Niels Wilhelm Gade
(geb. Kopenhagen, 22. Februar 1817 - gest. Kopenhagen 21.12.1890)

Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 20
Besetzung:
2 Fl. – 2 Ob. – 2 Klar. – 2 Fg. – 4 Hr. - 2 Trp. – Pauke – Streicher

Im Gesamtœvre Niels Wilhelm Gades steht das sinfonische Werk im Zentrum. Neben den drei Ouvertüren waren es insbesondere die acht Sinfonien, die Gades Ruf und Ruhm begründeten. Die Sinfonien entstanden im entscheidenden Mittelabschnitt in Gades Leben von 1842 bis 1871. Prägend waren die acht Sinfonien in erster Linie für Gades Entwicklung vom Komponisten des „Nordischen Tones“ hin zum Werkschaffenden mit internationaleren Vorbildern. Während die erste Sinfonie c-Moll op. 5 (1842) noch stark der nordischen Kompositionsweise verhaftet war, entwickelte sich der Däne danach zunehmend zu einem Kosmopoliten. In seiner Sinfonie Nr. 4 B-Dur op. 20 von 1850 zeigt er sich am eindrucksvollsten einer universellen Ästhetik verhaftet. Später näherte er sich langsam erneut den nordischen Vorbildern an. 1871 schloss sich mit seiner letzten Sinfonie Nr. 8 h-Moll op. 47 der Kreis des Ausgangs- und Endpunktes „Nordischer Ton“. Wie aber kam es zu einer solchen Art der „Wahlverwandtschaft“?

Robert Schumann hatte erstmalig eine Eigenart in Gades Werken entdeckt, die er mit dem Begriff „Nordischer Ton“ benannt hatte. Kompositionstechnisch bezeichnete dies Gades Vorgehen, Lied- und Tanzmodelle der dänischen und skandinavischen Volksmusik in die Kunstmusik zu integrieren und dadurch ein – für mitteleuropäische Ohren – ungewohntes Klangbild zu schaffen. In seinen Kompositionen der frühen 1840er Jahren wie der Ouvertüre Efterklange af Ossian (Nachklänge an Ossian) op. 1 oder der Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 5 ist der Nordische Ton deutlich vernehmbar und faszinierte das Publikum. Diese eigenartige, fremde Musik verhalf Gade zum internationalen Durchbruch. Bezeichnender Weise geschah dies jedoch nicht in Gades Heimatland Dänemark, sondern in Leipzig. Felix Mendelssohn Bartholdy war besonders auf die Sinfonie Nr. 1 aufmerksam geworden und hatte sie im März 1843 im Gewandhaus zur Uraufführung gebracht. Nach dem grandiosen Erfolg lud er Gade im selben Jahr nach Leipzig ein.

Daraus entwickelte sich ein fünfjähriger Aufenthalt des Dänen in Sachsen während dessen er neben Mendelssohn und nach dessen Tod alleine die Leitung der Gewandhauskonzerte übernahm und als Lehrer für Instrumentation am Leipziger Konservatorium unterrichtete. Der Umgang mit seinen deutschen Zeitgenossen, zu denen besonders Mendelssohn und Schumann zu zählen sind, leitete in Gades Kompositionsstil eine neue Entwicklung ein. Insbesondere Robert Schumann war es, der Gade vor der Einseitigkeit aller Nationalmusik warnte. In seinem Tagebuch finden sich nach der Uraufführung der c-Moll-Sinfonie 1843 Gedanken darüber, dass sich Gades früher Stil „aber bald erschöpfen muß, denn der nordische Nationalcharacter … wird bald monoton, wie wohl überhaupt alle Nationalmusik.“ Der 26jährige Gade ließ sich von solchen Kommentare beeindrucken und überdachte sein Schaffen. Vorbilder zog er nun vornehmlich aus der Kompositionsästhetik der Leipziger Schule, die auf die Wahl eines universellen Ausdrucks Wert legte. Im Verlauf der Leipziger Jahre Gades ist deutlich eine Abkehr von der nordischen Kompositionsweise zu erkennen. Dies bahnte sich in der Sinfonie Nr. 3 a-Moll op. 15 von 1847 bereits an und setzte sich im Oktett für Streicher op. 17 von 1848/49 sowie in den Tre karakterstykker op. 18 für Klavier vierhändig fort.

In der B-Dur - Sinfonie fand die Suche nach einem universellen Stil fern aller Nationalmusik ihren Höhepunkt. Das Werk entstand ein knappes Jahr nach Gades Rückkehr aus Leipzig 1848 innerhalb weniger Monate zwischen Weihnachten 1849 und März 1850 in Kopenhagen. Gade widmete seine B-Dur Sinfonie Louis Spohr, den er vermutlich 1850 bei seinem kurzen Aufenthalt in Leipzig im Sommer persönlich kennen gelernt hatte. Von ihren Dimensionen her, was Besetzung und zeitliche Ausdehnung anbetrifft, ist die B-Dur-Sinfonie schlanker und kürzer konzipiert als irgendeine andere der acht Gadeschen Sinfonien. In ihrem Charakter ist sie zugleich lebhaft wie lyrisch geprägt. Ihr fehlt allerdings die gewaltige, energische Wirkung und der rustikale Charakter der c-Moll-Sinfonie. Der lyrisch-poetische Gestus der Außensätze der vierten Sinfonie erinnert noch ehesten an ähnliche Klänge im langsamen Satz der c-Moll-Sinfonie. Opus 20 besticht vielmehr durch seine streng formale Konzeption und thematische Arbeit, die in Gades früheren Werken häufig zu wünschen übrig ließ. Der Däne konzentriert sich hier mehr auf die klare Einhaltung und Gestaltung der Sonatenform, die Ausgewogenheit der einzelnen Abschnitte untereinander sowie um die Leichtigkeit des Klangs. Dazu trägt auch bei, dass Gade anders als bei den drei vorausgehenden Sinfonien auf den dunklen, vollen Klang der Posaunen verzichtet. Darüber hinaus ist jeder Satz ganz dem „klassischen“ Muster entsprechend angelegt. Während die Ecksätze durch formale Klarheit und starke Bewegungsrichtungen geprägt sind, bestechen der langsame Satz durch seine melodiöse Kraft sowie das Scherzo durch seine huschenden Elfenhaftigkeit, in der er es an Mendelssohn erinnert. Nationale Volksmusikmodelle sucht man allerdings vergeblich. In der Formanlage und ihrem Klangbild nach stellt die B-Dur-Sinfonie ein eindrucksvolles Werk gemäß der Ästhetik der Leipziger Schule dar.

So eindeutig die Mittel des neuen Stils Gades zu sein scheinen, so wenig stimmig war die Rezeption des Werks. Am 16. November 1850 fand in Musikforeningen („Musikverein“) Kopenhagen unter Gades Leitung die Uraufführung statt. Bemerkenswerterweise war dies die erste Sinfonie Gades, die ihre Uraufführung im Heimatland des Komponisten erlebte. Während in Kopenhagen die Aufnahme positiv war und auf die „vollendete Form“ des Werkes hingewiesen wurde, wollte sich bei der deutschen Erstaufführung in Leipzig am 16. Januar 1851 unter Julius Rietz kein rechter Enthusiasmus einstellen. Laut Bericht des norwegischen Komponisten Halfdan Kjerulf hatte Rietz die Sinfonie bereits im Vorfeld als „unbedeutend“ bezeichnet. Die kontroverse Diskussion über das Werk in zwei verschiedenen Ländern lässt sich jedoch erklären. Vermutlich sah sich der Teil der Rezipienten, der in Gades Werk das Nordische bevorzugte, sich enttäuscht. In der Neuen Zeitschrift für Musik wurde Gade vorgeworfen, in seinem Bestreben, „deutsch“ zu sein, seine Eigentümlichkeit bzw. „Ursprünglichkeit“ verloren zu haben. Kritiker der sinfonischen und thematischen Arbeit Gades hingegen stellten in der B-Dur-Sinfonie die Beherrschung dieser Kunst und damit eine Weiterentwicklung Gades fest. Der Däne, hieß es in der Rheinischen Musikzeitung, bestäche durch die „wohlgruppiertesten und wohlklingendsten Tonfiguren“. Joseph Joachim nannte, in einem Interview nach den von ihm am höchsten geschätzten Werken Gades gefragt, die B-Dur-Sinfonie an erster Stelle.

Im Leipziger Gewandhaus wurde die B-Dur-Sinfonie gerne und häufig gespielt. In den Jahren 1851 bis 1885 kam es zu insgesamt 18 Aufführungen. Möglichweise deutet die Wertschätzung dieses Werks in Leipzig auf den im Werk hörbaren Ausdruck der Leipziger Schule hin. Ähnlich wie das Allegretto scherzando aus Beethovens achter Sinfonie entwickelte sich das Scherzo aus Gades B-Dur-Sinfonie später zu einer regelmäßigen Zugabe in den Gewandhauskonzerten.

Der negativen Prophezeiung trotzend, dass die B-Dur-Sinfonie durch den Mangel an einem „bestimmt ausgeprägten Charakter“ sowie „Gedanken von umfassender Bedeutung, die den Zeitenwechsel zu überdauern vermöchten“, bald in Vergessenheit geriete, kam sie im 19. Jahrhundert übermäßig häufig, meist in deutschen Städten mit festen Konzerteinrichtungen zur Aufführung. Gade selbst dirigierte sie bevorzugt bei Einladungen zu Musikfesten, z.B. in Düsseldorf, Hamburg oder Amsterdam. Europaweit kam die Sinfonie Nr. 4 in den Jahren 1850 bis 1875 mit genau 90 Aufführungen außerhalb Kopenhagens bald doppelt so häufig zur Aufführung wie Gades eigentlicher „Publikumserfolg“, die c-Moll-Sinfonie, die 53 Mal - allerdings weltweit - gespielt wurde. Dennoch deuten die Aufführungszahlen der c-Moll- und der B-Dur-Sinfonie an, dass der Däne anscheinend die größten Erfolge mit jenen Sinfonien feiern konnte, in denen er sich am „eindeutigsten“ – nordisch oder universal - präsentierte.

Yvonne Wasserloos, November 2007

Aufführungsmaterial ist von der Fleisher Orchestral Library, Philadelphia zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

Niels Wilhelm Gade
(b. Copenhagen, 22 February 1817 – d. Copenhagen, 21 December 1890)

Symphony No. 4 in B-flat major, op. 20

Niels Wilhelm Gade’s symphonies form the mainstay of his compositional oeuvre. Besides his three overtures, it was above all the eight symphonies that established his reputation and fame. The symphonies were written between 1842 and 1871 during the crucial middle period of his career. They were primarily responsible for his evolution from the composer of the “Nordic inflection” to a creator of works based on more international models. If the First Symphony in C minor, op. 5 (1842), was still heavily indebted to the Nordic style, Gade thereafter increasingly evolved into a cosmopolitan figure. His Fourth Symphony in B-flat major, op. 20 (1850), most impressively betokens a universalistic aesthetic. Later he gradually returned to Nordic models. In 1871 his final Symphony No. 8 in B minor, op. 47, closed the circle by rejoining the “Nordic inflection” of his youth. How did this “elective affinity” come about?

Robert Schumann was the first to discover a quality in Gade’s music to which he gave the term “Nordic inflection” (“nordischer Ton”). In compositional terms, this referred to Gade’s procedure of integrating songs and dance patterns from Danish and Scandinavian folk culture into art music, thereby creating a sound unusual to Central European ears. The Nordic inflection that left audiences so fascinated is audibly present in his works of the early 1840s, such as the overture Efterklange af Ossian (“Echoes of Ossian”), op. 1, or the First Symphony in C minor, op. 5. This strange, alien music helped Gade to achieve his international breakthrough. Revealingly, however, this did not occur in his native Denmark, but in Leipzig. The First Symphony drew the special attention of Felix Mendelssohn, who gave the work its première in the Gewandhaus in March 1843. That very year, in the wake of its stunning success, he invited Gade to Leipzig. The result was a five-year stay in Saxony during which Gade took charge of the Gewandhaus concerts (at first jointly with Mendelssohn and later, after the latter’s death, alone) and taught orchestration at Leipzig Conservatory. His dealings with his German contemporaries, especially Mendelssohn and Schumann, introduced a new line of development in his compositional style. Schumann in particular warned Gade about the one-sidedness of all national music. His diary contains the following entry after the premìère of the First Symphony in 1843: Gade’s early style, he writes, “must soon be exhausted, for its national Nordic character … will quickly turn monotonous, as probably happens to national music altogether.” Impressed by such arguments, the twenty-six-year-old Gade rethought his compositional style. Now he looked for models chiefly in the compositional aesthetic of the Leipzig school, which placed a premium on universal expression. During his Leipzig years Gade noticeably abandoned the Nordic style. This volte face is already apparent in the Third Symphony in A minor, op. 15 (1847), and continues in the Octet for Strings, op. 17 (1848-9), and the Tre karakterstykker for piano four-hands, op. 18.
Gade’s quest for a universal style far removed from national music of any sort reached a climax in the Fourth Symphony. It was written in Copenhagen within the span of a few months from Christmas 1849 to March 1850, hardly a year after his return from Leipzig in 1848. The symphony is dedicated to Louis Spohr, whom he presumably met personally during his brief visit to Leipzig in summer 1850. It is leaner and shorter than any other of Gade’s eight symphonies in its scale, scoring, and duration and strikes a character at once lively and lyrical. Yet it lacks the powerful and energetic impact and rustic character of the First Symphony. The lyrical and poetic mood of its outside movements most clearly recalls similar sounds in the slow movement of the earlier work. Instead, the Fourth Symphony convinces with its rigorous formal conception and thematic development, which often received short shrift in Gade’s earlier works. Here the composer focuses more closely on maintaining and shaping the sonata-allegro form, striking a balance among its sections, and achieving a lightness of sound. One way in which he accomplishes this is by dispensing with the dark, full sound of the trombones heard in his preceding three symphonies. Moreover, each movement is laid out entirely along “classical” lines. If the outside movements are noted for their formal clarity and propulsive momentum, the slow movement catches the ear with the strength of its melodies and the scherzo with a whisking elfin texture reminiscent of Mendelssohn. One searches in vain for elements of national folk music. In its formal design and overall sound, the Fourth Symphony is an impressive achievement fully consistent with the aesthetic of the Leipzig school.

Gade’s fresh stylistic devices were as striking as the response to the new work was mixed. It was given its première, under the composer’s baton, by the Copenhagen Musical Society (Musikforeningen) on 16 November 1850. Remarkably, this was the first of Gade’s symphonies to be premièred in his native country. Although audiences responded warmly in Copenhagen and praised the work’s “consummate form,” the German première, conducted by Julius Rietz in Leipzig on 16 January 1851, was given a lukewarm reception. According to the Norwegian composer Halfdan Kjerulf, Rietz had already called the symphony “insignificant” before the première took place. But the conflicting discussions of the work in two different countries admit of an explanation. Presumably those listeners who preferred the Nordic element in Gade’s music were disappointed. The Neue Zeitschrift für Musik accused Gade of abandoning his independence and “originality” by striving to be “German.” On the other hand, critics of Gade’s symphonic and thematic craftsmanship noted his command of these techniques in the Fourth Symphony, and thus a further evolution of his art. Gade, readers of the Rheinische Musikzeitung were told, captivates with the “most well-assembled and euphonious figures of sound.” Joseph Joachim, asked in an interview which work by Gade he valued most highly, gave pride of place to op. 20.

The Fourth Symphony was frequently heard and roundly applauded in the Leipzig Gewandhaus, where a total of eighteen performances were given between 1851 and 1885. The high opinion of the work in Leipzig may well relate to the audible influence of the Leipzig school. Like the Allegretto scherzando from Beethoven’s Eighth Symphony, the scherzo of Gade’s op. 20 later developed into a familiar encore piece in the Gewandhaus’s concerts.

Notwithstanding the negative prophesies that the Fourth Symphony, with its lack of a “well-defined character” and “ideas of comprehensive significance capable of surviving the vicissitudes of time,” would soon fall into oblivion, it was very frequently performed in the nineteenth century, usually in German cities with permanent concert facilities. Gade himself preferred to conduct the work when invited to music festivals, e.g. in Düsseldorf, Hamburg, and Amsterdam. On a European scale, the Fourth Symphony was heard twice as often outside Copenhagen between 1850 and 1875 than Gade’s actual “audience favorite,” the First Symphony, with precisely ninety performances of the one compared to fifty-three of the other, albeit worldwide. Nonetheless, the performance figures for the C-minor and B-flat-major Symphonies suggest that Gade apparently obtained his greatest successes with those symphonies in which he presented himself most “unmistakably,” whether in a Nordic or a universalistic vein.

Yvonne Wasserloos, November 2007

For performance material please contact Fleisher Orchestral Library, Philadelphia . Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.