Hamish MacCunn
(geb. Greenock/Schotland, 22. März 1868 — gest. London, 2. August 1916)
The Land of the Mountain and the Flood
Konzert-Ouvertüre op. 3
Mit der Konzert-Ouvertüre The Land of the Mountain and the Flood brach der gerade 19 Jahre alte Hamish MacCunn 1887 über die Londoner Musikszene herein und wurde über Nacht berühmt. Geboren in Greenock, einer kleinen Hafenstadt etwa 30 km von Glasgow entfernt, wuchs der Sohn eines gut beschäftigten Schiffs-Eigners in einer kultivierten Umgebung auf, die ihm gestattete, mit musikalischer Begabung zu glänzen. Sein Können auf der Geige, am Klavier und in der Komposition qualifizierte ihn für ein Stipendium am Royal College of Music in London, wo er unter Hubert Parry und Charles Villiers Stanford studierte. MacCunn muß ein sehr ansehnlicher junger Mann gewesen sein: Als er mit dem bedeutenden Maler Sir John Pettie bekannt wurde, lud dieser ihn ein, für einige seiner Gemälde Modell zu sitzen, die heute in verschiedenen Museen hängen. Diese Verbindung wurde bald noch enger, denn 1888 heiratete MacCunn die Tochter des Künstlers. The Land of the Mountain and the Flood wurde den damaligen Kritiken zufolge vom Publikum der Uraufführung am 5. November 1887 im Crystal Palace unter August Manns begeistert aufgenommen, ebenso von den Kritikern. Einer schrieb vom »seit langer Zeit vielversprechendsten Debut eines gebürtigen britischen Musikers«. Ein anderer wies auf die »bemerkenswerte Frische der Themen«, den »starken schottischen Beigeschmack« und die »pikante Orchestrierung« hin. Der Titel ist dem sechsten Gesang (zweiter Abschnitt) aus Sir Walter Scotts Epos The Lay of the Last Minstrel entnommen. Dort heißt es:
O Caledonia! stern and wild,
Meet nurse for a poetic child!
Land of brown heath and shaggy wood,
Land of the mountain and the flood,
Land of my sires! what mortal hand
Can e’er untie the filial band,
That knits me to thy rugged strand!
MacCunn fand diese Verse so inspirierend, daß er Scotts Epos ein Jahr später auch für Chor und Orchester bearbeitete; außerdem produzierte er in kurzer Zeit eine Reihe weiterer Werke über schottische Themen und Legenden. Leider fing sich das Publikum schon in der Mitte der Neunziger an, damit zu langweilen, und Kritiker fragten nach abstrakteren Werken und Sinfonien, wozu sich MacCunn nicht inspiriert fühlte. Er wandte sich schließlich dem Dirigieren und Unterrichten zu, um seine Familie durchbringen zu können, und die Fertigstellung und Aufführung neuer Werke ging drastisch zurück.
Werk-Analyse
Die Ouvertüre folgt einer Sonatenform mit klar erkennbaren Abschnitten, wie man sie damals schätzte. Eine stimmige Exposition und stark gezeichnete Kontraste werden bevorzugt, subtile Übergänge vermieden. Es gibt keine Einleitung, nur eine unmittelbare Darstellung der Themen, dann Durchführung, Reprise und Coda.
Exposition
Die Violoncelli beginnen ein wieder-erkennbaresThema in h-moll (Beispiel 1) mit zwei Haupt-Merkmalen, einem punktierten Rhythmus, oft mit den kurzen Noten auf dem Schlag (dies nennt man den ›schottischen Schmiß‹), sowie eine dorische Färbung durch die Verwendung der erniedrigten Sept (A anstelle von Ais in h-moll). Das Thema besteht aus zwei Phrasen (A1; A2), die wiederholt werden, bevor ein längerer Satz aus drei weiteren Phrasen seine Exposition zu Ende führt. A2 bringt den ›Schottischen Schmiß‹ auf dem Schlag, zur Quinte der Tonika zurückkehrend.
Beispiel 1: Haupt-Thema (die ersten beiden Phrasen)
Das Haupt-Thema wird wiederholt (S. 2 der Partitur); die letzte Phrase führt in eine Sequenz hin zu einem verminderten Septakkord über F im Fortissimo, mit einem Halbton-Vorhalt (F-A-H-D statt F-As-H-D, also eine Übereinandertürmung von A1 mit F statt Fis im Bass). Dies markiert die erste vieler Pausen im Fluß der Ouvertüre, ihre Bruchstellen bloßlegend. Die Überleitung zum Seiten-Thema wird durch zwei Phrasen geprägt – ein flehender Ruf der Klarinetten, und die Wiederholung einer (aus A2 hergeleiteten) Bassfigur um einen Halbtonschritt niedriger, welche zuvor dem Fortissimo vorausgegangen war (Beispiel 2).
Beispiel 2: Elemente der Überleitung zum Seiten-Thema
Sequenzierungen von Phrase 2 und ein Triller in den Bratschen führen angemessen in das Seiten-Thema (S. 7). Es steht in der konventionellen Tonika-Parallele (D-Dur) und besteht aus vier Phrasen. Die erste und wichtigste davon (B1, Beispiel 3) scheint mühelos einzutreten, denn die eben genannten Elemente bereiten sie subtil voraus: Phrase 1 der Überleitung (Bespiel 2) brachte einen punktierten Rhythmus gegen den Takt; der gleiche Rhythmus begann bereits das Seiten-Thema, und Phrase 2 (Beispiel 2) bringt eine wieder-holte Note, die auch ein Haupt-Element der ersten Phrase des Seiten-Themas war.
Beispiel 3: Seiten-Thema (erste Phrase)
Das Seiten-Thema wird von den ersten Geigen wiederholt (S. 9), dann nochmals von allen Geigen und Holzbläsern (S. 10), auslaufend in einer absteigenden Septen-Phrase der Streicher, die an Brahms erinnert. Mit der Anweisung Con brio (S. 12), beginnt eine ausgedehnte Überleitung, die ordentlich in die Gänge kommt, aber mit einer wagnerischen Passage aufgepolstert ist (Buchstabe E, S. 14). Glücklicherweise wird diese unpassende Stimmung durch eine Rückkehr der akzentuierten Schläge bald negiert (S. 15, 4. Takt), sowie durch eine Beruhigung, die in die Codetta führt (S. 17). B1 erklingt in der Oboe und im Horn, gefolgt von geheimnisvoll absteigender Chromatik, hin zum erwarteten Dominant-Sept-Akkord der Tonika (S. 18).
Durchführung
MacCunns Durchführung (ab S. 19) ist der Höhepunkt der Komposition, angefüllt mit etlichen unerwarteten Reibungen: Sie beginnt mit einem Trommelwirbel und einer Variante des Haupt-Themas, eher in H-Dur als h-moll, endend mit einer Oktave statt einer Quinte. Nach einer Wiederholung ist Beispiel 3 zu hören, begleitet von einer Variante aus A2 von Beispiel 1. Anklänge an das Seiten-Thema treten vermehrt auf, wenn das Oktav-Element aus A2 poco a poco animato wird (S. 22), hinführend zu einem höchst originellen Abschnitt, beginnend bei Buchstabe H (S. 23), der das Publikum damals von den Sitzen gerissen haben muß: Über insgesamt 28 Beckenschlägen ruft eine geistvolle Posaune zu den Waffen. Das klingt wie Türken in Schottenröcken oder zumindest nach dem ›Flut‹-Teil des Titels. Dies Posaunen-Thema (S. 24) ist eine geniale Verschmelzung der beiden Themen (Beispiel 4).
Beispiel 4: Themen-Kombination in der Durchführung
Dieser Ausbruch fällt leider allzuschnell in sich zusammen (S. 28), mit Elementen des Themas (besonders A2) alternierend in schönen Flöten- und Klarinetten-Passagen, die an Dvo?ák oder Smetana erinnern (S. 29–31). Die ersten drei Noten des Haupt-Themas und ein Triller der Celli beschließen den Teil.
Reprise und Coda
Die Reprise (S. 33, T. 4) verläuft ohne weitere Überraschungen: Die Haupt-Themen-Gruppe kehrt fast wörtlich wieder, der Schluß um eine Terz abwärts transponiert, damit der Bratschen-Triller (S. 39) nunmehr in die Seiten-Themen-Reprise in der verdurten Tonika überleiten kann. Die Dinge gehen voran wie zu erwarten, einschließlich der unpassenden Wagner-Stelle. Anstelle der 16-taktigen Codetta gibt es allerdings eine 49 Takte lange Coda, beginnend mit der Anfangsphrase des Seiten-Themas in kontrapunktischer Holzbläser-Textur. Dem folgen Elemente der Übergangs-Sektion des Seiten-Themas (S. 43, 5. und 6. T.; S. 44, 3. und 4. T.), in Art einer Fanfare zum ›Zusammenrufen der Clans‹ (S. 50, 51). Von eiligen Streichern begleitet, baut die Ouvertüre eine Rossini-artige Bekräftigung der Dominante Fis-Dur (S. 52) auf und bekräftigt schließlich die verdurte Tonika H in einem mitreißenden Fortissimo.
Epilog
Nach MacCunns Tod wurde ungeachtet des Charmes seiner Muse der größte Teil seines Schaffens vergessen, dank der Unwägbarkeiten der Mode und begrenztem geistigen Horizont. Allein The Land of the Mountain and the Flood überlebte und wird gelegentlich aufgeführt; weniges weitere wurde inzwischen auf CD eingespielt. Auch wenn die hier vorgelegte Partitur in vieler Hinsicht konventionell sein mag, verdient sie doch Beachtung aus vielerlei Gründen. Ihre vielen Pausen, abrupten Übergänge und Beckenschläge sonder Zahl mögen vielleicht Puristen beleidigen, doch beschwören sie die unverbrauchte Jugend und Liebe ihrer schottischen Heimat herauf. Abgesehen von jener Wagner-Stelle ist die Schlüssigkeit des Werks bemerkenswert. Vor allem sind es jedoch seine Melodien, die gefangen nehmen – noch heute so erfrischend wie eine stramme Wanderung durch die Highlands an der Seite eines geliebten Menschen.
Jeff Dunn, © 2007
Deutsche Übertragung: Benjamin-Gunnar Cohrs, © 2007
(Kontakt: bruckner9finale@web.de)
Aufführungsmaterial ist von der Chester Novello, London zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars aus der Sammlung Philipp Brookes, Market Drayton.
Matériel d'exécution disponible auprès des ........
Réimpression d'un exemplaire de la Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, Munich.
Aufführungsmaterial ist von der Universal Edition, Wien zu beziehen.
Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München
For performance material please contact the publisher Universal Edition, Vienna.
Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München
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