Richard Wagner
(geb. Leipzig, 22. Mai 1813 – gest. Venedig, 13. Februar 1883)

Das Liebesmahl der Apostel
Biblische Szene für mehrfache Männerchöre und Orchester
nach einem Text vom Komponisten (1843)

Vorwort
Kaum war Wagner seinen Pariser Elendsjahren entkommen und sicher in Dresden gelandet, als er im Januar 1843 das Angebot „gutmütig“ akzeptierte, die Stelle des Chefdirigenten der Dresdner Liedertafel zu übernehmen. Damit wurde er zum Leiter einer Männerchorgesellschaft, die er später in Mein Leben amüsiert beschreiben sollte: „Diese bestand aus einer mäßigen Anzahl junger Kaufleute und Beamter, welche zu jeder Art geselliger Unterhaltung mehr Lust hatten als zur Musik.“ Daß Wagner das Angebot überhaupt akzeptierte, bildet eine merkwürdige Fußnote in der Karriere eines Komponisten, der sich sonst außerhalb des Theaters völlig deplaziert fühlte, und läßt sich wohl am ehesten als Versuch verstehen, sich nach den Jahren am Rande der Pariser Gesellschaft mit dem „grundsoliden Bürgertum“ Dresdens anzufreunden. Wie dem auch sei, Bald sah er sich in ein Projekt verwickelt, das sich nicht nur in seinem Oeuvre, sondern auch in der Musikgeschichte des 19. Jahrhunderts als einmalig erweisen sollte. Die Liedertafel wurde nämlich von einem ehrfurchtgebietenden „Professor Löwe“ geleitet, dessen Vorname zwar seltsamerweise bis zum heutigen Tag unbekannt geblieben ist, dessen brennender Ehrgeiz und Organisationseifer ihm jedoch von Wagner den Spitznamen „Robespierre“ einbrachte, und dessen Hauptcharakterzug er als „Terrorismus“ titulierte. Angesichts des bevorstehenden Zweiten Allgemeinen Dresdner Männergesangsfestes im kommenden Juli faßte der Professor den Entschluß, ein neues, etwa 25minütiges Werk durch sämtliche Männergesangsvereine Sachsens aufführen zu lassen. Die Aufgabe, dieses Mammutwerk zu komponieren, fiel naturgemäß Wagner zu, dem jedoch beim Gedanken an 25 Minuten nichtendenden a-cappella-Gesangs in tiefer Tonlage graute und der bald zu der Einsicht kam, er müsse viel Dramatisches in das neue Werk einfließen lassen, damit es nicht der Eintönigkeit anheimfalle. Daraufhin unterbrach Wagner seine Arbeit an Tannhäuser und suchte aus Kap. 2 der biblischen „Apostelgeschichte“ die lebhafte Nacherzählung der Pfingstgeschehnisse, in denen der Heilige Geist den Aposteln plötzlich erscheint und die Beherrschung der verschiedenen Weltsprachen verleiht. Aus dieser biblischen Vorlage entwarf Wagner bald einen Text, den er zwischen April und dem 29. Juni 1843 rasch vertonte, und zwar für drei Jugendchöre (TTBB), die 12 Apostel (12 Bässe), einen „Himmelschor“ (16 Tenöre, 12 erste Bässe, 12 zweite Bässe) und ein sehr groß besetztes Orchester mit vierfachem Holz, einem großen Blechkontingent (mit Serpent!), einem massiven Streichensemble, vier Pauken und zwei Harfen.

Eine Woche danach, am 6. Juli 1843, wurde das gigantische Werk mit dem Titel Das Liebesmahl der Apostel in der Dresdner Frauenkirche planmäßig uraufgeführt. Die 1200 männlichen Chormitglieder nahmen beinahe das ganze Kirchenschiff in Anspruch, das 100 Mann starkes Orchester den Großteil des restlichen Platzes, während der Himmelschor hoch oben aus der Kuppel des Doms heruntersang. Um die ersehnte dramatische Wirkung noch zu potenzieren, ließ Wagner während der ersten 25 Minuten das Orchester schweigen und vertraute das musikalische Geschehen ganz den Männerchören an, die er in verschiedene Gruppen unterschiedlicher Größe unterteilt hatte, um die klangliche Vielfalt zu gewährleisten (die zwei Harfen lieferten leise im Hintergrund eine musikalische Begleitung, um die Intonation zu sichern). Erst mit dem Erscheinen des Heiligen Geistes bei den Worten “Welch Brausen erfüllt die Luft” setzte mit elektrisierender Wirkung das Orchester ein. Die durch und durch erfolgreiche Aufführung hätte einem anderen Komponisten den Weg zu einer Karriere als Schöpfer von großangelegten Oratorien gebahnt, nicht jedoch Wagner, der einen völlig entgegengesetzten Schluß zog („Mich überraschte die unverhältnismäßig geringe Wirkung, welche aus diesem unermeßlichen menschlichen Körperwirrwarr an mein Ohr schlug“) und beschloß, sich nie wieder an einer solchen musikalischen Massenveranstaltung zu beteiligen. Kurz darauf fand er auch einen diplomatisch geschickten Kunstgriff, sich die Dresdner Liedertafel „wieder vom Halse zu schaffen“, indem er seinen ehrgeizigen Freund Ferdinand Hiller überredete, als Nachfolger das Dirigat zu übernehmen.

In späteren Jahren sprach Wagner immer geringschätzig von diesem bemerkenswerten Werk, das in die damaligen Gattungskategorien kaum einzuordnen war und das er seiner Ehefrau Cosima gegenüber als „eine Art Ammergauspiel“ bezeichnete. Dennoch: Das Liebesmahl der Apostel erschien 1844 prompt beim Leipziger Musikverlag Breitkopf & Härtel als Partitur und Klavierauszug in Druck und verschaffte sich bald im Repertoire der deutschen Männergesangvereine einen ansehnlichen Platz, den es auch bis zur Jahrhundertwende fest behielt. Der gleiche Verlag fühlte sich 1870 und nochmals 1884 veranlaßt, sowohl die Partitur als auch den Klavierauszug nachzudrucken und 1892 sogar eine Ausgabe mit englischer und französischer Übersetzung des Textes zu veröffentlichen. Auch der renommierte Londoner Musikverlag Novello gab 1876 und nochmals 1898 Das Liebesmahl der Apostel im Klavierauszug heraus, was alles in allem auf eine überraschend große Nachfrage nach diesem etwas unförmigen Werk sowohl in Deutschland als auch im Ausland hinweist. Dem großen Kritiker und Musikhistoriker Hermann Kretzschmar war Das Liebesmahl der Apostel noch 1890 als „feste und glänzende Säule der Gattung [..] stehen geblieben” und der verspätete Einsatz des Orchesters ein „wunderbarer elementarer Effect, den man zeitlebens nicht wieder vergißt“. Weitaus weniger schwärmerisch betrachtete jedoch Wagner sein eigenes Werk, das er wohl zu Unrecht als „Gelegenheitskomposition“ abtat. Wer jedoch den Chor der Mönche in Tannhäuser, den Gesang der Matrosen in Tristan oder – in einem weiteren, weit überlegenen “Liebesmahl” – die Gralsritter in Parsifal kennt und schätzt, wird viel Interessantes in der Partitur zum Liebesmahl der Apostel finden, das mit dem verspäteten Einsatz des Orchesters sowie mit der vielfachen Verteilung und Unterteilung der Chöre in der Musik des 19. Jahrhunderts seinesgleichen sucht.

Am 18. Juni 1879 spielte Wagner seiner Ehefrau Cosima Das Liebesmahl der Apostel am Klavier vor, wobei er seiner Wiedergabe die Worte „Du möchtest Dir nicht zuviel erwarten“ voranstellte. Am Ende fügte er jedoch hinzu – vielleicht nur halb-ironisch: „Da erkennt man ganz den Komponisten von Tristan und Isolde.“

Zusammenfassung der Handlung
“Die Jünger des Herrn haben sich heimlich in Jerusalem versammelt um in gemeinsamem Mahle des geschiedenen Heilandes zu gedenken. Die Einen (2. Chor) zagen und bangen, Andere (3. Chor) sprechen Muth zu; eine dritte Gruppe (1. Chor unisono) rüstet und mahnt die Feier zu beginnen. Im Augenblicke, da Alle bereit sind, treten die Apostel ein, aber mit Unglücksbotschaft: neue Verfolgungen sind beschlossen und die Lehre vom Nazarener ist bei Todesstrafe verboten worden. Die Jünger ergreift Verzweifelung. In höchster Noth bitten sie den Allmächtigen um Hilfe: ‘Send’ uns deinen heil’gen Geist!’ Da begiebt sich ein Wunder: Von der Himmelshöhe, unsichtbar, erklingt ein Chor der Engel: ‘Seid getrost’. Dieser wunderbare Zuspruch richtet die Herzen wieder auf. Schwungvoll wird die Feier des Liebesmahls begangen und mit dem begeisterten Gelöbniss aller Jünger beendet: hinaus zu ziehen und allen Völkern das Wort des Herrn zu verkünden.” (aus: H. Kretzschmar: Führer durch den Concertsaal, ii/2: Oratorien und weltliche Chorwerke. Leipzig 1890, S. 237/38.)

Bradford Robinson, 2007

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden, zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

 

 

Richard Wagner
(b. Leipzig, 22 May 1813 – d. Venice, 13 February 1883)

Das Liebesmahl der Apostel
Biblical scene for multiple male choruses and orchestra
to words by the composer (1843)

 

Preface
Hardly had Wagner escaped the deprivations of his Paris years and landed safely in Dresden than he “good-naturedly” accepted, in January 1843, the post of conductor of the Dresden Liedertafel, a male choral society which, as he amusingly sums up in Mein Leben, “consisted of a moderately large number of young merchants and civil servants who took greater pleasure in any form of convivial entertainment than in music.” This appointment, a strange footnote to the career of a composer who otherwise felt completely out of place outside the theater, was probably an attempt to ingratiate himself with Dresden‘s “solid burghers” after having spent years living on the margins of society in Paris. Whatever his reasons for accepting it, he soon found himself embroiled in a project that turned out to be unique not only in his own oeuvre but in the annals of nineteenth-century music. The Liedertafel was headed by a redoubtable “Professor Löwe” whose first name has strangely eluded discovery to the present day, but whose headlong ambitions and organizing zeal earned him from Wagner the nickname of “Robespierre” and the principal character trait of “terrorism.” Faced with the upcoming Second General Festival of Male Choruses in July, Professor Löwe conceived the idea of presenting a new work of twenty-five minutes’ duration, to be performed by the assembled male choruses of the whole of Saxony. The task of writing this mammoth work fell to Wagner, who blanched at thought of twenty-five uninterrupted minutes of a cappella male voices and realized that he would have to breathe much drama into the piece to rescue it from monotony. Interrupting his work on Tannhäuser, he selected the remarkable Biblical story of Pentecost from Acts II, in which the apostles are visited by the Holy Ghost and suddenly become able to “speak in tongues.” On this basis he quickly drafted a verse libretto which, between April and 29 June 1843, he set for three choruses of youths (TTBB), the twelve apostles (12 basses), a chorus of “voices from on high” (16 tenors, 12 first basses and 12 second basses), and a huge orchestra with quadruple woodwind, a large brass section (including serpent), massive strings, four kettledrums, and two harps.

The gigantic new work, entitled Das Liebesmahl der Apostel (“The Love-Feast of the Apostles”), was punctually premièred a week later, on 6 July 1843, in Dresden’s famous Frauenkirche. The 1,200 male choristers occupied almost the whole of the nave, the one-hundred-man orchestra much of the rest, and the “chorus from on high” sang from the lofty heights of the cupola. To bring about the requisite dramatic impact, Wagner had the orchestra remain silent for the first twenty-five minutes of the piece, leaving the field entirely to the male choruses, which he divided up into groups of widely unequal sizes to ensure variety of sound (two harps accompanied softly in the background to make sure that they remained in tune). Not until the appearance of the Holy Ghost at the words “Welch Brausen erfüllt die Luft” (What roaring doth fill the air!) did the orchestra enter, to electrifying effect. The performance was hugely successful and might, in a different composer, have predestined its author to become a post-Mendelssohnian creator of oratorios. Wagner, however, drew a different conclusion (“I was surprised by the disproportionately slight impact that reached my ear from this immeasurable tangle of human bodies”) and resolved never again to attempt such mass musical happenings. Shortly thereafter he found a diplomatic way to “disburden himself” of the Liedertafel by arranging for his equally ambitious friend Ferdinand Hiller to become his successor.

In later years Wagner spoke disparagingly of this remarkable work, which fits hardly any of the generic categories of its day and which he called, privately to Cosima, “a sort of Ammergau Passion Play.” Yet Das Liebesmahl der Apostel was promptly published in full score and vocal score by Breitkopf & Härtel in Leipzig (1844) and quickly entered the repertoire of Germany’s male choral societies, where it remained firmly implanted until the turn of the century. Breitkopf felt called upon to reissue the work in full score and vocal score in 1870, again in 1884, and with English and French translations in 1892. The English firm of Novello in London also issued vocal scores in 1876 and 1898, all of which points to a surprisingly large market in both Germany and abroad for this ungainly work. To the great critic and historian Hermann Kretzschmar, writing in 1890, Das Liebesmahl der Apostel was “a firm and radiant pillar of its genre” and the entrance of the orchestra an “elemental effect which remains emblazoned in memory to the end of one’s days.” Wagner took a less sanguine view of the affair, referring to it unfairly as a pièce d’occasion. Yet anyone who knows and appreciates the monks in Tannhäuser, the sailors in Tristan, or (in another, superior “Liebesmahl”) the Knights of the Grail in Parsifal will find much of interest in this score, and the dramatic postponement of the orchestra and the multiple unequal choruses make the work unique in its century.

On 18 June 1879 Wagner played through Das Liebesmahl at the piano for the benefit of his wife Cosima, prefacing his performance with the words “Don’t expect too much of it.” At the end, however, he added, perhaps only half-ironically: “There one can fully recognize the composer of Tristan und Isolde.”

Plot Synopsis
“The disciples of the Lord have secretly gathered together in Jerusalem to commemorate their deceased Savior in a joint feast. Some (Chorus II) are filled with fear and trepidation; others (Chorus III) speak words of encouragement; a third group (Chorus I unisono) makes ready and orders the celebration to begin. When all are fully prepared the Apostles enter, but with a message of horror: new persecutions have been decreed, and the teachings of the Man from Nazareth are proscribed on pain of death. Despair seizes the disciples. In direst need they beseech the Almighty to help them: ‘Send us Thy Holy Ghost!’ A miracle occurs: from the heavenly heights a chorus of angels is heard, invisible: ‘Be comforted.’ At these wondrous words of solace they again take heart. The celebration of the Love-Feast is joyously enacted and ends with a rousing vow from all the disciples: to go forth and proclaim the word of the Lord to all the nations.” (Translated from H. Kretzschmar: Führer durch den Concertsaal, ii/2: Oratorien und weltliche Chorwerke (Leipzig, 1890), pp. 237-8.)

Bradford Robinson, 2007

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.