Edward William Elgar
(geb. Lower Broadheath bei Worcester, 2. Juni 1857 - gest. Worcester, 23. Februar 1934)

Drei Charakterstücke op. 10:
Mazurka
Sérenade Mauresque
Contrasts: The Gavotte A.D. 1700-1900

Vorwort
Die ersten dreißig Lebensjahre verbrachte Elgar damit, innerhalb des provinziellen Kosmos eines Lehrers und Amateurmusikers alles über Musik zu erlernen. In den 1880er Jahren bereits hatte er eine ansehnliche musikalische Existenz als umtriebiger Streicherpädagoge in den örtlichen Schulen und als Privatlehrer für Geige und Klavierbegleitung aufgebaut. Gleichzeitig hatte er sich auch eine stattliche Anzahl an Auftrittsmöglichkeiten organisiert, darunter die Mitgliedschaft in mehreren Orchestern, die sich für das im dreijährigen Turnus stattfindende „Three Choirs Festival“ in Worcester zusammenfanden. So spielte er regelmäßig im Birminghamer Stockley-Orchester, einem halbprofessionellen Ensemble, das einige der wichtigsten Dirigenten und Komponisten der Zeit – wie etwa Dvorák – zu engagieren wußte. Anders als das Halle’sche Orchester in Manchester war es dem Stockley’schen zwar nicht vergönnt, das Licht des neuen Jahrhunderts zu erblicken, aber es war dennoch von grosser Wichtigkeit im Musikleben der zweitgrößten englischen Stadt.

Es war ein weiteres Mitglied dieses Orchesters – Herbert Wareing -, das Stockley 1883 auf den jungen Elgar als “clever writer” aufmerksam machte. (Bis dahin hatte Elgar lediglich einige kleinere Werke – vorwiegend Lieder und kurze Stücke für Violine und Klavier – in Druck erscheinen lassen). Daraufhin erklärte sich Stockley bereit, auch etwas aus der Feder Elgars in die Konzertprogramme einzubauen. Dafür schlug der Komponist eine damals beliebte, spanisch angesiedelte Miniatur mit dem Titel Sérenade Mauresque vor. Die Aufführung war zwar erfolgreich, dem jungen Komponisten war jedoch der große Kontrast zwischen dem kleinem Werkchen und den weitaus größeren symphonischen Werken im üblichen Spielplan des Orchesters nur allzu bewußt.

Einige Jahre später, in 1888, erklärte sich Stockley erneut bereit, einige Werke Elgars auf das Programm zu setzen. Diesmal handelte es sich um eine Suite aus vier selbständigen Miniaturen, darunter nochmals auch die Sérenade Mauresque, der nun eine neu komponierte Mazurka, eine Gavotte aus dem Jahr 1883 mit dem Titel Contrasts sowie ein noch früherer Marsch Pas Redouble zur Seite standen. Diesmal führte Elgar selber den Taktstock, und zwar mit Erfolg. (Er war stets ein guter Dirigent seiner eigenen Werke, auch wenn er – nach einem späteren Augenzeugenbericht – nur selten das gleiche Werk zweimal auf gleiche Weise aufführte!) Spürbar blieb jedoch eine gewisse Mißgunst oder Eifersucht darüber, daß Elgar diese Ehre überhaupt zuteil wurde, denn später konnte er einem Freund gegenüber berichten:
„Ich hatte einen guten Erfolg mit meiner Suite in Birmingham, die Kritiker jedoch – mit nur zwei Ausnahmen – sind irritiert. Ich bin der einzige örtliche Künstler, der bisher aufgefordert wurde, ein eigenes Werk zu dirigieren, und – ein noch schlimmeres Vergehen – ich habe es tatsächlich auch getan, und zwar gut getan. Dafür muß ich notgedrungen leiden.“

Im Jahre 1899, kurz vor dem Durchbruch mit den Enigma Variations, arbeitete Elgar drei Sätze der Suite um und ließ sie als Three Characteristic Pieces op. 10 veröffentlichen. Entgegen seinen üblichen Angewohnheiten instrumentierte er die drei Stücke für eine Orchesterbesetzung, in der einige Instrumente – falls nicht vorhanden – auch weggelassen werden könnten. Normalerweise war er Laienmusikern gegenüber nicht so nachgiebig!

An dieser Stelle sind einige Worte über das Werk Contrasts angebracht, dessen Entstehung wir der ersten Liebesaffäre Elgars verdanken. In den Jahren 1882/83 verlobte sich der Komponist mit einer jungen Dame aus Worcester namens Helen Weaver, einer Musikstudentin am Leipziger Konservatorium.(Elgar wollte selber sehnsüchtig am gleichen Konservatorium studieren, wurde jedoch durch Geldmangel und die Notwendigkeit, im väterlichen Musikladen auszuhelfen, daran gehindert). Im Frühjahr 1883 konnte jedoch Elgar nach Leipzig reisen, um Zeit mit seiner „Braut“ Helen (er benutzte hierfür die deutsche Bezeichnung) und ihrer 17jährigen Begleiterin Edith Groveham aus Worcester zu verbringen. Gemeinsam besuchten sie zahlreiche Gewandhauskonzerte und hörten alles, was sie nur konnten, einschließlich vieler Werke von Robert Schumann („mein Ideal“ – so Elgar).

In einem Theater erlebten die jungen Menschen eine ungewöhnliche Tanzdarbietung: „In Leipzig […] sah ich zwei Tänzer, die die Bühne in altertümlicher Bekleidung hinunter kamen und dabei eine Gavotte tanzten. Als sie das Rampenlicht erreichten, drehten sie sich plötzlich um und entpuppten sich als zwei sehr junge und moderne Menschen, die nun fröhliche und lebhafte Tanzschritte vollführten: Sie waren nämlich die Tanzbühne rückwärts hinunter gekommen und schauten nun mit ihren eigenen (modernen) Gesichtern tanzend ins Publikum. Als sie die Hinterbühne wieder erreichten, drehten sie sich plötzlich erneut um und tanzten als altes, gebrechliches Tanzpaar zu der alten Weise weiter.“ (Brief an A.J. Jaeger von Novellos, 1899)

Elgar hat diese Szene in seiner Musik festgehalten, indem er eine an Corelli anmutende, kontrapunktisch verarbeitete Gavotte in g-Moll einem lebhaften modernen Tanz gegenüberstellte.

Übersetzung:Bradford Robinson, 2007

 

Aufführungsmaterial ausnahmslos von Chester Novello erhältlich (www.chesternovello.com). Nachdruck von Partituren aus der Sammlung Phillip Brookes, Market Drayton.

Edward William Elgar
(b. 2 June, 1857, Lower Broadheath, Nr Worcester, d. 23 February, 1934, Worcester)

Three Characteristic Pieces, Op. 10

Mazurka
Sérenade Mauresque
Contrasts, The Gavotte A.D. 1700-1900

Preface
The first 30 years of Elgar’s life were spent in learning the art of music in the world of the provincial teacher and amateur. By the early 1880s, the young musician has established a reasonable practice, both as a visiting string teacher in local schools and as a private tutor for violin and pianoforte accompaniment. In parallel, he sought a wide range of playing opportunities, including membership of several orchestras, such as those recruited for the Three Choirs Festival held every three years in Worcester. In particular, he became a regular player with Stockley’s Orchestra in Birmingham. This was a semi-professional band which attracted some of the important conductors and composers of the day, including Dvorák. In the event, Stockley’s orchestra did not last into the new century, as Halle’s orchestra did in Manchester, but it was nevertheless an important musical focus in England’s second city.

It was another member of this orchestra, Herbert Wareing, who told Stockley in 1883 that young Mr Elgar in the first violins was a “clever writer”. (By this time, Elgar had a few small pieces published, mostly songs and short pieces for violin and piano.) As a result, Stockley agreed to programme something in his concerts. Elgar proposed a miniature in the Spanish style that was popular at the time, called Sérenade Mauresque (Moorish Serenade). It was successfully performed, but the young composer felt the great contrast between his slight piece and the much larger symphonic works the orchestra usually played.

Some years later, in 1888, Stockley agreed again to programme some more Elgar. This time it was a suite of four unconnected miniatures, including once again the Sérenade Mauresque, accompanied now by a newly written Mazurka, a gavotte called Contrasts (which dated from 1883) and an even earlier March Pas Redouble. This time Elgar conducted, with success (he was always a good conductor of his own music, even if – as someone recalled – he rarely did anything the same way twice!) There was, however, a certain amount of resentment or jealousy that Elgar had been granted this honour, for he wrote to a friend:

«I had a good success at Birmingham with my Suite, but the critics, save two, are nettled. I am the only local man who has been asked to conduct his own work - & what’s a greater offence, I did it – and well too: for this I must needs suffer.»
In 1899, when he was on the brink of success with the Enigma Variations, Elgar revised three of the movements of the Suite and published them as the Three Characteristic Pieces, op. 10. Unusually for Elgar, the three pieces are scored so that some instruments may be omitted if they are not available. He was never usually so accommodating towards amateurs!

Something must be said about Contrasts, for its genesis lay in Elgar’s first love affair. During 1882-1883, he had become engaged to a young lady from Worcester, Helen Weaver. She was a student at the Conservatoire in Leipzig (Elgar himself had longed to go there, but lack of money and the need to help in his father’s music shop had prevented this). However, early in 1883, Elgar had travelled to Leipzig to spend time with his “Braut” (as he called Helen) and her companion, a 17-year-old Worcester girl called Edith Groveham. Together, they spent many evenings at the Gewandhaus, hearing everything they could, including much Schumann (“My ideal”, wrote Elgar).

In one theatre, they witnessed an unusual dance:

“I saw 2 dancers … in Leipzig who came down the stage in antique dress dancing a gavotte: when they reached the footlights they suddenly turned round & appeared to be two very young & modern people & danced a gay and lively measure: they had come down the stage backwards & danced away with their (modern) faces towards us – when they reached the back of the stage they suddenly turned round & the old, decrepit couple danced gingerly to the old tune.” (Letter to A.J. Jaeger of Novellos, 1899)

Elgar records this scene clearly in the music, with a Corelli-like gavotte in a contrapuntal G minor contrasted with a lively, modern dance in G major.

Phillip Brookes, 2007

 

Performance materials: all from Chester Novello (www.chesternovello.com). Reprint of copies from the collection Phillip Brookes, Market Drayton.