Claude Debussy
(geb. Saint-Germain-en-Laye, 22. August 1862 – gest. Paris, 25. März 1918)

Danses pour harpe chromatique
avec accompagnement d’orchestre d’instruments à cordes
(auch als Deux Danses pour harpe avec accompagnement d’orchestre bekannt)

Vorwort
Debussys Danses pour harpe chromatique wurden vom Königlichen Konservatorium Brüssel in Auftrag gegeben und im April/Mai 1904 komponiert. Der Auftrag selber war ein weiteres Zeugnis für seinen wachsenden Ruhm, der zwar nach dem Erfolg seiner Oper Pelléas et Mélisande im Jahre 1902 scheinbar über Nacht zustande kam, dem jedoch Jahrzehnte an Arbeit und Entbehrungen vorausgingen. Ziel des neuen Auftrags war, ein neues Instrument zu fördern: die kreuzsaitig bespannte chromatische Harfe, die von der Firma Pleyel als Verbesserung der Pedalharfe der rivalisierenden Firma Erard eingeführt und vermarktet wurde. Der angebliche Vorteil der chromatischen Harfe lag in ihrer einfachen Bauweise, das Instrument hat sich jedoch nicht durchsetzten können: Heute wird die Pedalharfe bei Aufführungen bevorzugt.

Die Danses bestehen aus zwei Stücken – «Danse sacrée» und «Danse profane» – die jedoch ohne Unterbrechung ineinander übergehen und den Eindruck eines zusammenhängenden Ganzen vermitteln. Beide Stücke, obwohl reizend, elegant und ruhig-heiter, wurden bei der Uraufführung am 6. November 1904 im Pariser Concerts Colonne mit gemischten Gefühlen aufgenommen. Folgende beißende Kritik erschien etwa in Le Figaro aus der Feder von Gabriel Fauré: «Immer wieder trifft man auf die gleichen harmonischen Ungereimtheiten, die manchmal merkwürdig und verführerisch, ansonsten jedoch schlicht unangenehm klingen.”

Mehr als ein Kritiker verwies auf die bildhaften Assoziationen, die das neue Werk hervorrief. Solche Vergleiche waren bei der Diskussion der Musik Debussys alles andere als ungewöhnlich und führten durch ihre ständige Wiederholung zur Etikettierung des Komponisten als „Impressionist“ - ein Begriff, der ihm höchst zuwider war. Im vorliegenden Falle wiesen die Besprechungen auf die Gemeinsamkeiten der Danses mit den Gemälden von Eugène Carrière (1849-1906) und Henri Le Sidaner (1862-1939) hin, die enge stilistische Verbindungen zum Impressionismus pflegten. Wenn jedoch überhaupt ein Maler mit den Danses in Verbindung gebracht werden sollte, wäre es Pierre Puvis de Chavannes (1824-1898), ein ausgesprochener Quergeist, der seine Kunst häufig in einer persönlichen antikisierenden Traumwelt situierte. Es fällt nicht schwer, sich die Danses als musikalisches Pendant zu dieser Traumwelt vorzustellen.

Die archaische Atmosphäre der Danses hängt maßgeblich mit der Begeisterung Debussys nicht nur für die außereuropäische Musik, sondern auch für diejenigen abendländischen Musikformen zusammen, die von den Traditionen des 18. und 19. Jahrhunderts abwichen, mit denen er sich als Student am Pariser Conservatoire auseinandersetzen mußte. Vom Anfang an betrachtete Debussy die Verehrung der klassischen Meister wie Mozart und Beethoven mit Skepsis. Seine Suche nach Originalität machte sich in zwei deutlichen Aspekten seines Personalstil bemerkbar: in der Verwendung von alten Tonskalen und in seiner eigentümlichen Auffassung von Melodik.

Debussy war fest davon überzeugt, daß das Dur/Moll-System, das seit Jahrhunderten als Grundlage der abendländischen Musik gedient hatte, einer grundsätzlichen Erneuerung bedurfte. Andere Tonskalen, die ihn durch die Unverbrauchtheit ihres Klanges anzogen, waren in Vergessenheit geraten. Der «Danse sacrée» ist maßgeblich durch solche Tonskalen geprägt. Seltsamerweise stammt das Hauptthema nicht etwa von Debussy, sondern von einem in Paris ansässigen portugiesischen Komponisten namens Francesco de Lacerda. Debussy hatte sie lediglich in der Musikzeitschrift Revue musicale unter dem Titel «Danse du voile» entdeckt. Obwohl diese Quelle in der Partitur nicht erwähnt wird, gab sie Debussy bereitwillig zu. Später wurde er sogar ein großzügiger Gönner des d’Indy-Schülers Lacerda.

Zu den Ursachen des Erfolgs der Danses gehört auch die starke Kontrastwirkung zwischen den beiden Stücken. Diese Eigenschaft schnitt Debussy selber in einem Brief an Manuel de Falla vom 13. Januar 1907 an, in dem er von der „‘Schwere‘ des ersten und der ‚Anmut‘ des zweiten“ sprach. Die „Schwere“ des ersten Danse wird sowohl durch das würdevoll schreitende Tempo als auch durch seine eigenartige Tonartlichkeit vermittelt, die „Anmut“ des zweiten hingegen vorwiegend durch die ungewöhnliche Ausarbeitung der Melodielinie.

Den Kern der Melodik sah Debussy in der arabesque, in einer Linie, die zugleich schläfrig-träge wirkt und vor Energie strotzt. Damals war die arabesque ein im Kunstgewerbe sowie in den bildenden Künsten verbreiteter Begriff und lag daher dem Komponisten als Inspiration zur Hand. Mit der Gestalt der arabesque hing auch ihre Ausarbeitung eng zusammen: Statt der vier- und achttaktigen Phrasen, die die damalige Musik größtenteils beherrschte, setzte Debussy kurze, oft nur zweitaktige Melodiezellen ein, die sich auf natürliche, jedoch unvorhersehbare Weise entwickelten und veränderten. Diese Auffassung, die die herkömmlichen Begriffe der musikalische Form und Struktur gleichsam auf den Kopf stellt, begründet auch die große Vielfalt der Strukturen in den Werken Debussys sowie die Unmöglichkeit (und meistens Sinnlosigkeit) aller Versuche, die formale Anlage der Sätze etwa als Rondo- oder Sonatenhauptsatzform zu etikettieren.

Ein weiterer interessanter Aspekt der Danses besteht in der Orchestrierung. In der Behandlung des Orchesters war Debussy höchst erfindungsreich, und unter den verschiedenen Arbeitsgängen des Kompositionsverfahrens war für ihn der letzte Arbeitsgang – die Orchestrierung – zugleich mühsam und richtungsweisend. Bei den Danses war es offensichtlich sein Hauptanliegen, klangfarbliche Kontrastwirkungen hervorzurufen, ohne dabei die Harfe zu übertönen. Erreicht hat der dieses Ziel durch eine ihm eigene Raffinesse und Zärtlichkeit — eine Vorgehensweise, die auch großes Feingefühl vom Dirigenten bei der Gestaltung der Stille und der vielgliedrigen Bandbreite der zurückgehaltenen Dynamik erfordert.

Schließlich ist es unmöglich, die Danses zu erleben, ohne sich zu fragen, was für eine Art Musik Debussy damit beabsichtigte. Sicherlich handelt es sich hier um Tänze, aber welche gattungsspezifischen Merkmalen werden dabei vermittelt? Weder stellt das Werk ein Instrumentalkonzert im Sinne des 19. Jahrhunderts mit dramatischer Auseinander-setzung zwischen Solisten und Orchester dar, noch vertritt es den konzertanten Stil des Barockkonzerts, von dem Debussy wohl nur wenig wußte. In der Innigkeit der Danses ähneln sie einer Sonate, und tatsächlich präsentieren sie sich eher als Kammermusik mit Elementen des Instrumentalkonzerts und der Sonate. Wie so viele andere Werke Debussys sträuben sie sich also gegen jegliche Gattungsbestimmung: Ihre Aufgabe besteht lediglich darin, zu entzücken. In ihrer Originalität wird jedoch die Bestrebung Debussys sichtbar, sich sowohl von seinen Zeitgenossen als auch von den von ihnen vertretenen Traditionen zu distanzieren.

Übersetzung: Bradford Robinson

 

Aufführungsmaterial ist von der Musikproduuktion Höflich, München (www.musikmph.de) zu beziehen.

Claude Debussy
(b. Saint-Germain-en-Laye, 22 August 1862 – d. Paris, 25 March 1918)

Danses pour harpe chromatique
avec accompagnement d’orchestre d’instruments à cordes
(Also known as Deux Danses pour harpe avec accompagnement d’orchestre)

Preface
Debussy’s Danses were a commission from the Brussels Conservatory, and were composed in April and May 1904. The commission itself was an indication of his growing fame—one that seemingly sprouted overnight after the success of the opera, Pelléas et Mélisande in 1902, but which actually was preceded by decades of hard work and hardship. The idea behind the commission was to promote a new instrument: the chromatic harp. It was cross-strung, and marketed by the firm of Pleyel as an improvement over the pedal harp advocated by their arch-rival, Erard. Its advantage was supposed to be its simplicity, but the harp never caught on. Performances today use the pedal version.

Debussy’s Danses consist of two pieces: «Danse sacrée» and «Danse profane» (giving the effect of a­ single piece since they flow into one another without pause). They are charming, elegant, and serene—but met with a mixed reception at their premiere on 6 November 1904 in Paris as part of the Colonne concert series. Gabriel Fauré, writing for Le Figaro, was caustic: «Over and over one encounters the same harmonic singularities. Sometime they seem curious and seductive—and at other times simply unpleasant.»

More than one reviewer remarked on the pictorial associations evoked by the Danses. Comparisons of this type were common in discussions of Debussy’s music, and it was their recurrence that led to him being classified as an «Impressionist»—a term, incidentally, which he despised. In this instance, reviews noted similarities in the Danses to the paintings of Eugène Carrière (1849-1906) and Henri Le Sidaner (1862-1939). Both were artists with stylistic affinities to Impressionism. But if a painter needs to be associated with the Danses a more apt choice might be Pierre Puvis de Chavannes (1824-1898). Puvis, very much an independent spirit, often set his work in a personalized and dream-like antiquity. It would not be hard to imagine the Danses as their musical counterpart.

The archaic atmosphere of the Danses owes much to Debussy’s interest both in non-Western music, and in Western music which diverged from the 18th and 19th-century-based traditions which had been part of his training at the Paris Conservatoire. From the start Debussy had been wary of the veneration directed towards classical masters like Mozart and Beethoven. His quest for originality took shape in two conspicuous aspects of his musical style: his use of modality and his distinct approach to melody.
Debussy was convinced that the major and minor scales which had served as the basis of Western music for centuries needed to be rejuvenated. Other modes had been forgotten—and it was the freshness of their sound which appealed to Debussy. The «Danse sacrée» is strongly modal. Surprisingly, the tune is not by Debussy, but by a Portuguese composer based in Paris, Francesco de Lacerda. Debussy discovered it in the Revue musicale published under the title, «Danse du voile.» Although not indicated in the score, Debussy freely acknowledged the source of his melody, and later became a generous supporter of Lacerda, a student of Vincent d’Indy.

One of the sources of the success of Debussy’s Danses is the vivid contrast between them. Debussy alluded to it when he referred to the «‘gravity’ of the first, and the ‘grace’ of the second» (letter to Manuel de Falla of 13 January 1907). The «gravity» of the opening dance is imparted both by the stately tempo and its singular modality. In contrast, the «grace» of the second owes much to the unusual elaboration of the melodic line.

Debussy regarded the arabesque—a line with the capability of being both languid and rippling with energy—as the essence of melody. The arabesque was an image popular in the crafts and the visual arts of the day, so his source of inspiration lay close at hand. Associated with the contours of the arabesque was its elaboration. Rather than relying on the four and eight-bar phrases that were characteristic of most music of the day, Debussy relied on brief cells (frequently two measures in length) that would expand and vary in a natural yet unpredictable manner. Such an approach deliberately turned its back on standard concepts of musical form and structure. That helps to explain the great variety of structures in Debussy’s music, and the impossible (and generally meaningless) task of trying to codify movements as being in a set musical structure such as rondo or sonata.

Another interesting aspect of the Danses is their orchestration. Debussy was innovative in his handling of the orchestra, and in the various stages of composition, the final one for him—orchestration—was a laborious and key process. In the Danses the obvious concern is to provide contrast in timbre, yet not to overshadow the harp. He achieves his goal with characteristic subtlety and delicacy—an approach that demands sensitivity from the conductor in interpreting Debussy’s use of silence and his reliance on a full spectrum of subdued dynamics.

Ultimately it’s impossible to listen to the Danses without wondering what Debussy meant them to be. They are dances, certainly, but what type of genre do they represent? They are not a concerto in the nineteenth-century sense with dramatic confrontation between solo instrument and orchestra. Nor are they in the concertato style of the Baroque concerto (of which Debussy would have had limited knowledge). They resemble a sonata in their intimacy—and in many ways seem like a chamber piece with elements of concerto and sonata. Like so much of Debussy’s music they defy categorization. Their goal is simply to charm. But their originality highlights Debussy’s determination to distance himself both from his contemporaries and the traditions which they followed.

Eric Frederick Jensen, 2007

 

The performance material is available at Musikproduktion Höflich, Munich (www.musikmph.de)