Edward William Elgar
(geb. Lower Broadheath, Worcester, 2. Juni 1857 — gest. Worcester, 23. Februar 1934)
Kaisermarsch
op. 32
Triumphmarsch aus ‘Caractacus
op. 35
‘Pomp and Circumstance’
Märsche op. 39 Nr. 1-5
Nr. 1 D-Dur
Nr. 2 a-Moll
Nr. 3 c-Moll
Nr. 4 G-Dur
Nr. 5 C-Dur
Kaisermarsch op. 32
Ab 1896 wurde der Name Elgar zusehends bekannter, zumal das großangelegte, im gleichen Jahr für das North Staffordshire-Festival komponierte Chorwerk Scenes From The Saga Of King Olaf zur Aufführung im prestigeträchtigen Londoner Crystal Palace angenommen wurde. Sein Verleger Novello & Co., der bereits ahnte, daß dem neuen Komponisten ein passendes kompositorisches Pendant zum bevorstehenden Diamond Jubilee der Königin Victoria im Jahre 1897 gelingen würde, beauftragte ihn mit zwei kurzen patriotischen Stücke, die landesweit aufgeführt werden sollten: das Chorwerk The Banner Of St. George und der Imperial March («Kaisermarsch»).
Elgar machte sich bald an die Arbeit, wobei er sich oft in einem Rundzelt gegenüber seines Haus in Malvern aufhielt. Das aus sequenzierenden zweitaktigen Phrasen aufgebaute Anfangsthema des Marsches beginnt leise und gipfelt bald in einem Seitenthema, das aus kurzen signalartigen Figuren besteht. Statt eines breiten Melodiebogens bietet jedoch der mittlere Trio-Satz einen sehnsüchtig-tänzerischen Gestus, der wiederum aus kurzen sequenzierenden Figuren besteht. Obwohl die Grundeigenschaften des ausgereiften Personalstils Elgars – wenig militaristisch, sogar leicht zurückhaltend – im nachhinein durchaus erkennbar sind, zeigte sich sein Verleger dennoch irritiert. In einem Brief an den Komponisten äußerte die Firma Novello die Befürchtung, daß das Werk
… eventuell eine unfreundliche Kritik erfahren könnte, da es sich aus so vielen kurzen zweitaktigen oder gar eintaktigen Phrasen zusammengesetzt; und wir sind der Ansicht, der Marsch würde enorm daran gewinnen, wenn Sie ihn umar beiten könnten, damit er etwa einige Phrasen in einer Länge von – sagen wir mal – acht Takten erhält.
Tatsächlich nahm der Komponist einige Änderungen vor (Elgar: „der Marsch ist nunmehr gestrafft und wirkungsvoll“). Darauf zahlte ihm die Firma Novello 20 Guineas (21 Pfund) für den Marsch sowie 50 Pfund für The Banner Of St George, was jedoch immer noch nicht ausreichte, den Komponisten von der Last des Lehrerdaseins zu befreien.
Der Kaisermarsch erlebte am 19. April 1897 im Crystal Palace seine Uraufführung und wurde im Jubiläumsjahr durchaus beliebt - im Monat Juni erklang er sogar bei einer Royal Garden Party. Vor allem anderen jedoch trug er wesentlich dazu bei, den Namen Elgar zu grösserer Bekanntheit im allgemeinen Bewußtsein zu verhelfen.
Triumphmarsch aus ‘Caractacus’ op. 35
Als Beweis für den zunehmenden Ruhm Elgars während der 1890er Jahre kann die immer größer werdende geographische Verbreitung der Kompositionsaufträge von Musikfestivals angesehen werden. Angefangen hat diese Entwicklung im Jahre 1890 mit der Aufforderung, ein Orchesterstück (die Ouvertüre Froissart) für das Three Choirs-Festival in Worcester zu komponieren; bald darauf wurden die Kantate King Olaf fürs North Staffordshire- Festival 1896 sowie eine weitere Kantate für das Leeds-Festival 1898 in Auftrag gegeben. Als Sujet wählte Elgar Caractacus nach der Geschichte des alten Keltenkönigs Caradoc (Lat.: Caractacus), der die römische Eroberung Britanniens erfolglos aufzuhalten versuchte. Handlungsort der Geschichte, die vom vergeblichen Widerstand und der darauffolgenden Verschleppung in die römische Sklaverei handelt, sind die Malvern Hills, wo noch heute eine alte keltische Hügelbefestigung steht.
Obwohl für Solisten und Chor konzipiert, bietet Caractacus auch einen Einblick darin, wie eine Oper von Elgar möglicherweise ausgesehen hätte – etwa Massenet mit einer kleinen Beimischung Sullivan. Die Partitur enthält einige bemerkenswerte Augenblicke, von denen das Klagelied des geschlagen Caractacus „O, my warriors“ (in 7/4-Takt), das Waldzwischenspiel und der Triumphmarsch sicherlich zu den bekanntesten gehören.
Gegen Ende der Kantate werden Caractacus und sein Gefolge als Teil des Siegeszugs in Ketten durch Rom geführt. Hierzu lieferte Elgar einen glänzend orchestrierten, vor Energie strotzenden Triumphmarsch mit Chor (der allerdings bei getrennter Aufführung meistens gestrichen wird). Da jedoch Elgar scheinbar nur selten imstande war, lange in nur einer einzigen Grundstimmung zu verharren, schwindet der Glanz in einem sehnsüchtig-verhaltenen, sequenzierenden Mittelteil dahin, als die gefangenen Briten ins Blickfeld treten. Die Orchestrierung ist rundweg brillant, wobei vor allem der Einsatz des Glockenspiels eine ausgesprochene Seltenheit fürs das England des Jahres 1898 darstellt.
„Pomp and Circumstance“: Militärmärsche op. 39 Nr. 1-5
Es mag nicht wenig überraschen, daß Elgar nur einen einzigen Marsch für einen offiziellen Anlaß komponierte, und zwar den Krönungsmarsch aus dem Jahr 1911. Die fünf Märsche „Pomp and Circumstance“ hingegen entsprangen seinem Wunsch, die Marschform als eine Art Konzertstück zu behandeln, das genauso weit vom Exerzierplatz entfernt ist wie die größten Strauss-Walzer vom Ballsaal.
Diese Idee verdankte sich einer vorübergehenden Meinungsverschiedenheit Elgars mit seinem Hauptverleger Novello & Co. im Jahre 1901, worauf der Komponist einige Werke bei Boosey & Hawkes veröffentlichen ließ, darunter die ersten beiden Märsche von Pomp and Circumstance. Danach beauftragte Boosey von Elgar sechs Märsche, von denen einer – so Elgar – ein Trauermarsch für einen Soldaten werden sollte. Tatsächlich schrieb er nur fünf Märsche (der letzte entstand erst 1930), von denen kein einziger ein Trauermarsch war. Interessanterweise jedoch schrieb er im gleichen Jahr wie die Uraufführung der Märsche Nr. 1 und 2 einen ausgezeichneten Trauermarsch als wichtigen Teil seiner Bühnenmusik zum Drama Grania and Diarmid. Alles in allem überschreiten die fünf Märsche die Grenzen der Marschform und bilden eine befriedigende und überraschend vielgestaltige Suite.
Der Gesamttitel des Marschzyklus‘ entstammt dem Shakespeare-Drama Othello, wobei die Worte „pomp and circumstance“ in der berühmten Übertragung durch Schlegel-Tieck leicht irreführend als „Pomp und Rüstung“ (statt „Prunk“) übersetzt werden:
Fahr‘ wohl, mein wiehernd Roß und schmetternd Erz,
Mutschwellende Trommel, muntrer Pfeifenklang,
Du königlich Panier, und aller Glanz,
Pracht, Pomp und Rüstung des glorreichen Krieges!
Dennoch blieb Elgar bezüglich seines Marschzyklus‘ leicht defensiv, wohl aus Angst, sie könnten lediglich als Ausdruck einer imperialistischen Rhetorik gelten:
Ich weiß, es gibt viele Menschen, die gewisse Ereignisse gerne mit Musik feiern. Für solche Menschen habe ich diese Melodien geschrieben. Soll das etwa falsch sein?
In der Tat bilden die fünf Märsche eine Art Nachtrag zu den Enigma Variations, da sie jeweils einem der Freunde des Komponisten gewidmet sind: Alfred Rodewald, Granville Bantock, Ivor Atkins, George Sinclair (der – oder besser: dessen Hund – in den Enigma Variations bereits vertreten war) und Percy Hull. Bei den drei letztgenannten handelt es sich um Domorganisten in Worcester und Hereford, und alle fünf hatten Elgars Werke gefördert, als sein Ruhm noch nicht gefestigt war.
Nr. 1 D-Dur
Dieser Marsch - der bekannteste des Zyklus‘ – enthält auch die Melodie, die Elgar später in seine Coronation Ode für die Krönungszeremonie 1902 einsetzen und die als patriotische Hymne Land of Hope and Glory berühmt werden sollte. Dennoch wird oft vergessen, daß diese Melodie ursprünglich ohne Text entstand und sich in dieser Form auch großer Beliebtheit erfreute. Bereits vom Anfang an wußte Elgar genau, daß er auf eine der großartigsten aller Melodien gestoßen hatte:
Ich habe eine Melodie gefunden, die die Leute umhauen – regelrecht umhauen wird!
Die Uraufführung fand zusammen mit der des Marsches Nr. 2 am 19. Oktober 1901 statt, unter der Leitung des Widmungsträgers, des deutschen Dirigenten Alfred Rodewald, mit der Liverpool Orchestral Society. Das Werk war sofort ein grandioser Erfolg und wurde bald darauf auch in London wiederholt, woraufhin der neue König Edward VII. den Vorschlag machte, die Melodie auch mit Worten zu versehen. Die Geschichte, wie sich dies zutrug, befindet sich im Vorwort zur Coronation Ode (vgl. Repertoire Explorer Nr. 642).
Wohl wegen der grossen Bekanntheit der Hauptmelodie fristete der Rest des Marsches ein leichtes Schattendasein. Die ersten beiden Teile werden von einer Rastlosigkeit geprägt, die von jeglichem Gefühl der Selbstgefälligkeit weit entfernt ist. Sowohl der Rhythmus als auch die Tonartlichkeit bleiben bis weit ins G-Dur-Trio weitgehend unbestimmt. Selbst die schillernde Orchestrierung unterstützt mit ihren unregelmäßigen Schlägen auf der großen Trommel und ihren virtuosenhaft gestalteten Passagen für das Blech – vor allem die Posaunen – das Gefühl der Dringlichkeit. Elgar, der zeitlebens eine Vorliebe für Witze hegte (er nannte sie “japes”), war immer über die Tatsache amüsiert, daß seine „D-Dur“-Marsch mit einem Orchesterunisono auf Es anfängt!
Eine weitere Überraschung bietet das berühmte Thema des Trio-Teils, denn bei der Reprise in D-Dur am Ende des Stücks wird gleich am Höhepunkt der Rhythmus in einem einzigen Takt geändert – ein wirkungsvolles Detail, das bei Aufführungen von Land of Hope and Glory mit Massenchören vollkommen untergeht. Gelegentlich wird der Marsch auch ohne Gesangstimmen aufgeführt, wobei jedoch üblicherweise das Publikum vorher aufgefordert wird, nicht mitzusingen! In solchen Fällen kommt der Glanz der Elgar’schen Orchestrierungskunst voll zur Geltung, wobei die Gesamtwirkung durch den Einsatz von Schellen, Glockenspiel und Orgel noch gesteigert wird.
Noch zu erwähnen bleibt das Nachleben der großartigen Triomelodie in den Vereinigten Staaten. Im Jahre 1905 wurde Elgar die Ehrendoktorwürde der Yale University zuerkannt, nachdem sein Name von seinem Freund Professor Samuel Sanford (dem Widmungsträger der Introduction and Allegro für Streicher) dafür vorgeschlagen wurde. Bei der Titelverleihung wurde der erste Pomp and Circumstance-Marsch als letztes Stück einer Reihe von Elgar-Werken durch die New Haven Symphony aufgeführt. So enorm war die Wirkung der großen Melodie auf die Anwesenden, daß sie auch bei anderen Anlässen der Yale University ertönte und bald von anderen Universitäten übernommen wurde: Princeton (1907), Chicago (1908), Columbia (1913), Vassar (1916) und Rutgers (1918). Heute ist eine amerikanische Abschlußzeremonie ohne diese Melodie beinahe unvorstellbar, die manchmal sogar schlicht als „Graduation Song“ (Studienabschlußlied) bezeichnet wird.
Nr. 2 a-Moll
Der zweite Marsch unterscheidet sich vom ersten in der formalen Anlage. Beginnend mit einer leidenschaftlichen Streicherfigur, mündet der Marsch in eine mit triolischen Begleitfiguren versehenen Hornmelodie, die schließlich den Trio-Teil einleitet. Statt einer breit angelegten Melodie bietet das Trio jedoch ein quirlig sequenzierendes Thema in Terzparallelen, die dem Marsch eine an Schubert erinnernde Aura verleiht. Nach Abschluß des Trioteils wird das ganze – einschließlich des Trios – nochmals von vorne wiederholt, bis es von einem kontrastierenden Marsch mit einer kurzen Coda vollkommen zufriedenstellend abgerundet wird. Sir Charles Stanford, der der zweiten Aufführung der ersten beiden Märsche in London beiwohnte, äußerte seine Vorliebe für den zweiten gegenüber dem ersten – wobei er sich sicherlich in einer verschwindend kleiner Minderheit befand, denn das Publikum kam erst nach dreimaliger Wiederholung des ersten Marsches wieder zu Ruhe!
Nr. 3 c-Moll
Der dritte Marsch wurde am 8. März 1905 in der Londoner Queen’s Hall, London, unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt. Nach einigen geheimnisvollen unregelmäßigen Akzente durch Kontrabass und Schlagzeug (eine Elgar-Signatur!) und triolischen Begleitfiguren der Hörner mündet der Marsch in signalartige Figuren (eine Art Moll-variante des Caractacus-Marsches), die einen großartig virtuosen Posaunensatz einführen, bevor das Ganze im Trio-Teil zusammenbricht. Letzterer ist ein unsteter, nervös klingender Abschnitt, der möglichst weit entfernt von einer „grandiosen Melodie“ angelegt ist. Hier werden die von den Klarinetten geleiteten Sequenzen so gekonnt gehandhabt, daß wir das Ende des Trio-Teils kaum wahrnehmen können, bevor der Anfangsteil des ganzen Marsches wieder zurückkehrt. Selbst bei der Wiederholung des Trios in nunmehr glänzender Orchesterbekleidung meidet Elgar einen bequemen Abschluß, indem er die unregelmäßigen Schläge und wiehernden Hornfloskeln wiederholt und schließlich die Hörner mit noch mehr Virtuosität zur Schau stellt.
Nr. 4 G-Dur
Es handelt sich hier um den „feierlichsten“ der fünf Märsche mit einer geradlinigen Melodieführung und einem breit angelegtem Hauptthema im Trio. Obwohl durchaus zufrieden mit den Eckteilen, die manche gekonnte Wendungen aufweisen (vgl. beispielsweise den schnellen Übergang von Weichfilz- in Hartholzschlägel in T. 8), bezeichnete Elgar einmal das Triothema einem Freund gegenüber als „Schrott“. Dabei hat er maßlos übertrieben: Es handelt sich um eine durchaus gelungene diatonische Melodie mit einer abschließenden Phrase, die über die sonst zu erwartenden 32 Takte hinausgezogen wird.
Der Marsch wurde am 24. August 1907 in der Londoner Queen’s Hall unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt.
Nr. 5 C-Dur
Gegen Ende der 1920er Jahre fing Elgar langsam an, das selbst auferlegte kompositorische Schweigen nach dem Tod seiner Frau Alice zu lockern. Dieser neue Schaffensdrang zeichnete sich zunächst mit der Severn Suite für Blechinstrumente sowie der Nursery Suite für Orchester ab, die beide auf früheren Entwürfen basierten, und kam mit zwei unvollendeten Großprojekten zu Ende: der Oper The Spanish Lady und der Dritten Symphonie. Dazwischen liegt der fünfte der Pomp and Circumstance-Märsche, ein neues Stück, das vorwiegend aus neuen Themen besteht, vor allem einem bestimmten Thema, das er auf der Rückseite einer Landkarte während einer Autofahrt durch seine Heimat Worcestershire aufzeichnete.
In vielerlei Hinsicht stellt der neue Marsch den Gipfel des Elgar’schen Stils dar. Alles Wesentliche ist da: kurze sequenzierende Figuren, die wiederum neue Ideen hervorbringen, eine nervöse Energie, die sich nunmehr in Visionen kindlicher Abenteuer statt einer Dämonenwelt entlädt, ein brillanter Orchestersatz und ein einprägsames Trio, in dem die besondere Fähigkeit Elgars, eine breit angelegte Melodie aus flüchtigen Floskeln zu bauen, zu kulminieren scheint. Der 5. Marsch faßt die vier früheren gleichsam zusammen und bildet zugleich einen würdigen Schluß zum ganzen Zyklus. Er wurde am 18. September 1930 in der Londoner Kingsway Hall bei einer Studioaufnahme für eine Platteneinspielung des Labels HMV unter der Leitung des Komponisten uraufgeführt.
Übersetzung: Bradford Robinson
Aufführungsmaterial:Imperial March und Caractacus: Chester Ltd & Novello & Co. (www .chesternovello. com) Pomp and Circumstance Märsche: Boosey & Hawkes Ltd (www.boosey.com). Nachdruck eines Exemplars aus der Sammlung Phillip Brookes, Market Drayton.
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