und ihr Verhältnis zur Sinfonie. Mit besonderer Berücksichtigung der Ouvertüre zu Shakespeare’s Julius Cäsar Op.128,” Probleme zur symphonischen Tradition im 19. Jahrhundert: Internationales Musikwissenschaftliches Colloquium Bonn 1989, ed. Siegfried Kross (Tutzing, 1990)

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.