Siegfried Wagner
(geb. Tribschen, 6. Juni 1869 – gest. Bayreuth, 4. August 1930)

Konzert für Violine mit Begleitung des Orchesters
(1915)

Siegfried Wagner wurde als einziger Sohn Richard und Cosima Wagners in Tribschen bei Luzern geboren. Siegfried hatte zunächst den Wunsch Architektur zu studieren, begann dann aber 1889 bei Engelbert Humperdinck ein Studium der Harmonielehre und des Kontrapunkts. Nach einem Jahr war Humperdinck bereits der Meinung, er könne ihm nichts mehr beibringen, und er solle nun schon auf eigenen Füßen stehen. 1892 unternimmt er mit Clement Harris (englischer Komponist 1871-1897) eine sechsmonatige Ostasienreise, die ihn sehr prägte und in seinen 1922 erschienenen Erinnerungen einen breiten Raum einnimmmt. Hierbei reifte in ihm die Entscheidung, sich ganz der Musik zu widmen, und er begann seine Lehrzeit im Bayreuther Festspielhaus.

Im Bayreuther Markgräflichen Opernhaus debütiert er 1893 als Dirigent. 1895 entstand seine erste Oper „Der Bärenhäuter“, mit der er einen sensationellen Erfolg hatte. Dennoch nahm die Öffentlichkeit ihn zumeist als Sohn Richard Wagners und Enkel von Franz Liszt wahr. Insbesondere als er 1908 schließlich die alleinverantwortliche Leitung der Bayreuther Festspiele übernahm, Aufführungen dirigierte und inszenierte. So äußerte Arnold Schönberg sich 1912 über ihn: „Der Sohn dieses Vaters, der übrigens als Künstler zweifellos das Opfer einer pedantischen Theorie ist, der nicht nach seinem Eigenwert geschätzt, sondern nach einem vermeintlichen Naturgesetz, demzufolge ein bedeutender Mann keinen bedeutenden Sohn haben darf, obwohl Johann Sebastian Bach zwei sehr bedeutende Söhne hatte und obwohl Siegfried Wagner ein tieferer Künstler ist, als viele, die heute sehr berühmt sind“.

Während des 1. Weltkrieges fanden in Bayreuth keine Aufführungen statt. 1915 heiratete Siegfried Wagner die 28 Jahre jüngere Winifred Williams. Aus dieser Ehe stammen vier Kinder (Wieland, Friedelind, Wolfgang und Verena). Zwei Jahre später konnte er noch einmal mit seiner neuen Märchenoper „An allem ist Hüttchen schuld“ an seinen Erfolg des Bärenhäuters anknüpfen.

Die Festspiele wurden 1924 mit den „Meistersingern von Nürnberg“ wiedereröffnet. Den deutschnationalen Kreisen, die immer mehr Einfluss in Deutschland gewannen, stand er ablehnend gegenüber. So verbot er nach Aufführungen der Meistersinger, das Deutschlandlied zu singen. Auch gegenüber Adolf Hitler, den Siegfried 1923 kennenlernte, verhielt er sich ablehnend.

Siegfried Wagner starb am 4. August 1930, nachdem er am 17. Juni bei einer Probe zum 2. Aufzug der „Götterdämmerung“ einen Herzinfarkt erlitten hatte.

Siegfried Wagner übernahm zwar manche kompositorischen Aspekte seines Vaters, beispielsweise die Leitmotivtechnik, wie auch viele weitere Komponisten seiner Zeit, fand aber zu seiner eigenen musikalischen Sprache. Neben seinen 18 Opern (zum Teil unvollendet) schuf Siegfried Wagner eine Sinfonie in C (1927), drei Sinfonische Dichtungen ( „Sehnsucht“ 1894, „Und wenn die Welt voll Teufel wär“ 1922, „Glück“ 1923), ein Concertino für Flöte und Orchester (1913), eine Ballade für Bariton und Orchester „Das Märchen vom dicken fetten Pfannekuchen“ (1913), Lieder und das Violinkonzert.

Das „Konzert für Violine mit Begleitung des Orchesters“ wurde am 1. Juni 1915 fertiggestellt, inmitten der Arbeit an seiner zweiten Märchenoper „An allem ist Hüttchen schuld“. Noch im selben Jahr erschien das Werk bei Giessel in Bayreuth im Druck. Die Uraufführung fand am 6. Dezember 1915 im Nürnberger Herkules Saal statt, Siegfried Wagner dirigierte das Philharmonische Orchester Nürnberg, Solist war Seby Horvath.

Wie einige seiner komponierenden Zeitgenossen so experimentierte auch Siegfried Wagner mit der Form eines Solokonzertes. Er entschied sich dafür, das Violinkonzert in einem durchgehenden Satz zu komponieren. Zu dieser Lösung gelangten in zeitlicher Nachbarschaft auch Frederick Delius in seinem Violinkonzert (1916), Rudi Stephan in seiner Musik für Geige und Orchester (1913) oder auch Ralph Vaughan-Williams in seiner umfangreichen Violinromanze „The Lark Ascending“ (1914) sowie Cellokonzerte von Kurt Atterberg und Eugen D´Albert.

Das einsätzige Konzert lässt sich in zwei ungefähr gleich lange Abschnitte gliedern, eine langsame Einleitung mit folgendem Rondo. Ähnlich wie nach ihm Korngold in seinem Violinkonzert benutzte auch Siegfried Wagner viele musikalische Zitate aus eigenen Werken, und genau wie diesem erging es auch ihm mit den Kritikern. Sie warfen ihm vor, dass es sich bei dem Konzert um ein Potpourri aus seiner kurz zuvor entstandenen Märchenoper „An allem ist Hüttchen schuld“ handle, aus der er im Konzert häufig zitiert. Bei der Orchesterbesetzung verwendete Siegfried Wagner zweifache Holzbläser, vier Hörner, zwei Trompeten, Pauken, Triangel und Streicher. Er entsprach damit der üblichen Besetzung (mit Ausnahme der hinzugefügten Triangel), wie sie auch Brahms, Bruch u.a. in ihren Violinkonzerten benutzten.

Das Werk wird mit einer kurzen Einleitung der Bläser von acht Takten (4+4) eröffnet. Erst nach dieser Einleitung wird die Tonika e-moll erreicht. Die Solovioline führt das Thema des Beginns weiter. Acht Takte nach Ziffer 2 greift das Orchester dieses Anfangsthema wieder auf, während die Solovioline ein Motiv aus der Märchenoper „An allem ist Hüttchen schuld“ zitiert. Auch in den zehn Takten im 12/8 Takt nach Ziffer 3 verwendet Siegfried Wagner Material aus dieser Oper. Dieser Teil, der harmonisch von verminderten und halbverminderten Septakkorden geprägt wird, führt überraschend bei Ziffer 5 für einen Takt nach B-Dur, um dann sechs Takte - für dieses Werk ungewöhnlich- lang in der Tonikaparalelle G-Dur zu baden. Im folgenden Durchführungsteil werden erneut Zitate aus der Oper verarbeitet. Die Überleitung ab Ziffer 18 greift einen Gedanken, der schon bei Ziffer 2 erklang, auf und führt zum zweiten Abschnitt des Werkes. Dieser schnellere rondoartige Teil beginnt bei Ziffer 19 mit einem viertaktigen Thema aus der Oper, gespielt von der Solovioline. Dieses Thema prägt den gesamten zweiten Teil des Werkes. Bei Ziffer 24 erklingt der Kopf dieses Themas mehrere Takte lang über einer leeren Quinte (fis-cis). Vier Takte nach Ziffer 29 wird das Thema dann in einem Fugato verarbeitet. Der Charakter des zweiten Teils ist heiterer als der erste und endet, nachdem bei Ziffer 48 noch einmal der Anfang des Konzertes aufgegriffen wird, im kraftvollen G-Dur.
Aufführungsdauer ca. 25 Minuten.

Marcus Prieser 2007
Marcus Prieser, 2007

Aufführungsmaterial ist von Max Brockhaus, Remagen zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

Siegried Wagner
(born Tribschen, 6 June 1869 – died Bayreuth 4 August 1930)

 

Concerto for Violin with Orchestral Accompaniment
(1915)

Siegfried Wagner was born as the only son of Richard and Cosima Wagner in Tribschen near Luzern. Siegfried initially wanted to study architecture, but then in 1889 began to study harmony and counterpoint under Engelbert Humperdinck. After a year, Humperdinck was already of the opinion that he could not teach him anything more, and that he should now become independent. In 1892, he travelled for six month with Clement Harris (English composer 1871 – 1897) in East Asia, which made a great impression on him and features conspicuously in his memoirs, published in 1922. During his travels he decided to concentrate on music and thereafter began his apprenticeship at the Festspielhaus in Bayreuth.
In the Marktgräfliche Opera House in Bayreuth he first appeared as conductor in 1893. In 1895 he wrote his first opera, the Bärenhäuter, with which he had a sensational success. However, the public generally saw in him the son of Richard Wagner and grandchild of Franz Liszt; particularly after 1908, when he was the sole director of the Bayreuth Festspiele and conducted and directed the productions. Thus Arnold Schönberg said of him in 1912: “The son of this father, who by the way is without doubt, as an artist, the victim of a pedantic theory, is not measured according to his own value, but in accordance with an assumed law of nature, which states that a famous man may not have a famous son, although Johann Sebastian Bach had two very famous sons, and although Siegfried Wagner is a more profound artist than many of those who are today very famous”.
During the First World War there were no productions in Bayreuth. In 1915 Siegfried Wagner married Winifred Williams who was 28 years younger. They had four children (Wieland, Friedelind, Wolfgang and Verena). Two years later, he could once more with his new fairytale opera “An allem ist Hüttchen schuld” repeat his success with the Bärenhäuter. The Festspiele were reopened in 1924 with the “Meistersinger von Nürnberg”. He rejected the German nationalistic circles which gained ever increasing influence in Germany. Thus he did not allow the singing of the Deutschlandlied after the production of the Meistersinger. He also disapproved of Adolf Hitler whom Siegfried met in 1923.
Siegfried Wagner died on the 4th of August 1930, after he had suffered a heart attack on the 17th of June during a rehearsal of the 2nd scene of the Götterdämmerung.
Although Siegfried Wagner used various aspects of his father’s compositions, such as the technique of the Leitmotiv, as many other composers of his period, he nevertheless developed his own musical language. In addition to 18 operas (some of them incomplete) Siegfried Wagner wrote a symphony in C (1927), three symphonic poems (“Yearning” 1894, “And if the World was full of Devils” 1922, “Happiness” 1923), a concertino for flute and orchestra (1913), a ballad for baritone and orchestra “The Fairytale of the thick fat Pancake” (1913), songs and the violin concerto.

The “Concerto for Violin with Orchestral Accompaniment” was finished on the 1st of June 1915, in the middle of work on his second fairytale opera “An allem ist Hüttchen schuld”. It was published the same year by Giessel in Bayreuth. The first performance took place on the 6th of December 1915 in the Hercules Hall in Nuremberg. Siegfried Wagner conducted the Philharmonic Orchestra of Nuremberg, the soloist was Seby Horvath.
As did some of his contemporary composers, Siegfried Wagner also experimented with the structure of a solo concerto. He decided to compose the violin concerto in one continuous movement. This solution was also chosen at that time by Frederick Delius in his violin concerto (1916), Rudi Stephan in his music for violin and orchestra (1913) and also Ralph Vaughan-Williams in his extensive romance for violin “The Lark Ascending” (1914) as well as the cello concertos by Kurt Atterberg and Eugen D’Albert. The one movement concerto can be divided into two sections of approximately equal length, a slow introduction with a subsequent rondo. As subsequently also Korngold in his violin concerto, Siegfried Wagner used many musical quotations from his own works. And both suffered similarly at the hands of the critics. They criticized that the concerto was a potpourri from his recently completed fairytale opera “An allem ist Hüttchen schuld”, to which he frequently refers in the concerto. For the orchestration Siegfried Wagner used double woodwind, four horns, two trumpets, timpani, triangle and strings. This corresponded with the usual orchestration (with exception of the additional triangle), as also Brahms, Bruch and others used in their violin concertos.
He opens the work with a short eight bar (4+4) introduction by the wind section. Only after this introduction emerges the tonic of e minor. The solo violin develops the opening theme. Eight bars after number 2 the orchestra reintroduces the initial theme while the solo violin quotes a theme from the fairytale opera “An allem ist Hüttchen schuld”. Also in the ten bars in 12/8 time after number 3 Siegfried Wagner uses material from this opera. This section, which is harmonically characterized by diminished and semi diminished seventh chords, leads surprisingly at number 5 for one bar to B major, and bathes for six bars – surprisingly long for this work – in the tonic parallel G major. In the following transitional section quotations from the opera are again used. The transition at number 18 uses the themes that have already sounded at number 2 and leads to the second section of the work. This faster section in the style of a rondo begins at number 19 with a four bar theme from the opera, played by the solo violin. This theme dominates the whole of the second section of the work. At number 24, the head of this theme sounds for several bars above an empty fifth (F sharp – C sharp). Four bars after number 29, the theme is then used in a fugato. The character of the second section is brighter than the first and closes, after at number 48 once more the beginning of the concerto has been quoted, in a strong G major.

Time of performance: about 25 minutes.

Marcus Prieser 2007
Translation: John Conrad

 

For performance material please contact the publisher Max Brockhaus, Remagen. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.