Albéric Magnard
(geb. Paris, 9. Juni 1865 — gest. Baron (Oise), 3. September 1914)

Suite d’orchestre dans le style ancien, op. 2
(1888/1889)

I Française
II Sarabande
III Gavotte
IV Menuet
V Gigue

Vorwort
Von (Lucien Denis Gabriel) Albéric Magnard weiß der Musikliebhaber — zumindest derjenige, der nicht in Frankreich leben — wohl nur, dass er Komponist war, und wie er gestorben ist. Man fange gleich mit dem Ende an: Als 1914 der Erste Weltkrieg ausbrach, befand sich Magnard samt seiner Familie auf seinem Landsitz im südöstlichen Teil von Picardie. Nach dem Vorstoss deutscher Truppen in Frankreich liess Magnard seine Frau und zwei Töchter in Sicherheit bringen, er selbst erwartete allein die heranrückenden Deutschen. Als sie sein Landgut betraten , erschoss er einen Soldaten und verwundete er einen zweiten. Da er nicht der Aufforderung nachkam, sich zu ergeben, brannten die Deutschen sein Landhaus nieder. Zweifelsohne kam er im brennenden Haus um, obwohl seine Leiche nie gefunden wurde.

Es mag banal klingen, wenn nicht gar leichtsinnig, in den Details einer Anekdote die wichtigen Bestandteile eines Charakters finden zu wollen, aber im Fall Magnards hat es seine seltsame Richtigkeit. Dass er allein den Tod fand, sollte nicht überraschen: Obwohl gar nicht freundlos und mit einem glücklichen Familienleben gesegnet, war Magnard in vielerlei Hinsicht ein Einzelgänger — der Verkehr in guter Gesellschaft war ihm unangenehm (und der Verkehr in schlechter Gesellschaft schier undenkbar), am Beifall des Publikums hatte er kein Interesse, die meisten seiner Werke erschienen im Selbstverlag, und schon zehn Jahre vor seinem Tod hatte er Paris zugunsten seliger Abgeschiedenheit auf dem Lande verlassen. Obwohl er Zeit seines Lebens nur ein mäßig erfolgreicher Komponist war und nur wenige Jahre als Lehrer wirkte, hat er sich doch eine grosszügiges Landhaus leisten können — denn sein Vater Francis war wegen seiner publizistischen Tätigkeit (u.a. als Redakteur der Pariser Zeitung Le Figaro) ein wohlhabender, einflussreicher Mann geworden. Bis zu dessen Tode im Jahre 1894 lebte und kämpfte der Sohn mit widersprüchlichen Gefühlen seinem Vater gegenüber. Einerseits wollte er sein eigener Herr sein, nicht nur Sohn, und eine eigene Laufbahn ohne jegliche väterliche Begünstigung einschlagen; andererseits liess er sich vom Vater ausbilden, lehnte das Familienvermögen nicht ab (er finanzierte damit nicht nur seinen Landsitz, sondern mehrere Konzerte eigener Werke), und hat ihn tatsächlich richtig geliebt. Nach dem Tod seines Vaters schrieb er einen Chant funèbre (Op. 9, 1895) — ein Werk, das man zu seinen besten rechnen muss. In seiner letzten mutigen (wenn auch waghalsigen) Handlung erkennt man schliesslich einen Charakterzug, der für Magnard immer massgebend war: einen unerschütterlichen Sinn für das Richtige. Erst nach Wehrdienst und Abschluss einer juristischen Ausbildung (1877) fing er an, sich ernsthaft mit dem Musikstudium und der Komposition zu befassen; er war ein leidenschaftlicher Verfechter der Dritten Republik und ausgesprochener Dreyfusard (sein Hymne à la Justice, Op. 14, 1902, ist der künstlerische Ausdruck seiner Empörung über die Dreyfus-Affäre); und trotz seiner fortschreitenden Taubheit versuchte er 1914, sich freiwillig zum Wehrdienst zu melden. Magnard wird oft für einen Menschenfeind gehalten, aber es wäre wohl richtiger, in ihm einen frustrierten, enttäuschten Idealisten zu sehen.

Von Magnards Werken wird der Musikliebhaber vielleicht sogar eines gehört haben, nämlich seine Dritte Symphonie, dank der prächtigen, von Decca aufgenommenen Einspielung durch Ernest Ansermet und das Orchester der Suisse romande aus dem Jahr 1968. Wegen des erhaben-altmodischen Choralsatzes für Blechbläser, mit dem die Symphonie beginnt und endet, und der Leichtigkeit, die man bei allem Ernst des Ausdrucks empfindet, wird Magnard wohlwollend, aber irrtümlich für einen «französischen Bruckner» gehalten; richtiger wäre es jedoch, seine Leichtigkeit als künstlerische Verwirklichung seiner Verehrung für frühere französische Meistern zu betrachten, und ihn ansonsten den Franzosen zuzurechnen, deren Werke vom Einfluss Richard Wagners geprägt waren: César Franck, Ernest Chausson und Vincent d’Indy. (Mit Franck und Chausson war er zwar bekannt; d’Indy war sein wichtigster Lehrer.) Seine Formstrenge schützt ihn jedenfalls vor dem ausweglosen Chromatismus so manches Wagner-Nachfolgers, und auch in seinen ernsthaftesten Werken wird Grübelei durch diese Formstrenge und durch leidenschaftlichen Ausdruck in Grenzen gehalten.

Die Suite d’orchestre dans le style ancien, op. 2 ist ein Beispiel jenes historisierenden musikalischen Ausdrucks, den man des Öfteren bei Komponisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts findet — wie z.B. Griegs Holberg-Suite und Tschaikowskys Mozartiana — und noch häufiger bei rückblickenden Frühmodernisten (Respighis Antiche arie e danze, Strawinskys Pulcinella, Hindemiths Suite französischer Tänze und Schoenbergs Bearbeitungen von J.S. Bach, Monn, und sogar Brahms). In seinem Werk findet Magnard einen kuriosen Mittelweg zwischen bloßer Neuinstrumentierung altmodischer Musik und weitgehender Neukomposition im spätromantischen Stil. Der melodische Inhalt stammt völlig von Magnard selbst; die Harmonik ist dem alten Stil weitgehend treu und der Orchestersatz zurückhaltend — aber das gilt, streng genommen, nur für die ersten drei Sätze; in den letzten zwei Sätze erlaubt sich Magnard recht frappierende Ausbrüche in die Klangwelt der Gegenwart. Die Auswahl der Tanzformen bedürfte keiner besonderen Erklärung — mit Ausnahme des ersten Satzes, denn die «Française» existiert nicht als Tanzform. Harry Halbreich (in der Notenbeilage zur CD-Aufnahme des Werks, Timpani 1C1067, 2002) vermutet wohl richtig, Magnard habe als patriotischer Franzose keine zu erwartende «deutsche» Allemande am Anfang seiner Suite setzen wollen!
Magnard hat seine Suite d’orchestre dans le style ancien, op. 2 im Sommer und Herbst des Jahres 1888 komponiert. In einem Brief vom 20. Dezember 1888 an seinen Freund Guy Ropartz (1864-1955; Komponist, Dirigent und Direktor des Conservatoire zu Nancy) schrieb er schon von seinem Vorhaben, die Suite zu revidieren. Er hatte das Werk soeben seinem Lehrer Vincent d’Indy gezeigt und, ohne d’Indys Reaktion auf das Werk zu erwähnen, gab er seiner eigenen Unzufriedenheit damit Ausdruck. Er beklagte insbesondere seinen fortwährenden — und wagemutigen — Gebrauch des Englischhorns, was zu «grotesken und bedauerlichen Effekten» geführt hatte, die «meine Entzückung mit diesem sehr unvollkommenen Instrumenten abschwächte.» Schon am 27. Januar 1889 konnte er Ropartz den Abschluss der Neuorchestrierung mitteilen. Ropartz selbst hat das Werk im Oktober des Jahres in Angers geprobt, die erste öffentliche Aufführung erfolgte am 18. August 1890 am Casino de Royan unter der Leitung von Léon Jéhin. Das Werk wurde begeistert aufgenommen; die örtliche Gazette des Bains schrieb von einer «köstlichen Musik, die etwas von der männlichen Harmonie Wagners hat, gemischt mit der Lieblichkeit der modernen französischen Schule.» Charles Lamoreaux hat das Menuet in ein Programm vom 4. Januar 1891 aufgenommen; die Kritiker reagierten überwiegend — wenn auch nicht einstimmig — positiv. Weitere Aufführungen erfolgten am 1. Februar 1891 (Association artistique de Marseille; Leitung: Jules Lecocq), 19. August 1893 (Casino de Blankenberghe) und am 20. Januar 1895 (Orchestre du Conservatoire zu Nancy; Dirigent: Guy Ropartz). Trotz der Parteinahme des großen Freundes scheint diese letztere Aufführung wenig begeistert zu haben; die Kritiken waren — optimistisch betrachtet — gemischt, Le Progrès d l’Est hat sogar geschrieben: «Es war dem Zuhörer unmöglich, trotz scheinbar guten Willens, sich für eine so unbedeutende Musik zu interessieren.»

Partitur und vierhändiger Klavierauszug erschienen 1892 beim Pariser Verleger Philippe Maquet; Widmungsträger ist in beiden Fällen Olympe (bzw. Madame Francis) Broyer-Magnard, seit 1888 Stiefmutter des Komponisten. Eine CD-Aufnahme des vierhändigen Klavierauszugs erschien 1989 bei der französischen Schallplattenfirma Accord (Pianisten: Christoph Keller und Katharina Weber); 2002 erschien bei der französischen Schallplattenfirma Timpani die allerersten Aufnahme der Orchesterfassung (Orchestre Philharmonique du Luxembourg; Dirigent: Mark Stringer).

Stephen Luttmann, 2006

Aufführungsmaterial ist von Kalmus, Boca Raton zu beziehen. Herzlichen Dank an Phillip Brookes / Market Drayton und das Koninklijk Vlaams Conservatorium die Zurverfügungstellung ihrer Partituren zum Nachdruck.

Albéric Magnard
(b. Paris, 9 June 1865 — d. Baron, Oise, 3 September 1914)

Suite d’orchestre dans le style ancien, op. 2
(1888/1889)

I Française
II Sarabande
III Gavotte
IV Menuet
V Gigue

Preface
If the music lover — at least the music lover who does not live in France — knows anything about (Lucien Denis Gabriel) Albéric Magnard, he probably knows only that he was a composer, and he knows how that composer died. One might as well begin right at the end: When the First World War broke out in 1914, Magnard was with his family on his estate in southeastern Picardy. Once German troops had penetrated French territory, Magnard sent away his wife and two daughters to safety, and awaited alone the approaching Germans. As soon as they set foot on his land, he shot two of them, killing one and wounding the other. Because he did not respond to their demand that he surrender, the Germans burned his manor house down. No doubt he died in the fire, although his corpse was never found.

It may seem trite, if not just flippant, to want to find all of the important parts of a person’s character in the details of a single anecdote, but in the case of Magnard, doing so has its strange justification. It is no surprise that he died alone: Although hardly friendless and blessed with a happy family life, Magnard was in many respects a loner. He found traffic in good society unpleasant (and traffic in bad society unimaginable); he had no interest in public approval; he self-published most of his works; and fully ten years before his death he had left Paris for the blissful solitude of country life. Although he was never more than a moderately successful composer, and taught for only a few years, he was still able to afford a spacious country manor — for his father Francis had become a wealthy, powerful man on account of his jouralistic activities (among other things as editor of the Parisian newspaper Le Figaro). Up until the death of his father in 1894, he lived and fought with contradictory feelings toward him. On the one hand he wanted to be his own man, not the son of his father, and wanted to make his own career path without any favoritism from a well-meaning father; on the other hand, he let himself be educated at his father’s expense, certainly did not reject family money (he financed not only his country estate with it, but several concerts of his works as well), and in fact did truly love him. After his father’s death he wrote a Chant funèbre (op. 9, 1895) — a work that one must consider among his best. In his last brave (if reckless) action one recognizes a final decisive character trait: an unyielding sense of what is right. Only after military service and a law degree (1877) did he begin serious study of music and attempts at composition; he was a passionate supporter of the Third Republic and an outspoken Dreyfusard (his Hymne à la Justice, op. 14, 1902, is the artistic expression of his outrage over the Dreyfus affair); and despite his advancing deafness he tried to volunteer for military service in 1914. Magnard is often considered a misanthrope, but it is probably more correct to see in him a frustrated, disappointed idealist.

The music lover may have heard one of Magnard’s works as well, namely his Third Symphony, thanks to Ernest Ansermet’s fine recording of it with the Orchestre de la Suisse romande for Decca in 1968. Because of the sublime, ancient-sounding choral passages for woodwinds that begin and end the work, and the lightness one perceives despite the serious tone, Magnard is often benevolently but erroneously taken for a kind of «French Bruckner.» However, it would be more correct to consider the lightness to be an artistic realization of his admiration of earlier French masters, and otherwise to include him with those French composers whose works are characterized by the influence of Richard Wagner: César Franck, Ernest Chausson, and Vincent d’Indy. (In fact he knew Franck and Chausson, and d’Indy was his most important teacher.) His strictness in matters of form keeps his music from falling into the endless chromaticism of many a Wagner follower, and even in his most serious works, brooding is held in check by this strictness of form, as well as by passionate expression.

The Suite d’orchestre dans le style ancien, op. 2, is an example of the kind of historicizing musical expression one often finds in works of composers of the last years of the nineteenth century — for example, Grieg’s Holberg Suite and Tchaikovsky’s Mozartiana — and even more frequently in the retrospective glance of early modernists (Respighi’s Antiche arie e danze, Stravinsky’s Pulcinella, Hindemith’s Suite französischer Tänze and Schoenberg’s transcriptions of J.S. Bach, Monn, and even Brahms). Magnard finds in this suite a curious middle path between the simple reinstrumentation of old music and a far-reaching recomposition in late Romantic style. The melodic content is entirely Magnard’s own; the harmony is largely true to the old style, and the orchestration is restrained — but strictly speaking, this is true for only the first three movements. In the last two, Magnard allows himself some quite striking outbreaks into the sound world of his day. The selection of dance forms requires no special explanation, with the exception of the first movement, because there is no dance form known as «Française». Harry Halbreich (in the liner notes to the CD recording of the work, Timpani 1C1067, 2002) is probably correct in assuming that Magnard, as a patriotic Frenchman, did not want to begin his suite with the expected «German» Allemande!

Magnard wrote his Suite d’orchestre dans le style ancien, op. 2, in the summer and autumn of 1888. Already in a letter of 20 December 1888 to his friend Guy Ropartz (1864-1955; composer, conductor, and director of the Nancy Conservatory), however, he wrote of his intention to revise the work. He had recently shown it to his teacher Vincent d’Indy and, without mentioning d’Indy’s reaction to the work, he expressed his own dissatisfaction with it. In particular he complained about his constant—and daring—use of the English horn, which led to «grotesque and regrettable effects» that «diminished my delight with this very imperfect instrument.» Just a few weeks later, on 27 January 1889, he could report to Ropartz that the reorchestration was finished. Ropartz himself read through the work with an orcestra in Angers in October of that year; its first public performance took place on 18 August 1890 at the Casino de Royan under the baton of Léon Jéhin. The public reacted enthusiastically, and the local Gazette des Bains wrote of a «delightful work of music that has something of the manly harmony of Wagner, mixed with the sweetness of the modern French school.» Charles Lamoreaux put the Menuet onto his program of 4 January 1891; the critics responded mostly, if not unanimously, positively. Further performances took place on 1 February 1891 (Association artistique de Marseille, conducted by Jules Lecocq), 19 August 1893 (Casino de Blankenberghe) and 20 January 1895 (Orchestra of the Nancy Conservatory, conducted by Guy Ropartz). Despite the advocacy of Magnard’s great friend, this last performance does not seem to have met with much enthusiasm. The response of the critics was, to put it optimistically, mixed; Le Progrès de l’Est even went as far as to write: «It was impossible for the listener, despite apparent good will, to interest himself in such insignificant music.»

The score and a reduction for piano four-hands were published in 1892 by Philippe Maquet in Paris; the dedicatee in both cases was Olympe (Madame Francis) Broyer-Magnard, who had become the composer’s stepmother in 1888. A CD recording of the reduction was released by the French firm Accord in 1989 (Christoph Keller and Katharina Weber, pianists); in 2002 the French firm Timpani released the first-ever recording of the suite in its orchestral version (Orchestre Philharmonique du Luxembourg, conducted by Mark Stringer).

Stephen Luttmann, 2006

For performance material please contact the publisher Kalmus, Boca Raton. Many thanks to Phillip Brookes / Market Drayton and the Koninklijk Vlaams Conservatorium for contributing their scores for reprint.