Sergej Michajlowitsch Ljapunow
(geb. Jaroslavl, 30. November 1859 - gest. Paris, 8. November 1924)

Rhapsodie über ukrainische Themen op. 28
für Klavier und Orchester

Vorwort
Heute sind die Werke des russischen Pianisten, Komponisten und Dirigenten Sergej Ljapunow größtenteils von den besonderen Umständen jener Zeiten überschattet, in denen sie entstanden. Edward Garden beschreibt sie folgendermassen: “Geboren wurde Ljapunow einerseits zwischen den Mitgliedern des Mächtigen Häufleins und Tschaikowsky, andererseits waren da die radikalen Komponisten einer neuen Epoche wie etwa Skryabin, Strawinsky, Prokofiev und Schostakowitsch. Das Problem, dem Ljapunow und die Komponisten dieser ‘Zwischenperiode‘ gegenüberstanden, bestand in der Frage, ob sie das nationalistische bzw. das Tschaikowsky’sche Idiom fortsetzen würden, oder welchen anderen Weg sie einschlagen sollten. Viele verfolgten einen sicheren, jedoch etwas farblosen Pfad, statt sich eines Risikos auszusetzen.”

Gehörte Ljapunow zur jener Gruppe?
Ohne Zweifel war sein Klaviersatz höchst «pianistisch» und der romantischen Haltung etwa eines Liszt verpflichtet. Nicht von ungefähr war der Klavierlehrer Ljapunows am Moskauer Konservatorium ein ehemaliger Liszt-Schüler. So fand das romantische Erbe der Klavierkunst in diesem schüchternen und unaufdringlichen Komponisten einen würdigen Nachfolger.

Ljapunow komponierte zahlreiche Werke für das Klavier. Der Rhapsodie aus dem Jahr 1907 gingen das Klavierkonzert Nr. 1, eine Reihe von Klavierstücken romantischen Inhalts sowie seine wohl bedeutendsten Werke fürs Klavier, die Douze études d’exécution transcendante, voraus. Begabt mit einer erstaunlichen pianistischen Technik, war auch sein Klaviersatz von höchst virtuosem Anspruch. Seine zahlreichen Vokalwerke zeigen ein besonderes Talent für lyrisch-seelenvolle Melodielinien – eine Eigenschaft, die vor allem in den Pastoralteilen der Rhapsodie zum Vorschein kommt.

Der in Jaroslavl geborene Ljapunow zog 1870 - zwei Jahre nach dem Tod seines Vaters - mit seiner Mutter nach Nischnij-Nowgorod, wo er das örtliche Gymnasium besuchte. Nach dem Abitur zog er auf Empfehlung Nikolai Rubinsteins nach Moskau, um am Moskauer Konservatorium zu studieren. Zu seinen dortigen Lehrern gehörte u.a. der Liszt-Schüler Klindworth; auch hatte er kurz bei Tschaikowsky Kompositionsunterricht. Den wohl größten Einfluß auf sein eigenes Komponieren übte jedoch sein Lehrer Tanejew aus. Im Jahre 1883 schloß Ljapunow seine Studien am Moskauer Konservatorium mit Auszeichnung ab.

Auch aus anderen Gründen war das Jahr 1883 dem jungen Komponisten wichtig, denn er lernte Balakirew kennen und siedelte nach St. Petersburg über, um sich dem „nationalistischen“ Kreis um Balakirew anzuschliessen. Bald erwuchs zwischen den beiden Komponisten eine enge Freundschaft. Balakirew ermutigte Ljapunow in seinem Bestreben, die Komponistenlaufbahn zu verfolgen, und eröffnete dem bescheidenen jungen Musiker neue Perspektiven, wobei er sich als einflußreicher Mentor erwies. Zusammen mit Balakirew und Ljadow begann Ljapunow 1893 im Auftrag der Kaiserlichen Geographischen Gesellschaft, in verschiedenen ländlichen Regionen Rußlands Volkslieder zu sammeln. Später wurden diese Lieder von der Geographischen Gesellschaft veröffentlicht, wobei Ljapunow rund 30 davon für Gesangstimme und Klavier bearbeitete. Ab 1902 bekleidete Ljapunow verschiedene Verwaltungsposten, beispielsweise als Musikinspektor am Institut St. Helen oder als Leiter und später Oberstudiendirektor der Musikalischen Freischule. Zwischen 1910 und 1917 war er Kompositionsprofessor am Petersburger Konservatorium, 1919 wurde er zum Dozenten am Staatlichen Kunstinstitut Leningrad ernannt. Der vom politischen Klima und vom bolschewistischen Regierungsstil nach der Oktoberrevolution schwer enttäuschte Ljapunow wanderte 1923 nach Paris aus, wo er jedoch nur ein Jahr später am 8. November 1824 verstarb.

Rhapsodie über ukrainische Themen op. 28
für Klavier und Orchester:
Andantino pastorale
Allegretto scherzando
Andantino pastorale
Allegro giocoso

Interessanterweise ist die in Rondoform angelegte, Ferruccio Busoni gewidmete Rhapsodie durch eine nie nachlassende Spannung zwischen ihren beiden Hauptcharakteren gekennzeichnet: dem romantischen und dem nationalistischen.
Der erste Teil des Werks fängt in fis-Moll an und trägt die Überschrift Andantino pastorale(A). Wie diesem Titel zu entnehmenist, beginnt dieser Werkteil mit einer ländlich-idyllischen Idee, die von den hohen Holzblasinstrumenten getragen wird und eine warme, helle Atmosphäre für den darauffolgenden musikalischen Dialog zwischen Klavier und Orchester erzeugt. Der arpeggiando-Klaviersatz liefert eine virtuose Begleitung zur schwebenden Melodik des Orchesters. Die Faktur dieses Anfangsteils ist von einer Durchsichtigkeit geprägt, die die Kompositionskunst Ljapunows insgesamt prägt und dem Werk einen folkloristischen Charakter verleiht. Die melodischen Einfälle haben eine schwebende, sehnsuchtsvolle Qualität, die eine unruhige, vom Klavier jedoch bald besänftigte Grundstimmung bewirkt. Der technisch anspruchsvolle Klaviersatz in den verschiedenen Solopassagen lässt in diesem Werkteil den Geist der Romantik hervortreten. In Passagen, in denen das Klavier die melodische Führung übernimmt und plötzlich vor Leben strotzt, kommt die Liebe Ljapunows zum Klavier am deutlichsten zum Ausdruck.

Der wohl denkwürdigste solcher Augenblicke findet sich am Anfang des zweiten, Allegretto scherzando betitelten Werkteils (B). Das energische zweitaktige Thema mit seinem spielerischen Duktus und der durchsichtigen Faktur erinnert an die Klavierstücke Moments musicaux von Franz Schubert, wobei jedoch die Orchestrierungt eher den Einfluß Rimsky-Korsakows verrät. Auch hier behält der Klaviersatz die Oberhand, da der ganze Werkteil um die pianistischen Eigenschaften des Haupthemas aufgebaut wird. Gerade in diesem Teil der Rhapsodie wird die besondere Begabung Ljapunows für den Klaviersatz offenkundig; die Tonleiterfolgen, die explodierenden Oktaven und der Staccato-Satz in der Baßtonlage sorgen nicht nur für eine bunt-schillernde Atmosphäre, sondern auch für einen ungebrochen verspielten Grundton. Bravurpassagen vom Solisten kündigen die Rückkehr des Anfangsthemas und die Wiederholung das A-Teils an.

Übersetzung: Bradford Robinson, 2007

Aufführungsmaterial ist von Zimmermann, Frankfurt zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

Sergey Mikhaylovich Lyapunov
(b. Yaroslavl, 30 November 1859 - d. Paris, 8 November 1924)

Rhapsody on Ukrainian Themes
for piano and orchestra, op. 28

 

Preface
Sergey Lyapunov was a Russian pianist, composer and conductor whose works have been largely overshadowed by the times he lived in. As Edward Garden rightly points out:“Lyapunov was born between the members of The Five together with Tchaikovsky, on the one hand, and the radical composers of the later period, including Skryabin, Stravinsky, Prokofiev and Shostakovich, on the other. The difficulty for Lyapunov and other composers of what may be called this interim period was whether or not they should continue with the nationalist or Tchaikovskian idiom; and, if not, what line they should take. Many followed a bland path, safe rather than sorry.”

Was Lyapunov one of these?
Undoubtedly his writing for the piano was pianistic and very much in the romantic vein of Liszt, for example. It is no coincidence that Lyapunov’s piano teacher at the conservatory was a former pupil of Liszt. The romantic piano legacy found a worthy successor in this shy and unassuming Russian composer.

He wrote a great many works for the piano. This Rhapsody, completed in 1907, follows his First Piano Concerto, a series of pieces in the romantic vein, as well as his greatest works for the instrument, the Douze Études d’Exécution Transcendante. Endowed with a prodigious pianistic technique himself, his writing for the piano is no less virtuosic. His vocal works, of which there are a large number, display a gift for lyrical and soulful melodic lines – a quality particularly evident in this Rhapsody, especially in the Pastorale sections.

Born in Yaroslavl, the composer and his mother moved to Nizhniy Novgorod in 1870, following his father’s death a couple of years earlier. There Lyapunov attended the local grammar school, and after his graduation he moved to Moscow, on the advice of Nikolai Rubinstein, in order to study at the Conservatory. His piano teachers included a former pupil of Liszt, Klindworth. He also studied composition with Tchaikovsky for a short time, but his most influential composition teacher was Taneyev. In 1883 Lyapunov graduated with honours from Moscow Conservatory.

This year was an important one for the composer because he met Balakirev and moved to St Petersburg in order to be close to Balakirev’s “national” circle of composers. A firm friendship developed between the two men. Balakirev encouraged Lyapunov to pursue his compositional career, opening up new horizons for the modest young composer and thus becoming an influential mentor. In 1893 Lyapunov, together with Balakirev and Lyadov, started collecting folk songs from several regions in Russia, a project which was commissioned by the Imperial Geographical Society. The Society published these songs, and around 30 of them were arranged for voice and piano by Lyapunov for the publication. From 1902, Lyapunov occupied various administrative posts. He worked as inspector of music at St. Helen’s Institute, and as director and later principal of the Free School of Music. Between 1910 and 1917 Lyapunov was professor of composition at St Petersburg Conservatory, becoming a lecturer at the State Institute of Art in Leningrad in 1919. But the post-revolutionary political climate or Bolshevik leadership left him disappointed, and he emigrated to Paris in 1923, only to die there a year later on 8 November 1924.

Rhapsody on Ukrainian Themes
for piano and orchestra, op. 28

- Andantino pastorale -
- Allegretto scherzando -
- Andantino pastorale -
- Allegro giocoso -

The Rhapsody is dedicated to Ferruccio Busoni and is written in rondo form. Interestingly, it seems to be characterised by an ongoing tension between its two main personalities: the romantic and the nationalist.

The first section of the work starts in the key of F-sharp minor and is marked Andantino pastorale (A). As its title implies, it opens with a pastoral and lyrical idea played by the upper woodwinds. This sets up a warm and bright atmosphere for the musical dialogue that will ensue between the piano and the orchestra. The arpeggio-like texture of the piano part provides a virtuosic accompaniment to the soaring melodies of the orchestra. The texture of this first section is characterised by a lucidity that is typical of Lyapunov’s writing and gives the piece its folk-like character. The melodic ideas have a soaring and yearning quality about them, creating an unstable atmosphere which is then stabilised by the piano part. The pianistic and virtuosic writing of the solo piano passages, of which there are several, imbue this movement with a romantic spirit. Lyapunov’s love for the piano is best revealed in such passages, where the solo piano takes over the main melodic interest and bursts into life.

Perhaps this moment happens most memorably at the start of the second section of the Rhapsody, which is marked Allegretto Scherzando (B).This energetic two-bar theme, with its playful nature and light texture, is reminiscent of Schubert’s Moments Musicaux for piano, but the orchestration reveals the influence of Rimsky-Korsakov. The piano texture remains dominant, as the entire section is built around the pianistic qualities of this section’s theme. Lyapunov’s gift for piano writing is evident throughout this section; the scalar patterns, cascading octaves and staccato writing in the bass create a scintillating atmosphere and maintain a playful mood. Bravura passages on the solo instrument herald the opening theme and the return of A.

C.M.Guillaumier

For performance material please contact the publisher Zimmermann, Frankfurt. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.