Edouard Lalo
(geb. Lille, 27. Januar 1823 - gest. Paris, 22. April 1892)

Symphonie g-Moll für großes Orchester (1886)

Vorwort
Im Jahre 1865 heiratete der bereits 42jährige, der französischen Musikwelt ebenso unbekannte wie von seinen Mitmusikern bewunderte Edouard Lalo eine bretonische Opernsängerin namens Julie Besnier de Maligny. Vom jugen Eheglück berauscht entschloß er sich, den von ihm vorwiegend gepflegten Bereich der Instrumentalmusik zu verlassen und eine große Oper in Angriff zu nehmen. Das Ergebnis dieser Entscheidung war Fiesque, eine aufwendige Historienoper nach dem feurigen Drama Friedrich Schillers Die Verschwörung des Fiesco zu Genua (1783). Die Kompositionsarbeiten erstreckten sich von 1866 bis 1868, schließlich aber reichte Lalo die fertige Partitur bei einem vom Théâtre Lyrique veranstalteten Kompositions-wettbewerb ein. Zum Erstaunen der Pariser Musikintelligenz erhielt die Oper jedoch lediglich einen dritten Preis und wurde für eine Inszenierung abgelehnt (sie ist bis heute unaufgeführt geblieben). Daraufhin bot Lalo das neue Werk dem Brüsseler Théâtre de la Monnaie an, wo jedoch kurz vor der Inszenierung der Theaterdirektor Bankrott erklären mußte. Der zutiefst enttäuschte Lalo kehrte wieder zur Instrumentalmusik zurück und schuf eine Reihe von Werken, die seinen heutigen Ruhm begründen: die Symphonie espagnole (1874), das Violoncellokonzert (1877), die Ballettmusik Namouna (1881/82) sowie ein Violinkonzert (1873) und eine Fantaisie norvégienne (1878), die beide – wie auch die Symphonie espagnole – für den großen spanischen Geigenvirtuosen Pablo de Sarasate entstanden. Seine Faszination für die Opernbühne jedoch verließ den Komponisten nie ganz, und er arbeitete unermüdlich über viele Jahre hinweg an seinem Meisterwerk: der bretonischen Legendenoper Le Roi d’Ys, mit der er 1888 schließlich auch seinen verspäteten Durchbruch errang..

Zu diesem Zeit jedoch hatte Lalo bereits einen Hirnschlag erlitten, den er nur halbseitig gelähmt und mit stark verminderten schöpferischen Kräften überlebte. Für seine späteren Projekte kehrte er daher öfters zu seinem mißlungenen Opernversuch Fiesque zurück, wobei er fast die ganze Partitur in eine Reihe von Spätwerken hinüberretten konnte: die dreiaktige Pantomime Néron (1891), die unvollendete Oper La Jacquerie (1889), vor allem aber die vorliegende Symphonie g-Moll (c. 1886), die einen wichtigen Beitrag zur Gattung der spätromantischen französischen Symphonik darstellt, die damals gerade durch die Werke d’Indys und Saint-Saëns‘ zum neuen Leben erweckt worden war. Wie durch einen flüchtigen Blick in den 1872 veröffentlichten Klavierauszug des Fiesque ersichtlich, wurden große Teile der neuen Symphonie unverändert der Opernpartitur entnommen. Aus dem Anfang der Zwischenaktmusik zum 3. Akt wurde die langsame Einleitung zum Kopfsatz der Symphony; die hinreißende Ballszene wurde in ein instrumentales Scherzo verwandelt, wobei lediglich der ursprüngliche 3/8-Takt in 6/8 umgewandelt wurde; der Trio-Teil des Scherzo sollte ursprünglich von der Protagonistin Léonore, dem Bösewicht Verrina und einem Opernchor vorgetragen werden; und im langsamen Satz wird eine Melodie aus dem vortrefflichen Terzett im 3. Akt weiterverarbeitet und im Orchestersatz mit einem kontrastierenden Seitenthema durchwirkt. Die einzigen gänzlich neukomponierten Teile finden sich im Allegro des Kopfsatzes und im Finale, in dem das bisherige thematische Material in eine grandiose und wirkungsvolle Apotheose verwandelt wiedererscheint, die zwar Techniken vorwegnimmt, die César Francks in seiner großen Symphonie d-Moll (1889) einige Jahre später verwenden sollte, aber gleichzeitig der Zweiten Symphonie des vielbewunderten Vorbilds Robert Schumann huldigt. Die neue Symphonie wurde am 13. Februar 1887 im Rahmen der Concerts Lamoureux vor einem neugierigen, aufmerksamen und sympathisierenden Publikum durch den Dirigenten und langjährigen Lalo-Freund Charles Lamoureux uraufgeführt und erschien im gleichen Jahr als Partitur und vierhändige Klavierfassung im Druck.

Die Symphonie g-Moll zeigt all die Vorzüge der Orchestermusik Lalos: rhythmische Energie, geschicktes handwerkliches Können und brillante Orchestrierungskunst. Zu ihren tatkräftigsten Bewunderern gehörte der englische Dirigent Sir Thomas Beecham, der in den 1960er Jahren eine vielbeachtete und heute noch erhältliche Einspielung mit dem Orchestre Nationale de Radiodiffusion Française vornahm. Angesichts der ungewöhnlichen Entstehungsgeschichte der Symphonie, die sich wohl am ehesten mit den aus Filmmusik gewonnenen Werken des Erich Wolfgang Korngold (Violinkonzert, Symphonie Fis-Dur) vergleichen ließe, sind die Wirkungsstärke und Einheitlichkeit der Symphonie g-Moll umso erstaunlicher. Um mit dem frühen Lalo-Biographen Georges Servières zu reden: «Man kann die Kunstfertigkeit nur bewundern, mit der es Lalo gelingt, einer breit angelegten Komposition aus so verschiedenartigen Materialien einen Anschein der Geschlossenheit und der Zusammengehörigkeit zu verleihen.»

Bradford Robinson, 2006

Aufführungsmaterial ist von der Heugel, Paris zu beziehen. Nachdruck eines Exemplars aus der Sammlung Tom Zelle, Chicago.

 

 

Edouard Lalo
(b. Lille, 27 January 1823; d. Paris, 22 April 1892)

Symphony in Gminor for orchestra (1886)

Preface
In 1865 Edouard Lalo, already forty-two years old and as obscure to the French public as he was admired by his fellow musicians, married a Breton opera singer named Julie Besnier de Maligny. In his initial euphoria he decided to abandon the instrumental music that until then had been his special precinct and advance upon a grand opéra. The result was Fiesque, an elaborate historical pageant based on a fiery play of 1783 by Friedrich Schiller, Die Verschwörung des Fiesco zu Genua («The Conspiracy of Fiesco in Genoa»). The composition occupied him from 1866 to 1868, and he submitted the finished score to a state competition sponsored by the Théâtre Lyrique. To the amazement of the Parisian musical world, Lalo’s opera only received a third prize and was not accepted for performance (indeed, it remains unperformed to the present day). He then offered the work to the Théâtre de la Monnaie in Brussels, where it was about to be produced when the manager went bankrupt. Discouraged, Lalo returned to his favored area of instrumental music and produced the works for which he is best known today - the Symphonie espagnole (1874), the Cello Concerto (1877), and the ballet Namouna (1881-2) – as well as a Violin Concerto (1873) and the Fantaisie norvégienne (1878), both written, like the Symphonie espagnole, for the great Spanish violinist Pablo de Sarasate. But he never lost his fascination with the stage, and worked tirelessly on his masterpiece, the Breton opera Le Roi d’Ys, with which he belatedly achieved his breakthrough in 1888.

By that time Lalo had suffered a severe stroke that left him semi-paralyzed and severely curtailed his creative energy. For his later projects he frequently returned to the abortive Fiesque, salvaging virtually the whole of its score in a series of late works: a three-act pantomime Néron (1891), an unfinished opera La Jacquerie (1889), and above all the Symphonie in G minor (c. 1886), a significant contribution to a genre that was currently undergoing a revival in France in the works of d’Indy and Saint-Saëns. A glance at the vocal score of Fiesque, published in 1872, reveals that much of the music of Lalo’s new symphony was taken virtually intact from the opera. The opening of the entr’acte music to Act 3 became the slow introduction to the first movement; the delightful ballroom scene was transformed into an instrumental Scherzo, merely altered from 3/8 to 6/8 meter; the trio section of the Scherzo was originally sung in the opera by the heroine Léonore, the villain Verrina, and a chorus; and the slow movement elaborates a melody from the splendid trio in Act 3, working it into a complex symphonic texture with contrasting themes. The only entirely new music is found in the main allegro of the opening movement and in the finale, which draws together and transforms all the preceding thematic material in a vast and effective apotheosis that anticipates César Franck’s similar technique in the D-minor Symphony (1889), but is no less beholden to the Second Symphony of Lalo’s beloved model, Robert Schumann. The work received its première on 13 February 1887 at the Concerts Lamoureux, conducted by Lalo’s old friend Charles Lamoureux before a curious, attentive, and appreciative audience, and appeared in full score and a reduction for piano four-hands in the same year..

The Symphony in G minor reveals all the virtues of Lalo’s orchestral music: rhythmic vitality, ingenious craftsmanship, and brilliant orchestration. One of its outstanding admirers was Sir Thomas Beecham, who made a celebrated recording of the work in the 1960s with the Orchestre Nationale de Radiodiffusion Française that is still available today. Considering its unusual genesis, which may be said to foreshadow the works that Erich Wolfgang Korngold compiled from his better film scores (Violin Concerto, Symphony in F-sharp major), the effectiveness and the unity of the symphony are all the more surprising. To quote Lalo’s early biographer Georges Servières, «one can only admire the art with which Lalo has succeeded in imparting a semblance of unity and coherence to a vast composition formed of such diverse materials.»

Bradford Robinson, 2006

For performance material please contact the publisher Heugel, Paris. Reprint of a copy from the collection Tom Zelle, Chicago.