Emmanuel Chabrier
(geb. Ambert, Puy-de-Dôme, 18. Januar 1841 – gest. Paris, 13. September 1894)

Suite pastorale für Orchester (1881-88)

Vorwort
«Bald sollte das Vorspiel beginnen, Stille und Dunkelheit herrschten im Theater, als wir in unserer unmittelbaren Nähe ein Geräusch vernahmen, als ob jemand versuchen würde, einen Schluckauf zu unterdrücken.... Es war der weinende Chabrier ... Der Zuschauer zu seiner Seite drehte sich um und fragte besorgt, ob es ihm gut gehe; worauf unser gute Chabrier zwischen zwei Schluchzen antwortete : ‘Es ist dämlich, ich weiß, aber ich kann nicht anders .... Ich warte schon seit zehn Jahren auf das A in den Violoncelli.»

Dieser berühmte, von Vincent d’Indy lebhaft festgehaltene Vorfall aus dem Sommer 1880 sollte einen Wendepunkt im Leben Emmanuel Chabriers bedeuten. Nach zehn Jahren unterdrückter Vorfreude war es ihm schließlich doch gelungen, sich von seiner Beamtenstelle beim französischen Innenministerium beurlauben zu lassen und nach München zu reisen, um eine Aufführung von Tristan und Isolde zu erleben. Seit diesem Augenblick faßte der überaus begabte, bald vierzigjährige, jedoch bisher immer noch unsichere Musiker den Entschluß, den Komponistenberuf zu ergreifen. Im November des gleichen Jahres kündigte er seine Stelle im Ministerium und begann die produktivste Periode seiner bemerkenswerten Komponistenlaufbahn.

Durch die berühmte Begegnung mit dem Tristan haftet Chabrier unverdienterweise der Ruf eines französischen Wagnerianers an. Eigentlich jedoch – wie er selber nach Verlassen des Münchner Hoftheaters bemerkte – wußte er, daß sein Weg nur in eine andere Richtung führen konnte: „Da gibt es genug Musik darin für die nächsten hundert Jahre, unsereinen hat er nichts mehr übriggelassen. Wer würde es wagen?“ Chabrier ließ sich auf dieses Wagnis ein, indem er eine betont französische Musik hervorbrachte – beschwingt, exotisch, voller Andeutungen und von erlesenem handwerklichen Schliff. Dadurch hinterließ er einen bleibenden Eindruck auf seine Komponistenkollegen: Debussy, Lalo, Ravel, Duparc, Dukas – alle ahnten das Heraufkommen einer neuen Künstlerpersönlichkeit in der französischen Musik und wiesen auf Chabrier als den ersten der Modernen hin.

Bezeichnenderweise war das erste bedeutsame Werk, das Chabrier nach seinem Münchener Schlüsselerlebnis komponierte, vom Geist des Wagnerismus denkbar weit entfernt. Es handelt sich hierbei um den Klavierzyklus Dix pièces pittoresques (1880), also um zehn Naturbilder, die der Chabrier-Biograph Roger Delage 1999 treffend als “die musikalische Verlängerung seines heimatlichen Auvergne” bezeichnete und die historisch dafür nicht weniger beachtlich sind, daß sie aus dem heutigen Konzertsaal beinahe verschwunden sind. Francis Poulenc, der 1961 eine einfühlsame Studie über Chabrier veröffentlichte, zögerte nicht, diese kleinformatigen Klavierstücke als Anfang der Moderne in der französischen Musik zu stilisieren: “Ohne Umschweife kann ich sagen, daß die Pièces pittoresques für die französische Musik genauso wichtig sind, wie die Préludes von Debussy ... Keinem einzigen dieser Stücke fehlt der Stempel absoluter Originalität.” Maurice Ravel, der sein Leben lang Chabrier bewunderte, nahm 1895 den Menuet pompeux (Nr. 9) als Ausgangspunkt für seinen eigenen Menuet antique und brachte 1919 eine Orchesterfassung des gleichen Stücks für den Londoner Auftritt der Ballets russes hervor. Dem heutigen Hörer wirkt die Musik Chabriers vollkommen unverbraucht und originär, auch wenn es einem manchmal schwerfällt, das Innovative daran genau festzulegen. Poulenc kam wohl der Sache am nächsten, als er versuchte, die neuartigen harmonischen Wirkungen der Dix pièces zu beschreiben: “Selbst heute fühlen sich einige Leute dazu veranlaßt, die harmonische Neuartigkeit der Pièces pittoresques in Abrede zu stellen. Ich persönlich habe es immer für ein Ding der Unmöglichkeit gehalten, eine Neuerung mit einer Bleistiftanalyse dingfest machen zu wollen, am allerwenigsten dann, wenn es sich um einen Komponisten handelt, für den keine Regeln gelten. Die Behauptung, ein Musikstück würde durch die einfache Anwendung waghalsig zusammengestellter Intervalle Neuland betreten, ist im Falle eines Chabrier zugleich zu kurz gegriffen und zu ungenau. Seine Bedeutung liegt vielmehr in der unerwarteten Auswahl der tonalen Gruppierungen und besteht eher im Geist als im Buchstaben.”

Kaum hatten die Dix pièces pittoresques im August 1881 ihre Uraufführung erlebt, als Chabrier auf die Idee kam, vier der Sätze als Orchestersuite umzuarbeiten. Bereits im November des gleichen Jahres kündigte er in einem Brief an seinen bevorzugten Dirigenten Charles Lamoureux – mit der ihm eigenen Mischung aus Schrullenhaftigkeit und Untertreibung – das neue Projekt an: “Ich möchte Sie gerne dazu zwingen, vier Tutus für Orchester – eine Art Suite – anzuhören. [...] Nachdem ich sie im Gesicht, von Hinten und im Profil angeschaut habe, so ist es mir – glaube ich – gelungen, mich selbst davon zu überzeugen, daß sie nicht wesentlich häßlicher sind als viele andere, die von einem bürgerlichen, dafür jedoch zahlreichen Publikum applaudiert werden.”

Wie es sich herausstellte, sollte die neue Suite jedoch erst 1888 fertiggestellt werden, in welchem Jahr sie auch am 4. November in einem Volkskonzert der Association Artistique unter der Leitung des Komponisten ihre Uraufführung erlebte. Bei der Auswahl der Sätze suchte sich Chabrier die Idylle (Nr. 6), den Danse villageoise (Nr. 7), Sous-bois (Nr. 4) und den Scherzo-Valse (Nr. 10) zum Orchestrieren aus. Jeder dieser vier Sätze ist auf eigene Weise bemerkenswert: die Idylle aufgrund ihres durchgehend pulsierenden Grundrhythmus und ihrer feinfühligen Harmonik (Poulenc erinnerte sich an seine erste Begegnung mit diesem Stück im Jahre 1914 mit dem Satz: “Meine Musik hat diesen ersten Kuß noch nie vergessen”), der Danse villageoise wegen seiner ungestümen, modal konzipierten Unisono-Melodie und seiner urkomisch wirkenden unregelmäßigen Periodik, Sous-bois (das Lieblingsstück Ravels) mit seinem ungewöhnlichen, hypnotisierenden Baßmuster und seinen pikanten Akkordrückungen und der Scherzo-Valse für seine wild-ausgelassenen, tarantellartigen Triolenunterteilungen. Nicht weniger bemerkenswert ist jedoch die Behandlung des Orchesterapparats, deren differenzierte Leichtigkeit alle angeblichen Wagnerismen weit hinter sich läßt. Sicherlich hatte der Biograph Delage nicht unrecht, als er von einer “Orchestrierungskunst ohne Prezedenzfall, jedoch nicht ohne Folgen” sprach und den Einfluß auf den Ravel des Tombeau de Couperin (1919) hervorhob.

Obwohl die Uraufführung durchaus erfolgreich war, sah sich die Suite pastorale von einigen anderen Chabrier-Werken auf dem gleichen Programm – vor allem dem schwindelerregenden Orchesterstück España – leicht überschattet und erschien erst posthum im Jahre 1897 beim Pariser Verlag Enoch & Cie. im Druck. Seitdem hat sich die Suite einen bescheidenen, jedoch anerkennenswerten Platz im Konzertrepertoire behaupten können und wurde von namhaften Dirigenten wie etwa Ernest Ansermet, Jean Martinon, Armin Jordan oder John Eliot Gardiner auf Tonträger aufgezeichnet. Seltsamerweise haben Chabriers vier Orchesterbearbeitungen ähnliche Versuche von anderen Komponisten hervorgelockt, vor allem Jean Françaix, der 1984 den 2. bis 4. Satz für zehn Instrumente bearbeitete, und neuerdings auch Guy de Cheyron, der 2005 eine Fassung aller vier Sätze für Bläserquintett veröffentlichte. Diese rivalisierenden Bearbeitungen laden zu einem aufschlußreichen Vergleich ein, wozu die vorliegende Studienpartitur neben weiteren Konzertaufführungen auch animieren will.

Bradford Robinson, 2007

Aufführungsmaterial ist von Ennoch, Paris zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

Emmanuel Chabrier
(b. Ambert, Puy-de-Dôme, 18 January 1841 – d. Paris, 13 September 1894)

Suite pastorale
for orchestra (1881-8)

«The Prelude was about to begin, and silence and darkness reigned in the theater when we heard quite near us what sounded like someone trying to stifle a hiccough ... it was Chabrier sobbing ... The person sitting next to him turned round to inquire whether he was feeling ill, and our good Chabrier replied, between two sobs: ‘I know it’s stupid, but I can’t help it ... I’ve been waiting for ten years of my life for that A on the cellos.»

This celebrated incident from summer 1880, faithfully recorded by Vincent d’Indy, was to mark a turning point in the life of Emmanuel Chabrier. At last, after ten years of anticipation, he had arranged a leave of absence from his bureaucratic job at the French Ministry of the Interior and traveled to Munich to hear a performance of Tristan und Isolde. From that moment on the gifted but uncommitted musician, already nearing forty, resolved to take up the career of a professional composer. In November he tendered his resignation at the ministry and embarked on the most productive years of his remarkable career.

Chabrier’s famous encounter with Tristan has left him with the unjustified reputation of being a French Wagnerian. In fact, as he remarked after leaving the theater, he knew that his path must lead elsewhere: «There’s music there for a hundred years; he hasn’t left us chaps anything to do. Who would dare?» Chabrier dared by turning out music that was quintessentially French - buoyant and allusive, exotic and expertly crafted. He thereby left a deep impression on his fellow composers: Debussy, Lalo, Ravel, Duparc, Dukas - all sensed that a new voice had entered French music and pointed to Chabrier as the first of the moderns.

Revealingly, the first important work that Chabrier composed after his Damascus road experience in Munich – the piano cycle Dix pièces pittoresques (1880) – was as far removed from Wagner as could possibly be. These ten nature studies, memorably described by Chabrier’s biographer Roger Delage as “the musical prolongation of his native Auvergne,” are not less significant for having virtually disappeared from today’s concert platform. To Francis Poulenc, who published a loving memoir of Chabrier in 1961, they marked the beginning of modern French music: “Without hesitation I declare that the Pièces pittoresques are as important for French music as Debussy’s Préludes ... Not one of these pieces but shows the mark of complete originality.” Ravel, a lifelong admirer of Chabrier, took the Menuet pompeux (no. 9) as the starting point for his own Menuet antique (1895) and later orchestrated it for a London performance of the Ballets Russes (1919). The music strikes listeners today as completely fresh and non-derivative, although it is hard to pinpoint exactly what marks its novelty. Perhaps Poulenc came closest when describing its innovative harmony: “Even today some people are moved to contest the harmonic relevance of the Pièces pittoresques. I have never believed it possible to demonstrate innovation with a pencil in hand, particularly when the composer is one to whom no rules apply. To say that some piece of music breaks new ground because it uses certain boldly juxtaposed intervals is too little, and too vague, where Chabrier is concerned. His interest lies in the unexpected choice of tonal groupings, and exists much more in the spirit than in the letter.”

Hardly had Dix pièces pittoresques received its première in August 1881 than Chabrier concocted the idea of turning four of its numbers into an orchestral suite. Writing in Novem-ber to his preferred conductor, Charles Lamoureux, he claimed, with a characteristic combination of whimsy and understatement: “I would like to make you listen to four tutus for orchestra, a sort of suite ... Having scrutinized them in full face, from the back, and in profile, I believe I have succeeded in convincing myself that they are not much uglier than many others applauded by a bourgeois but multitudinous public.”

As it happened, the new suite was not completed until 1888, when it was premièred at a popular concert of the Association Artistique in Angers on 4 November, conducted by the composer. The pieces Chabrier chose to orchestrate were Idylle (no. 6), Danse villageoise (no. 7), Sous-bois (no. 4), and Scherzo-Valse (no. 10), in that order. Each is remark-able in its own way: Idylle for its throbbing rhythm and subtle harmonies (Poulenc, recalling his initial hearing of this piece in 1914, confessed that “my music has never forgotten that first kiss”), the Danse villageoise for its bumptious non-tonal unison melody and comically irregular phrase lengths, Sous-bois (Ravel’s favorite) for its unusual, hypnotic bass pattern and harmonic side-slips, and Scherzo-Valse for its madcap triplet subdivisions. No less remarkable, however, is Chabrier’s handling of the orchestra, which reveals a delicacy worlds apart from any alleged Wagnerian leanings. Roger Delage was certainly right to call it “an orchestration without precedent, yet not without consequences,” and to stress its impact on the Ravel of Le tombeau de Couperin (1919).

Although thoroughly successful at its première, the Suite pastorale was overshadowed by some of the other Chabrier pieces on the same program (notably the exhilarating España), and its publication had to wait until 1897, when it was posthumously issued by Enoch & Cie. in Paris. Since then it has held a tentative but estimable place in the concert repertoire and has been recorded by such luminaries as Ernest Ansermet, Jean Martinon, Armin Jordan, and John Eliot Gardiner. Surprisingly, Chabrier’s arrangements have spurred others to try their hand at the same game, most notably Jean Françaix, who rescored movements 2 to 4 for ten instruments in 1984, and Guy de Cheyron, who published wind-quintet arrangements of all four movements in 2005. These competing versions repay close study, to which our miniature score, the first to appear in print, will hopefully serve as a useful aid as well as a goad to performance.

Bradford Robinson, 2007

For performance material please contact the publisher Ennoch, Paris. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.