Bernhard Sekles
(geb. Frankfurt am Main 20. Juni 1872— gest. Frankfurt am Main 8. Dezember 1934)

Serenade für 11 Soloinstrumente, op. 14
(1907)

I - Tema con nove variazioni
II - Scherzino
III - Divertimento in forma di Fuga
IV - Intermezzo
V - Finale

Vorwort
Dem Namen Bernhard Sekles begegnet man heutzutage nur am Rande der deutschen Musikgeschichte der Zwischenkriegszeit, und dort an erster Stelle als Pädagoge. Von 1896 bis zu seiner Entlassung durch die Nationalsozialisten 1933 war er Lehrer am Hoch’schen Konservatorium in Frankfurt am Main, wo er selbst einmal Schüler war: Unter seinen Lehrern waren Engelbert Humperdinck (1854-1921) und Iwan Knorr (1853-1916), von denen er Instrumentationsunterricht resp. Kompositionsunterricht erhielt. Abgesehen von einer zweijährigen Dirigiertätigkeit in Heidelberg (1893-94) und Mainz (1894-95) blieb er seiner Heimatstadt Frankfurt immer treu. 1906 übernahm er eine Kompositionsklasse; unter seinen berühmtesten Schülern waren Paul Hindemith (1895-1963), Rudi Stephan (1887-1915), Hans Rosbaud (1895-1962) und Erich Itor Kahn (1905-1956). Zu diesen kommt noch Theodor W. Adorno (1903-1969), der von ihm Privatunterricht erhielt. Nach den Aufzeichnungen und späteren Erinnerungen seiner Schüler war Sekles ein Lehrer, der sichgenau auszudrücken verstand und Präzision, vor allem in der Technik, von seinen Schülern verlangte; hinter einer etwas ironischen Fassade war er ein hilfreicher und engagierter Mentor, progressiven Strömungen gegenüber durchaus aufgeschlossen. Es gehört zu den kleinen Ironien der Musikgeschichte, dass der junge Hindemith, wohl von der milden Haltung und “Draufloskomponieren”-Pädagogik seines vorigen Kompositionslehrers Arnold Mendelssohn (1855-1933) verwöhnt, über die technische Strenge seines neuen Lehrers klagte — um selbst als Lehrer wegen seiner Strenge berühmt-berüchtigt zu werden.

1923 übernahm Sekles zusammen mit Fritz Bassermann (1850-1926) die Leitung des Konservatoriums, ab 1924 war er alleinige Direktor, eine Stellung, die er bis 1933 innehatte. Seine Amtszeit wurde sowohl durch fortschrittliche Tätigkeit wie auch Kontroverse gekennzeichnet. Der als Reformer bekannte Referent im preußischen Ministerium für Wissenschaft Leo Kestenberg (1882-1962) wollte Hermann Scherchen (1891-1966) anstellen, was auf überwältigenden örtlichen Widerstand stiess; Sekles’ eigene Erneuerungen, vor allem die bisher unerhörte Einführung einer Jazzklasse unter der Leitung des ungarischen Komponisten Mátyás Seiber (1905-1960), erregte die Empörung von konservativen und deutschnationalen Kreisen.

Von seinem Privatleben ist relativ wenig bekannt, nicht einmal sein Geburtsdatum ist unumstritten (in der neuen Ausgabe der MGG gibt Hans Rectanus, auf Angaben von Sekles’ Frau Rosel beruhend, den 20 März 1871 an). Gestorben ist er jedenfalls am 8. Dezember 1934 in einem jüdischen Altersheim an einer Lungentuberkulose, von der sonst keine Spur in seiner Biografie vorhanden ist. Auch die Erforschung seiner Komposition weist noch Lücken auf: Von einigen Frühwerken weiß man nicht, von wem (oder ob überhaupt) sie veröffentlicht wurden, denn es fehlen Partiturexemplare, und die vorhandenen Angaben widersprechen einander. Es ist jedoch möglich, die Entwicklung seiner Kompositionskunst in großen Zügen zu schildern: Zu der Traditionsgebundenheit seiner früheren Werke kommen impressionistische Züge und ein immer stärker geprägter linearer Sinn sowie ein außerordentlich feines Klanggefühl, schließlich auch Elemente des Jazz-Stils und — wohl als Reaktion auf den Aufstieg des Nationalsozialismus — der jüdischen Melodik.

Die Serenade für 11 Soloinstrumente, op. 14 ist eine etwas janusartige Erscheinung im Gesamtschaffen Sekles’. Einerseits ist es sein erstes Werk für eine großere Besetzung — bisher hat er fast ausschließlich Klavierwerke und Lieder geschrieben — und es war sein erster großer Erfolg, wohl sein größter Erfolg überhaupt. Andererseits steht das Werk noch ganz im Banne des Konservativismus der Brahms-Nachfolge. Selbst seine Handhabung der Instrumente, obwohl durchaus effektiv und mit einem hochent-wickelten Sinn für Spielbarkeit geschrieben, zeigt wenig von dem erfindungsfreudigen Klangsinn, der die Werke seiner Reifezeit so stark prägte. Was nach Peter Cahn (in seiner 1979 erschienen Geschichte der Hoch’schen Konservatorium) eine für das Gesamtschaffen Sekles’ “ästhetische Konstante” bildet, ist die “stilisierte Volkstümlichkeit”, die Sekles selbst in der folgenden, im Jahre der Veröffentlichung und Uraufführung (1907) erschienenen Äußerung zum vorliegenden Werk bemerkt:

“Eine eingehende formelle Analyse meiner Serenade kann ich mir erlassen. Die Anordnung der einzelnen Sätze ist eine so übersichtliche, dass der musikalisch gebildete Zuhörer ohne weiteres orientiert sein wird. Alle Themen, sowie das, was sinfonisch aus ihnen resultiert, besitzen jene Gemäßigtheit des Ausdrucks, welches der Stil der Serenade verlangt, und die ich nirgends, bei aller Differenziertheit des Stimmungsgehaltes aufgeben dürfte, wollte ich nicht eben stillos werden. ... Die Freude steigert sich nie zum dionysischen Jubel, und die Trauer verdichtet sich nie zum verzehrenden Schmerz oder zum grübelnden Tiefsinn. Allen in meinem Stück zum Ausdruck gelangenden Empfindungen sind diejenigen Grenzen gezogen, welche das Volk naiv mit ‘Lustig- oder Traurigsein’ bezeichnet. So atmet meine Serenade jene, allerdings stilisierte Volkstümlichkeit, welche, wie ich wohl verallgemeinernd behaupten darf, das charakteristische Merkmal des Serenadenstils überhaupt bedeutet.”

Die Uraufführung der Serenade für 11 Soloinstrumente, op. 14 fand im ersten Kammermusikkonzert des Tonkünstlerfestes des Allgemeinen Deutschen Musikvereins 1907 in Dresden statt, dirigiert hat der Widmungsträger Hans Pfitzner (1869-1949). Freilich behauptete Alfred Heuß in seiner Rezension des Konzerts, die Serenade sei schon in Frankfurt aufgeführt worden, jedoch lässt sich diese Behauptung bis heute nicht bestätigen. Der (übrigens ausgesprochen konservativ eingestellte) Heuß war nur eine Stimme im Jubelchor, der das (wahrscheinlich) neue Werk begrüßte. Gepriesen wurde der Klang — “Kammermusik und feinste Orchestermusik in einem und demselben Ensemble” (Heuß in der Zeitschriftd er internationalen Musik-Gesellschaft) — sowie die “Frische der Melodik” (Ernst Becker in der Neuen Musik-Zeitung) — und nicht zuletzt die ästhetischen Tugende des Werks: “Nicht Noten und erklügelte Aufbauschungen, nicht Mache und Berechnung, sondern nichts als Musik: Empfindung und Erfindung, kostbare Gedanken in einfacher Fassung, kein Suchen, sondern ein fortwährendes Finden, kein Tappen, sondern eine meisterhaft formende Hand, aus der Überraschung über Überraschungen strömen” (Friedrich Brandes in den Signalen für die musikalische Welt). Ausgerechnet solche Tugende möchten wohl darauf hinweisen, warum das Werk nicht nach dem zweiten Weltkrieg wieder im Konzertprogramm aufgenommen wurde. Unter den lobenden Kritiken (gesammelt übrigens in Joachim Tschiedels äußerst brauchbarem, 2005 erschienenem Studium zum Leben und Werk des Komponisten) befindet sich eine Berichterstattung, die die Rezeption dieser Serenade und dem sowohl im Laufe desselben Tonkünstlerfests aufgeführten d-moll Streichquartett op. 7 von Arnold Schönberg vergleicht: Während sich die Serenade eines Erfolgs erfreute, “wo Publikum und Kritik zusammengehen”, wurde Schönbergs Quartett “[n]ach dreiviertelstündigem, meist qualvollem Hören . . . schließlich ausgezischt”. Wie sich die Zeiten ändern! Möge es jetzt, da Schönbergs Werk (und Œuvre) endlich einen sicheren, wohlverdiente Platz im Konzertsaal und in der Musikgeschichte hat, auch etwas Platz für ein gar nicht bahnbrechendes, dafür aber außerordentlich anmutiges Werk wie diese Serenade geben.

Stephen Luttmann, 2007

Aufführungsmaterial ist von Benjamin, Hamburg zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

Bernhard Sekles
(b. Frankfurt am Main 20 June 1872 — d. Frankfurt am Main 8 December 1934)

Serenade für 11 Soloinstrumente, op. 14
(1907)

I Tema con nove variazioni
II Scherzino
III Divertimento in forma di Fuga
IV Intermezzo
V Finale

Preface
Today one encounters the name of Bernhard Sekles on the very fringes of German musical history in the years between the two World Wars, and above all as a pedagogue. From 1896 until he was forced out by the Nazis in 1933, he was a teacher at the Hoch Conservatory in Frankfurt am Main, where he had himself been a student: His teachers included Engelbert Humperdinck (1854-1921) in orchestration, and Iwan Knorr (1853-1916) in composition. With the exception of two years’ worth of conducting activity in Heidelberg (1893-94) and Mainz (1894-95), he remained true to his home town his entire life. In 1906 he was given a composition studio, and among his most famous students were Paul Hindemith (1895-1963), Rudi Stephan (1887-1915), Hans Rosbaud (1895-1962) and Erich Itor Kahn (1905-1956). To these one should also add Theodor W. Adorno (1903-1969), who studied with Sekles privately. The notes and subsequent recollections of his students yield a picture of Sekles as someone who knew how to express himself precisely, and who demanded precision, above all in technical matters, from his students as well; behind a somewhat ironic façade he was also, however, a helpful and concerned mentor, decidedly open to the progressive tendencies of his time. One of music history’s small ironies is that the young Hindemith, spoiled by the indulgent attitude and “just compose” pedagogical style of his former composition teacher Arnold Mendelssohn (1855-1933), complained about the technical strictness of his new teacher — only to become, once he himself was a teacher, famous and notorious for his own strictness.

In 1923 Sekles became co-director (along with Fritz Bassermann, 1850-1926) of the Hoch Conservatory; the following year he became its sole director, and would remain in this position until 1933. His tenure was distinguished by both progressive activity and controversy. Leo Kestenberg (1882-1962), a musical adviser in the Prussian Ministry of Science, and known as a reformer, wanted to appoint Hermann Scherchen (1891-1966) to this position, only to meet with overwhelming local opposition. Sekles’s own innovations, above all the unprecedented introduction of a jazz class (under the direction of the Hungarian composer Mátyás Seiber, 1905-1960), provoked the outrage of conservative and nationalist circles.
Relatively little about Sekles’ private life is known; not even his birth date is entirely beyond dispute. (In the new edition of MGG Hans Rectanus, relying on information traceable to Sekles’ wife Rosel, gives his birth date as 20 March 1871.) In any case, he died in a Jewish home for the aged on 8 December 1934. The cause of death was tuberculosis, a condition not otherwise noted in his earlier life history. There are holes in the knowledge of his compositions: In the case of a few early works one does not know who published them, if they were indeed published at all, because copies no longer exist and the surviving records are contradictory. It is possible, however, to depict the development of his compositional art in broad outlines. His early works are quite traditional, but impressionistic elements become increasingly prominent; the same can be said for an ever more strongly characterized linear sense and an extraordinarily sensitive ear for instrumental color. In his last works one also notes elements of jazz and — no doubt as a reaction to the rise of National Socialism — Jewish melodic style.

The Serenade for 11 Solo Instruments, op. 14 has a somewhat Janus-like presence among Sekles’ works. On the one hand it is his first work for a larger ensemble; up to this point he had limited himself almost exclusively to piano works and songs. It was also his first great success, and probably the greatest success of his compositional career. On the other hand the work stands very much in the shadows of the conservativism of the successors of Brahms. Even its use of the instruments, although entirely effective and with parts written to lie naturally for the players, displays little of the inventive sonic imagination that so strongly characterizes his later works. Peter Cahn, in his history of the Hoch Conservatory (published in 1979), identifies the “stylised folk-like character” of this work as an “aesthetic constant” in all of Sekles’ works. The former term actually originates with the composer himself in the following commentary on the work, which he provided in 1907, the year of its publication and first performance:

“I can dispense with an exhaustive formal analysis of my Serenade. The disposition of the individual movements is of such a clarity that the musically trained listener will be able to orient himself without difficulty. All of the themes, as well as that which develops out of them symphonically, possess the kind of moderation of expression demanded by the serenade style — a moderation that I could not give up at any time, however differentiated the emotional content, if I did not want to be styleless.

“Joy never rises to the level of Dionysian jubilation, and sadness never concentrates itself to the point of all-consuming grief or brooding melancholy. Limits are set for all sentiments expressed in the work that people naïvely consider ‘being happy or sad’. Thus my Serenade exudes a folk-like character, albeit a stylised one, which, if I may generalise, is the characteristic feature of the serenade style altogether.”

The premiere performance of the Serenade for 11 Solo Instruments, op. 14 took place during the first chamber music concert of the Tonkünstlerfest des Allgemeinen Deutschen Musikverein in Dresden in 1907. The conductor was Hans Pfitzner (1869-1949), to whom Sekles dedicated the work. In his review of the concert, Alfred Heuß maintained that the Serenade had in fact already been performed in Frankfurt, but this assertion cannot be confirmed. Heuß, a decidedly conservative critic, was only one of the voices in a veritable chorus of praise that greeted the (most likely) new work. Its sonic aspect was praised: “chamber music and finest orchestral music in one and the same ensemble” (Heuß, in the Zeitschrift der internationalen Musik-Gesellschaft). So was its “freshness of melody” (Ernst Becker in the Neue Musik-Zeitung). And last but not least the aesthetic virtues of the work: “not tones and clever exaggerations, not sham and calculation, but rather nothing but music: sentiment and imagination, valuable ideas in simple settings; no searching, but a constant finding; no groping, but instead a masterfully shaping hand, out of which streams forth surprise upon surprise” (Friedrich Brandes in signale für die musikalische Welt). Precisely these virtues may give some indication of why the work did not reestablish itself in the repertoire after the Second World War. Among the positive critiques (collected in Joachim Tschiedel’s highly useful 2005 study of Sekles’ life and work) one finds a report that compares the reception of this Serenade with that of the D-minor string quartet, op. 7, by Arnold Schoenberg, which was performed during the same festival. Whereas the Serenade enjoyed a success of the kind “in which the public and the critics concur“, Schoenberg’s quartet “was finally hissed out after three quarter-hours’ worth of mostly agonized listening”. How times change! Now that Schoenberg’s work — and body of works — finally occupy a secure and well earned place in the concert hall and in music history, may there also be some room for a work that, while hardly pathbreaking, possesses the extraordinary charm of this Serenade.

Stephen Luttmann, 2007

For performance material please contact the publisher Benjamin, Hamburg. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.