Mili Alexejewitsch Balakirew
(b. Nischni-Nowgorod, 2. Januar 1837 - gest. St. Petersburg, 29. Mai 1910)

Suite h-Moll (1901-1908):
Préambule, Quasi Valse, Tarantelle

Vorwort
«In der Musik Balakirews werden wir mit dem Sonnenaufgang und dem Sonnenuntergang eines Genies konfrontiert, ohne viel von einem hellen Mittag zu erleben.” So das nüchterne Fazit des englischen Musikschriftstellers Gerald Abraham über eines der größten Rätsel der russischen Musikgeschichte. Denn als Mili Balakirew in den frühen 1860er Jahren in die russische Musikszene hineinplatzte, stellte er zweifellos die führende Persönlichkeit einer neuen russischen Musikergeneration dar, war er doch die treibende Kraft hinter jener brillanten Gruppe junger Komponisten, die sich als das „Mächtige Häuflein“ bezeichnete und die er nicht nur mitbegründete, sondern auch unterrichtete, tyrannisierte und in neue stilistische Bahnen lenkte. Dann – in einer an Tolstoi gemahnenden Lebenskrise – geriet er in den 1870er Jahren unter den Einfluss eines Hellsehers, wandte sich von der Musik ab, nahm eine minderwertige Beamtenstelle bei der Warschauer Eisenbahn an und verfiel einer dogmatischen Strenggläubigkeit. Nur mit großer Mühe gelang es seinen wenigen Freunden, ihn in jenen Lebensbereich zurück zu locken, in dem sein Genie in der Bühnenmusik zu König Lear (1858-61) oder dem unübertroffenen pianistischen Virtuosenstreich, der „orientalischen Phantasie“ Islamey (1869), so kurz aber hell aufblitzte. Allmählich aber wandte er sich wieder seinen unvollendeten Projekten zu, insbesondere führte er die symphonische Dichtung Tamara (1867-82) zu Ende. Noch wichtiger: Nachdem er 1884 durch eine kleine Staatsrente seine finanzielle Unabhängigkeit erlangte, kehrte Balakirew nach einer Unterbrechung von gut zwei Jahrzehnten zum Komponieren zurück. Er vollendete die brillante Symphonie Nr. 1 C-Dur (1864-97) sowie das Klavierkonzert Es-Dur (1861-1909), schuf eine Neufassung der Lear-Musik (1902-5) und von Islamey (1902) und nahm auch neue Projekte in Angriff: die Zweite Symphonie (1900-08), die Klaviersonate b-Moll (1900-05), die Kantate für das Glinka-Denkmal (1902-04). Erstaunlicherweise war selbst den Werken, deren Anfang und Vollendung ganze vierzig Jahre auseinander lagen, kein stilistischer Bruch anzumerken..

Die Suite h-Moll entstand zwischen den Jahren 1901 und 1908 und gehört demnach zur späten Hochblüte der Kompositionskunst Balakirews. Da das Werk zur Zeit des Ablebens des Komponisten noch unvollendet war, mußte es von seinem berühmtesten Anhänger Sergei Ljapunow (1859-1924) vervollständigt werden, der sich in den 1880er Jahren dem Balakirew-Kreis anschloß und sich bis zum Ende seines Lebens unermüdlich für das Werk seines Meisters einsetzte (auch das glänzende Klavierkonzert Es-Dur hat Ljapunow vervollständigt). Danach blieb die Suite bis zum Jahre 1975 im Manuskript , bevor die Partitur in einer von T. Kruntiaevoi besorgten Ausgabe bei Muzyka Leningrad und in einer Studienpartitur bei Melodia Moskau erschien. Wie die dritte Tochter Ljapunows – die später hoch angesehene Musikwissenschaftlerin A. S. Ljapunova – konstatierte, stammt das zweite Thema der Tarantelle aus Materialien, die Balakirew ursprünglich in den frühen 1860er Jahren für ein unvollendet gebliebenes Opernprojekt über das Sujet Der Feuervogel konzipierte – knapp fünfzig Jahre vor der gleichnamigen Ballettmusik Strawinskys. 1991 erschien eine CD-Aufnahme der Suite h-Moll mit dem Symphonieorchester der UdSSR unter der Leitung von Ewgeni Swetlanow.

Bradford Robinson, 2007

In Fragen des Aufführungsmaterials wenden Sie sich an den Verleger. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München

Mily Alexeyevich Balakirev
(b. Nizhny-Novgorod, 2 January 1837 - d. St. Petersburg, 29 May 1910)

Suite in B minor (1901-1908):
Préambule, Quasi Valse, Tarantelle

Preface
«In Balakirev’s music we have the dawn and sunset of genius with little of its full day.» Thus the English scholar Gerald Abraham, writing on one of the great enigmas of Russian music history. For when Mily Balakirev burst on the scene in the early 1860s he was clearly the leading figure of a new generation of Russian musicians, the animating spirit behind that brilliant coterie of composers - the «Mighty Handful» - that he co-founded, taught, bullied, and badgered into new stylistic directios. Then, in a Tolstoyan crisis of the spirit, he left music altogether in the 1870s, fell under the spell of a clairvoyant, took up a minor position as a clerk with the Warsaw Railway, and descended into a bigoted religious orthodoxy. It was only with great effort that his few friends were able to coax him back to the field of endeavor in which his genius had flared so briefly, and yet so radiantly, with the incidental music to King Lear (1858-61) and that still unsurpassed tour de force of pianistic virtuosity, the «oriental fantasy» Islamey (1869). He gradually returned to his unfinished earlier projects, completing the symphonic poem Tamara (1867-82). But more importantly, especially after he achieved financial independence with a small state pension in 1884, he resumed composition after a hiatus amounting to almost two decades. He completed his brilliant First Symphony (1864-97) and the Piano Concerto (1861-1909), revised the Lear music (1902-5) and Islamey (1902), and advanced on new projects: the Second Symphony (1900-08), the B-flat minor Piano Sonata (1900-05), the Cantata for the Glinka Memorial (1902-4). Amazingly, no breach in compositional style can be discerned, not even in works whose inception and completion were separated by as much as forty years.

The Suite in B minor, composed between 1901 and 1908, belongs to this late flowering of Balakirev’s genius. Left unfinished at the time of his death, it was completed by his most prominent disciple, Sergey Lyapunov (1859-1924), who had joined Balakirev’s circle in the 1880s and tirelessly championed his master’s music for the rest of his career (Lyapunov also completed the brilliant Piano Concerto). The Suite remained in manuscript until 1975, when the full score, edited by T. Kruntiaevoi, was published by Muzyka in Leningrad and a miniature score by Melodia in Moscow. Lyapunov’s third daughter, later the respected musicologist A. S. Lyapunowa, maintained that the second theme of the Tarantelle derives from material originally intended for an incomplete operatic project on The Fire Bird that Balakirev conceived in the early 1860s, almost fifty years before Stravinsky’s ballet on the same subject. A CD recording of the B-minor Suite, with Evgeni Svetlanov conducting the USSR Symphony Orchestra, was issued in 1991.

Bradford Robinson, 2007

For performance material please contact the publisher. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.