Niels Wilhelm Gade
(geb. Kopenhagen, 22. Februar 1817 - gest. Kopenhagen 21.12.1890)

Noveletten für Streichorchester
Nr. 1 F-Dur op. 53 und Nr. 2 E-Dur op. 58

Vorwort
Zusammen mit seinem Schwiegervater Johann Peter Emilius Hartmann zählt Niels Wilhelm Gade zu den größten Komponisten Dänemarks im 19. Jahrhundert. Trotz seiner Erfolge geriet er im Laufe des 20. Jahrhunderts in Vergessenheit, was nicht zuletzt der Tatsache geschuldet ist, dass das Aufführungsmaterial seiner Werke häufig nach der Erstauflage nicht mehr nachgedruckt wurde. Gade machte sich besonders um die kulturelle Emanzipation Dänemarks auf musikalischem Gebiet verdient. Er wurde 1817 in eine Zeit hineingeboren, als die Bestrebungen Dänemarks zur Loslösung vom deutschen Einfluss im vollen Gange waren. Jahrhundertelang hatten deutsche Musiker und Komponisten das dänische Musikleben bestimmt und die einflussreichen Positionen besetzt. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts besann man sich in Dänemark auf eigene kulturelle Werte zurück. Infolge dessen verstärkten sich die Strömungen, die eine eigene nationale, dänische Identität etablieren wollten. Dieser Prozess übertrug sich auch auf die Künste, von denen man sich große Unterstützung in der Herausbildung einer eigenständigen dänischen Literatur, Malerei und Musik erhoffte.

Niels W. Gade trug mit seinen Werken einen entscheidenden Teil zur Entwicklung einer dänischen Musik bei. In seinem Frühwerk, das bis in die 1840er Jahre reicht, kam ein bis dato unbekannter Klang zum Tragen. Beispielsweise in der Ouvertüre Efterklange af Ossian (Nachklänge an Ossian) op. 1 oder in der Sinfonie Nr. 1 c-Moll op. 5 ist etwas zu hören, das erstmalig Robert Schumann mit dem Begriff „Nordischer Ton“ zu fassen versuchte. Der Nordische Ton entsteht durch das Zusammenspiel verschiedener Elemente. Dazu gehören Anlehnungen an Volksmusik, d.h. Volklieder und –tänze, modale Tonarten sowie eine Vorliebe für dunkle Klangfarben und Moll-Tonarten. Gade integrierte erstmalig Volksmusikelemente in sinfonische Gattungen und schuf dadurch eine typisch dänische oder auch „nordische“ Tonsprache. Während eines Aufenthaltes in Leipzig änderte sich jedoch Gades Stil. In den Jahren 1843 bis 1848 übernahm er neben Felix Mendelssohn Bartholdy die Leitung der Gewandhauskonzerte und unterrichtete als Lehrer am Konservatorium. Von Mendelssohn und auch Robert Schumann wurde Gade vor der Einseitigkeit der Nationalmusik gewarnt. Beeinflusst durch die Leipziger Musikkreise wandte sich der Däne Gade einem universellen Stil zu, wie er in der Leipziger Schule gepflegt wurde. Der Nordische Ton verlor sich zunehmend in seinen Kompositionen. Erst in den späteren Werken Gades in den 1870er und 1880er Jahren ist er wieder deutlicher zu vernehmen. In den beiden Noveletten für Streicher op. 53 und 58 taucht er schlaglichtartig auf, ohne jedoch das nordische Kolorit derartig aufleben zu lassen, wie es in den frühen Werken der Fall war.

In Gades Gesamtwerke spielen Kompositionen für Streicher keine geringe Rolle. Zu nennen sind neben den beiden Streicher-Noveletten mehrere Violin-Sonaten, Klavier-Trios, Streichquartette, jeweils ein Streichquintett, -sextett und -oktett und nicht zuletzt das Violin-Konzert d-Moll op. 56, das 1880 zwischen den beiden Streicher-Noveletten entstand. Gade selbst war ein begabter Violinist. Bereits sein Name weist stark auf die Violine und ihre Saiten G-D-A-E hin. Als 17jähriger trat Gade in die Königliche Kapelle in Kopenhagen ein, was eine Auszeichnung bedeutete, galt dieses Orchester doch als das beste des Landes. 1838 versuchte er sich als Violinvirtuose und unternahm eine Konzerttournee durch Norwegen und Schweden. Sie endete jedoch in einem finanziellen und vermutlich auch künstlerischen Desaster, so dass sich Gade von seinen Eltern Geld für die Heimreise nach Dänemark erbitten musste. Dieses Erlebnis war wohl so prägend, dass Gade sich endgültig dazu entschloss, seiner kompositorischen Ader nachzugehen und sich vom Traum der Virtuosenkarriere verabschiedete.

In Gades gedruckten Werken finden sich insgesamt drei Kompositionen mit dem Titel „Noveletten“. Der Begriff geht vermutlich auf Robert Schumann zurück, der ihn 1838 nach dem Namen der berühmten, englischen Sängerin Clara Novello (1818-1908) für seine acht Noveletten op. 21 für Klavier gebrauchte. “Novelette“ bezeichnet ein Charakterstück mit mehreren, oft unverbunden nebeneinander stehenden Themen. Neben den beiden Werken für Streichorchester op. 53 und 58 benannte Gade auch das Klavier-Trio a-Moll op. 29 von 1853, Ferdinand Hiller gewidmet, mit dem Titel „Noveletten“. Die Noveletten für Streichorchester op. 53 entstanden 1874, rund 20 Jahre später als das Klavier-Trio. Im Gegensatz zu den Noveletten für Streicher op. 58 sieht die Orchesterbesetzung einen sechsstimmigen Satz mit geteilten Violinen und Celli vor. Am 10. April 1875 fand die Uraufführung von op. 53 im Kopenhagener Musikforeningen („Musikverein“) unter Gades Leitung statt. Ein Jahr später wurde das Werk bei Breitkopf und Härtel in Leipzig als „Noveletten. Vier Orchesterstücke für Streichinstrumente“ gedruckt. Im selben Jahr sowie 1877 entstanden Bearbeitungen für Klavier vier- und zweihändig, die ebenfalls bei Breitkopf erschienen.

Die Noveletten op. 53 waren auch außerhalb Dänemarks sehr beliebt und wurden häufig in kleineren und größeren Städten in ganz Europa gespielt. Gade selbst dirigierte sie während einer Konzertreise durch Deutschland im November 1880 beim Musikfest in Köln. Weitere Aufführungen – auch in Abwesenheit Gades – fanden in den 1870er und 1880er Jahren in Amsterdam, Augsburg, Basel, Berlin, Breslau, Brüssel, Elberfeld, Hirschberg, Leipzig, Luzern, Mühlhausen und Sondershausen statt. In den Noveletten op. 53 bedient sich Gade einer relativ freien Form. Es tauchen mehrere Themen auf, die jedoch nicht im sinfonisch-thematischen Sinne verarbeitet werden. Der letzte Satz bietet mit seinen immer wieder auftauchenden fugierten Passagen noch die strengste satztechnische Konstruktion.

Die Noveletten Nr. 2 E-Dur op. 58 entstanden 1883 und erfuhren 1886 eine Überarbeitung durch Gade. Er widmete sie dem russischen Pianisten und Komponisten Anton Rubinstein, mit dem Gade in freundschaftlicher Verbindung stand. Rubinstein war 1862 als Pianist in Kopenhagen aufgetreten. Dass Rubinsteins Kompositionen häufig im Musikverein der dänischen Hauptstadt zur Aufführung kamen, zeigt, wie sehr Gade das Werk des Russen schätzte. Die Noveletten gehören mit zu den letzten Instrumentalwerken, die Gade vor seinem Tod komponierte. Dabei blieb er „seinem“ Instrument, der Violine, treu und komponierte die letzte Violin-Sonate Nr. 3 B-Dur op. 59 (1885), die Folkedanse („Volkstänze“) für Violine und Klavier op. 62 (1886) sowie das letzte Streichquartett D-Dur op. 63 (1888).

Der Erstdruck der E-Dur-Noveletten erschien in Gades Todesjahr 1890 in Leipzig bei Breitkopf und Härtel. Im selben Jahr wurde im selben Verlag eine Bearbeitung der Noveletten für Klavier vierhändig von August Horn publiziert. Die Uraufführung erlebte Gade nicht mehr. Sie fand zwei Jahre nach seinem Tod am 27. Februar 1892 im Musikforeningen Kopenhagen statt. Gade war rund 40 Jahre Leiter und Dirigent dieser einflussreichsten bürgerlichen Konzertorganisation Kopenhagens gewesen. Die Novelletten sehen einen siebenstimmigen Satz vor, in dem Gade durch die Teilung von Violinen, Violen und Celli ein sehr differenziertes Klangbild entwirft.

Yvonne Wasserloos, August 2007

Aufführungsmaterial ist von Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

Niels Wilhelm Gade
(b. Copenhagen, 22 February 1817 – d. Copenhagen, 21 December 1890)

Novelettes for String Orchestra:
No. 1 in F major, op. 53; No. 2 in E major, op. 58

Preface
Niels Wilhelm Gade stands alongside his father-in-law, Johann Peter Emilius Hartmann, as the greatest Danish composer of the nineteenth century. Yet notwithstanding his successes, he was gradually forgotten in the course of the twentieth century, not least because the performance material for many of his works was never reissued after the first impression. Gade’s special achievement was to bring about Denmark’s cultural emancipation in the field of music. He was born in 1817 at a time when Denmark’s efforts to free itself from German influence were fully under way. For centuries German musicians and composers had dominated the country’s musical life and occupied its most influential positions. At the beginning of the nineteenth century the people of Denmark recalled their own cultural values, and efforts to establish their own national identity began to intensify. This process also applied to the arts, where hopes were raised for large-scale support in the creation of distinctively Danish literature, painting, and music.

Gade’s compositions played a decisive role in the emergence of a Danish national style of music. His early works up to the 1840s were instilled with a hitherto unknown quality of sound. The overture Efterklange af Ossian (Echoes of Ossian) op. 1 and the Symphony No. 1 in C minor op. 5, to choose but two examples, have something that Robert Schumann first tried to capture with the term “Nordic tone.” This “tone” arises from the interaction of many elements, including borrowings from folk music (i.e. folk songs and dances), modal progressions, and a predilection for dark timbres and minor keys. Gade was the first to integrate elements from folk music into symphonic genres to create a typically Danish or “Nordic” idiom. During his stay in Leipzig, however, his style began to change. Between 1843 and 1848 he took charge of the Gewandhaus concerts, along with Felix Mendelssohn, and taught at the Conservatory. Mendelssohn and Schumann warned him against the one-sidedness of national music. Under the influence of these musical circles, Gade turned to a universal style of the sort cultivated by the Leipzig school. The Nordic tone gradually vanished from his music and did not again became clearly audible until his later works of the 1870s and 1880s. It flares up momentarily in the two Novelettes for Strings, opp. 53 and 58, but without rekindling the Nordic inflection to the same degree as the early works.

No small part of Gade’s oeuvre is taken up by music for strings. Besides the two Novelettes, we need only mention his several violin sonatas, piano trios, and string quartets, his single essays in the string quintet, sextet, and octet, and finally his Violin Concerto in D minor op. 56, composed in 1880 between the two Novelettes. Gade himself was an accomplished violinist; indeed, his very name recalls the violin with its G, D, A and E strings. He joined the Royal Orchestra in Copenhagen at the early age of seventeen – a rare distinction considering that the orchestra was regarded as the best in the country. In 1838 he sought his fortune as a violin virtuoso and undertook a concert tour of Norway and Sweden. The tour was a financial and probably an artistic disaster, however, and Gade was forced to ask his parents for money for the homeward journey to Denmark. The experience was so decisive that he finally resolved to pursue his gifts for composition and abandoned his dream of a virtuoso career.

Gade’s published oeuvre contain a total of three compositions entitled Novelettes. The term presumably derives from Schumann, who took it from the name of the famous English soprano Clara Novello (1818-1908) and used it in 1838 for his eight Novelettes for piano, op 21. It refers to a character piece made up of several, frequently unrelated themes. Besides his two works for string orchestra, opp. 53 and 58, Gade also gave the title “Novelettes” to his Piano Trio in A minor op. 29 of 1853, dedicated to Ferdinand Hiller. The Novelettes for String Orchestra op. 53 were written in 1874, some twenty years after the Piano Trio. Unlike its later companion, op. 58, the orchestral writing is in six parts with divided violins and cellos. The première, conducted by the composer, took place on 10 April 1875 in the Copenhagen Musical Society (Musikforeningen). One year later it was published by Breitkopf & Härtel in Leipzig as Noveletten: Vier Orchesterstücke für Streichinstrumente. In the same year and in 1877 it was arranged for piano four-hands and solo piano, likewise published by Breitkopf.

The op. 53 Novelettes also became very popular outside of Denmark and were frequently heard in the greater and lesser musical capitals of Europe. Gade himself conducted them at the Cologne Festival in November 1880 during a tour of Germany. Other performances, sometimes without his involvement, took place in the 1870s and 1880s in Amsterdam, Augsburg, Basle, Berlin, Breslau, Brussels, Elberfeld, Hirschberg, Leipzig, Lucerne, Mühlhausen, and Sondershausen. The form of the movements is relatively free: there are several themes which, however, are not developed in a symphonic manner. The final movement, with its recurring passages of fugato, reveals the most rigorous compositional texture.

The Novelettes No. 2 in E major op. 58 were composed in 1883 and revised by the composer in 1886. They are dedicated to the Russian pianist and composer Anton Rubinstein, with whom Gade was on friendly terms. Rubinstein had appeared in Copenhagen as a pianist in 1862, and his compositions were frequently heard at the Musical Society of the Danish capital – a clear indication of Gade’s high regard for his music. The Novelettes are among the last instrumental works that Gade wrote before his death. He remained true to “his” instrument, composing his final Violin Sonata No. 3 in B-flat major op. 59 (1885), the Folkedanse (“Folk Dances”) for Violin and Piano op. 62 (1886), and the final String Quartet in D major op. 63 (1888).

The first edition of the E-major Novelettes was issued by Breitkopf & Härtel of Leipzig in the year of Gade’s death, 1890. In that same year Breitkopf also published them in an arrangement for piano four-hands prepared by August Horn. Gade did not live to witness the première, which took place two years after his death at the Copenhagen Musical Society on 27 February 1892. Gade had been the director and conductor of this bourgeois concert organization, the most influential in Copenhagen, for some forty years. The op. 58 Novelettes call for a seven-part fabric in which Gade achieves a richly textured sound by dividing the violins, violas, and cellos.

Translation: Bradford Robinson, 2007

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.