Albert Lortzing
(geb. Berlin, 23. Oktober 1801 - gest. Berlin, 21. Januar 1851)

Die vornehmen Dilettanten oder Die Opernprobe
Komische Oper in einem Akt (1850)
Libretto des Komponisten nach Philippe Poisson

Vorwort
Zu den zweifellos faszinierendsten Fragezeichen der deutschen Operngeschichte gehört ein Ereignis des Jahres 1849: Was wäre geschehen, wenn der wichtigste Schöpfer der deutschen Spieloper, Albert Lortzing, dem wichtigsten Schöpfer der romantischen tragischen Oper, Richard Wagner, als Chefdirigent des Dresdner Hofoper nachgefolgt wäre? Diese Frage muß unbeantwortet bleiben, denn Lortzings Bewerbung um diese Stelle wurde bekanntlich ausgeschlagen, ebenso seine Bewerbung des gleichen Jahrs, dem Komponisten Otto Nicolai als Leiter der Berliner Hofoper nachzufolgen. In der Tat: Obwohl Lortzing auf eine knapp 12jährige triumphale Erfolgsserie von Zar und Zimmermann (1837) und Der Wildschütz (1842) bis Undine (1845) und Der Waffenschmied (1846) zurückblicken konnte, wurde er am Ende seines Lebens von finanziellen Sorgen und beruflicher Unsicherheit geplagt. Die herzliche Aufnahme seiner Oper Rolands Knappen in Leipzig im Jahre 1849 führte zwar kurz zu seiner Ernennung als Dirigent des dortigen Stadtheaters, die Stelle wurde jedoch an den bisherigen Amtsinhaber gleich zurückgegeben, als dieser sich entschied, doch zu bleiben. Letztendlich nahm Lortzing in April 1850 eine schlecht bezahlte Position am neu gegründeten Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater in Berlin an, das jedoch weit unter seinem künstlerischen Niveau lag und kaum als Opernhaus dienen konnte. Es war die letzte Position, die er in seinem Leben je innehaben sollte.

Soweit die biographischen Umstände um die Entstehung der letzen Oper Lortzings: Die vornehmen Dilettanten oder Die Opernprobe. In einem verzweifelten Versuch, eine erfolgreiche leichte Opernkomödie zu schreiben, um seinen Ruhm wieder zu festigen und seine finanziellen Angelegenheiten auf eine sicherere Basis zu bringen, wandte er sich diesmal an ein französisches Lustspiel des 18. Jahrhunderts von Philippe Poisson mit dem Titel L’Impromptu du campagne (1733). Die Wahl war nicht so ungewöhnlich, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag, denn Lortzing kannte das Stück bereits in einer deutschen Übertragung durch Johann Friedrich Jünger aus dem Jahr 1794 - Die Komödie aus dem Stegreife -, in der er in seinen frühen Jahren 1825 in Köln sogar selber als Schauspieler aufgetreten war. Die Partitur der neuen Oper wurde mit dem allerleichtesten komischen Schliff (und mit entzückenden ironischen Parodien auf das verschrobene Rezitativ der Opera-seria-Tradition) im Frühjahr 1850 abgeschlossen und dem Verlag Breitkopf & Härtel zur Veröffentlichung angeboten, der jedoch dem Komponisten prompt eine Absage erteilte. Ebensowenig Glück hatte er mit seinem eigenen Arbeitgeber, dem Berliner Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater, das sich weigerte, die Uraufführung zu bringen. Statt dessen mußte sich Lortzing an das Frankfurter Stadttheater wenden, das sich des neuen Werkes schließlich annahm und am 20. Januar 1851 mit den Sängern Karoline Denemy-Ney, Samuel Friedrich Hassel, Robert Leser, Carl Anton Meinhold und Therese Tietjens zur uraufführte. Von dem glänzenden Erfolg dieser Aufführung konnte jedoch Lortzing, der kurz zuvor einen Hirnschlag erlitten hatte und dem Ereignis fernbleiben musste, nicht profitieren: Er starb in Armut am Tage nach der Uraufführung.

Später sollte Die Opernprobe zu den beliebtesten deutschen Spielopern des 19. Jahrhunderts werden; erst nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand das knapp einstündige Werk aus den Repertoire der deutschsprachigen Bühnen. Eine vollständige Partitur mit begleitendem Klavierauszug wurde 1899 bei Senff in Leipzig veröffentlicht, das gedruckte Libretto wurde sogar vom Leipziger Massenverlag Reclam vertrieben. Obwohl Die Opernprobe die Beliebtheit etwa der großen komischen Oper Zar und Zimmermann bei weitem nicht erreichte, wurde sie von der Schallplattenindustrie reichlich bedacht: Eine Berliner Rundfunkproduktion mit Helmut Krebs, Lisa Otto und dem RIAS-Kammerchor aus dem Jahr 1951 ist neuerdings auf CD erschienen, und eine Studioaufnahme mit keinen geringeren Interpreten als Nicolai Gedda, Walter Berry und dem Orchester der Bayerischen Staatsoper München unter der Leitung von Otmar Suitner ist zur Zeit (2007) noch lieferbar.

Personen

Der Graf - Spielbaß
Die Gräfin - Spielalt
Louise, ihre Tochter - Lyrischer Sopran
Haanchen, Louisens Kammermädchen - Soubrette
Der alte Baron von Reinthal - Charakterbaß
Der junge Baron Adolph von Reinthal - Lyrischer Tenor
Johann, dessen Diener - Spielbariton
Martin - Baß
Christoph - Baß
Diener des Grafen
Kleiner Chor: Männliche und weibliche Dienerschaft
Ort: Auf dem Schloß des Grafen
Zeit: Um 1850.

Zusammenfassung der Handlung
(aus: Rudolf Kloiber: Handbuch der Oper, 5. Ausgabe, 1985, Bd. 1, S. 442-443)

Salon mit offener Aussicht in den Garten. Der alte Graf ist ein großer Musiknarr. Seine Vorliebe für die Oper geht so weit, daß er sich häufig in Rezitativen unterhält und daß er vor allem regelmäßig Opernaufführungen in seinem Schloß veranstaltet, wobei die gesamte aus Musikern und Sängern bestehende Dienerschaft mitwirkt. Als Kapellmeister fungiert Hannchen, die hübsche Kammerzofe von Komtesse Louise, der Tochter des gräflichen Paares. Hannchen bricht die Orchesterprobe ab, als der Diener Martin kommt, der ihr gegen den Detektivlohn von einem Gulden auskundschaften sollte, wer die beiden Fremden seien, die sich seit einigen Tagen im Schloßpark zeigten. Aber Martin konnte nichts Näheres in Erfahrung bringen; im Gegenteil, er hat den Eindruck, daß man umgekehrt ihn aushorchen wollte. Da erscheinen die beiden Zugereisten wieder im Garten; sie nähern sich der Veranda, so daß Hannchen ihre Unterhaltung belauschen kann. Dabei erfährt sie, daß es der Baron Adolph von Reinthal mit seinem Diener Johann ist. Der junge Baron ist seinem Onkel durchgebrannt, weil er auf dessen Wunsch eine Konvenienzheirat eingehen sollte, noch dazu mit einem Mädchen, das er gar nicht kennt. Jetzt sucht er Gelegenheit, die hübsche Tochter des Grafen kennenzulernen, in die er sich bereits aus der Ferne verliebt hat. Von Johann auf die Marotte des Schloßherrn aufmerksam gemacht, beschließt Adolph, da er über eine gute Stimme verfügt und zum Glück seine Gitarre mithat, sich zusammen mit seinem Diener als «reisende Sänger» auszugeben. Während die beiden sich in ihrem Gasthof durch einen Trödeljuden als «Künstler» ausstaffieren lassen, erzählt Hannchen das Erlauschte der Komtesse, die gerade die Braut ist, die der alte Reinthal seinem Neffen bestimmt hat und der dieser aus dem Weg gehen wollte. Die beiden «Sänger» werden alsdann von dem Grafen freundlichst willkommen geheißen, um so mehr, als der eigene Tenor heiser geworden ist. Auf Wunsch der Gräfin sollen sie Proben ihres Könnens ablegen. Zunächst singt Adolph ein Liebeslied, das den Beifall aller findet. Als dann auch Johann singen soll, kommt ihm Adolph zu Hilfe; sie improvisieren zum Ergötzen von Hannchen und Louise eine Rezitativ-Szene aus der angeblichen Oper «Die verkleideten Liebhaber», die der Graf höchst interessant findet. Als sich schließlich Herrschaft und Bedienstete zur Hauptprobe versammeln, kommt unerwartet der alte Baron Reinthal zu Besuch. Jetzt zieht sich Adolph mit seinem schlauen Diener durch eine weitere improvisierte Rezitativ-Szene geschickt aus der Affäre. Anschließend fallen die Masken, und statt der geplanten Opernvorstellung findet ein Verlobungsmahl für zwei glückliche Paare statt, die sich inzwischen rasch einig geworden waren: Louise-Adoph und Hannchen-Johann.

Bradford Robinson, 2007

 

Aufführungsmaterial ist von der Edition Peters, Leipzig zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars der Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.

Albert Lortzing
(b. Berlin, 23 October 1801 - d. Berlin, 21 January 1851)

Die vornehmen Dilettanten oder Die Opernprobe
(«The distinguished dilettantes, or The opera rehearsal»)
Comic opera in one act (1850)
on a libretto by the composer after Philippe Poisson

Preface
One of the fascinating unresolved question marks of German operatic history relates to the year 1849: what would have happened if Germany’s greatest writer of comic opera, Albert Lortzing, had succeeded its greatest writer of romantic tragedy, Richard Wagner, as principal conductor of the Dresden Court Opera? The question will never be answered: Lortzing’s application, as we all know, was unsuccessful, as was his application that same year to succeed Otto Nicolai as head of the Berlin Court Opera. Indeed, though he could boast of one triumphant success after another for over twelve years, from Zar und Zimmermann (1837) and Der Wildschütz (1842) to Undine (1845) and Der Waffenschmied (1846), Lortzing was plagued at the end of his career by financial woes and professional uncertainty. The cordial reception given to Rolands Knappen in Leipzig (1849) led to a brief appointment as conductor of the Leipzig Town Theater that was immediately withdrawn when the incumbent conductor decided to remain after all. In the end, in April 1850, Lortzing accepted a poorly paid post at the newly founded Friedrich-Wilhelmstadt Theater in Berlin that was well beneath his stature and hardly mounted opera at all. It was the last professional appointment he was ever to receive.

Thus the circumstances under which Lortzing’s final opera, Die Opernprobe, came into being. Desperately in need of a successful light work to solidify his reputation and clear up his financial affairs, he turned to an early eighteenth-century French comedy by Philippe Poisson entitled L’Impromptu du campagne (1733). The choice was not as unusual as it might seem: Lortzing was familiar with the play in its German translation of 1794 by Johann Friedrich Jünger, Die Komödie aus dem Stegreife («The Impromptu Comedy»); indeed, during his earlier career as an actor, he had even performed in this play in Cologne in 1825. The score, in Lortzing’s lightest comic vein (with delicious parodies of opera seria in the stilted recitatives), was completed in early 1850 and submitted for publication to Breitkopf & Härtel, who promptly rejected it. Nor did he have any success with his own Friedrich-Wilhelmstadt Theater, which declined to mount the première. Instead, Lortzing had to turn to the Frankfurt City Theater, which accepted the work and duly presented the first performance on 20 January 1851, with the roles sung by Karoline Denemy-Ney, Samuel Friedrich Hassel, Robert Leser, Carl Anton Meinhold, and Therese Tietjens. The success was enormous. None of it benefitted Lortzing, however, who suffered a stroke just before the première and was unable to attend. He passed away, impoverished, the day after the first performance.
Die Opernprobe went on to become one of the most popular German comic operas of the nineteenth century, only yielding the stage after World War II. It was published in full score and vocal score by Senff of Leipzig in 1899, and remained popular enough that its libretto was issued by the mass publisher Reclam in Leipzig. Though not nearly as familiar as the great Zar und Zimmermann, which has never left the repertoire in Germany, Die Opernprobe has been well-served by the recording industry: a Berlin radio production with Helmut Krebs, Lisa Otto, and the RIAS Kammerchor, recorded in 1951, has been recently released, and a commercial recording featuring no lesser lights than Nicolai Gedda, Walter Berry, and the Orchestra of the Munich Opera under the baton of Otmar Suitner was still in print at time of writing.

 

Cast of Characters

The Count - Actor-bass
The Countess - Actress-contralto
Louise, their daughter - Lyric soprano
Hannchen, Louisa’s chambermaid - Soubrette
Old Baron von Reinthal - Bass-comedian
Young Baron Adolph von Reinthal - Lyric tenor
Johann, his manservant - Actor-baritone
Martin - Bass
Christoph - Bass

Count’s servants
Small chorus: male and female servants

Place: the Count’s palace
Time: around 1850.

Plot Synopsis
Salon with view onto the palace grounds. The old Count is an inveterate music buff with a foible for opera so great that he frequently converses in recitative. More to the point, he regularly mounts opera performances in his palace, whose domestic staff consists entirely of singers and instrumentalists. The conductor is Hannchen , the pretty chambermaid of the Count’s daughter, Comtesse Louise. Hannchen stops the orchestral rehearsal at the appearance of the footman Martin, who has been paid a detective’s fee of one gulden to discover the identities of two strangers loitering for days on the palace grounds. But Martin is none the wiser; on the contrary, he feels that they have been squeezing information out of him. The two travelers again appear in the garden and approach the veranda, allowing Hannchen to eavesdrop on their conversation. She learns that they are Baron Adolph von Reinthal and his manservant Johann. The young Baron has run away from his uncle rather than follow the latter’s wish to enter a marriage of convenience with a girl he has never even met. Now he is seeking an opportunity to make the acquaintance of the Count’s pretty daughter, with whom he has fallen in love from afar. Informed by Johann of the Count’s operatic whims, Adolph, who has a presentable voice and has conveniently brought along his guitar, resolves to pose with his servant as “wandering singers.” While the two men retire to a Jewish haberdashers to deck themselves out as “artists,” Hannchen passes the fruits of her eavesdropping on to the Comtesse, who is none other than the bride the old Baron von Reinthal has chosen for his nephew – the very girl Adolph has been trying to avoid! The two “singers” are promptly welcomed by the Count in the friendliest terms, all the more so as his own tenor has momentarily lost his voice. The Countess asks them to present examples of their skills. First Adolph sings a love song, to universal applause. When Johann steps up to sing, Adolph comes to his aid, and the two men, to the delight of Hannchen and Louise, improvise a scene in recitative from the fictitious opera Die verkleideten Liebhaber (“The Incognito Lovers»), which the Count finds most interesting. As the lords and domestics finally assemble for the dress rehearsal, old Baron von Reinthal unexpectedly arrives for a visit. Adolph and his wily servant deftly escape the imbroglio in another improvised scene in recitative. Then all drop their disguises, and instead of the scheduled opera performance there is a banquet for the betrothal of two happy couples who have quickly reached a sweet understanding: Louise-Adolph and Hannchen-Johann.

Bradford Robinson, 2007

For performance material please contact the publisher Edition Peters, Leipzig. Reprint of a copy from the Musikabteilung der Leipziger Städtische Bibliotheken, Leipzig.