Michail Ivanovich Glinka
(geb. 20. Mai [1. Juni] 1804, Nowospasskoje/Smolensk — gest. 3. [15] Februar, Berlin)

Spanische Ouverture Nr. 1:
Caprice brillant sur le thème de la Jota Aragonesa
Spanische Ouverture Nr. 2:
Souvenir d’une nuit d’été à Madrid
Kamarinskaya
Fantasie über zwei russische Volkslieder für Orchester.

 

Vorwort
Michail Ivanovich Glinka wurde auf einem Gut in der Nähe von Smolensk geboren. Als Sohn eines reichen Adligen war er relativ unabhängig und frei, sich seiner Leidenschaft für die Musik hinzugeben. Zwar begeisterte er sich schon als Zehnjähriger dafür, doch erst in seiner Schulzeit in St. Petersburg begann er auch, Musikunterricht zu nehmen. Er beendete die Schule mit Achtzehn. 1823 nahm er einen Posten als Sekretär im Staatsdienst an, gewann aber bald auch Ansehen als Sänger und Pianist. Private Studien und Auslandsreisen erweiterten seinen musikalischen Horizont wie auch seine Fähigkeiten als Komponist. Allerdings fühlte er, daß er noch mehr handwerkliche Grundlagen benötigte und nahm ab Oktober 1833 Stunden bei dem angesehenen Siegfried Dehn in Berlin. Als unglücklicherweise im darauf folgenden März sein Vater starb, mußte Glinka nach Russland zurückkehren.

Dort heiratete er und ließ sich in St. Petersburg als Lebemann nieder. Allerdings hielt er den Kontakt zu Dehn aufrecht, korrespondierte mit ihm und schickte ihm gelegentlich Kopien seiner Partituren. Die nächsten beiden Jahre waren der Komposition seiner ersten Oper Ivan Sussanin (Ein Leben für den Zaren) gewidmet, deren Uraufführung am 9. (21.) Dezember 1836 ihn praktisch über Nacht berühmt machte. Der Erfolg stimulierte ihn zu seiner zweiten Oper Ruslan und Lyudmila, die auf den Tag genau sechs Jahre nach seinem Erstling uraufgeführt wurde. Beide waren ungeachtet ihrer Beliebtheit auch immer wieder Gegenstand zum Teil erbitterter ästhetischer Debatten unterschiedlicher Lager in der Musikwelt. Allerdings stand Ruslan immer im Schatten ihrer Vorgängerin. Gekränkt und auch infolge privater Probleme verließ er 1844 Russland erneut. In Paris führte Hector Berlioz einige von Glinkas Werken auf und veröffentlichte im renommierten Journal des Débats einen weit beachteten Artikel über ›Michel de Glinka‹ – nicht ohne Eigennutz: Beeindruckt durch die erfolgreichen Russland-Tourneen von Liszt und Schumann wollte auch er dorthin. Glinka, den er bereits 1831in Rom kennengelernt hatte, war der Richtige, um ihm diesbezüglich weiterzuhelfen.
Glinka kehrte in diesem Jahr nicht nach Russland zurück, sondern reiste weiter nach Spanien, wo es ihm so gut gefiel, daß er zwei Jahre blieb und die meisten der spanischen Provinzen bereiste. Dort komponierte er sein Caprice brillant sur le thème de la Jota Aragonesa und sammelte noch genug Material für eine weitere spanische Ouvertüre dieser Art, bevor er nach St. Petersburg zurückkehrte. Ein Jahr später packte ihn wieder das Fernweh; da er keinen Paß für Paris bekam, kam er allerdings nicht weiter als bis Warschau, wo er fortan ebenfalls viel Zeit verbrachte. Hier beendete er 1848 auch seine zweite spanische Ouvertüre, die zunächst Souvenir de Castille hieß, bei einer späteren Umarbeitung 1851 jedoch in Souvenir d’une nuit d’été à Madrid. Beide Werke sind unter ihren französischen Originaltiteln weltbekannt geworden. 1848 beendete er auch sein orchestrales Meisterwerk Kamarinskaya, ein Höhepunkt russischer Musik nicht nur wegen ihrer Originalität und kompositorischen Qualität, sondern auch wegen der besonderen Verwendung russischer Volkslieder. Alle drei Werke sind brillant instrumentiert und verwenden Glinkas Technik thematischer Variationen vor immer neu verändertem Hintergrund.

In seinen letzten Lebensjahren schrieb Glinka nichts von bleibender Bedeutung mehr. Er unternahm weiterhin viele Reisen, fand aber keine neue Inspiration. Nach seinem Tod wurde sein Erbe von vielen Komponisten-Generationen lebendig gehalten, angefangen mit Mili Balakirev, der ihn noch als Knabe kennengelernt hatte. Auch Glinkas Schwester Lyudmila Shestakova, die immerhin 90 Jahre alt wurde, setzte sich zeitlebens für ihn ein. Lange galt Glinka als ›Vater der russischen Musik‹, auch wenn er durchaus weder der erste noch der angesehenste russische Komponist seiner Zeit war. Allerdings war er der erste, dessen Werke das Niveau zeitgenössischer westlicher Komponisten erreichte, wie auch von seinen Landsmännern und Kollegen erkannt wurde. Glinka inspirierte Tschaikowsky ebenso wie die Fünf vom ›Mächtigen Häuflein‹. In den 150 Jahren seit seinem Tod war Glinkas Musik oft Gegenstand politischer Kontroversen, öfter als die anderer russischer Komponisten. So sank sein Stern nach der Revolution von 1917, stieg aber zu neuen Höhen in der Ära Stalin. Das sollte uns nicht davon abhalten, seine Opern, Kammermusik und Orchesterwerke willkommen zu heißen. Die hier vorgelegten Werke gehören zum Besten seines Schaffens und sind auf ihre Art sehr erbaulich.

Willem Vijvers, © 2007
© der deutschen Übertragung: Benjamin-Gunnar Cohrs, 2007 (bruckner9finale@web.de)

Hinweis: Bei doppelten Daten bezeichnet das erste Datum den Tag des alten Julianischen Kalenders, das zweite den Tag des modernen Gregorianischen Kalernders. Die Umstellung erfolgte in der Regel zwischen 1582 und 1812, in einigen Staaten Osteuropas galt der Julianische Kalender jedoch bis zum Anfang des 20. Jahrhunderts, in Russland bis zum Februar 1918.

Aufführungsmaterial ist von der Breitkopf und Härtel,Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.

Mikhail Ivanovich Glinka
(b. 20 May [1 June] 1804, Nowospasskoje/Smolensk — d. 3 [15] February, Berlin)

Spanish Overture No. 1:
Caprice brillant sur le thème de la Jota Aragonesa
Spanish Overture No. 2:
Souvenir d’une nuit d’été à Madrid
Kamarinskay
Fantasy on two Russian Folksongs for Orchestra

Preface
Mikhail Ivanovich Glinka was born on an estate near Smolensk. Son of wealthy landowner, he was a man of independent means, free to indulge in his passion for music. As a child he was delighted to hear all kinds of music, but only during his school days in Petersburg he got some tuition. At the age of eighteen he finished school and in 1823 he accepted a job as a secretary in a foreign service, but soon he also achieved a reputation as a singer and pianist. Private studies and trips abroad widened his musical horizon and increased his skill as a composer. Yet he felt the need for a more solid grounding in musical composition and in October 1833 he took lessons from the renowned teacher Siegfried Dehn in Berlin. Unfortunately, next March his father died and Glinka had to return to Russia.

There he married and settled down in Petersburg as a gentleman of leisure. Glinka remained on a friendly footing with Dehn, kept up a correspondence and sent him copies of his scores. The following years were taken up by the writing of his first opera A Life for the Tsar (Ivan Susanin). After its first performance on 9 [21] December 1836, he became famous overnight. This success prompted him to embark on a second opera, Ruslan and Lyudmila, that received its première exactly six years after the first one. Both opera’s sparked a lively, and not always fair, discussion among opposing factions of the musical community. The public success of Ruslan in particular was not what he had hoped for. Disheartened by the lack of recognition and by domestic troubles, he left Russia again in 1844. He went to Paris, where Hector Berlioz included some of Glinka’s works in one of his concerts and then published a long article in the Journal des Débats on ›Michel de Glinka‹. Impressed by the successful tours by Liszt and Schumann, Berlioz also wanted to visit Russia. Glinka, whom he had met already in 1831 in Rome, was the right man to provide him with information.

Glinka did not return to Russia that year, but travelled on to Spain. He liked living there and stayed for two years, visiting most of the provinces. During his sojourn he wrote his Caprice brillant sur le thème de la Jota Aragonesa (Spanish Overture No. 1) and collected material which later went into a second Spanish Overture. After a year in Petersburg Glinka again left for Paris, but did not get farther than Warsaw as he could not obtain a passport. In the Polish capital he too stayed several years, occasionally spending a few months in Petersburg. In Warsaw he completed the Spanish Overture No. 2 (orig.: Souvenir de Castille; 1848), later he reworked and renamed into Souvenir d’une nuit d’été à Madrid (1851). Both works are generally known by their French title. In the same year 1848 he wrote his most famous orchestral piece, Kamarinskaya. Apart from its musical qualities, Glinka’s use of Russian folk melodies made this a landmark in Russian music. With the overtures it shares a brilliant instrumentation and the variation technique of repeating themes against a changing background.

In the 1850’s Glinka wrote nothing of lasting value anymore. Eventually he obtained a passport again and resumed travelling, but that did not bring inspiration. Glinka’s legacy was kept alive by many generations of composers, starting with Mili Balakirev, who had met him as a young boy. Glinka’s sister Lyudmila Shestakova, who reached the age of ninety, promoted her brother’s works all of her life. Glinka was known for long as the ›father of Russian music‹. As a matter of fact he was not the first, nor the most popular Russian composer of his time. However, he was the first one whose music reached the level of contemporary Western composers and was recognised as such by his fellow-countrymen and colleagues. Glinka was a source of inspiration to Tchaikovsky and the members of the ›Mighty Five‹. During the 150 years since his death, Glinka’s significance was often subject to political discussions, more than any other Russian composer. His standing diminished after the 1917 revolution, but rose to unprecedented heights in the Stalin era. This need not detract us from appreciating his opera’s, songs, chamber music and orchestral pieces as they are. The works of this edition contain some of his best music and are enjoyable in their own right.

Willem Vijvers, © 2007

Note: Doubled dates refer firstly to the ancient Julian Calendar, secondly to the modern Gregorian Calendar. Most of western countries introduced the Gregorian Calendar between 1582 and 1812. However, in some East-European countries this only happened at the beginning of the 20th Century, and in Russia only in February 1918.

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy