Richard Wagner
(geb. Leipzig, 22. Mai 1813 – gest. Venedig, 13. Februar 1883)

Die Hochzeit
(1832/33)
Unvollendete Oper nach einem Libretto des Komponisten

Vorwort
Im Oktober 1832 besuchte der 19jährige Richard Wagner, der sich kürzlich an der Universität Leipzig als Student der Musiktheorie eingeschrieben hatte, den Grafen Pachta auf seinem böhmischen Landgut Prawonin unweit der Stadt Prag. Dort traf er auch die beiden jungen Töchter des Grafen – Jenny und Auguste – und machte sich allgemein unbeliebt mit seinen Plänen, ihre Erziehung und ihren Charakter gründlich umzuformen. Das hielt ihn jedoch nicht davon ab, sich in die dunkeläugige Jenny kopfüber zu verlieben. Eines Abends, als er an ihrer Seite am Klavier saß, wurde er von seiner erotischen Sehnsucht derart überwältigt, daß er in den Garten hinaus eilen mußte, um seine Gefühle wieder zu bändigen (“ach, da leuchtete mir der Abendstern entgegen; - auf ihn heftete ich meinen Blick, er sog meine Tränen ein”). Mit dem ganzen Wagemut der unerfahrenen Jugend rüstete er sich dafür, seine Liebe der jungen Gräfin zu gestehen, und erhielt dabei unmißverständlich einen Korb. Nach Ablauf des fünfwöchigen Besuchs kehrt er wieder nach Leipzig zurück und faßte den ganzen Zwischenfall in einem Brief zusammen, den er am 16. Dezember seinem Jugendfreund und Vertrauten Theodor Apel zuschickte: „O ihr herrlichen Tage! Denn nicht nur die Natur, auch die – daß ich es sage – Liebe veredelte mich. Aber wie! – Denke Dir unter Jenny ein Ideal von Schönheit, und meine glühende Phantasie, so hast Du alles. In ihrer Schönheit glaubte meine Leidenschaft alles andre zu sehen, was sie zu einer herrlichen Erscheinung erheben konnte. Mein idealisierendes Auge erblickte in ihr alles das, was es zu erschauen wünschte, und dies war das Unglück! – Ich glaubte Erwiderung zu gewahren, und in der Tat fehlte es nur von meiner Seite meinem kühnen Entgegenkommen, um mich ihrer Erwiderung zu versichern! Aber welche Erwiderung! ...Du wirst Dir alles, was eine glühende Liebe verwunden kann, denken können; - was sie aber töten kann, ist fürchterlicher als alles! – Vernimm es denn, und schenke mir Dein Mitleiden: - sie war meiner Liebe nicht wert!“

So die Umstände um die Entstehung der zweiten Oper Wagners – Die Hochzeit -, und so auch die erste in einer langen Reihe von Wagner-Musen, zu denen auch etwa Jessie Laussot, Mathilde Wesendonck und Judith Gauthier gehören sollten und die alle maßgeblich zur Entfachung seines schöpferischen Genies beitrugen, um schließlich hinterher, nach Beginn der schöpferischen Arbeit, als „nicht wert“ abgetan zu werden. In der Hitze seiner unerwiderten Leidenschaft für Jenny Pachta wandte sich Wagner an eine blutrünstige Erzählung aus dem zweibändigen, 1823 erschienenen Kompendium Ritterzeit und Ritterwesen des gelehrten Breslauer Mediävisten J. G. G. Büsching (1783-1829). Zunächst war er zwar unentschlossen, ob er daraus ein Theaterstück oder etwa eine Novelle im Stile E. T. A. Hoffmanns machen sollte, schließlich beschloß er jedoch, auf dieser Grundlage ein Opernlibretto zu verfassen und die musikalische Vertonung selber zu liefern. Das Libretto, das in Weißglut in den Monaten Oktober-November auf dem Landgut Prawonin entstand, wurde – es scheint – ein hochromantisches Gemisch von Vergewaltigung und Mord, Schuld und Sühne, auf einem entsprechend pseudo-mittelalterlichen historischen Hintergrund. Ada, die in einer politisch motivierten Zwangsehe an Arindal versprochen ist, wird an ihrer Hochzeitsnacht im Schlafzimmer von Cadolt überfallen, mit dem sie jedoch eine zärtliche Zuneigung verbindet. Um ihre Ehre zu bewahren, schafft sie es, nicht nur ihre Keuschheit standhaft zu verteidigen, sondern den Missetäter aus dem Fenster zu werfen, worauf er sich auf den Kopfsteinpflastern im Hofe zerschmettert. Bei den Begräbnisfeierlichkeiten bricht die liebestrunkene und zugleich von der eigenen Schuld geplagte Maid leblos auf der Leiche des Cadolt zusammen, wodurch sie auch allen Anwesenden das Geheimnis um dessen Tod offenbart.

Dieser knappe Umriß der Handlung mußte ohne die Zuhilfenahme des eigentlichen Librettos verfaßt werden, denn Wagner vernichtete das Manuskript, nachdem seine ältere Schwester Rosalie den Inhalt strikt abgelehnt hatte. Davor hatte er jedoch bereits mit der Vertonung angefangen und eine Orchestereinleitung, einen Chorsatz und ein Soloseptett zustande gebracht, die in der fertigen Oper die Nummern 2 bis 4 ausgemacht hätten. Diese drei Nummern, die alle bis zum 5. Dezember 1832 entstanden, haben sich in einer Reinschrift erhalten, die der Komponist am 1. März 1833 vollendete und mit einer entsprechenden Widmung der Chorvereinigung in Würzburg überreichte, wo er mittlerweile seine erste professionelle Einstellung angenommen hatte. Es wurde lange gemutmaßt, daß die drei Nummern auch durch die Würzburger Chorvereinigung ihre Uraufführung erlebten, jedoch sind bis heute keine diesbezüglichen dokumentarischen Anhaltspunkte ans Tageslicht getreten. Die erste dokumentarisch belegte Aufführung fand genau ein Jahrhundert später statt, als die drei Sätze am 13. Februar 1933 in Rostock einem erstaunten Publikum vorgestellt wurden. Davor wurden 1912 die drei erhalten gebliebenen Teile der Hochzeit bei Breitkopf & Härtel als 12. Band der geplanten Wagner-Gesamtausgabe in Partitur veröffentlicht.

Obwohl Wagner zu seinem zweiten Opernversuch nie wieder zurückkehrte und seine jugendliche Liebesaffäre in seinen späteren autobiographischen Schriften eher bagatellisierte, hat Die Hochzeit ohne Zweifel einen größeren Einfluß auf seine spätere künstlerische Entwicklung ausgeübt. Dies zeigt sich wohl am deutlichsten an der Tatsache, daß die Namen der beiden Protagonisten Ada und Arindal auch in seiner nächsten Oper Die Feen (1833/34) wieder auftauchen. Dem Wagner-Freund wird auch auch gewisse Parallelitäten mit der Behandlung der Siegfried/Brünnhilde-Beziehung – die politisch motivierte Zwangsehe, die keusche Hochzeitsnacht, die Selbstopferung der Braut – nicht entgangen sein. Auch war der junge Komponist auf die vollendeten Teile der Oper stolz genug, um sie seinem Lehrer Theodor Weinlig zu zeigen, der sich über ihre „Klarheit“ positiv äußerte.

Was die junge Muse der fragmentarischen Oper betrifft, so wurden Jenny Pachta und ihre Schwester kurz darauf verwaist und – da unehelich geboren – bald von älteren Beschützern aus dem böhmischen Adel in Protektion genommen.. Als Wagner 1843 die beiden Schwestern zum letzten Mal sah, waren sie bereits mit ländlichen Aristokraten aus der nächsten Umgebung glücklich verheiratet. „Eine gütige Vorsehung“ – so der nüchterne Wagner-Biograph Ernest Newman – „hatte sie davor bewahrt, sich dem Schicksalsweg Richard Wagners anzuschließen.“

Bradford Robinson, 2007

Aufführungsmaterial ist von der Breitkopf und Härtel, Wiesbaden zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.

Richard Wagner
(b. Leipzig, 22 May 1813 – d. Venice, 13 February 1883)

Die Hochzeit
(«The Wedding»)
Unfinished opera on a libretto by the composer (1832-3)

Preface
In October 1832, the nineteen-year-old Wagner, now enrolled at Leipzig University as a student of music theory, paid a visit to Count Pachta on his country estate of Pravonin, just outside of Prague. There he re-encountered the count’s young daughters, Jenny and Auguste, and generally made himself disagreeable with his plans for reforming their education and personalities. This did not prevent him from falling head over heels in love with the dark-eyed Jenny, however. Sitting beside her at the piano, he was suddenly seized with erotic yearning, and had to rush into the garden to suppress his emotions (“The evening star shone on me: I fastened my gaze on it: it drank up my tears”). With all the insecurity of youth, he steeled himself to plead his case before the young countess, only to be firmly rebuffed. At the end of the five-week stay, he returned to Leipzig and summed up the interlude in a letter of 16 December to his friend and confidant, Theodor Apel: «Oh, what heavenly days! For not only Nature but – dare I say – Love ennobled me. Imagine Jenny – an ideal of beauty – and my glowing imagination, and you know everything. In her beauty my passion believed it saw everything else that could make her a glorious apparition. My idealising eye saw in her all it wanted to see, and that was the misfortune! I thought I was sure of a return, and in fact there needed on my side only a bold advance to be sure of her response. But what a response! [...]You can imagine all the wounds an ardent love can feel; but how it can kill is more frightful than anything! Understand it, then, and send me your sympathy. She was not worthy of my love!»

Thus the circumstances surrounding the genesis of Wagner’s second opera, Die Hochzeit; and thus the first in a long line of Wagnerian muses extending from Jessie Laussot to Mathilde Wesendonck and Judith Gauthier, all crucial in order to fire his creative genius, but all dispensable («not worthy») once the work of creation was underway. In the heat of his unrequited passion for Jenny Pachta, Wagner turned his attention to a grisly tale from Ritterzeit und Ritterwesen («Knighthood and the Age of Chivalry»), a two-volume compendium published in 1823 by the learned Breslau medievalist, J. G. G. Büsching (1783-1829). At first uncertain whether to transform the material into a play or an E. T. A. Hoffmann-esque novel, he eventually settled on the plan of an opera libretto, to which he would also supply the music. The libretto, completed at Pravonin in white heat in October and November, was, it seems, a romantic farrago of rape and murder, guilt and retribution, all placed in an appropriately pseudo-medieval setting. Ada, promised in a politically arranged marriage to Arindal, is assailed on her wedding night by Cadolt, with whom she is secretly in love. To preserve her honor, however, she manages not only to defend her chastity, but to throw the assailant out of the window to perish on the stones of the courtyard below. Cadolt’s funeral proves too much for the love-struck and guilt-ridden maiden, however, who falls lifeless on his corpse, thereby disclosing to all the mystery of the knight’s death.

This thumbnail summary of the plot must be made in the absence of the libretto itself, for Wagner, finding that it met with stern disapproval from his elder sister Rosalie, destroyed the manuscript. Before then, however, he had set to work on the composition, completing an orchestral introduction, chorus, and septet that would have formed numbers 2 to 4 of the finished opera. These numbers, composed by 5 December 1832, survive in a fair draft that he prepared on 1 March 1833 and handed, with a dedication, to the Choral Society in Würzburg, where he had just received his first professional appointment. It has been assumed that the numbers were also premièred by the Society, but no evidence of such a performance has yet come to light. The first known performance took place a full century later, when the three numbers were presented to an astonished audience in the German seaside town of Rostock on 13 February 1933. Before then, the surviving sections of Die Hochzeit had been published in full score, by Breitkopf & Härtel, as volume 12 of its projected Wagner edition in 1912.

Although Wagner never returned to Die Hochzeit, and certainly tried to underplay his youthful love affair in his later autobiographical writings, there can be no doubt that the work played an important role in his artistic evolution. Perhaps the clearest indication of this is the reappearance of the names of two of its protagonists, Ada and Arindal, in his next opera, Die Feen (1833-4). Wagner admirers will also have noticed certain parallels with his later treatment of the Siegfried-Brünnhilde complex:: the politically motivated arranged marriage, the chaste wedding night, the self-immolation of the bride. Finally, Wagner was proud enough of the finished numbers to show them to his teacher Theodor Weinlig, who pronounced himself satisfied with their «clarity.»

As for the work’s muse, Jenny Pachta, she and her sister were orphaned shortly thereafter and, being illegitimate, soon found older protectors among the Bohemian nobility. When he last saw them, in 1843, they were both happily married to local aristocrats. «A kindly fate,» to quote the dispassionate Ernest Newman, «had saved them from being hitched to Richard Wagner’s star.»

Bradford Robinson, 2007

For performance material please contact the publisher Breitkopf und Härtel, Wiesbaden. Reprint of a copy from the Musikbibliothek der Münchner Stadtbibliothek, München.