Edvard Grieg
(geb. Bergen, 15. Juni 1843 – gest. Bergen, 4. September 1907)
Norwegische Tänze op.35
Fassung für Klavier zu vier Händen (1881)
Orchesterfassung von Hans Sitt (1891)
Vorwort
1880 ließ sich Grieg nach einer zweijährigen Konzerttournee in Bergen nieder. Dort übernahm er im selben Jahr die Leitung der Konzertgesellschaft „Harmonien“. 1871-1877 war Grieg bereits erfolgreich als Dirigent in Oslo tätig gewesen. Trotz der Bewunderung, die ihm die Orchestermusiker in Bergen zukommen ließen, wurde er mit seiner neuen Tätigkeit nicht glücklich. Er war enttäuscht von der mäßigen Qualität des Orchesters und vor allem der des Chores, den er ebenfalls leitete. Zudem gab es Querelen bei einer Aufführung von Mozarts Requiem. Am meisten beklagte sich Grieg darüber, dass ihm kaum Zeit für das Komponieren blieb. Dieser Arbeitsstress und seine Misstimmung führten zu Magenbeschwerden, die ihn zu einem Kuraufenthalt in Karlsbad zwangen. Wieder zurück erholte er sich weiter während des Sommers in Lofthus am Sørfjord (Hardanger). Nun fand er endlich Zeit zum Komponieren und vollendete innerhalb kurzer Zeit die vier Norwegischen Tänze op.35 für Klavier zu vier Händen. Einen großen Teil seines Oeuvres schrieb er für Klavier, schließlich war er auch ein ausgezeichneter Pianist. Griegs Leipziger Verleger Peters allerdings wünschte sich von Grieg immer wieder umfangreichere Werke, vor allem für Orchester, daher drängte er Grieg,, die Tänze zu orchestrieren.
Grieg allerdings zweifelte immer wieder an seinen Fertigkeiten auf dem Gebiet der Instrumentation und fühlte sich darin seinem Landsmann Johan Svendsen unterlegen. 1882 instrumentierte Robert Henriques mit Griegs Zustimmung die ersten drei Tänze als Ballettmusik für den 2. Akt seiner Bühnenmusik zu Ibsens „Peer Gynt“. Auch Griegs Freund Frans van der Stucken instrumentierte zwei Tänze (Nr.2 und Nr.3). Der Peters Verlag beauftragte 1891 den tschechischen Dirigenten, Komponisten und Bratschisten Hans Sitt (1850-1922) mit einer neuen Instrumentation, übrigens gegen Griegs Willen, der sich wünschte, dass die Orchestrierung von einem französischen Komponisten vorgenommen werden sollte. In dieser Fassung ist das Werk meist zu hören.
Anders als z.B. Dvorak in seinen Slawischen Tänzen nutzte Grieg überlieferte Originalmelodien als Grundlage für seine Tänze. Er entnahm sie Ludvig Mathias Lindemans Sammlung „Alte und neue Bergmelodien“, die 1853 veröffentlicht wurde.
Alle vier Tänze sind dreiteilig. Der erste Tanz in d-moll, basiert auf dem Lied „Sinclairs Marsch“, dessen Melodie aus dem Bergland im Norden Norwegens stammt. Vielleicht wurde er dazu inspiriert, weil seine Familie schottischer Abstammung war (sie gehörte dem Clan der McGregors an). Zwei tänzerische Teile umrahmen einen lyrischen Mittelteil, welcher in D-Dur, später in fis-moll steht. Bereits die ersten beiden Takte bilden eine rhythmische Keimzelle, die im ganzen Tanz eine Rolle spielen wird. Die folgenden Takte des Hauptteils bilden das thematische Material des Tanzes.
Der Hauptteil wird ausserdem geprägt durch starke dynamische Kontraste. Typisch für Griegs Stil sind die Orgelpunkte, wie sie beispielsweise zu Beginn des Mittelteils erklingen, sowie Wechselnoten im Bass, die sich über viele Takte erstrecken (siehe Buchstabe B).
Die anderen drei sind Hallings (Halling ist ein volkstümlicher norwegischer Tanz im 2/4- oder 6/8 Takt im mäßigem Tempo), ein Tanztyp, den Grieg häufiger und vor allem in seiner Klaviermusik benutzte.
Der zweite Tanz in A-Dur ist eines der beliebtesten Werke Griegs. Er wird des öfteren einzeln aufgeführt und wurde auch häufig auf Tonträger eingespielt. Zu seiner Beliebtheit trug vor allem das eingängige Thema des Anfangs bei, welches von der Oboe vorgetragen wird. Dieses Thema wird im schnelleren Mittelteil (nun in cis-moll) wieder aufgegriffen.
Der dritte Tanz in G-Dur hat wieder das Schema schnell-langsam-schnell. Der ruhige Teil variiert ebenfalls wieder in Moll den Anfang des Tanzes. Auch dieser Tanz wird, ebenso wie der erste, von starken dynamischen Kontrasten geprägt.
Der umfangreichste Tanz ist der letzte in D-Dur. Der dreiteiligen Anlage wird noch eine zweiteilige Coda angehängt. Zu Beginn des Tanzes erklingt ein 10-taktiges Thema in den Bässen, welches Grieg erneut im Mittelteil aufgreift. Das eigentliche Hauptthema erklingt erstmals bei Presto e con brio, kurz vor Buchstabe A, begleitet wird es von den typischen Bordunquinten in den Bässen, die in der norwegischen Volksmusik so häufig auftreten. Der Tanz endet in einem furiosem Prestissimo.
Ungefähre Aufführungsdauer: 6/3/3/6min.
Marcus Prieser, 2007
Aufführungsmaterial ist von der Edition Peters, Frankfurt zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars aus der Sammlung Marcus Prieser, Wittmund.
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